Protokoll der Sitzung vom 19.11.2020

Es liegt übrigens nicht nur am EU-Beihilferecht. Das möchte ich ausdrücklich sagen; denn nach der Information, die ich von Olaf Scholz erhalten habe, ist beihilferechtlich alles geklärt. Aber die Plattform steht tatsächlich noch nicht bereit.

Für die schleswig-holsteinischen Unternehmen ist es gut, dass unser Wirtschaftsministerium und unsere IB.SH bereit sind. Es werden die gleichen Antragswege wie für die anderen Hilfen beschritten werden können, das heißt, all die Unternehmen, die jetzt noch einmal Unterstützung bekommen sollen, haben solche schon einmal bekommen; sie können also wieder den gleichen Weg gehen. Von daher hoffe ich nicht nur, sondern ich gehe fest davon aus, dass die Abwicklung zumindest in Schleswig-Holstein unbürokratisch erfolgen wird. Es braucht aber noch die Vereinbarung mit den 16 Bundesländern. Wir werden auch diese Entwicklung begleiten und gegebenenfalls nachbessern beziehungsweise anpassen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich spreche von „nachbessern“ und „anpassen“; denn es handelt sich um einen lernenden Prozess. Das haben wir übrigens schon während der ganzen Zeit der Pandemie gemacht. Wir haben immer wieder nachgebessert. Vor allem haben wir immer wieder angepasst, damit die Hilfen wirklich ankommen.

Wir haben uns auch schon am Beginn der Krise im März 2020 vorgenommen, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Wir wollen diesen Weg zusammen gehen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Das hat bis heute tatsächlich gut funktioniert. Es hat zwischen den demokratischen Fraktionen in diesem Haus gut funktioniert. Es hat zwischen Regierung und Oppo

(Serpil Midyatli)

sition sehr gut funktioniert. Es hat auch zwischen Wirtschaft und Politik gut funktioniert. Vor allem, verehrte Kolleginnen und Kollegen, hat es mit den Menschen in diesem Land gut funktioniert. Das ist und bleibt unser stärkstes Mittel in dieser Pandemie: Unser Zusammenhalt!

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW, Dennys Bornhöft [FDP] und Kay Ri- chert [FDP])

Unser Zusammenhalt trägt uns durch diese Krise. Wir fühlen uns verantwortlich - verantwortlich füreinander. Und: Die allerallermeisten Menschen sind vernünftig.

Daher wird es Sie nicht wundern, dass die gestrigen Bilder aus Berlin für mich sehr verstörend waren. Insbesondere als Sozialdemokratin macht mich die Gleichsetzung des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 nicht nur fassungslos, sondern auch wütend.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP, SSW und vereinzelt CDU)

Wir haben 1933 dagegen gestimmt. Wir haben gegen eine Diktatur gestimmt. Wir haben gegen Nazis gestimmt. Wir würden das immer wieder tun.

(Beifall Beate Raudies [SPD])

Die AfD will das Land spalten, frei nach dem Motto ihres ehemaligen Pressesprechers:

„Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“

Wir lassen uns aber nicht spalten. Wir halten zusammen - in Verantwortung für das Land, für Deutschland, für die Menschen. Denn der Zusammenhalt wird uns immer stärker machen. Davon gehe ich ganz fest aus. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dennys Bornhöft [FDP] und Kay Richert [FDP])

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Abgeordnete Joschka Knuth.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ein Punkt, in dem wir uns sicherlich alle einig sind - und einig sein müssen -, ist die Feststellung: Das Jahr 2020 wird für viele Betriebe und Beschäftigte ein Jahr sein, dass sie am liebsten

vergessen möchten. Wir haben aber das Problem, dass die meisten Betriebe und Beschäftigten dieses Jahr nicht werden vergessen können. Viel zu tief wirken sich die Schäden dieses Jahres in den Bilanzen und Strukturen der Unternehmungen aus. Das ist es, womit wir zu kämpfen haben. Diese negativen Folgen sind es, die wir mit unseren Handlungen abmildern müssen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Den- nys Bornhöft [FDP] und Kay Richert [FDP])

Das, was wir erleben, wird sich noch über Jahre massiv auswirken. Kredite, die jetzt Kapitallücken decken sollen, müssen abbezahlt werden. Umsätze müssen aufgeholt werden. Eigenkapital muss wiederaufgebaut werden. Investitionen, die aufgeschoben sind, müssen nachgeholt werden.

Vor diesem Hintergrund ist es interessant, dass wir, wenn wir über Wirtschaftshilfen für Unternehmen, die eigentlich gesund sind, reden, im Grunde keine Diskussion entlang der Parteicouleur erleben. Man kann viele Vorwürfe erheben, beispielsweise in Richtung des Bundes, wegen Dinge, die in den letzten Wochen passiert sind. Das mache auch ich. Ich werfe der Bundesregierung absolut vor, dass sie ein halbes Jahr nicht genutzt hat, sich auf eine Situation vorzubereiten, wie sie im Oktober 2020 eingetreten ist. Es war doch selbstverständlich, dass es, wenn Einrichtungen und Unternehmen geschlossen werden, wieder Hilfe braucht. Darauf hat sich der Bund nicht ausreichend vorbereitet.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wenn sie aber, zumindest zum Teil, schon vorbereitet war, dann war jedenfalls die politische Kommunikation maximal schlecht. In den letzten Wochen ist in den Betrieben, sowohl bei den Unternehmern als auch bei den Beschäftigten, der Eindruck entstanden: Auf das Herunterfahren kann man sich schnell einigen; aber man braucht richtig lange, sich auf Hilfen zu einigen.

Angesichts dessen bin ich unserer Landesregierung so dankbar; denn sie hat in den Gesprächen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin offen und öffentlich darauf gedrungen, dass es tatsächlich Hilfen gibt. Das ist im Bundesvergleich aufgefallen. Dafür bin ich sehr dankbar; denn es brauchte diesen Spin.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wenn über Wochen der Eindruck entstand, dass sich die Bundesregierung nicht einig sei oder man

(Serpil Midyatli)

sich mit den Ländern nicht einig sei, und ein bisschen das Spiel gespielt wurde Bundeswirtschaftsministerium gegen Bundesfinanzministerium gegen Landesregierung, bin ich am Ende doch froh, dass wir jetzt eine Struktur gefunden haben: ein Paket für die Betriebe in Deutschland, aber auch hier im Land, das massiv helfen wird, die Probleme, die durch die Schließung entstanden sind, zu überbrücken. 75 % Umsatzersatz sind eine richtig starke Hilfe für die Betriebe.

Wichtig ist in diesem Paket aber auch, dass zwei Dinge passieren, die wir als Fraktion - wenn man jetzt einmal die Parteifarbe anlegen darf - schon lange vor der Sommerpause gefordert haben. Erstens geht es um die Hilfen für die Soloselbstständigen. Die sind über ein halbes Jahr durch das Raster gefallen. Wir haben schon im Mai 2020 darauf hingewiesen, dass wir da dringend Hilfen brauchen. Es ist richtig gesagt worden: 5.000 € sind kein Neustartprogramm. 5.000 € sind ein Schmerzlinderungspflästerchen, sie reichen nicht aus, um Anfang nächsten Jahres gut durchzustarten.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Zweitens ist es wichtig, dass wir auch den mittelbar betroffenen Betrieben im Land helfen. Wir haben in Schleswig-Holstein als einen richtig starken Wirtschaftssektor die Lebensmittelbranche. Die lebt nicht nur in der Gastronomie davon, sozusagen den Endkundenverkauf zu gewährleisten, sondern sie lebt von den ganzen Produktionsstrukturen, die dahinter stehen, die jetzt betroffen sind und denen wir dringend helfen müssen, weil die Umsätze dort wegbrechen.

Erlauben Sie mir noch drei Punkte. Es ist selbstverständlich, dass wir daran arbeiten und auch wir Unterstützung signalisieren, dass wir die Programme des Landes, die wir schon haben, die zusätzlich helfen, beispielsweise den Härtefallfonds und den Mittelstandssicherungsfonds, ins nächste Jahr fortsetzen; das werden wir selbstverständlich machen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Wir Grüne haben über die letzten Monate absolut keinen Zweifel daran gelassen, dass wir, wenn es darum geht, Wirtschaftshilfen auf den Weg zu bringen, allen helfen, dass wir da keine Konditionierung vornehmen. Ich sage aber auch in aller Klarheit: Diese Krise darf keine Ausrede dafür sein, die dringend notwendige Transformation der Wirtschaft, wenn es um die Zukunft geht, aufzuschieben.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da helfen auch keine Mehrwertsteuersenkungen. Was wir für die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft brauchen, sind Investitionen in die entscheidenden Zukunftsbereiche Energiewende und Klimaschutz, Digitalisierung und Zukunft der Arbeit. Alles, was unsere Wirtschaft für die nächsten Jahre auf gesunde Beine stellt, brauchen wir, um uns aus der Krise rauszuführen, und keine altbackenen Instrumente.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestern in der Anhörung im Landeshaus ist noch einmal das Bedürfnis der Zielgerichtetheit deutlich geworden. Das sind die Targeted Projects, die wir auf den Weg bringen möchten. Wenn etwas von dem hängen bleibt, was uns die beiden Professoren im Wirtschaftsteil der Anhörung für die Zukunft mit auf den Weg gegeben haben, ist es, dass wir zielgerichtete Maßnahmen für die Zukunft auf den Weg bringen müssen. Daran werden wir weiter arbeiten.

Ich darf darauf hinweisen, dass wir als Jamaika-Koalition zum Sommer ein Konjunkturprogramm beschlossen haben. Darin spiegelt sich genau das wider. Wir werden alles tun, weiter die Zukunft der Wirtschaft im Blick zu haben. Nur so werden wir es uns leisten können, auch in Zukunft im Land in andere wichtige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu investieren. - Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU und FDP)

Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Kay Richert.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Hals-über-Kopf-Versprechen sind meist das Gegenteil von durchdachten Konzepten. Spontane Zusagen und Beschlüsse, die ohne gemeinsame Vorbereitung entstehen, führen in aller Regel zu Chaos und Unklarheit. Die vergangenen Ministerpräsidentenkonferenzen und insbesondere die entsprechenden Vorbereitungen durch das Bundeskanzleramt haben dies leider eindrucksvoll bestätigt. Dies gilt umso mehr für die versprochenen außerordentlichen Wirtschaftshilfen beziehungsweise Novemberhilfen, wie sie jetzt genannt werden.

(Joschka Knuth)

Das großmütig angekündigte Konzept für die Hilfen lag bekanntermaßen bis Ende Oktober 2020 gar nicht vor. Auch die ersten Entwürfe, die nach einer Woche langsam eintrudelten, unterschieden sich ganz schön von den versprochenen Zusagen des Bundes. Mittelbar Betroffene wurden aufgrund der Definition der Mittelbarkeit vollkommen ignoriert. Bäckerei-Cafés mussten schließen - es sind ja Gastrobetriebe -, sollten aber keine Entschädigung wie Gastrobetriebe erhalten. Man hatte den Eindruck, dass die Bundesregierung, insbesondere Peter Altmaier und Olaf Scholz, den Ernst der Lage und die Existenzen, die auf dem Spiel stehen, überhaupt nicht auf dem Zettel hatten.

(Beifall FDP)

Das ist natürlich ein Unding. Wenn der Bund das wirtschaftliche Leben herunterfährt und entsprechende Kompensationen ausdrücklich verspricht, dann muss er sie auch zügig auf den Weg bringen.

Es hat gute zwei Wochen gedauert, bis sich die Konditionen des Bundes für die Wirtschaftshilfen nennenswert verbessert hatten. Diese Verbesserungen sind insbesondere auf den Druck der Wirtschaft und des Landes Schleswig-Holstein zurückzuführen.

(Beifall FDP und vereinzelt CDU)

Viele von uns Abgeordneten haben sich eingebracht und sämtliche Kontakte genutzt. Das ist über alle Parteifarben hinweg geschehen. Dieses konzertierte Vorgehen über Parteiinteressen hinweg und ohne dem Verlangen nachzugeben, sich auf Kosten der anderen zu profilieren, sondern gemeinsam an einem Strang zu ziehen, war ein tolles Gefühl. Das haben wir sehr gut hingekriegt.

(Beifall FDP, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)