Protokoll der Sitzung vom 16.03.2010

dem Kollegen Scharf wieder recht - hier ist versucht worden, auf dem Rücken der Erwerbslosen zu spalten. Damit sind wir wieder beim Punkt: Wenn Sie sich in dieser Diskussion nur fokussieren auf eine wie auch immer geartete - Erhöhung der Regelsätze, dann geht das komplett am Problem vorbei, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das Problem ist, dass wir insgesamt Rahmenbedingungen schaffen müssen, um die soziale Lage der Erwerbslosen insofern zu verbessern, dass sie wenigstens eine Aussicht haben, irgendwann wieder in Arbeit zu kommen. Dazu empfehle ich Ihnen die letzten Artikel im Spiegel, aus denen hervorgeht, wie bedrückend das für viele Betroffene ist, wenn sie niemals mehr eine Chance haben, in Arbeit zu gelangen. Das ist auch ein Faktor, der ein Leben in Würde ausmacht. Es gibt eben nicht nur monetäre Gesichtspunkte.

Das ist der Punkt und da spielen die gesamten Rahmenbedingungen, auch der Antrag der SPD und alles das, was dort diskutiert und vorgeschlagen wird, eine wichtige Rolle. Wenn Sie in Ihrer Ecke bleiben und irgendwie eine Erhöhung der Regelsätze fordern, dann wird das das Problem nicht lösen. Ich sage es noch einmal: Wir brauchen ein Gesamtkonzept, um dem Problem zu begegnen. Dazu gehört ein klares Bekenntnis zu einem flächendeckenden Mindestlohn. Dazu gehört ein klares Bekenntnis zur Abkehr vom Niedriglohnsektor und dazu gehört auch ein saarländisches Tariftreuegesetz, das Sie ja weiterhin vehement ablehnen. - Ich bedanke mich.

Das Wort hat die Ministerin für Arbeit, Annegret Kramp-Karrenbauer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Spaniol, die saarländische Landesregierung und die sie tragende Koalition lehnen ein Tariftreuegesetz gerade nicht ab. Wir haben gesagt, dass wir uns gemeinsam mit anderen Bundesländern grenzüberschreitend bemühen, etwas hinzubekommen. Wenn dies nicht möglich ist, werden wir ein eigenes Gesetz vorlegen. Das ist das, was wir zugesagt haben, und das ist auch das, was wir einhalten werden.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Zweiter Punkt. Sie sprechen von einer differenzierten Debatte, aber Sie machen alles außer einer differenzierten Debatte. Sie wenden sich vom Grundsatz her gegen das Prinzip Fördern und Fordern. Was spricht vom Grundsatz her gegen das Prinzip Fördern und Fordern? Natürlich braucht man entsprechende Förderinstrumente, aber man muss auch sehen, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die Leistungen in Anspruch nehmen und keine Gegenleistung bringen, obwohl sie die Gegenleis

(Abg. Heib (CDU) )

tung bringen könnten. Das ist nicht hinnehmbar und auch das muss thematisiert werden.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Genauso muss thematisiert werden, dass es Menschen im Hartz-4-Bezug gibt, die alles daran setzen würden, wieder in Arbeit zu kommen, aber für die haben wir auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Perspektive. Und genau für diese Menschen brauchen wir einen öffentlich geförderten Sektor. Den haben wir im Saarland. Wir haben 900 Stellen geschaffen. Die Grundsicherungsstellen sind von 500 Stellen ausgegangen. Jetzt müssen wir bei der Entwicklung der Mittel prüfen, wie wir das auf Dauer festsetzen können, wie wir es dort, wo es notwendig ist, ausbauen können und wie wir auch sicherstellen, dass wir jüngere Arbeitskräfte, die über den zweiten zum ersten Arbeitsmarkt durchaus vermittelbar wären, nicht einfach im dritten Arbeitsmarkt parken nach dem Motto: Dort sind sie gut unter. Das wird diesen Menschen nicht gerecht und deswegen müssen wir so differenziert an das Problem herangehen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Deswegen glaube ich auch, dass der Antrag, so wie er eingebracht wurde, ein richtige Antrag ist. Wir müssen uns zurzeit damit beschäftigen, wie die Regelsätze nachher aussehen, insbesondere für Kinder, denn das ist eine Frage der Teilhabe. Wir müssen uns auch damit befassen, wie wir an anderer Stelle Arbeitsmärkte schaffen. Aber das ist eine Debatte, die wir hier im Land führen müssen.

Sehr geehrter Herr Kollege Roth, Ihre Aufforderung wäre zu unterstützen und sie wäre auch richtig, wenn Sie sich an den richtigen Adressaten richten würde. Es kann nicht sein, dass die Bundesagentur einen Freifahrtschein bekommt. Ich halte es mit Blick auf das parlamentarische Selbstverständnis auch für durchaus nachvollziehbar, wenn in einer historischen Schuldensituation Parlamentarier gerne wissen möchten, was mit 900 Millionen Haushaltsresten passieren soll, bevor neues Geld bewilligt wird.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Das und nicht mehr haben die Kollegen im Bundestag getan und es ist jetzt an der Bundesanstalt und am Bundesministerium nachzuweisen, dass das Geld sinnvoll eingesetzt wird. Dann ist es auch kein Problem, die Mittel für den Arbeitsmarkt frei zu bekommen. - Vielen Dank.

Es sind keine weiteren Wortmeldungen eingegangen. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Koalitionsfraktionen, Drucksache 14/122. Wer für die Annahme der Drucksache 14/122 ist, den bitte ich

eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 14/122 mit Stimmenmehrheit der Koalition aus CDU, FDP und B 90/GRÜNE gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen von SPD und LINKEN angenommen ist.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der SPD-Landtagsfraktion. Wer für die Annahme des Antrags Drucksache 14/128 ist, den bitte ich eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 14/128 mit Stimmenmehrheit der Regierungsfraktionen aus CDU, FDP und B 90/GRÜNE abgelehnt ist. Zugestimmt haben die Oppositionsfraktionen von SPD und LINKEN.

Wir kommen zur Abstimmung der Landtagsfraktion DIE LINKE. Wer für die Annahme des Antrages Drucksache 14/129 ist, den bitte ich eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 14/129 mit Stimmenmehrheit der Koalitionsfraktionen aus CDU, FDP und B 90/GRÜNE bei Enthaltung der SPD-Landtagsfraktion abgelehnt ist. Zugestimmt hat die Fraktion DIE LINKE.

Wir kommen zu Punkt 9 der Tagesordnung:

Beschlussfassung über den von der SPDLandtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung in der gesetzlichen Krankenversicherung (Drucksache 14/117)

Zur Begründung des Antrages Drucksache 14/117 erteile ich der Abgeordneten Cornelia HoffmannBethscheider das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die schwarz-gelbe Koalition in Berlin will im Gesundheitswesen die Kopfpauschale einführen. Das wäre ein radikaler Systemwechsel. Das wäre die Abkehr von der solidarischen Krankenversicherung in Deutschland. Dem werden wir uns entgegenstellen, weil das diametral dem entgegensteht, was die SPD auf Bundesebene und hier im Land erreichen möchte.

(Vizepräsident Jochem übernimmt die Sitzungs- leitung.)

Dass es mit dieser Sache ernst ist, dass das nicht nur ein über die Medien geführtes Geplänkel ist Herr Rösler hat ja mehr oder weniger seine persönliche Karriere als Gesundheitsminister mit dem Thema verknüpft -, erkennt man daran, dass diese Sache auch Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Auf Seite 86 des Koalitionsvertrages ist zu lesen: „Langfristig wird das bestehende Ausgleichs

(Ministerin Kramp-Karrenbauer)

system überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie,“ - ich füge hinzu: Zusatzbeiträge - „regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen,“ - das heißt: Kopfpauschale - „die sozial ausgeglichen werden. Weil wir eine weitgehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten wollen, bleibt der Arbeitgeberanteil fest.“ Das Letztgenannte bedeutet die Aufgabe der paritätischen Finanzierung.

Alles das entspricht nicht unseren Vorstellungen, die wir hier im Land immer wieder vorgebracht haben und für die wir auch in Berlin streiten. Wir wollen das beschriebene System nicht. Wir wollen keinen Systemwechsel. Wir wollen für Deutschland eine solidarische Krankenversicherung, die alle mitnimmt und keinen benachteiligt. Wir halten den geplanten Systemwechsel für einen fatalen Fehler. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland werden die Zeche dafür zahlen müssen, dass in Berlin einige auf einem vollkommen falschen Weg sind.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Und dass es Rösler durchaus ernst meint, sieht man an seinem Einstieg in die Kopfpauschale. Jeder weiß doch, dass die jetzt vorgeschlagenen 29 Euro zur Finanzierung der Kopfpauschale nicht ausreichen werden; man hat ja einen Betrag von etwa 200 Euro ausgerechnet. Herr Rösler hat sich aber wohl nicht getraut, gleich mit 200 Euro loszulegen, und hat deshalb mit 29 Euro angefangen. Aber auch dieser Betrag bedeutet letztlich den Einstieg in die Kopfpauschale.

Ich möchte deshalb auch einmal darlegen, was die Kopfpauschale für uns darstellt: Die Kopfpauschale ist ein ungerechtes System. Alle Versicherten zahlen die gleiche Pauschale; es ist gleichgültig, ob es sich um eine Sekretärin oder um einen Manager handelt. Gutverdienende werden in diesem System entlastet, mittlere und kleinere Einkommen werden belastet. Das bedeutet nach unserer Ansicht eine unangemessene Ungleichbehandlung durch ein ungerechtes System. Vor allem ist im System auch kein solidarischer Ausgleich mehr möglich.

Die Leute in der Koalition haben auch irgendwie gemerkt, dass das Ganze nicht wirklich gerecht sein kann. Und was haben sie sich zur Lösung überlegt? Es müsse einen Sozialausgleich geben! Wie aber soll der aussehen? Wer ist davon betroffen?

Zunächst einmal muss man feststellen, dass 80 Prozent der aktuell Versicherten von einem solchen Sozialausgleich betroffen wären. Das sind 40 Millionen Bürgerinnen und Bürger! Sie würden in einem solchen System allesamt zu Bittstellern gemacht. Sie müssten erst einmal nachfragen, ob sie diesen Sozialausgleich erhalten. Sie müssten sich erkundigen, wie das organisatorisch zu erledigen ist. Es müsste

geklärt werden, wer welchen Antrag wie und wo zu bearbeiten hat. Es müsste geklärt werden, wer die jährlich 40 Millionen Anträge überhaupt bearbeiten soll. Das alles steht noch in den Sternen. Zudem müsste das alles in jedem Jahr aufs Neue geschehen, denn das Einkommen jedes einzelnen Versicherten kann sich ja ändern. Das alles zeigt, dass die Idee, einen Sozialausgleich vorzusehen, absolut nicht ausgegoren ist, dass die Realisierung eines Sozialausgleichs in den Sternen steht.

Ich komme jetzt zum eigentlichen Problem. Wie soll man so etwas überhaupt bezahlen? Wie bezahlt man einen Sozialausgleich für 40 Millionen Bürgerinnen und Bürger? Dazu hat die FDP einen Vorschlag unterbreitet. Sie hat gesagt: Wir machen das über Steuern. Nun, welches Aufkommen müsste über Steuern zusätzlich erzielt werden? Das Bundesfinanzministerium hat diesbezüglich zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage eine Berechnung erstellt. Das Bundesfinanzministerium - wohlgemerkt das Ministerium, nicht die SPD-Bundestagsfraktion - sagt, dass das 35 Millionen Euro kosten würde.

Es stellt sich somit die Frage, wie man 35 Millionen Euro über Steuern einnehmen kann. Das würde bedeuten, dass beispielsweise die Einkommensteuer um drei bis fünf Prozent erhöht werden müsste. Wollte man nur die Spitzenverdiener belasten, würde das für Deutschland einen Spitzensteuersatz von 73 Prozent bedeuten. Ein anderes Modell wäre die Erhöhung der Mehrwertsteuer, und zwar um vier Prozent. Davon wären allerdings wieder alle betroffen, und damit wäre der Sozialausgleich nicht gewährleistet.

Man sieht, dass das Ganze im Grunde unbezahlbar ist. Darauf hat auch Peter Müller in einem Artikel der Frankfurter Rundschau hingewiesen: Ein solches Modell ist nicht finanzierbar. Das hat er allerdings erst festgestellt, nachdem er dem Koalitionsvertrag zugestimmt hat. Erst dann hat er festgestellt, dass das, was in Berlin auch mit seiner Stimme verabschiedet worden ist, so nicht zu realisieren ist.

Wir sagen aber: Politik wird nicht nur in der Zeitung gemacht. Wir müssen aktiv gegen die Kopfpauschale kämpfen. Das kann ein Ministerpräsident, und deshalb empfehlen wir ihm in dieser Frage ein größeres Engagement - nicht nur in der Zeitung, sondern auch hier im Parlament!

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Fraktionsvorsitzenden Hinschberger?

Abg. Hinschberger (FDP) mit einer Zwischenfrage:

(Abg. Hoffmann-Bethscheider (SPD) )

Sie sprachen eben von 35 Millionen. Ich glaube, das ist ein Irrtum: Sie müssen von 35 Milliarden sprechen! Andernfalls käme der Wert „vier Prozent bei der Mehrwertsteuer“ nicht hin. Habe ich das dem Sinn nach richtig verstanden? - Vielen Dank.

Stimmt, das Problem ist wesentlich größer, als ich es dargestellt habe: Es sind 35 Milliarden Euro. Daran zeigt sich, dass das auch für mich unvorstellbar große Zahlen sind. Unvorstellbar groß sind die Zahlen aber wohl auch für das Bundesfinanzministerium und auch für den Ministerpräsidenten, der darauf hingewiesen hat, dass wir ein solches Milliardenaufkommen nicht erreichen können. Aber vielen Dank für den Hinweis!

Gleiches gilt auch für die paritätische Finanzierung. Hierzu hat die Koalition gesagt, der Arbeitgeberanteil sollte eingefroren werden. Die Kostensteigerungen sollten allein von den Versicherten getragen werden. Und es wird Kostensteigerungen geben! Als positives Beispiel für die Einführung der Kopfpauschale wird ja immer die Schweiz genannt. Betrachtet man sich aber das System in der Schweiz, sieht man, dass dort im Gesundheitswesen jährlich Steigerungen von vier Prozent zu verzeichnen sind. Man sieht, dass die Kopfprämien in jedem Jahr steigen, die Einkommen aber stagnieren. Auch in der Schweiz herrscht ein großer Unmut über dieses Gesundheitssystem. Davon ist aber in den deutschen Medien und vor allem in Berlin bei FDP und CDU nicht viel zu hören. Man hört nichts darüber, dass ein solches Modell in der Praxis nicht so erfolgreich ist, wie man das hierzulande darzustellen versucht.

Oder umgekehrt: Wenn wir immer weniger Geld in das System geben, wird dann nur noch eine Grundversorgung gewährleistet? Sind wir dann im Gesundheitswesen in der Drei-Klassen-Gesellschaft angelangt? Muss jeder Zusatzbeiträge bezahlen? Wir halten das für falsch. Der Arbeitgeber muss mit an Bord. Er darf sich nicht aus der Mitverantwortung stehlen, und er darf auch nicht von der Politik aus der Mitverantwortung entlassen werden. Viele Krankheiten und Gesundheitsprobleme haben ihre Ursache ja auch in der Arbeitswelt. Deshalb fordern wir, in Deutschland wieder zum paritätisch finanzierten System zurückzukehren.

Das sieht übrigens auch der Ministerpräsident so. In dem Artikel der Frankfurter Rundschau sagt er: „Wir sollten daran festhalten, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Gesundheitskosten gemeinsam finanzieren.“ Recht hat er! Ich muss aber wieder fragen: Warum hat er denn dem Koalitionsvertrag überhaupt zugestimmt, wenn er diese Auffassung vertritt? Es wird ihm ja wohl nicht erst jetzt eingefallen sein, dass er eigentlich für die paritätische Finanzierung des Gesundheitswesens ist.

Wir von der SPD-Landtagsfraktion fordern endlich Klarheit in dieser Frage: Was will Peter Müller wirklich? Will er die Kopfpauschale? Will er die paritätische Finanzierung? Und was will eigentlich unser Gesundheitsminister Weisweiler?

(Abg. Spaniol (DIE LINKE) : Ja, wo ist er denn eigentlich?)

Seine Äußerungen auf Veranstaltungen bieten ja eher Anlass zur Vermutung, dass er - anders als Peter Müller - die Kopfpauschale haben möchte und das paritätisch finanzierte System nicht so gut findet und die Arbeitgeber entlasten möchte. Heute wollten wir eigentlich klare Antworten auf diese Fragen finden. Das ist jetzt leider nicht so ganz möglich,