Protokoll der Sitzung vom 24.09.2020

Meine Damen und Herren, auch die Qualität der Räder steigt. E-Mobilität ist hier das Stichwort. Jedes dritte neue Rad ist elektrisch, 5,4 Millionen Stück stellen die Akku-Autos weit in den Schatten. Es gibt neue City-Flitzer, die bis zu 70 % verkauft werden; auch Lastenräder sind unterwegs, die gerade für Familien und den Einzelhandel interessant sind. Die Deutschen lassen sich ein Rad im Schnitt 982 € kosten. Räder sind tatsächlich in. Ich sage Ihnen: Da läuft ein Umbruch. Da findet ein interessanter Wandel statt.

Meine Damen und Herren, in der Coronakrise - ich habe es schon angedeutet - galten Fahrräder im Internet teilweise als das neue Klopapier. Aber Corona stärkt nur das, was vorher schon klar war. Radfahren nutzt der Wirtschaft, der Umwelt, den Menschen, der Lebensqualität. Menschen wollen Radfahren. Sie tun es, wenn die Straßen, auch ohne Angst vor Autos, gut nutzbar sind. Menschen genießen die Individualität. Radfahren stärkt die Abwehrkräfte. Radfahren ist schlichtweg gesund.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Kay Richert [FDP])

Auch das gehört allerdings bei aller Euphorie dazu: Jahrzehnte der autozentrierten Verkehrspolitik haben viel Schaden angerichtet. 24 % der Eltern lassen ihre Kinder nur ungern alleine Fahrrad fahren. Städte bekommen bei der Fahrradfreundlichkeit in Schleswig-Holstein im Schnitt nur die Note 4. Vor allem Platzmangel auf und neben der Straße nervt. Das haben jetzt viele Leute während der Coronakrise live erleben können, weil sie viel Rad gefahren sind. Sie haben dann wirklich einmal einen Blick auf die Situation im Radverkehr gehabt. Genau das wollen wir mit unseren Änderungen ansetzen, mei

ne Damen und Herren. Wir haben ein richtig ambitioniertes Ziel. 13 % der Schleswig-Holsteiner fahren jetzt Rad. Wir wollen das bis zum Jahr 2030 auf 30 %steigern. Das sind dann niederländische und dänische Verhältnisse in Schleswig-Holstein, die wir anstreben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dafür müssen wir das landesweite Radverkehrsnetz voranbringen.

Von der SPD ist nach den finanziellen Möglichkeiten gefragt worden. 55 Millionen € stehen bis zum Jahr 2022 zur Verfügung. 20 Millionen € haben wir jetzt im Kommunalpakt für den kommunalen Radwegebau im Rahmen der Coronakrise vereinbart. 10 Millionen € haben wir für Fahrradbügel-Servicestationen, weitere 5 Millionen € sind pro Jahr im GVFG vorgesehen, in drei Jahren sind es 15 Millionen €.

Wer hier sagt, wir unterfüttern diese Strategie nicht mit finanziellen Mitteln, liegt schlicht und ergreifend falsch.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Herr Minister, das muss ich ganz deutlich sagen: Es ist wirklich großartig. Sie haben das mit allen Beteiligten bottom-up erarbeitet. Da ist nichts von oben aufgesetzt worden. Meine Damen und Herren auf der Tribüne vom ADFC und RAD.SH - ich grüße Sie herzlich. Sie haben gemerkt, wie wichtig es für die Akteursgemeinschaft ist, hier mitgenommen worden zu sein.

Deshalb geht es darum, dass wir dieses Geld jetzt tatsächlich auf die Straße bringen. Wir müssen in Schleswig-Holstein aufsatteln. Dazu gehört es auch zu erkennen, dass die Planungskapazität in den Kommunen häufig nicht ausreicht. Dazu brauchen wir intelligente Konzepte. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ganz offen: Da müssen wir das Rad nicht neu erfinden.

Schauen wir einmal nach Hamburg. Die arbeiten mit Planungsgesellschaften wie Copenhagen Infrastructure, die die Pläne für Kopenhagen gemacht haben, zusammen. Das ist Bundesliga, das ist Champions League. Wenn wir das jetzt in Schleswig-Holstein tatsächlich voranbringen wollen, Herr Minister, müssen wir überlegen, Kooperationen einzugehen, klug zu fragen, ob wir nicht die Kräfte bündeln können. Wir müssen tatsächlich eine intelligente Planung haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Leute wollen nicht auf zu schmalen Radwegen mit schnellen E-Bikes fahren. Das ist auch nicht sicher. Wir haben uns in der Vision Zero für die Sicherheit eingesetzt.

Meine Damen und Herren, auch in den touristischen Destinationen ist das Rad mittlerweile eine wichtige Grundhaltung: Bett+Bike. Die Leute wollen im Urlaub mit dem Rad unterwegs sein. Zu Coronazeiten ist das eine angenehme Sache. Sie wollen an der frischen Luft sein und haben die Möglichkeit, die Natur, die Landschaft zu genießen. Wir haben in Schleswig-Holstein reichlich schöne Plätze zu entdecken. Das nutzt, lieber Kollege Arp, auch unseren Landgasthöfen, unserer Infrastruktur. Das ist eine richtig wichtige und gute Maßnahme im Tourismus. Deshalb müssen wir jetzt dafür sorgen, dass wir den Nord-Ostsee-Radweg ausbauen und keine Radwege haben, die in der Pampa enden und schlecht sind. Man muss da durchfahren und es wirklich genießen können. Deshalb brauchen wir eine Strategie. Auch im Hamburger Rand, meine Damen und Herren, kann es nicht sein, dass wir hochmoderne Radschnellwege haben, die dann in der Pampa enden. Das müssen wir mit aller Kraft verhindern. Wir brauchen eine Gesamtstrategie gerade im Hamburger Rand.

Liebe SPD, das ist genau das, was in der OECDStudie steht. Wir müssen bei diesen Themen Hand in Hand zusammenarbeiten. Das steht in der Radstrategie. Da haben wir jetzt aufgesattelt, das ist mit im Konzept enthalten.

Das ist mehr, als wir jemals in den letzten Jahren und Jahrzehnten für die Radpolitik in SchleswigHolstein auf den Weg gebracht haben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Deshalb bin ich zufrieden. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete HansJörn Arp das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße auch die vielen Fahrradfahrer unter uns - besonders die auf der Tribüne. Ich bedanke mich, dass ich heute zu diesem Thema reden kann. Das habe

ich Lukas Kilian zu verdanken, der eine wichtige Veranstaltung hat, an der er wirklich teilnehmen muss. Man sieht, dass ich somit nicht nur zur A 20 rede, sondern auch zum Thema Fahrradfahren hier vortragen kann.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Frank Brodehl [AfD])

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich gleich am Anfang ein herzliches Dankeschön sagen, ein Dankeschön an alle Beteiligten, die an dieser Strategie mitgearbeitet haben, und zwar nicht nur im Ministerium, nicht nur bei den betroffenen Verbänden, sondern auch bei den Städten und Kommunen. Wer immer dabei war, ist der Kollege Tietze. Er hat an jeder dieser Sitzungen teilgenommen, ist aber nie mit dem Fahrrad gekommen. Er hat dafür gesorgt, dass es von einer breiten Gesellschaft dieses Landes getragen wird, von Organisationen, von Berufsverbänden, von den Fahrradhändlern und so weiter. Es war die Initiative des Ministeriums, alle zu beteiligen. Lieber Kollege Bernd Buchholz, herzlichen Dank Ihnen und Ihren Mitarbeitern.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wir beziehungsweise die Regierung haben eine gewisse Vision gehabt. Als wir 2018 davon sprachen, welche Chancen für Schleswig-Holstein bestehen, ahnte man nicht, dass wir uns heute in dieser Phase befinden. Gerade jetzt ist diese Strategie und deren Umsetzung so wichtig. Jetzt ist das Fahrrad für alle so bedeutend, wie es vorher nicht der Fall war. Wir können sagen, die Jamaika-Regierung ist darauf vorbereitet gewesen. Wir hätten auf das Ergebnis gerne verzichtet, aber die Vorbereitung war wichtig.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eines sagen. Bei einer Entscheidung, gerade im Bereich des Tourismus, geht es heute in erster Linie darum: Was kann ich in meiner Freizeit tun? Ein ganz wichtiger Faktor ist dabei, wie man sieht, heute Fahrradfahren. Während Kollege Hauke Göttsch sagen würde: „Ich kann schwimmen“, stünde für alle anderen bei den Aktivitäten das Fahrradfahren an erster Stelle. Das hilft dem Tourismusland Schleswig-Holstein ungemein.

Was wollen wir erreichen? Wir wollen mehr Menschen auf die Fahrräder bringen. Vor vielen Jahren haben wir hier über die Schulwegsicherheit diskutiert. Dann haben wir lange darüber diskutiert, ob wir, was das Tourismusland Schleswig-Holstein angeht, nicht den Fahrradtourismus in den Vordergrund stellen. Jetzt geht es darum, dass wir alle ge

(Dr. Andreas Tietze)

sellschaftlichen Gruppen erreichen. Wir wollen die Pendler und die Schlipsträger wie Burkhard Peters erreichen. Wir wollen sie alle erreichen. Wir sehen es ja morgens, wenn wir zur Arbeit beziehungsweise zum Landtag fahren, dass viele Berufspendler heute mit dem Fahrrad unterwegs sind. Das ist das Ziel, das wir weiterverfolgen sollten.

Geschätzter Kollege Vogel, heute habe ich mal das Glück, dass ich nach Ihnen reden darf. Ich verstehe ja, dass manchmal das Sein das Bewusstsein prägt.

(Beifall Christopher Vogt [FDP])

Aber akzeptieren Sie doch einmal einen Punkt: So viel Geld wie derzeit ist zu keiner Zeit für den Ausbau von Radwegen bereitgestellt worden. Wir reden über 55 Millionen € in einer Legislaturperiode. Der von Ihnen - und nicht von mir - geschätzte Herr Meyer - das war die Vorgängerregierung - hat in der gleichen Zeit 6,5 Millionen € an GVFG-Mitteln ausgegeben. In unserer Regierungszeit sind allein rund 12 Millionen € für den Ausbau von 198 km Landesstraßen ausgegeben worden. Jedes Mal ist gleichzeitig der Radweg mit saniert worden. Das hat es zuvor nicht gegeben. Da wäre es ein gutes Zeichen der Opposition gewesen, nicht nur die Strategie zu akzeptieren, sondern auch zu sagen, dass es hier mit einem Verkehrsminister auf der einen Seite und einer Finanzministerin auf der anderen Seite gelungen ist - was nützt es, wenn der Verkehrsminister die Forderung aufstellt, aber die Finanzministerin nicht mitmacht? -, ein tolles JamaikaProjekt auf die Beine zu stellen, in dem sich große Teile der Gesellschaft wiederfinden, und dass wir ein Parlament und Ministerien haben, die sich für diese Interessen einsetzen. Ich sage allen Beteiligten hier im Parlament und in der Regierung dafür ein herzliches Dankeschön.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zum ersten Mal, liebe Freundinnen und Freunde, stehen die Fahrradfahrer bei der Diskussion nicht in Konkurrenz zu den Autofahrern und denjenigen, die den Schienenverkehr nutzen, sondern sind Teil des Mobilitätskonzepts dieser Landesregierung. Hier wird allen gleichermaßen Geltung verschafft. - Ich habe den Eindruck, der Kollege Vogt möchte etwas sagen, weil er irgendwie unruhig ist. Oder habe ich das jetzt falsch gedeutet?

(Christopher Vogt [FDP]: Ich dachte, nur ich wäre dein Freund!)

- Kollege, darüber können wir diskutieren. Von diesem Pult aus sind Sie alle von Jamaika meine Freunde.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Aber lassen Sie mich noch Folgendes sagen.

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Ende.

Ja, leider. Ich hätte noch viel dazu zu sagen.

Ja, das glaube ich.

Ich möchte mich noch einmal bei allen Beteiligten bedanken. - Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, dass ich kurz überziehen durfte. Das durfte ich schon mal länger, aber in diesem Sinne: herzlichen Dank.

(Heiterkeit und Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Volker Schnurrbusch das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! Ich streue einmal ein bisschen Sand ins Getriebe. Der Landtag stellt fest, dass das Fahrrad während der Coronapandemie an enormer Attraktivität gewonnen hat. So steht es im vorliegenden Antrag. Hier hat offensichtlich grünes Wunschdenken den Antragstellern den Stift geführt. Was bitte heißt denn „enorm“, lieber Herr Kollege Dr. Tietze? Einer großen Mehrheit der Bevölkerung, heißt es da weiter, sei endlich bewusst geworden, wie toll Radfahren sei,

(Dr. Frank Brodehl [AfD]: Amen!)

als ob Corona nun dieser Erkenntnis Bahn gebrochen hätte. Das halte ich für ein Gerücht; denn nach einer repräsentativen Studie des Wissenschaftszentrums Berlin - aktuell - blieb der Anteil des Fahrrads unter den genutzten Verkehrsmitteln im Mai, also während Corona, mit 10 bis 12 % stabil. Von

(Hans-Jörn Arp)