Protokoll der Sitzung vom 26.01.2012

(Beifall bei der FDP.)

Das Wort hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Abgeordnete Claudia Willger.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in der Tat in der letzten Woche sehr vieles neu dazugelernt, Dinge, die wir eigentlich für unmöglich gehalten haben. Wir haben nun Neuwahlen, nachdem der ursprüngliche Plan, sofort eine Große Koalition einzugehen - der eigentliche gemeinsame Plan -, gescheitert ist. Deswegen jetzt der neue Plan: Eine Große Koalition nach Neuwahlen. Auch das ist äußerst ungewöhnlich. Und damit auch allen erklärt werden kann, wie das funktioniert und dass bereits einiges bewegt wurde, präsentiert man die Polizeistrukturreform als das erste gemeinsame Baby. Hier hat man es doch tatsächlich geschafft, sich über eine Personaleinsparung zu einigen, obwohl es schon lange nicht mehr darum geht, das Fell des Bären aufzuteilen, sondern ausdrücklich nur noch darum, wer auf welche Kuhhaut passt und wie man einen Parteienproporz an der Spitze hinbekommt.

(Zuruf.)

So haben Sie die Einigung bei der Präsenz in der Fläche und insbesondere bei der Besetzung der jeweiligen Führungspositionen erzielt.

(Abg. Jost (SPD) : Und wie haben Sie da abgestimmt, Frau Willger?)

Wenn Sie eine Frage an mich haben, Herr Jost, gebe ich Ihnen gerne die Gelegenheit, sich hier zu Wort zu melden. Dann werde ich Ihre Frage zulassen und beantworten.

Jetzt möchte ich auf die Polizeistrukturreform zurückkommen und an das anschließen, was ich vorhin gesagt habe. Dem Proporzprinzip werden alle anderen Grundsätze geopfert, auf die man sich vorher verständigt hatte: die Entlastung von polizeifremden Tätigkeiten, die Qualitätssicherung und Spezialisierung, effizientere Strukturen. Opferschutz kommt in diesem Papier gar nicht mehr vor und spielt auch gar keine erkennbare Rolle mehr. Mit Blick auf den Opferschutz sieht man daher überhaupt kein Problem beim Rückzug aus der Fläche. Die Opferschutzverbände - Frauennotruf, DJB, der Arbeitskreis Jugendhilfe und Justiz - haben sich hier kein Gehör verschaffen können. Statt dessen wurden Strukturen erneuert, die bis vor zehn Jahren zu erheblichen Schwierigkeiten geführt haben, und das ausgerechnet in einer Situation, in der die Empfehlungen der Opferschutzbeauftragten, Frau Dr. Christine Bergmann, noch sehr druckfrisch sind. Das ist ein unglaublicher Rückschritt. Niedrigschwellige Angebote? Fehlanzeige. Wenn sich Vergewaltigungsopfer jetzt bei der Polizei melden, dann meldet sich

(Abg. Dr. Hartmann (FDP) )

dort jemand mit „LPP 213.2“. Allein daran sieht man, wie wenig bürgernah man sich hier organisiert hat.

Ein anderes Beispiel: Wenn der frühere Leiter der Kriminalpolizeiinspektion jetzt dem Polizeimusikkorps vorsteht, dann ist dies ein beredtes Beispiel dafür, dass man hier mit Spezialisierung und Qualitätssicherung so richtig ernst macht und wertvolle Ressourcen bei der Polizei wirklich sehr, sehr „ernst nimmt“.

Ich will Ihnen sagen, um was es Ihnen geht: Es geht Ihnen bei der Neuwahl nur darum, wer hinterher Fahrer und wer Beifahrer ist - um ein Bild aus der Saarbrücker Zeitung zu bemühen. Solchen Bildern sagen wir den Kampf an. Es kann doch nicht wahr sein, dass es hier - wie es bereits von meinem Vorredner gesagt worden ist - ausschließlich darum gehen soll, wer oben und wer unten liegt oder wer die Nase vorn hat. Solche Fragestellungen kenne ich ausschließlich von Pferdewetten - da machen sie Sinn - und Beziehungsangelegenheiten. Aber selbst in Beziehungen ist es nicht wirklich spannend, fünf Jahre lang nur oben oder unten zu liegen. Das wird auch die Bevölkerung nicht wirklich begeistern.

(Sprechen und Zurufe.)

Von daher werden Sie uns allen erklären müssen, wo denn wirklich die Unterschiede sind, wenn man den Bürgerinnen und Bürgern ein derart lächerliches Bild präsentiert. Das haben sie nicht verdient.

(Beifall bei B 90/GRÜNE. - Zurufe des Abgeord- neten Pauluhn (SPD).)

Das Wort hat für die SPD-Landtagsfraktion Herr Fraktionsvorsitzender Heiko Maas.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann ja verstehen, dass es den Abgeordneten der GRÜNEN und der FDP nicht recht ist, dass es Neuwahlen gibt, aber ich will aus Gründen der Wahrheit doch einmal auf Folgendes hinweisen: Die Tatsache, dass es Neuwahlen gibt, haben die Saarländerinnen und Saarländer in erster Linie Ihnen zu verdanken.

(Beifall bei der SPD.)

Wir sind nämlich bisher an keiner Regierung beteiligt gewesen, die gescheitert ist, und dass es wahrscheinlich am 25. März in diesem Land zu Neuwahlen kommt, hat in erster Linie etwas damit zu tun, dass eine Regierung auseinandergeflogen ist, die diesen Namen eigentlich nie verdient hat.

(Beifall bei der SPD.)

Weil der Kollege Lafontaine die Angelegenheit auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ange

sprochen hat, will ich noch einmal sagen, dass unsere Vorgehensweise verfassungsrechtlich völlig unproblematisch ist. 1994 ist der Landtag ebenfalls aufgelöst worden, obwohl damals die Regierung weiterhin funktioniert hat. Das Parlament ist nur deshalb aufgelöst worden, weil der Landtagswahltermin mit dem Bundestagswahltermin zusammengelegt werden sollte und die reguläre Landtagswahlperiode einige Wochen länger gedauert hätte. Also wenn man eine funktionierende Regierung hat und den Landtag trotzdem auflöst, dann ist es verfassungsrechtlich erst recht nicht nur richtig, sondern sogar geboten, ihn aufzulösen, wenn das Land überhaupt keine Regierung mehr hat. In diesem Zustand befinden wir uns jetzt. Es ist also verfassungsrechtlich völlig unproblematisch, ja sogar geboten, in einem solchen Fall das Parlament aufzulösen.

Meine Damen und Herren, es wurde hier über die Koalitionsaussagen gesprochen und darüber, dass es anscheinend nicht möglich ist, Wahlen durchzuführen, wenn sich zwei Parteien für eine große Koalition aussprechen. Ich will einmal sagen: Koalitionsaussagen treffen Parteien, und wir nehmen für uns in Anspruch, dass wir den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl sagen, was wir nach der Wahl machen. Koalitionsfestlegungen kann jede Partei so treffen, wie sie es für richtig und vernünftig hält. Es kann hier nicht ernsthaft die Auffassung vertreten werden, dass man sich vor Wahlen für eine kleine Koalition aussprechen darf, aber nicht für eine große Koalition. In der Sache verstehe ich dieses Argument überhaupt nicht. Es trägt auch überhaupt nicht, um die Sinnhaftigkeit der Neuwahlen infrage zu stellen.

Es geht um stabile Verhältnisse. Das ist richtig und dazu bekenne ich mich für die SPD noch einmal. Herr Lafontaine, Sie haben vollkommen recht, stabile Verhältnisse orientieren sich schon auch an Mehrheiten, aber stabile Verhältnisse dürfen sich nicht an persönlichen Befindlichkeiten orientieren, sondern sie müssen sich tatsächlich an einem großen Maß an inhaltlicher Übereinstimmung orientieren, zumindest an der Bereitschaft, das, was man als inhaltliche Übereinstimmung festgestellt hat, dann auch zu realisieren.

Sie sagten eben, dass die Linkspartei nicht bereit ist, einen Sanierungspfad mitzugehen, bei dem auch nur e i n e Stelle im öffentlichen Dienst gestrichen wird. Das ist der letzte Beweis dafür, dass die SPD und die Linkspartei in dieser existenziellen Frage nicht zusammenkommen können und auch nicht zusammenkommen werden.

(Beifall von der SPD.)

Es geht um die Frage, wie wir uns in der Zukunft aufstellen. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: In einem Land, von dem wir wissen, dass wir in den kommen

(Abg. Willger (B 90/GRÜNE) )

den Jahren mit einem Bevölkerungsrückgang von etwa 20 Prozent konfrontiert werden, kann man sich nicht hinstellen und sagen, die Personalstärke muss trotzdem so bestehen bleiben, wie das jetzt der Fall ist. Man wird überprüfen müssen, wie man Landesbehörden neu organisiert und wie man die Landesverwaltung so aufstellt, dass es auch bei der demografischen Entwicklung, mit der wir konfrontiert sind, eine funktionierende Verwaltungsstruktur gibt - aber eine, die sich das Land auch leisten kann.

Ich will auch die Schuldenbremse noch einmal erwähnen. Man kann zur Schuldenbremse sehr unterschiedliche Auffassungen haben, aber wir haben uns entschieden, dass sie nun einmal gilt und dass wir bei einer Regierungsbeteiligung der SPD, die nicht ganz unwahrscheinlich ist - in welcher Form auch immer -, diese Realität akzeptieren müssen. Einen Punkt muss man ganz offen aussprechen, auch die Linkspartei muss ihn zur Kenntnis nehmen: Wir haben mit dem Bund und den Ländern nach der letzten Föderalismuskommission eine Vereinbarung getroffen, dass das Saarland jedes Jahr bis 2020 Bundeszuweisungen von 260 Millionen Euro erhält. Dafür hat das Saarland sich verpflichtet, die Schuldenbremse einzuhalten. Das ist unabhängig davon, wer in der Regierung sitzt. Davon ist abhängig, ob das Saarland jedes Jahr die 260 Millionen Euro zusätzlich bekommt oder nicht.

Ich glaube nicht, dass diese 260 Millionen Euro geeignet sind, die Haushaltsnotlage des Saarlandes zu beenden, aber ich weiß, dass ohne diese 260 Millionen Euro Zuweisung die politischen Handlungsspielräume gegen Null gehen. Das heißt für das Saarland, dass wir in den kommenden Jahren jährlich und strukturell 60 bis 70 Millionen Euro einsparen müssen. Man kann nun die Auffassung vertreten, das gilt alles für uns nicht, das ist uns alles egal, wir erfüllen diese Vorgabe des Sanierungsrates nicht. Das führt aber dazu, dass unser Anspruch auf die 260 Millionen Euro Zuweisung verloren geht.

Da kann man nicht nur uns fragen, wo man diese 60 oder 70 Millionen Euro jährlich sparen soll. Da müssen auch Sie einmal die Frage beantworten, was Sie tun, wenn Sie dazu nicht bereit sind und dadurch die 260 Millionen überhaupt nicht gezahlt werden. Wenn ich aber von den 260 Millionen 70 Millionen abziehe, bin ich bei 190 Millionen Euro, die wir weniger haben werden. Dann müssen Sie einmal erklären, wie Sie damit umgehen. 190 Millionen Euro - das ist der komplette Globalhaushalt der Universität des Saarlandes.

(Zuruf des Abgeordneten Linsler (DIE LINKE).)

190 Millionen Euro weniger sind über 3.000 Stellen im öffentlichen Dienst. Das ist mehr als das Doppelte der gesamten Wirtschaftsförderung dieses Landes. Diese Frage muss die Linkspartei beantworten.

Wenn das, was Sie vorhaben, Realität wird, dann wird es noch viel schlimmer, auch für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Auch das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von der SPD. - Abg. Linsler (DIE LINKE) : Sie haben bis vor Kurzem noch anders geredet.)

Ich glaube, dass es in den kommenden Jahren um nicht mehr und nicht weniger als um die Existenz dieses Landes als eigenständiges Bundesland geht - unabhängig davon, ob es irgendwann einmal eine Vermögenssteuer gibt oder der Spitzensteuersatz angehoben wird oder was auch immer. Ich bin mir absolut sicher, dass es nach der nächsten Bundestagswahl irgendwann die nächste Föderalismuskommission geben wird. Das wird 2015 oder 2016 oder wann auch immer sein. Wenn wir bis dahin nicht den Beweis erbracht haben, dass wir in der Lage sind, mit den Mitteln, die wir haben und die uns zur Verfügung stehen, einigermaßen die Aufgaben des Landes zu finanzieren, dann bin ich mir sicher, dass es in der Föderalismuskommission III nicht mehr darum gehen wird, wie viel Geld das Land zusätzlich bekommt, sondern nur noch darum, welchem anderen Bundesland das Saarland zugeschlagen wird. Das machen wir nicht mit!

(Beifall von der SPD.)

Ich bin nicht der Auffassung, dass die Existenz des Saarlandes bilanzbuchhalterisch entschieden werden kann. Es geht um einiges mehr. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Mehrheit der saarländischen Bevölkerung noch überhaupt nicht weiß, wie es aussieht und was auf uns zukommt. Es gibt Leute, die sagen, lasst uns doch mit anderen Ländern zusammengehen, dann wird alles viel besser. Ich kann ja verstehen, wenn Feierabendpolitiker ein Feierabendparlament vorschlagen, aber es geht um deutlich mehr. Das muss man allen Saarländerinnen und Saarländern sagen. Wer glaubt, wenn wir nicht mehr selbstständig sind, hätten wir noch eine Universität des Saarlandes in der Form, wie wir sie jetzt haben, wer glaubt, wir hätten dann noch ein Staatstheater in der Form wie jetzt, wer glaubt, es gäbe dann noch einen Saarländischen Rundfunk wie heute, dem kann ich nicht mehr helfen. Auch das steht alles auf dem Spiel, nicht nur die Existenz von 51 Abgeordneten.

(Beifall von der SPD. - Zuruf des Abgeordneten Linsler (DIE LINKE).)

Ich möchte auch sagen, was mich in dieser Frage schon lange bewegt und wo ich finde, dass Saarländerinnen und Saarländer und wir als ihre Volksvertretung mit etwas mehr Selbstbewusstsein in der Öffentlichkeit auftreten sollten. Das Saarland ist das Ergebnis der bewegten Geschichte dieser Region und damit auch der bewegten Geschichte zwischen Deutschland und Frankreich in den letzten 100 Jah

(Abg. Maas (SPD) )

ren. Es gibt kein anderes heutiges Bundesland, das so sehr zwischen Deutschland und Frankreich und Europa hin und her gerissen und gezerrt worden ist. Es gibt Bücher, die darüber geschrieben worden sind wie zum Beispiel „Richtig daheim waren wir nie“. Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, wie sich die Identität der Menschen in diesem Land in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Das hat dazu geführt, dass es im Saarland mehr Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen gibt als sonstwo. Davon bin ich fest überzeugt. Das erlebe ich Tag für Tag im Saarland und wenn ich außerhalb unterwegs bin. Das ist etwas, worauf wir stolz sein können. Das ist erhaltenswert.

Wir leben im Zeitalter der Ich-AG. Wir reden über die solidarische Gesellschaft, die über mehr bürgerschaftliches Engagement eine Zukunft haben muss. Nirgendwo in Deutschland sind so viele Menschen ehrenamtlich aktiv, nirgendwo sonst gibt es solches Bürgerengagement wie in diesem Land. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist etwas, was im Zeitalter der Beschleunigung und der Globalisierung erhaltenswert ist. Deswegen sage ich Ihnen: Wenn wir über die solidarische Gesellschaft der Zukunft reden, dann ist das, was wir im Saarland haben, ein Modell dafür. Wir brauchen mehr Saarland in Deutschland und nicht weniger. Deshalb müssen wir unsere Existenz in den kommenden Jahren mit allen Mitteln verteidigen.

(Starker Beifall von der SPD.)

Mir, der ich auf der Grenze aufgewachsen bin, ist noch etwas wichtig. Das Saarland ist für mich immer das lebende Symbol der deutsch-französischen Freundschaft gewesen. Das ist auch unsere Geschichte. Das ist etwas, was möglicherweise bei Haushaltsberatungen keine Rolle spielt. Aber auch das ist ein Wert an sich, den es zu verteidigen gilt. Dieses Land gäbe es nicht ohne die bewegte deutsch-französische Geschichte, ohne alle Schwierigkeiten, die es in dieser Zeit gegeben hat. Die deutsch-französische Vergangenheit kann man auf den Soldatenfriedhöfen in Verdun besichtigen. Die deutsch-französische Zukunft findet in der DeutschFranzösischen Hochschule in Saarbrücken statt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Land ist ein Symbol für zwei Nationalstaaten. Dieses Symbol muss bleiben. Wir sollten alles dafür tun, dass es nicht wegrationalisiert wird. Auch das ist etwas, was weit über Haushaltsberatungen hinausgeht, was den Sinn und die Identität dieses Landes ausmacht. Die müssen wir verteidigen, auch mit schmerzhaften Entscheidungen, die anstehen.

(Beifall bei der SPD.)

Deshalb, meine Damen und Herren: Am 25. März wird die Uhr umgestellt. Am 25. März beginnt die Sommerzeit. Und es wäre auch an der Zeit für einen

neuen Sommer in der saarländischen Politik. - Schönen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)

Das Wort hat der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Herr Fraktionsvorsitzender Klaus Meiser.