Protokoll der Sitzung vom 18.05.2016

Familien und Kindheit befinden sich heutzutage in einem gesellschaftlichen Wandel - da sind wir uns wohl alle einig -, dem in zunehmendem Maße auch die Kindertageseinrichtungen sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht gerecht werden müssen. Wir wissen alle, dass wir heute hohe Scheidungsraten haben, die Zahl alleinerziehender Elternteile hat zugenommen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein weiteres Thema. Wir haben unterschiedliche, zum Teil extreme kindliche Erfahrungsräume zu berücksichtigen sowie erhöhte Armutsrisiken, um nur einige Faktoren zu nennen, denen unsere Kinder heutzutage ausgesetzt sind.

Die Kindertagesstätten sind in diesem Umfeld mehr denn je gefordert durch Bildung, Betreuung und Erziehung, das ist der bekannte Dreiklang. Der frühkindliche Bildungsplan - darauf hat die Kollegin Rink hingewiesen, es ist gut, dass es den gibt - hat sowohl einen gesellschaftlichen als auch einen familienergänzenden Bildungsauftrag zu erfüllen. Dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen, braucht man einfach gute Rahmenbedingungen. Dazu gehört qualifiziertes Personal, aber auch eine politische und eine gesellschaftliche Unterstützung durch Anerkennung von dessen Arbeit, die heutzutage - das muss noch mal in aller Deutlichkeit gesagt werden - auf sehr hohem Niveau stattfindet. Dafür gebührt allen Erzieherinnen und Erziehern unser Dank.

(Beifall des Hauses.)

Es ist bereits angesprochen worden, dass einige Abgeordnete auf Einladung der Liga in die Kindertagesstätten gegangen sind und dort den Alltag miterleben durften. Ich selbst war - das ist in der aktuellen GEW-Zeitung nachzulesen - in der Kita Melanchthon auf dem Saarbrücker Wackenberg, einem extremen sozialen Brennpunkt. Ich war beeindruckt von der Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher, die dort geleistet wird.

Diese Arbeit ist geprägt von einer Vielzahl von Tätigkeiten, die über das reine Betreuen hinausgehen. Heutzutage ist es selbstverständlich und auch gesellschaftlich anerkannt - und das ist gut so -, dass Kindertageseinrichtungen keine einfachen Aufbewahrungsstätten mehr sind für kleine Kinder, die ein

(Abg. Rink (CDU) )

fach nur versorgt werden, wie das früher der Fall war, sondern das sind Erziehungs- und Bildungseinrichtungen von hohem Niveau.

Wir müssen uns in der Gesellschaft noch stärker darüber bewusst sein, dass diese Arbeit in den Kitas nicht nur den Kindern selbst zugutekommt, sondern im Grundsatz unserer gesamten Gesellschaft. Es gibt hierzu Untersuchungen. Ich verweise auf eine OECD-Studie aus dem Jahre 2012, in der nachgewiesen wird, dass es sich auszahlt, wenn wir Geld in ein gut ausgebautes frühkindliches Bildungssystem investieren. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die Schulen. Aber in diesem Fall hat es die OECD mal auf die Kitas bezogen.

Es reicht allerdings nicht, dass wir den Kita-Ausbau jetzt nur unter quantitativen Aspekten beurteilen. Hier hat sich sicherlich einiges im Land getan. Das ist lobenswert, das habe ich auch vielfach in der Öffentlichkeit so gesagt, auch meine Vorredner haben darauf verwiesen. Wir haben eine recht gute Quote. Wir haben allerdings noch das Problem des StadtLand-Gefälles. Aber auch das lässt sich sicherlich auf der Zeitachse lösen.

Wir wollen aber in der Debatte heute - das ist auch die Zielrichtung des Antrages der PIRATEN - ein wenig den Blick auf die qualitativen Aspekte lenken. Dabei müssen wir Themen in den Blick nehmen wie Inklusion, Sprachförderung, interkulturelle Erziehung, auch die besonderen familiären Probleme, die die Kinder mit sich bringen wie zum Beispiel soziale Vernachlässigung und Armut; ich habe schon darauf hingewiesen.

Wenn wir uns mit den qualitativen Aspekten der Kitas beschäftigen, nimmt die Personalausstattung und in dem Zusammenhang selbstverständlich auch die Qualifizierung des Personals in den Kindertageseinrichtungen eine Schlüsselrolle ein. Aus unserer Sicht muss es hier bei der Personalisierung der Kindertageseinrichtungen einen Grundsatz geben, lauten muss: Je jünger die Kinder, desto intensiver der Zuwendungs- und demzufolge auch der Betreuungsbedarf in einer Gruppe. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Schaut man sich jetzt das Positionspapier der Liga vom Januar 2015 an - darauf bezieht sich ja im Wesentlichen der PIRATEN-Antrag -, das sich mit der Qualität der Kita-Betreuung und den Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen und Erzieher beschäftigt, so wird die aktuelle Personalsituation in unseren Kitas von der Liga deutlich kritisiert. Dort wird gesagt, dass der quantitative Ausbau der Kindertageseinrichtungen zu Lasten der Qualität stattgefunden hat. Ich meine, das ist schon eine massive Kritik, mit der sich die Landesregierung auseinandersetzen muss.

Ich zitiere aus diesem Papier: „Jüngstes Beispiel ist die neu verabschiedete Kinderkrippen-Erzieherin

nen-Zahlenrelation, die neuerdings sechs Krippenkinder einer Bezugsperson zuordnet. Der Betreuungsauftrag mag dadurch gewährleistet sein, der Bildungs- und Erziehungsauftrag - also die beiden anderen tragenden Säulen - ist es nicht mehr.“ Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist durchaus eine massive Kritik, der man sich stellen muss. Wenn es richtig ist, was dort steht, dann muss man dies ändern. Deshalb unterstützen wir auch den Antrag der PIRATEN in Richtung einer deutlich besseren Personalausstattung der Kitas insbesondere in Abhängigkeit vom Alter der Kinder in der jeweiligen Einrichtung.

Auch die Forderung, die Berechnung der Hauswirtschaftskräfte unabhängig vom Personalschlüssel der pädagogischen Kräfte vorzunehmen, ist berechtigt. Kindertageseinrichtungen können der Aufgabe einer Ganztagseinrichtung nicht gerecht werden, wenn nicht ausreichend hauswirtschaftliches Personal außerhalb des Personalschlüssels zur Verfügung steht. Deshalb ist es richtig, bei Kindern bis zu einem Jahr einen Personalschlüssel von 1:2 zu fordern, bei Kindern bis zu drei Jahren eine Erzieherin für drei Kinder vorzusehen, und ab dem dritten Lebensjahr sollen 7,5 Kinder auf eine Erzieherin kommen.

Diesen Personalschlüssel fordert im Übrigen auch das ist mehrfach angesprochen worden - die Bertelsmann Stiftung im Ländermonitor 2015. Kollegin Döring und Kollegin Rink, Sie müssen das schon vollständig lesen und vollständig zitieren. Dort wird nämlich kritisiert, dass der Personalschlüssel in den saarländischen Kindergärten trotz leichter Verbesserung - das räume ich ein - deutlich ungünstiger ist als der Westdurchschnitt. Das ist eine Tatsache, der wir uns stellen müssen. Insofern sehen wir hier klaren Handlungsbedarf.

Auch die weiteren Forderungen der PIRATEN nach Weiterbildungsmaßnahmen und einer entsprechenden Bedarfsplanung für Erzieherinnen und Erzieher unterstützen wir. Das geht aus unserer Sicht alles in die richtige Richtung. Deshalb stimmen wir diesem Antrag zu. - Vielen Dank.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Das Wort hat für die Fraktion der PIRATEN Frau Abgeordnete Jasmin Maurer.

Vielen Dank. - Ich muss zunächst einmal unseren Antrag in die Hand nehmen, um zu schauen, was drinsteht. Ich hatte teilweise das Gefühl, dass wir über zwei verschiedene Themen sprechen, besonders beim Redebeitrag der Frau Döring. In unserem Antrag geht es nicht um die Quantität, sondern um

(Abg. Kessler (B 90/GRÜNE) )

die Qualität. Wir sehen, dass die Versorgungsquote etwa bei 30 Prozent liegt. Wir sehen auch, dass die Angebote ausgebaut wurden. Aber in unserem Antrag ging es nicht darum! In unserem Antrag geht es rein um die Qualität der Bildungs- und Betreuungseinrichtungen. Deshalb ist es mir unverständlich, wie man seine Rede zu 90 Prozent auf dem aufbauen kann, was man beim Angebot gemacht hat. Sprachkitas - toll! Das finden wir PIRATEN auch toll. Das haben wir schon öfters gesagt.

(Sprechen und Zurufe.)

Das Kooperationsjahr ist toll. Das Portfolio ist auch toll. Das haben wir gar nicht angesprochen, aber darum ging es auf einmal. Das ist irgendwie absurd. Es kommt mir vor, als hätten zwei verschiedene Anträge vorgelegen.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen. - Anhal- tendes Sprechen.)

Frau Rink, ich bin ganz froh um Ihren Zwischenruf. Sie haben gesagt, ja, das braucht auch Qualität. Es braucht vor allen Dingen aber auch Personal.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Ich kann Ihnen gerne sagen, wie die Realität teilweise aussieht. Es ist so, dass es sehr viele offene Erzieherstellen gibt. Es gibt Stellen, für die keine Bewerbungen von Erzieherinnen und Erziehern vorliegen. Vielmehr ist es so, dass sich für diese Stellen Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger bewerben, was ja an sich nichts Schlimmes ist. Es gibt aber sehr viele Einrichtungen, die Anträge stellen, dass sie für eine Stelle, die nach dem Schlüssel für Erzieher vorgeschrieben ist, einen Kinderpfleger einsetzen dürfen, weil sie die Erzieher für diese Stellen nicht haben. So sieht die Realität aus!

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Auch Folgendes entspricht der Realität. Es gibt teilweise Gruppen mit über 20 bis 25 Kindern - das ist keine Seltenheit -, bei denen nur zwei Betreuer in einer Gruppe sind. Ich kann rechnen. Das ist ein bisschen wenig. Uns wurde auch zugetragen, dass es die Realität ist, dass - wenn irgendetwas passiert - Kinder aus der Gruppe in eine andere Gruppe geschickt werden, um zu sagen, dass doch bitte noch eine Betreuerin kommen soll. Ansonsten würde eventuell eine Betreuerin mit einer 20-köpfigen Gruppe von Kindern alleine sein. Das ist die Realität!

Hier wird aber gesagt, wir haben genug Personal, es gibt kein Personalproblem. Ich weiß ja nicht, welche Einrichtungen Sie besucht haben. Aber ganz ehrlich, das war weit an der Realität vorbei, wenn Sie sagen, es gibt kein Personalproblem. - Danke sehr.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die Annahme des Antrags Drucksache 15/1813 ist, den bitte ich, eine Hand zu erheben. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Ich stelle fest, dass der Antrag Drucksache 15/1813 mit Stimmenmehrheit abgelehnt ist. Zugestimmt haben die Fraktionen DIE LINKE, PIRATEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Dagegen gestimmt haben die Fraktionen von CDU und SPD.

Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 13.45 Uhr fortgesetzt.

(Die Sitzung wird von 12.42 Uhr bis 13.47 Uhr unterbrochen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen unsere unterbrochene Sitzung fort und kommen zu Punkt 10 der Tagesordnung:

Beschlussfassung über den von der DIE LINKE-Landtagsfraktion und der PIRATEN-Landtagsfraktion eingebrachten Antrag betreffend: Sozial-, Umwelt-, Verbraucherschutz- und demokratische Standards bewahren - Freihandelsabkommen TTIP und CETA und Dienstleistungsabkommen TISA stoppen (Drucksache 15/1814 - neu)

Zur Begründung des Antrages erteile ich Herrn Abgeordneten Prof. Dr. Heinz Bierbaum das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Diskussion insbesondere um TTIP hat dadurch wieder an Aktualität gewonnen, dass Dokumente durch Greenpeace veröffentlicht worden sind. Diese Dokumente haben das bestätigt, was wir schon lange befürchtet hatten, was mit diesem Abkommen beabsichtigt ist.

Das Abkommen wird von den Befürwortern damit begründet, dass die wirtschaftliche Tätigkeit auch hierzulande angeregt wird, dass wir einen Aufschwung von wirtschaftlicher Tätigkeit haben, was sich auch in Arbeitsplätzen niederschlagen sollte. Nun sagen aber ernst zu nehmende Studien sehr deutlich, dass - wenn überhaupt - dieses wirtschaftliche Wachstum sich über einen sehr langen Zeitraum einstellt und sehr bescheiden ist und dass es, was die Zahl der Arbeitsplätze angeht, wirklich verschwindend gering ist.

Wenn wir uns allerdings nicht nur die Untersuchungen und Prognosen anschauen, sondern die Realität ähnlicher Abkommen wie das Abkommen NAFTA

(Abg. Maurer (PIRATEN) )

zwischen Nordamerika und Mexiko, dann müssen wir feststellen, dass dort infolge dieses Abkommens eine Million Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Die erhofften positiven Wirkungen des Abkommens sind also keineswegs sicher. Vielmehr scheint mit Blick auf die Realität anderer Abkommen eher das Gegenteil der Fall zu sein.

Was will dieses Abkommen? Dieses Abkommen will Wirtschaft dadurch ankurbeln, dass sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse abgebaut werden. Es geht nicht um Zölle; die sind ohnehin relativ gering. Es geht um den Abbau von sogenannten nichttarifären Handelshemmnissen. Das heißt, es geht um den Abbau von Regelungen und Standards.

(Zuruf.)

Sie können sich nachher melden, wenn Sie der Auffassung sind, dass nicht abgebaut wird, sondern dass harmonisiert wird und Ähnliches. Ich bin noch nicht zu Ende, Herr Kollege Theis. - Ich beziehe mich im Wesentlichen auf drei Bereiche. Es geht um Regeln für den Verbraucherschutz, die Umwelt und die Arbeit. Im Rahmen des Verbraucherschutzes haben wir ein großes Problem. Es wird hier am nächsten Samstag in Saarbrücken eine größere Demonstration geben. Bei ihr steht die Diskussion um gentechnisch veränderte Lebensmittel im Mittelpunkt. Wenn wir wissen, dass in den USA die Mehrheit der in den Supermärkten angebotenen Lebensmittel gentechnisch manipuliert ist. Da sehen wir das Risiko, das auf uns zukommen kann.

(Vereinzelt Beifall bei der LINKEN.)

Was den Umweltschutz angeht, müssen wir feststellen, dass auch dort bestimmte Standards, die wir in der Europäischen Union haben, Gefahr laufen, untergraben zu werden. Ich verweise auf die Praxis des Frackings in den USA, was hierzulande höchst umstritten ist und - wie ich finde - zu Recht abgelehnt wird.

(Beifall bei der LINKEN.)

Was den dritten Bereich - die Arbeit - angeht, sieht es so aus, dass wir dort erhebliche Befürchtungen im Hinblick auf Arbeitnehmerrechte und Gewerkschaftsrechte haben. Man muss sehen, dass die USA die Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO nicht vollständig anerkannt haben. Sie haben zwar die Resolution der ILO von 1998 anerkannt, aber nicht alle Kernnormen vollständig. Dies bedeutet, dass erhebliche Gefahr für die gewerkschaftliche Betätigung besteht. Wenn wir uns die Realität gerade in den USA, insbesondere in den Südstaaten, anschauen, dann haben wir es dort sehr häufig mit gewerkschaftsfreien Zonen zu tun. Wir müssen also fürchten, das es hier zu erheblichen Abstrichen kommt.