Das ist deshalb wichtig, weil der Vorwurf der mangelnden Transparenz und das, was da diskutiert wird, Raum lässt für das Schüren von Ängsten und auch Raum lässt, sehr geehrter Kollege Neyses, für scheinbare Skandale. Was ist denn passiert bei den sogenannten TTIP-Leaks? Dort wurden Verhandlungspositionen der Vereinigten Staaten von Amerika veröffentlicht. Herr Neyses, die hätte ich Ihnen auch vorher nennen können. Die sind nämlich öffentlich kommuniziert worden. Und selbstverständlich sind das keine Positionen, die wir einfach unterschreiben könnten, weil es eben die Verhandlungspositionen des Verhandlungspartners sind und nicht die der EU-Kommission. Das ist nicht nur kein Wunder, das ist selbstverständlich. Und deshalb sagen zum Beispiel die NZZ und viele andere Medien über diesen scheinbaren Skandal: Das ist ein Skandal, der keiner war. Er hat aber Vertrauen zerstört, weil es Leute wie Sie gibt, die das für die Debatte missbrauchen. Auch das muss an der Stelle einmal deutlich ausgesprochen werden.
Herr Augustin - - Wo ist er denn? - Na gut, Sie geben es ihm nachher weiter. Was ist das denn für ein Demokratieverständnis für einen Parlamentarier, sich hier hinzustellen und zu sagen, 80 Prozent der Menschen sind dagegen und deshalb können wir das doch nicht machen? Wenn das die Richtschnur wäre, dann hätten wir im vergangenen Sommer die
Grenzen dichtmachen müssen, Obergrenzen einführen müssen und unserer humanitären Verantwortung gegenüber den Flüchtlingen nicht mehr genügen können, weil die Menschen das mehrheitlich abgelehnt haben. Aber in einer parlamentarischen Demokratie zählt die Mehrheit im Parlament und nicht die in Umfragen. Und das ist auch gut so, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ja, das stimmt, da hat sich was geändert, nämlich die Politik der Bundesregierung, die dafür gesorgt hat, dass weniger Flüchtlinge kommen. Das hat sich in der Tat verändert. Die erfolgreiche Politik der Bundesregierung hat die Probleme gelöst und deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, war auch das richtig.
Umso wichtiger ist es, dass wir in diesen Fragen bei den Fakten bleiben und dass wir nicht über Mythen sprechen. Und ein Mythos ist, das will ich an dieser Stelle im Gegensatz zu allen anderen Vorrednern gerne sagen, dass hier davon gesprochen wird - und das steht in Ihrem Antrag drin, Herr Kollege Bierbaum -, dass wir hier eine Aushöhlung der Demokratie erleben würden, als sei das alles schon beschlossene Sache. Das ist doch schlicht die Unwahrheit. Am Ende kann es nur zu diesem Freihandelsabkommen kommen, wenn das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente diesem zustimmen. Diese Debatte wird zu führen sein, wenn der konkrete Vertragsentwurf vorliegt. Dafür hat die Kommission doch bereits rote Linien beschrieben, die maßgeblich auch durch die öffentliche Debatte getrieben worden sind und die beschreiben, bis zu welchem Punkt die Europäische Kommission willens ist, dem Abkommen zuzustimmen, und bis zu welchem nicht. Tatsache ist: Die demokratisch gewählten Parlamente bleiben am Ende Herren des Verfahrens über einen öffentlich vorliegenden Vertragsentwurf. Das sind die Fakten und das muss man auch benennen. Alles andere ist das Spielen mit Ängsten.
Herr Kollege Neyses, lesen Sie noch einmal durch, was Sie vorhin gesagt haben, und dann stellen Sie sich vor, dass Sie nicht im saarländischen Landtag sind, sondern beispielsweise Bürger der Europäischen Union oder der Vereinigten Staaten von Amerika. Sie haben ein Bild dieser Welt gezeichnet, das so aussieht: Die Europäische Union ist das Paradies des Verbrauchers und die USA sind der Vorhof zur Hölle. Meine sehr verehrten Damen und Herren: BSE, Gammelfleisch-Skandal, italienischer Mozzarella mit Würmern, Eisenstücken und Mäusekot, dioxinbelastetes Futterfett in Mastanlagen bei Schweine- und Hühnerzüchtern, fehlerhafte Brustimplanta
te, Etikettenbetrug bei Biolebensmitteln, Pferdefleisch in der Lasagne und getürkte Abgaswerte das alles sind Verbraucherskandale nicht aus den Vereinigten Staaten, sondern aus der Europäischen Union. Wir Europäer haben keinerlei Grund zur Arroganz und Überheblichkeit in dieser Frage. Stellen Sie die Fakten nicht auf den Kopf.
Ich sage Ihnen dazu zwei Dinge. Erstens. Sowohl in den USA als auch in der Europäischen Union gibt es im Vergleich zum Rest der Welt ein hohes Niveau an Verbraucherschutz. In den USA und auch in der EU gibt es noch vieles zu verbessern. Wir Europäer haben jedenfalls keinerlei Grund zur Überheblichkeit und Arroganz, erst recht nicht in dieser Debatte.
Herr Neyses, wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie vielleicht Herrn Trittin. Ich habe ihn von dieser Stelle aus schon einmal zitiert. Er hat nämlich völlig zu Recht gesagt - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Vizepräsidentin -: „Die Europäer stopfen die Hühnchen vor der Schlachtung mit Antibiotika voll, die Amerikaner tunken sie nach der Schlachtung in Chlor. Ich“ - Jürgen Trittin - „vermag nicht zu sagen, was da besser oder schlechter sein soll.“ Zitatende. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich vermag es auch nicht, aber ich kann Ihnen eines sagen: Wir haben keinen Grund zur Überheblichkeit in Sachen Verbraucherschutz.
Der dritte Mythos ist der, den Sie vorhin noch einmal beschrieben haben, nämlich dass das nur der Industrie hilft, dass das nur den Großen hilft, dass gerade der Abbau nicht-tarifärer Hindernisse, also das Angleichen von Standards - nichts anderes ist das nur der Großindustrie hilft. Das Gegenteil ist der Fall. Das hören Sie, wenn Sie sich mit Unternehmerinnen und Unternehmern unterhalten. Vom Abbau nicht-tarifärer Handelshindernisse profitieren gerade kleine und mittlere Unternehmen. Und das ist auch ganz logisch. Für einen weltweit agierenden Großkonzern mit riesigen Stückzahlen ist es doch völlig unproblematisch, für zwei verschiedene Standards zu dokumentieren und zu produzieren und in zwei verschiedenen Standardwelten zu arbeiten. Ein hochspezialisierter saarländischer Mittelständler, der beispielsweise in der von Ihnen unter Allgemeinverdacht gestellten Automobilindustrie als KFZ-Zulieferer tätig ist und keine großen Stückzahlen hat, für den ist es kaum möglich oder nur unter unverhältnismäßig hohen Kosten möglich, in zwei verschiedenen Standards zu arbeiten. Und deshalb sind es gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die uns sagen, wir haben ein massives Interesse an einem solchen Abkommen.
Und dann stellen Sie sich hierhin und sagen: Auf der einen Seite gibt es die Guten, das sind diejenigen,
die dagegen sind, und auf der anderen Seite gibt es die Bösen wie die Automobilwirtschaft. Aber das sind diejenigen, die hier Arbeitsplätze schaffen. Und ich will Ihnen noch etwas sagen. Auch die Gewerkschaften, diejenigen, die die Arbeitnehmer in den Automobilwerken vertreten, von denen Sie gesprochen haben, sind nicht gegen das Freihandelsabkommen. Aber sie sind zu Recht für ein gut verhandeltes Freihandelsabkommen, denn das ist das Interesse der Menschen in diesem Land und das sollte auch das Interesse dieses saarländischen Landtages sein.
Und wenn wir bei den Fakten bleiben, dann gilt es auch die Interessen der saarländischen Wirtschaft zu beleuchten. Die saarländische Wirtschaft hat als drittwichtigsten Exportmarkt mittlerweile die Vereinigten Staaten von Amerika mit 8 Prozent hinter Frankreich und United Kingdom. Zweistelliges Wachstum bereits in den vergangenen Jahren.
Schaut man sich an, was die Ökonomen zur Frage sagen, welche Branchen am stärksten profitieren können, werden gerade das Kfz-Zuliefergewerbe und der Maschinenbau genannt - zwei Schlüsselbranchen der Saarwirtschaft. Sprechen wir heute über TTIP, müssen wir daher auch darüber sprechen, was - ganz egoistisch, denn in einem Verhandlungsprozess geht es in erster Linie um das Vertreten der eigenen Interessen! - das Interesse der Saarwirtschaft und damit der Arbeitnehmer und der Unternehmer in diesem Lande ist. Wenn es in Deutschland eine Region gibt, die vor allem vom Export lebt, wenn es in Deutschland eine Region gibt, die vor allem vom Automobil lebt, wenn es in Deutschland eine Region gibt, in der die Arbeitsplätze am stärksten davon abhängig sind, dass der deutsche Export gut weiterläuft, so ist das doch die Saar! Deshalb ist der saarländische Landtag gut beraten, dieses Freihandelsabkommen positiv zu begleiten, statt lediglich zu versuchen, ihm im Wege zu stehen, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Unsere Ansicht ist folgende: Wir haben ein massives Interesse - nicht an irgendeinem Freihandelsabkommen, nicht an jedem Freihandelsabkommen, aber eben an einem gut verhandelten Freihandelsabkommen mit den USA.
Dabei ist doch selbstverständlich, dass die Verhandlungspositionen der potenziellen Vertragspartner zu Beginn und auch zu manchem Zeitpunkt während der Verhandlungen nicht in jedem Punkt kompatibel sind. Das verhält sich wohl bei Koalitionsverhandlungen nicht anders als bei Verhandlungen zu Freihandelsabkommen. Bereits in der vorangegangenen Plenardebatte habe ich aber auf einige rote Linien hingewiesen, die von der Bundesregierung, von der
EU-Kommission und auch von uns zu Recht angemahnt werden. Ich will sie nicht alle nennen einige wesentliche Punkte sind aber die geschützten Herkunftsbezeichnungen, die Ablehnung des Verbots öffentlicher Kultursubventionen, dass es eben auch weiterhin die Exceptions culturelles geben kann. Dazu zählt natürlich aber auch, dass das Gros der Standards bei Arbeitsrecht, Lebensmittelsicherheit und im Sozialrecht nicht zur Disposition steht.
Ich glaube vielmehr, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass ein gut verhandeltes Freihandelsabkommen auf lange Sicht durchaus auch eine Chance dafür sein kann, dass die im Vergleich zum Rest der Welt hohen Standards in der Europäischen Union und in den USA weltweit zur Richtschnur werden beziehungsweise richtungsweisend bleiben. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, dessen Partei ich ja bekanntlich nicht angehöre,
hat zu Recht darauf hingewiesen - ich zitiere -, dass Verbraucherschutz in einer globalisierten Welt auch global gedacht werden muss. „Global gedacht werden müssen“ heißt im Klartext, dass die relevanten Standards in einer globalisierten Welt in denjenigen Märkten gesetzt werden, die über das größte ökonomische Gewicht verfügen. Man wird es ja auch aus der Perspektive des saarländischen Landtags nicht leugnen wollen: Angesichts der aufstrebenden Märkte in China, Indien, Russland und vielen Teilen der Welt, in denen die Verbraucherschutzstandards, die Arbeitnehmerstandards und die Umweltstandards mit Sicherheit geringer sind als in den USA und in der Europäischen Union, wird dieses Setzen von Standards unseres Niveaus künftig schwieriger sein. Angesichts der Tatsache, dass wir in den kommenden Jahrzehnten demografisch von geringerem Gewicht sein werden, dass wir dadurch bedingt auch ökonomisch an Gewicht verlieren werden, wird es immer schwieriger werden, die europäischen und nordamerikanischen Standards durchzusetzen. Ein Freihandelsabkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren, schafft aber ein gemeinsames ökonomisches Gewicht, das es ermöglicht, auch im 21. Jahrhundert - das kein europäisches Jahrhundert sein wird! - diese gemeinsamen Standards durchzusetzen.
Gewiss, es gibt Unterschiede zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union. Ich glaube aber, wir sind bei vielem weitaus näher beisammen, als wir entfernt sind von den Standards in Russland, in der Volksrepublik China und denen in weiten Teilen Afrikas. Diese Standards sind es doch, die wir nicht wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir wollen das gemeinsam Erkämpfte bewahren. Dafür kann, da hat Sigmar Gabriel Recht, TTIP ein wichtiger Beitrag sein - wenn es gut ver
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ja zutreffend: Viele sind gegen das, was sich die Menschen heute unter TTIP vorstellen. Sie haben diese Punkte genannt, Herr Neyses. Sie könnten noch einige Punkte hinzufügen:
Donald Trump, Marine Le Pen, die FPÖ in Österreich, die AfD in Deutschland - bis hin zu unserem Haus- und Hofpopulisten Oskar Lafontaine.
Denn eines ist sicher: Für die linken und die rechten Populisten weltweit gibt es einen gemeinsamen Gegner, das ist TTIP. Auch deshalb unterstützen wir ein gut ausgehandeltes Freihandelsabkommen, denn dann kann das ja so schlecht nicht sein. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!
(Beifall von der LINKEN, bei GRÜNEN und PIRA- TEN. - Ministerin Rehlinger: Ich nehme an, du bist jetzt ganz aus dem Konzept.)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein paar Bemerkungen noch zur Diskussion, die ja erstaunlicherweise eine ganze Reihe von Argumenten hervorgebracht hat, die quer durch das ganze Haus von den Fraktionen getragen werden können. Selbst beim letzten rhetorischen Höhepunkt, den wir hier erlebt haben, gab es einige Argumente, denen man zweifelsohne zustimmen kann. Ich will eines davon aufgreifen: Natürlich müssen wir die saarländischen Interessen vertreten. Natürlich müssen wir die Interessen unserer Wirtschaft vertreten. Natürlich haben wir einen recht ordentlichen Handel mit den Vereinigten Staaten und mit einigen anderen Ländern, die Sie ja auch genannt haben.
Aber schon bei dem Begriff „Freihandel“ sollte man etwas vorsichtig sein. Denn hinter diesem Begriff verbergen sich manchmal auch Rechte der Industriestaaten, die aus Sicht anderer betroffener Staaten, der Entwicklungsländer, alles andere als Freihandel sind. Denken Sie nur einmal an die Agrarwirtschaft: Das, was diesbezüglich als Freihandel
verkauft wird, bedeutet für Afrika eine Knebelung und Verödung der dortigen Landwirtschaft. Deshalb sollte man mit diesem Wort sehr vorsichtig agieren.
Auch Ihre Würdigung der parlamentarischen Demokratie hat eine gewisse Schlagseite: Sie haben damit nach meiner Auffassung erneut ein Beispiel dafür geliefert, wie man parlamentarische Demokratie nicht verstehen sollte. Es ist doch ein großes Problem unserer Zeit, nicht nur in Deutschland, sondern in Europa insgesamt und auch über Europa hinaus Sie haben ja einige Länder angesprochen -, dass die parlamentarische Demokratie oft oder gar in der Regel dazu führt, dass gegen die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung entschieden wird. Wenn Sie parlamentarische Demokratie nach wie vor unter diesem Gesichtspunkt vertreten, dürfen Sie sich nicht wundern, dass die Entwicklung so weitergehen wird, wie das bisher schon der Fall war. Wir bleiben bei unserer Auffassung, dass auch parlamentarische Demokratie im Kern die Aufgabe hat, die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten.
Ich will daher hier eine Forderung in Erinnerung rufen, Sie müssen sie ja nicht teilen: Ich bin der Auffassung, dass es nach allem, was in der letzten Zeit geschehen ist - einige haben hier bereits darauf hingewiesen -, nicht vertretbar ist, weiterhin nur Transparenz zu fordern, hinter den Kulissen dann aber hin und her zu verhandeln. Ich bin der Auffassung, über diese Abkommen müsste durch Volksabstimmung entschieden werden. Damit wäre endlich einmal die Möglichkeit gegeben, dass sich die Bevölkerung dazu äußern kann.