Protokoll der Sitzung vom 16.06.2010

Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Hände in der Bundesrepublik Deutschland wird sich Ende dieses Jahres bei etwa 1,8 Billionen Euro eingependelt haben. Das heißt, jeder, jedes neugeborene Kind und jeder Greis, trägt eine Schuldenlast von 21.000 Euro. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Schuldenlast ist in den zurückliegenden Jahren aufgebaut worden, und zwar unabhängig davon, ob wir in guten oder in schlechten wirtschaftlichen Zeiten waren. Das kann so nicht weitergehen.

Die Probleme, die ein Land wie Griechenland hat, die Probleme, die möglicherweise andere Länder demnächst erreichen werden, die Probleme, die sich daraus ergeben, dass die internationalen Finanzmärkte mittlerweile gegen Staaten spekulieren können, gehen doch auf den Umstand zurück, dass Staaten mittlerweile massiv auf Fremdfinanzierung, massiv auf Fremdkapital angewiesen sind, um ihre Schulden zu begleichen. Wer will, dass dieser Zustand sich ändert, wer will, dass der Primat der Poli

(Ministerpräsident Müller)

tik wiederhergestellt wird, wer will, dass Staaten nicht erpressbar und zum Spekulationsobjekt gemacht werden, der muss diesen Zustand beenden, meine sehr verehren Damen und Herren. Deshalb muss der Marsch in den Schuldenstaat gestoppt werden. Es gibt keine Alternative dazu.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Aber wenn es richtig ist, dass gespart werden muss, dann hilft übrigens auch - wenn ich das in Parenthese bemerken darf - der Hinweis nichts, wir müssten uns ausschließlich auf die Binnenkonjunktur orientieren

(Abg. Linsler (DIE LINKE) : Das hat niemand gesagt!)

und Deutschland sei Mitverursacher der Probleme wegen seiner Exporte.

(Abg. Linsler (DIE LINKE) : Nicht nur!)

Ich freue mich über jeden Arbeitsplatz in der Bundesrepublik Deutschland, der durch den Export sichergestellt wird.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Die Antwort auf die Exportschwäche anderer Länder wie etwa Griechenland kann doch nicht darin bestehen, dass wir sagen, da exportieren wir künftig nichts mehr, sondern die Antwort kann doch nur heißen, wir brauchen eine Ertüchtigung der Wirtschaft in Griechenland, damit sie in der Weltwirtschaft wettbewerbsfähig wird, konkurrenzfähig wird und damit am Prozess des weltwirtschaftlichen Wachstums teilhat.

Wir haben am Wochenende das Jubiläum von Ford gefeiert. Wir haben uns alle darüber gefreut, dass 85 Prozent der Fahrzeuge, die Ford Saarlouis produziert, in den Export gehen. Daran soll sich nichts ändern. Die Menschen, die dort arbeiten, haben verdient, dass dieser Prozess weitergeführt wird. Deshalb sind wir überhaupt nicht für eine Strategie, die die Exporte der Bundesrepublik Deutschland infrage stellt.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Aber wenn wir sagen, es muss gespart werden, wir können auch am sozialen Bereich nicht vorbeigehen, gibt es gleichwohl Kriterien, denen Konsolidierungsbemühungen gerecht werden müssen. Aus meiner Sicht sind es insbesondere drei Kriterien, die Berücksichtigung finden müssen. Erstens, wir brauchen das Kriterium der Generationengerechtigkeit. Wir können die Probleme von heute nicht auf Kosten nachfolgender Generationen lösen. Zweitens, wir brauchen das Kriterium der Leistungsgerechtigkeit. Wer Leistungsgerechtigkeit infrage stellt, wird dafür sorgen, dass er künftig überhaupt keine Probleme mehr lösen kann. Drittens brauchen wir den Ge

sichtspunkt der Belastungsgerechtigkeit. Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache Schultern.

(Abg. Linsler (DIE LINKE) : Umsetzen!)

Mit Blick auf die jetzige Situation heißt dies, alleine unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit muss mit Instrumenten wie etwa der Schuldenbremse, die schwierig sind, die uns sehr viel abverlangen, die weitere Anhäufung von zusätzlichen Schulden eingeschränkt, gestoppt werden und dann langsam der bestehende Schuldenberg abgetragen werden. Auch wenn ich weiß, dass natürlich die individuelle Betroffenheit sehr unterschiedlich ist, und dies bewusst voranstelle, so sage ich doch: Gesamtwirtschaftlich ist der Befund - individuell ist das sehr unterschiedlich -, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt haben, richtig. Wenn wir nicht wollen, dass diejenigen, die nach uns kommen, nichts mehr haben, um gut leben zu können, dann ist die Kurskorrektur, dann ist die Umkehr unverzichtbar. Deshalb sind wir für Schuldenbremsen. Wer keine Schuldenbremsen will, will weitere Schulden, und das dürfen wir unseren Nachkommen nicht antun.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Ein zweiter Gesichtspunkt ist die Leistungsgerechtigkeit. Natürlich muss der Grundsatz gelten: Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet. Wenn es diese Leistungsgerechtigkeit nicht mehr gibt, wenn alle einfach nur das Gleiche haben, werden wir die entscheidende Motivation, sich anzustrengen und dieses Land voranzubringen, auf Dauer sicherlich in Frage stellen. Anstrengung muss sich lohnen. Das ist ein wesentliches Element unseres Systems einer sozialen Marktwirtschaft.

(Abg. Linsler (DIE LINKE) : Mindestlohn!)

Deshalb hat wahrscheinlich einer der Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten - nicht der, der von meiner Partei vorgeschlagen worden ist, sondern Joachim Gauck - Recht, wenn er in der „Zeit“ sagt: Um die Höhe und die Qualität unseres Sozialstaates zu garantieren, bedarf es eines gut funktionierenden Kapitalismus. Ich sage: bedarf es einer gut funktionierenden sozialen Marktwirtschaft, die leistungsgerecht ausgestaltet ist. Da hat Joachim Gauck Recht, daran führt kein Weg vorbei. Deshalb ist es möglicherweise auch ein Gesichtspunkt, der dazu führt, dass es Leute gibt, die sagen: Ein solcher Mann, der viel für die Aufarbeitung des SED-Unrechts und der Stasi getan hat, ist auf keinen Fall wählbar. Er spricht eine Wahrheit aus. Ich werde einen anderen wählen, das wissen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren. Aber nicht wählbar, nur weil er sich mit der Stasi und dem SED-Unrecht beschäftigt hat, das ist Joachim Gauck wahrhaft nicht.

(Starker Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

(Ministerpräsident Müller)

Deshalb bleibt es bei der Vorstellung, dass das Ziel der sozialen Marktwirtschaft nicht Reichtum für wenige, sondern Wohlstand für alle ist. Da spreche ich gerne an, dass wir nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern international unter den Bedingungen der Globalisierung eine Entwicklung haben, die dazu führt, dass die Gesellschaften weiter auseinanderdriften, dass Reiche tendenziell reicher und Arme tendenziell ärmer werden. Es muss uns besorgt machen, dass wir auf der einen Seite jetzt feststellen konnten, dass diejenigen, die unterhalb der relativen Armutsgrenze leben, weniger geworden sind, und gleichzeitig diejenigen, die jenseits der Reichtumsgrenze leben, mehr geworden sind.

(Zuruf von der LINKEN.)

Beide sind mehr geworden, sowohl die Armen als auch die Reichen sind mehr geworden, wenn man das in Anführungszeichen so sagen darf. Die Schere geht weiter auseinander. Das ist ein Phänomen, mit dem man sich auseinandersetzen muss und auf das man reagieren muss.

Deshalb komme ich zum dritten Punkt, zum Gesichtspunkt der Belastungsgerechtigkeit. Wenn dies so ist, dann muss natürlich dafür Sorge getragen werden, dass der Ausgleich zwischen Arm und Reich belastungsgerecht erfolgt, dass es Instrumente in diese Richtung gibt. Auch da - lasst die Kirche im Dorf - fangen wir nicht bei Null an. 5 Prozent der Steuerzahler zahlen 40,3 Prozent der gesamten Lohn- und Einkommensteuer. 25 Prozent der Steuerzahler zahlen 75 Prozent der gesamten Lohn- und Einkommensteuer. Mehr als 25 Millionen Menschen zahlen überhaupt keine Lohn- und Einkommensteuer, und die untersten 20 Prozent der Steuerpflichtigen tragen gerade einmal mit 0,3 Prozent zum Gesamtsteueraufkommen bei. Also, hier findet Belastung stärkerer Schultern in stärkerem Maße statt als Belastung schwächerer Schultern, und wenn die Schultern besonders schwach sind, findet gar keine Belastung statt. Grundsätzlich ist in unserem System dem Prinzip der Belastungsgerechtigkeit Rechnung getragen, das gilt es zunächst einmal festzustellen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Wenn man sich das jetzt vorgelegte Sparpaket anschaut, dann muss man allerdings feststellen, dass der Beitrag der Besserverdienenden fehlt. Dieses Paket sieht entsprechende Belastungen Besserverdienender nicht vor, wenn ich einmal davon absehe, dass vielleicht die Erhöhung der Besteuerung des Flugbenzins dazu führt, dass die Preise für Flugtickets steigen. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger und zentraler Einwand gegen dieses Sparpaket, weshalb ich mich der Position meiner Fraktion anschließe. Das Paket geht in die richtige Richtung, es ist aber nachbesserungsbedürftig. Wir müssen dar

über reden, ob dieses Paket unter dem Gesichtspunkt der sozialen Balance besser ausgestattet werden kann, als dies bisher der Fall ist.

Da will ich aus meiner Sicht gerne die Vorschläge wiederholen, die ich überall mache, auch dort, wo über die Frage entschieden wird, ob nachgebessert wird oder nicht. Entscheidend dabei ist nicht die Frage, ob man irgendeinen Antrag im Bundesrat stellt. Sie wissen ebenso gut wie ich, dass diese Debatte an anderen Stellen entscheidend geführt wird. Wer Schaufensteranträge will, kann Schaufensteranträge bekommen, es wird der Problematik aber nicht gerecht.

Ich will einige wenige Bemerkungen dazu machen. Erstens. Ein Beitrag der Besserverdienenden könnte natürlich darin bestehen, dass Dinge, die in der Vergangenheit gemacht worden sind, korrigiert werden. Wir haben die Absenkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 42 Prozent. Die historische Wahrheit gebietet zu sagen: Das war nicht das Werk der FDP, das war auch nicht das Werk der CDU, die mehrmalige Absenkung des Spitzensteuersatzes hat stattgefunden zu rot-grünen Zeiten unter Führung des Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Dort ist die Absenkung des Spitzensteuersatzes - von Sozialdemokraten verantwortet, begonnen zu einem Zeitpunkt, als Sie auch noch Sozialdemokrat waren, Herr Lafontaine - durchgeführt worden.

Wenn heute darüber diskutiert wird, ob hier eine Korrektur notwendig ist, ist es gut, wenn wir diese Korrektur gemeinsam durchführen. Dies nach dem Motto zu tun, hier sind die Guten, die es wollen, und dort die Bösen, die es nicht wollen, ist ein bisschen einfach. Genauso gut könnte man dann sagen: Wir müssen die Hinterlassenschaften der Sozialdemokratie, die Hinterlassenschaften von Gerhard Schröder beseitigen. Das ist alles ein bisschen platt. In der Sache zu korrigieren wäre ein tauglicher Ansatz, mehr soziale Balance herbeizuführen. Dafür werde ich mich einsetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Natürlich kann man darüber nachdenken, ob es andere Instrumente gibt, um dieses Problem zu lösen. Ich habe in dem Zusammenhang einen Vorschlag mit Blick auf die Frage der Umsatzsteuer gemacht. Ich bin nicht dafür, dass wir generell die Mehrwertsteuer anheben. Ich bin auch nicht dafür, dass wir den reduzierten Mehrwertsteuersatz abschaffen oder ihn in seinem Anwendungsbereich - es gibt ein paar exotische Beispiele, über die man reden kann wesentlich einschränken. Aber man kann doch über die Frage reden, ob es Güter gibt, bei denen eine höhere umsatzsteuerrechtliche Belastung nicht doch angemessen oder zumutbar wäre. Ich weiß, es gibt europarechtliche Probleme.

(Ministerpräsident Müller)

(Zuruf des Abgeordneten Maas (SPD).)

Herr Kollege Maas, jetzt erregen Sie sich nicht. Ich habe vor der Wahl nicht gefordert, die Luxussteuer abzusenken, weil es gar keine gab.

(Abg. Maas (SPD) : Den ermäßigten Mehrwertsteuersatz ausweiten.)

Das ist richtig. Dabei bleibe ich auch. Ich bleibe auch dabei, dass wir beim Anwendungsbereich des reduzierten Mehrwertsteuersatzes erstens beim Grundsatz bleiben und zweitens darüber nachdenken, ob es richtig sein kann, dass Hundefutter dem reduzierten Mehrwertsteuersatz unterfällt, Babywindeln aber nicht. Da haben wir ergänzenden Diskussionsbedarf. Den sehe ich auch weiterhin.

(Beifall bei der CDU.)

Auch das ist sicherlich eine Diskussion, die man miteinander führen kann. Ich glaube, dass auch mit Blick auf die Maßnahmen im sozialen Bereich, die in diesem Paket vorgeschlagen worden sind, ergänzende Möglichkeiten erreicht werden können, die das Maß an sozialer Balance verändern. Ich will nur ein Beispiel nennen, nämlich das Beispiel Elterngeld. Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man das Thema angehen kann. Die eine Möglichkeit ist, dass man sagt, Elterngeld soll Lohnersatz sein. Wenn man das sagt, dann müssen alle diejenigen, die vorher nicht berufstätig waren, vom Bezug des Elterngeldes ausgeschlossen werden. Das gilt dann aber nicht nur für die alleinerziehende Hartz-4-Empfängerin; das muss für alle Bezieherinnen und Bezieher von Elterngeld gelten, wenn sie vorher nicht berufstätig waren. Oder man fragt sich, ob wir diese Lohnersatzleistung nicht so ausgestalten, dass möglicherweise der Höchstbetrag abgesenkt wird und von mir aus eine moderate Anpassung des Sockelbetrages stattfindet mit der Folge, dass das Einsparvolumen auch erzielt werden kann, ohne dass es zu einer einseitigen Belastung etwa von Alleinerziehenden kommt.

(Beifall bei der CDU.)

Meine Überzeugung ist: Sparen ist notwendig. Das Sparpaket geht in die richtige Richtung. Es ist in vielen Punkten konkretisierungsbedürftig und ergänzungsbedürftig, was den Punkt der sozialen Balance anbetrifft. Über diese Dinge gilt es zu reden, zu diskutieren, und es gilt auch, Veränderungen des Paketes herbeizuführen. Dafür werde ich mich einsetzen. Auf dieser Grundlage wird die saarländische Landesregierung zu allen einzelnen Elementen detailliert und sachgerecht ihre Position festlegen - im Interesse der Weiterentwicklung des Sozialstaates, im Interesse nachfolgender Generationen und im Interesse unseres Landes. - Vielen Dank.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Das Wort hat Herr Fraktionsvorsitzender Heiko Maas.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will eine Vorbemerkung machen, weil sich Herr Ministerpräsident Müller dazu geäußert hat, dieses Thema in einer Aktuellen Stunde zu behandeln, da es sich nur um eine Absichtserklärung aus Berlin handele und die Haltung der Landesregierung noch nicht klar sei. Ich will dazu Folgendes sagen. Erstens. Wir haben bereits gestern in der Zeitung lesen können, dass sich die Landesregierung enthalten wird.

(Zuruf: Genau.)

Das ist bisher nicht dementiert worden. Zweitens. Wenn ich mir die Anzahl der Interviews anschaue, die Sie zu diesen politischen Absichtserklärungen abgegeben haben, dann ist das Grund genug, heute auch im Landtag darüber zu reden.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)