Protokoll der Sitzung vom 19.03.2014

Ab dem Schuljahr 2014/15 werden die Regelungen zur inklusiven Schule zunächst auf die Grundschulen Anwendung finden. Richtig und wichtig ist, dass in § 1 Schulordnungsgesetz in der Überschrift und im Text der Grundgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention aufgenommen wird und die Inklusion als Leitgedanke für den schulischen Bereich festgeschrieben wird. Das ist ein klares bildungspolitisches Bekenntnis der Großen Koalition im Saarland.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ich möchte zwei wichtige Eckpunkte des vorliegenden Gesetzentwurfes herausgreifen. Ab dem Schuljahr 2014/2015 werden grundsätzlich alle Kinder an einer Schule der Regelform eingeschult und unterrichtet werden. Das ist eine Abkehr vom bisherigen System. Eltern von Schülerinnen und Schülern, die die Voraussetzungen einer sonderpädagogischen Unterstützung erfüllen, können jedoch weiterhin grundsätzlich wählen, ob ihre Kinder eine allgemeinbildende Schule der Regelform oder die Förderschule besuchen.

Zweitens. Mit dem Gesetzentwurf wird eine Schuleingangsphase mit flexibler Verweildauer von ein bis drei Jahren in der Grundschule eingeführt werden. Auch wird die Möglichkeit eröffnet, klassenund jahrgangsübergreifende Lerngruppen einzurichten. Eine Versetzungsentscheidung in der Grundschule soll folgerichtig erstmals am Ende der Klassenstufe 3 erfolgen.

Eine weitere wichtige Änderung wird der Änderung der schulrechtlichen Regelungen folgen, Stichwort Bemessung der Förderstunden. Anstatt diese pro Kind und Diagnose zu erstellen, wird der Bedarf an Förderpersonal für die Bereiche Lernen, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache pauschal zugewiesen werden. Ja, wir wollen eine Diskussion über verlässliche und auskömmliche Rahmenbedingungen führen. Wir wissen, Inklusion als Sparmodell bringt keine Bildungsgerechtigkeit. Inklusion im Saarland ist aber nicht als Sparmodell ausgelegt.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen: Wir haben 160 Grundschulen im Saarland. Mit dem Haushalt 2013 wurden 80 Stellen von den Förderschulen, mit dem Haushalt 2014 weitere 25 Stellen von den Förderschulen zu den Grundschulen verlagert. Wie viele zusätzliche Förderlehrerstellen den Regelschulen zur Verfügung gestellt werden, hängt in erster Linie vom Wahlverhalten der Eltern ab. Das kann gar nicht anders sein und ist der einzig vernünftige Weg, wenn wir das Wahlrecht der Eltern ernst nehmen.

Im Vorfeld der heutigen Ersten Lesung gab es bereits eine öffentliche Diskussion über die Eckpunkte des Gesetzentwurfes. Diese Diskussion wird auch in den anderen Bundesländern geführt, zum Teil noch heftiger als im Saarland. Es geht dabei oft kleinteilig um Lehrerwochenstunden, Sachmittelausstattung und darum, wer wofür zuständig ist. In manchen Diskussionsbeiträgen wird aber die Messlatte dafür, unter welchen Voraussetzungen Inklusion gelingen könne, so hoch gelegt, dass ein Haushaltsnotlagenland wie das Saarland sie nur reißen könnte und die einzig mögliche Antwort dann wäre, dass alles bleibt, wie es ist.

Das ist aber nicht die Antwort, die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten den Schülerinnen und Schülern mit Behinderung geben wollen und geben werden. Ja, wir wollen als SPD-Fraktion eine offene Diskussion über die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Saarland. Ich wünsche mir allerdings, dass wir alle unsere Energie darauf verwenden, um die inklusive Schule und damit ein Mehr an Miteinander zum Erfolg zu führen.

An die Stelle der Unsicherheit, die heute spürbar ist, soll die Zuversicht treten, an einem gesamtgesellschaftlichen Prozess beteiligt zu sein, vom dem alle profitieren werden. Geben wir gemeinsam den Startschuss für eine umfassende schulische Inklusion! Davon wird mittelfristig unsere gesamte Gesellschaft profitieren.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist keine Bedrohung, sondern eine große Chance. Sie braucht aber den Mut zur Veränderung. Der heute in Erster Lesung zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Baustein. Meine Damen und Herren, ich bitte um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf. Der könnte unter dem Motto stehen: „Großes entsteht für Kleine!“ - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den Regierungsfraktionen.)

(Abg. Kolb (SPD) )

Vielen Dank, Frau Abgeordnete. - Das Wort hat nun die Abgeordnete Jasmin Mauer von der Fraktion der PIRATEN.

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine lieben Damen und Herren! Wie wir eben schon gehört haben und alle wissen, wurde 2006 die UN-Behindertenrechtskonvention erlassen. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist auch in Deutschland geltendes Recht. Damit sind alle Bundesländer dazu verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um allen Kindern einen barrierefreien Zugang zum allgemeinen Bildungssystem zu ermöglichen. Es wurde schon viel über die demografische Rendite diskutiert, die gerade beim Thema Inklusion für sehr viele eine große Rolle spielt.

Wenn man sich mit verschiedenen Leuten über Inklusion unterhält, bekommt man natürlich verschiedene Meinungen. Man bekommt die Meinung vieler, die sagen, Inklusion ist wichtig und richtig. Ich glaube, das ist auch die Meinung, die wir alle hier im Parlament vertreten. Ich glaube, keiner hier ist gegen eine Inklusion, ist dagegen, dass Schüler, so unterschiedlich sie auch sind - so stark in dem einen Bereich, so schwach in dem anderen Bereich, in wiederum anderen Bereichen wieder stärker oder schwächer -, gemeinsam unterrichtet werden. Wenn man unterschiedliche Menschen, die die Gesellschaft ausmachen, bereits früh zusammenführt, muss man später nicht mühevoll Gedankenbarrieren abbauen und die Menschen wieder zueinander führen.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Doch es gibt natürlich auch Ängste bei der Inklusion. Sehr viele Lehrer und auch Eltern haben die Befürchtung, dass bei dem derzeitigen finanziellen Stand in der Bildung zu wenig Geld im Bildungstopf ist, um die Inklusion, wie sie richtig und zwingend erforderlich ist, voranzutreiben. Es gilt nun, genau diese Ängste abzubauen. Es reicht einfach nicht aus, dass man für ein Kind einen Inklusionslehrer für eineinhalb bis maximal zwei Stunden zur Verfügung stellt. Auch hier muss umgedacht werden. Es muss Planungssicherheit für die Eltern und vor allem für die Lehrer geben. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder, wenn sie in der Regelschule gemeinsam mit nicht behinderten Kindern unterrichtet werden sollen, genau die gleiche Förderung erfahren, wie sie sie auch in einer Schule für Sonderpädagogik erhalten würden.

(Beifall von den PIRATEN und B 90/GRÜNE.)

Derzeit ist es noch ein Problem, dass nicht alle Grundschulen und weiterführenden Schulen für die Inklusion ausgestattet sind. Es fehlt an einigen

Schulen noch an Lernmaterialien und vor allem auch an baulichen Vorrichtungen. Leider sind nur wenige Schulen für Rollstuhlfahrer geeignet. Wenn ich mich an meine Schulzeit zurückerinnere, so war keine einzige Schule barrierefrei und für Gehbehinderte benutzbar. Hier muss von der Landesregierung noch Geld investiert werden. Man muss sich mit den Schulträgern austauschen, wie man schnellstmöglich die betreffenden Schulen auf den aktuellen Stand bringt, sodass keine Kinder mit Behinderung hier in unserem Land diskriminiert werden. Es muss eine sonderpädagogische Grundversorgung an allen Schulen geben und es freut mich besonders, dass auch die Gymnasien hier einbezogen werden.

(Beifall von den PIRATEN und B 90/GRÜNE.)

Inklusion braucht Zeit. Es ist kein Prozess, der einen Startpunkt A und einen Endpunkt B hat. Sie ist nicht so einfach wie ein Bauvorhaben, bei dem man schon zu Beginn planen kann, wann es in etwa abgeschlossen ist, wobei man noch ein wenig Überziehungszeit dazurechnen muss. Nein, Inklusion ist ein Prozess, der in unseren Köpfen stattfindet, der in unseren Herzen gelebt wird und der vor allem von unserer Gesellschaft getragen werden muss.

(Beifall von den PIRATEN und B 90/GRÜNE.)

Inklusion ist ein Prozess, der allgegenwärtig ist, der viele schon in der Vergangenheit begleitet hat und noch sehr lange begleiten wird. Wir PIRATEN setzen uns für eine sinnvolle Einführung der Inklusion ein, dies braucht vor allem Zeit und Geld. Wenn das Geld nicht vorhanden ist beziehungsweise wenn nicht investiert wird an den Stellen, wo es noch dringend notwendig ist, geht die Inklusion zulasten der Kinder, und dies möchte wohl niemand in diesem Land.

Wer sich einmal Förderschulen angeschaut hat - ich war in der Karnevalszeit bei einigen zu Gast und durfte auch den Unterricht besuchen -, der weiß, mit wie viel Geduld, Einfühlungsvermögen und vor allem auch Liebe auf die Bedürfnisse der einzelnen Kinder eingegangen wird.

Auch die Wahlfreiheit der Eltern ist ein wichtiger Punkt. Sie müssen die Freiheit haben zu entscheiden, ob sie ihr Kind an eine sonderpädagogische Schule schicken oder ob es an einer Regelschule unterrichtet wird.

Inklusion braucht vor allem kleinere Klassen, das hat schon meine Kollegin Barbara Spaniol angesprochen. Ein Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf kann in einer Klasse mit 25 Kindern nicht so gefördert werden wie in einer Klasse mit zehn oder 15 Kindern. Wir brauchen auch mehr Förderlehrer. Es müssen zu jeder Zeit Förderlehrer an den Schulen zur Verfügung stehen und nicht nur eineinhalb oder zwei Wochenstunden pro Kind. Es muss

jederzeit die Möglichkeit bestehen, dass ein Lehrer an einer Regelschule einen Förderlehrer zu Rate zieht oder generell mit einem Förderlehrer zusammenarbeitet.

Vor allem müssen Lehrer für den nicht sonderpädagogischen Unterricht viel stärker in diese Richtung ausgebildet werden. Das sind die großen Ängste der Lehrer, die wir ernst nehmen müssen. Sie dürfen sich nicht alleine gelassen fühlen, wie es derzeit noch der Fall ist.

(Beifall von den PIRATEN und B 90/GRÜNE.)

Wir sehen, dass derzeit nahezu alle Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Inklusion zwar erkannt sind, aber noch nicht ausreichend umgesetzt wurden. Wir sehen noch große Risiken auf uns zukommen, wenn wir die Inklusion bereits zum Schuljahr 2014/2015 starten. Deswegen teilen wir die Ängste der Lehrerverbände und der Elternverbände. Aber wir freuen uns, dass wir jetzt im Ausschuss die Möglichkeit haben, die entsprechenden Verbände in die Diskussion einzubeziehen, ihre Ängste ernst zu nehmen und darauf aufbauend ein Inklusionsgesetz auf den Weg zu bringen, das die Inklusion im Saarland noch mal einen großen Schritt nach vorne bringt. Dann können hoffentlich schon in naher Zukunft alle Menschen, ob jung oder alt, dick oder dünn, behindert oder nicht behindert, gemeinsam leben, lernen und aufwachsen. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den PIRATEN und B 90/GRÜNE.)

Das Wort hat die Abgeordnete Gisela Rink von der CDU-Landtagsfraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 13. Dezember 2006 haben die Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die UN-Behindertenrechtskonvention, verabschiedet. Der Minister hat sie eben wörtlich vorgetragen. Ich brauche dies jetzt nicht zu wiederholen, sondern fasse nur die wichtigsten Punkte zusammen. Es ist festgeschrieben, dass wirksame, individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld angeboten werden sollen, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung für die Kinder - es geht zumeist um Kinder - ermöglicht.

Wir haben auch als Koalitionsfraktionen im Koalitionsvertrag festgelegt, dass alle Schülerinnen und Schüler entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten den bestmöglichen Schulabschluss erreichen sollen. Dabei ist das Wohl des Kindes und seine bestmögliche Förderung der Ausgangspunkt unseres bildungspolitischen Handelns.

(Beifall bei der CDU.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, bestmögliche individuelle Förderung für jedes Kind ist unser Anspruch. Das ist nicht einfach. Aber ich glaube, dieser Herausforderung sollten wir uns stellen. Diesen Weg gehen wir auch mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf.

Es ist auch mein Wunsch - dies habe ich eben aus den Debattenbeiträgen der Kolleginnen herausgehört -, dass wir keine ideologische Debatte führen, sondern dass wir einvernehmlich in die parlamentarische Beratung dieses Gesetzentwurfes gehen. Wir sollten nicht ideologisch diskutieren, sondern wirklich das Kind in den Mittelpunkt stellen und aus Kindessicht die Entscheidungen treffen. Die beste Förderung für ein Kind kann die inklusive Beschulung sein, die beste Förderung für ein Kind kann aber auch der Besuch der Förderschule sein. Wir sollten uns klar zu den Förderschulen bekennen und ganz deutlich sagen: Es ist eine richtige Entscheidung, dass sich die Koalitionsfraktionen darauf verständigt haben, die Förderschulen in Bestand und Struktur im Saarland zu erhalten.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Bundesländer, die andere Wege gehen - ohne Förderschulen und die, das sage ich in aller Deutlichkeit, auch schon gescheitert sind. Das sollte nicht unser Weg sein. Wir sollten nicht gute Förderstrukturen zerschlagen, sondern schauen, wie wir gemeinsam für das Kind die bestmögliche Bildung und Förderung erreichen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Ich muss das wiederholen, was bereits mehrfach gesagt wurde. Inklusion ist nicht nur ein bildungspolitisches Thema, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, in der es viele Beteiligte gibt. Wir sollten in diesem Bereich nicht nur den Fokus auf die Schule richten, sondern den Inklusionsgedanken auf die gesamte Gesellschaft übertragen, wo wir auch in anderen Bereichen - ich bin Mitglied des Sozialausschusses - den Weg bereits gehen.

Inklusion ist aber auch ein sehr sensibles Thema. Ich glaube, wenn wir dies wirklich erfolgreich umsetzen wollen, dann geht dies nur unter Mitnahme aller Beteiligten. Wir müssen alle Menschen mitnehmen, denn ich glaube, nur so ist eine erfolgreiche Umsetzung möglich.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Wir fangen nicht neu an. Wir sind schon auf einem guten Weg. Im Vergleich der Bundesländer liegt unsere Quote - so steht es in der Vorlage des Gesetzentwurfes - zurzeit bei 46,4 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf sonderpädagogi

(Abg. Maurer (PIRATEN) )

sche Unterstützung, die derzeit schon die Regelschule besuchen. Bundesweit liegen wir im Spitzenfeld. Auch der Kollege Klaus Kessler nickt mir zu. Dies sollten wir immer wieder deutlich sagen. Bisher wurde kein Antrag auf integrative Beschulung im Saarland abgelehnt. Das heißt, wir erfinden nicht das Rad neu; es gibt vielmehr schon einige Voraussetzungen. Es gilt aus meiner Sicht, auf diesen Voraussetzungen aufzubauen.

Was ändert sich jetzt? Kollegin Gisela Kolb hat eben schon darauf hingewiesen, dass jetzt alle Kinder an der Regelschule angemeldet werden. Es ist aber ganz wichtig zu betonen, dass Eltern ein Wahlrecht haben. Eltern können sagen, unser Kind braucht eine sonderpädagogische Unterstützung und die beste Förderung hätte es auf der Förderschule. Oder sie sagen, wir möchten gerne die Beschulung auf der Regelschule. Aber um dieses Wahlrecht überhaupt umzusetzen, um den Eltern und ihren Kindern dies zu ermöglichen, brauchen wir natürlich Fördersysteme. Wir brauchen auch Förderschulen, denn wenn wir diese Förderstrukturen in den Förderschulen nicht mehr haben, was sollen die Eltern dann wählen? Dann gibt es nämlich keine Wahlmöglichkeit mehr. Wir haben ganz klar gesagt, es soll eine Wahlmöglichkeit für die Eltern geben.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)