Protokoll der Sitzung vom 18.05.2016

Von unserer Seite ist als allererstes einmal zu sagen, dass solche intransparenten Verhandlungen hinter verschlossener Tür heute einfach nicht mehr zu machen sind. Das ist so.

(Beifall bei den Oppositionsfraktionen.)

Es sorgt für eine natürliche Skepsis bei allen, die ausgeschlossen sind. Wenn solche Dokumente wie jetzt von Greenpeace veröffentlicht werden, dann sieht man, dass es eine gesunde Skepsis ist, weil sich eben viele Bedenken bewahrheitet haben. Das kann man jetzt in den Papieren nachlesen.

Eines ist auch klar. So, wie die Politik sich sonst für jede Kleinigkeit, die sie richtig macht, selbst rühmt, müsste man nicht hinter verschlossener Tür verhandeln, wenn es etwas Ruhmreiches wäre. Deshalb ist vollkommen klar, dass es wieder irgendetwas darin gibt, was problematisch ist. Wie gesagt, es hat sich auch bestätigt.

Was wir besonders kritisch sehen, ist das Thema Schiedsgerichte. Kollege Bierbaum hat schon ausgeführt, dass in dem Moment, in dem für eine Firma Investitionshemmnisse durch nationale Gesetzgebungen bestehen, sie sich im Zweifelsfall einklagen kann und dadurch die parlamentarische Gesetzge

bung untergraben wird. Das sehen wir als besonders kritisch an. Man muss aber auch sehen, dass an der Stelle der Verbraucherschutz geschwächt wird. Verbraucherschutz ist nichts, das sich nur Verbraucherschutz nennt, aber mit dem Schutz von Verbrauchern nichts zu tun hätte, im Gegenteil, Verbraucherschutz ist wirklich dazu da, die Verbraucher - das sind unsere Bürgerinnen und Bürger, aber streng genommen auch wir selbst - eben zu schützen. In dem Moment, in dem ein Produkt aus Verbraucherschutzgründen nicht verkauft werden darf, ist es eben auf die eine oder andere Weise schädlich. Es kann verschiedene Gründe geben, aber wenn der Verbraucherschutz irgendwo einschreitet, gibt es dafür in aller Regel gute Gründe. Wenn dann die Firma am Schluss durchsetzen kann, dass sie das Produkt trotzdem verkaufen kann, dann finde ich das nicht gut. Dementsprechend ist speziell der Teil mit den Schiedsgerichten sehr kritisch.

Zu einer anderen Sache. Der Kollege Kurtz hat schon angesprochen, dass uns dieses Verfahren nicht von den USA aufgezwängt wird. Das ist richtig. Ich möchte auch anführen, man kann als Parlament nicht dauerhaft Gesetze gegen die Mehrheit in der Bevölkerung machen.

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Das Interessante ist, dass TTIP nur noch 20 Prozent Zustimmung findet, und das nicht nur bei uns, sondern auch in den USA. Dort waren es in der letzten Zeit sogar noch etwas weniger. Insofern haben Sie vollkommen recht, es wird uns nicht von den USA aufgezwängt, es ist auf beiden Seiten des Atlantiks bei der Bevölkerung unbeliebt.

Man muss weiterhin sagen, dass man sich bei den entsprechenden Statistiken vieles schönreden kann. 20 Prozent Befürworter heißt nicht 80 Prozent Gegner. Das möchte ich an der Stelle auch sagen. Aber selbst wenn man diejenigen dazunimmt, die unentschlossen sind oder noch eine neutrale Haltung haben, kommt man nicht auf 50 Prozent. Es gibt also immer noch mehr Gegner als Befürworter. Das sollte man auch respektieren.

(Zuruf des Abgeordneten Thul (SPD).)

Nicht zuletzt wurde letzten Monat ein Gutachten veröffentlicht - in diesem Fall nicht von Greenpeace -, das die britische Regierung bei der London School of Economics in Auftrag gegeben hatte. Danach versuchte die britische Regierung, es in der Schublade zu behalten, weil es ihr nämlich so gar nicht in den Kram passte. Es steht nämlich drin, dass TTIP viele Risiken berge, aber keinen Nutzen bringe. Durch den Freedom-of-Information-Act wurde das Dokument letztlich doch von den Bürgerinnen und Bürgern in die Öffentlichkeit geholt. Und da steht nun einmal genau das zu lesen. Selbst renommierte Gut

(Abg. Kurtz (SPD) )

achter sind der Meinung, dass uns dieses TTIP nicht viel bringt, dass es im Gegenteil sogar Risiken birgt.

An dieser Stelle möchte ich aber auch eine Sache klarstellen und da bin ich gar nicht so weit vom Kollegen Kurtz entfernt. Wir sind nicht gegen Freihandelsabkommen, weder gegen Freihandelsabkommen im Allgemeinen noch gegen ein Freihandelsabkommen speziell mit den USA. Aber Sie haben es selbst schon gesagt, bei TTIP geht es weniger um ein Freihandelsabkommen, sondern mehr um alles andere. Für ein Freihandelsabkommen wären wir durchaus offen. Für die ganzen Risiken, die sich durch TTIP ergeben, jedoch nicht. Dementsprechend ist die Frage, welche Schlussfolgerungen man daraus zieht.

Sie haben in die Richtung argumentiert, dass man das, was an TTIP problematisch ist, beheben müsste, den Rest könnte man dann beschließen. Das ist insofern inkonsequent, als Sie selbst sagen, es ist wesentlich mehr als ein Freihandelsabkommen. Was wir eigentlich brauchen, ist einfach nur ein Freihandelsabkommen. Insofern halte ich es für den schnelleren, kürzeren und besseren Weg und für zeitlich und finanziell sinnvoller, das Ding einzustampfen und einfach ein Freihandelsabkommen auf den Weg zu bringen. Da wären wir dann auch dabei.

(Zuruf des Abgeordneten Schmitt (CDU).)

An der Stelle noch ein paar weitere Worte zur Güte. Ich habe tatsächlich den Eindruck, dass an der Stelle Koalition und Opposition gar nicht so weit auseinander liegen. Wir streiten nur über den Weg zum Ziel. Auch Sie haben gesagt, dass Sie das mit der Intransparenz kritisch sehen. Der Kollege Tobias Hans hat vor Kurzem dem FORUM-Magazin ein Interview gegeben, in dem er genau das auch angegriffen hat. Auch er hat in diesem Interview die Intransparenz kritisiert. Er kommt wie Sie, Herr Kollege Kurtz, zu dem Ergebnis, dass man das nachbessern müsste.

Der entscheidende Punkt, worüber wir hier noch reden, ist, ob man das Ding nur nachbessern muss oder komplett neu machen sollte. In dem Moment, wo nur Dinge drinstehen, die uns stören, und das eigentlich Vorteilhafte nur ein Minimum des Entwurfes ausmacht, ist es einfacher, das noch einmal ordentlich zu machen. Alle Textpassagen noch einmal durchzusehen und das, was uns stört, zu streichen, ist letztlich mehr Arbeit, als das bisschen, was wir wollen, noch einmal ordentlich aufzuschreiben. Deshalb bin ich nach wie vor dafür, dem Antrag zuzustimmen, TTIP abzulehnen und ein Freihandelsabkommen, ein einfaches Freihandelsabkommen auf den Weg zu bringen.

(Abg. Schmitt (CDU) : Wie soll das denn gehen ohne Standards, ohne Schiedsgericht?)

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

Danke schön, Herr Abgeordneter. - Das Wort hat nun für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Abgeordneter Michael Neyses.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war von der Rede des Kollegen Kurtz doch etwas belustigt. Im Grund sind es die Argumente der Opposition gewesen. Wir haben uns gefragt: Wie kriegt er denn da noch mal die Kurve?

(Abg. Ulrich (B 90/GRÜNE) : Plus Salto mortale!)

Ja, wir haben dann gemerkt, er hat gar keine Kurve genommen, er hat einfach die Handbremse gezogen, hat umgedreht und ist noch mal gegen die eigene Richtung gefahren.

Aber zum eigentlichen Antrag. Kolleginnen und Kollegen, CETA ist fertigverhandelt, die Bundesregierung wird vermutlich im September dem Vertragstext zustimmen. Das Europaparlament wird voraussichtlich Anfang nächsten Jahres entscheiden. Wir GRÜNE lehnen CETA ab.

Die Verhandlungen über TTIP verlaufen stockend und schaden unserer Demokratie. Nun hat Greenpeace geheime TTIP-Dokumente geleakt. TTIP war vorher stark intransparent. Das hat sich über Nacht weitestgehend geändert. Ein erster öffentlicher Einblick in die TTIP-Verhandlungen ist nun möglich. Er zeigt, dass die bisherige Kritik und die öffentlichen Sorgen absolut gerechtfertigt sind. Wir GRÜNE hatten daher direkt eine Aktuelle Stunde im Bundestag beantragt. Es ist bitter, Kolleginnen und Kollegen, dass ein Leak notwendig ist, um die dringend notwendige Transparenz herzustellen.

Greenpeace hat den TTIP-Lesecontainer inzwischen eingepackt und geht damit auf Deutschlandtour. Die Offenlegung bleibt. Auch TTIPLeaks.org hat die Dokumente zum Download verfügbar. Inzweichen wurden diese hunderttausendfach heruntergeladen. Damit ist auch der Maulkorb für die Abgeordneten weg. Die Abgeordneten können jetzt endlich frei über die umstrittenen Dokumente sprechen.

Das verbessert auch die Möglichkeit der kritischen Begleitung der Verhandlungen enorm. Die Bundesregierung muss jetzt rechtfertigen, was sie an den Verhandlungen gut findet. Die Bürgerinnen und Bürger können sich nun selbst ein Bild machen, ein Gewinn für unsere Demokratie.

(Beifall bei B 90/GRÜNE und den PIRATEN.)

Das ist gut so, denn je mehr die Menschen über TTIP wissen, umso mehr werden sie dagegen sein.

(Abg. Augustin (PIRATEN) )

Man braucht sich nur einmal anzusehen, welche Organisationen für und welche gegen TTIP und CETA sind, dann weiß man, wo die Reise hingeht. Verbraucherschützer sind dagegen, denn die Schutzstandards werden zu Handelshemmnissen erklärt. Der Verbraucherschutz wird leiden. Das sagen nicht nur wir, das sagen 79 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, siehe DeutschlandTREND in diesem Monat.

Die Gewerkschaften sind dagegen, weil die Arbeitsrechte leiden werden. Das angebliche Wachstum ist nicht nachhaltig und vergrößert die Schere zwischen Arm und Reich. Kollege Bierbaum hat es eben am Beispiel NAFTA bereits aufgezeigt.

Die Automobilindustrie ist natürlich dafür wegen der Standards bei der Beleuchtung. Die Zölle bei den Fahrzeugen sollen gestrichen werden, aber die Amerikaner zögern das Zugeständnis hinaus. Die Zölle sind im Übrigen in vielen Bereichen jetzt schon sehr gering.

Die Datenschützer und Transparency International laufen Sturm. Was hier als Freihandelsabkommen verkauft wird, hat herzlich wenig damit zu tun und schadet unserer Demokratie. Das, Kolleginnen und Kollegen, dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall bei B 90/GRÜNE und der LINKEN.)

Auch die Umweltorganisationen sind gegen TTIP und CETA, weil unsere Umwelt darunter leiden wird. In CETA und TTIP ist das Vorsorgeprinzip nicht verankert, ein Grundpfeiler des Umwelt- und Verbraucherschutzes in Europa. Genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel dürften so lange angebaut und konsumiert werden, bis deren Schädlichkeit nachgewiesen wäre. Darüber wurde bereits früh berichtet, jetzt haben wir Klarheit. Zum ersten Mal kennen wir zentrale Positionen der USA. Die umstrittenen Schiedsverfahren - das hatten wir eben schon - sind immer noch nicht vom Tisch.

TTIP und CETA sind auch „living agreements“, lebende Verträge, die sich nach Abschluss weiterentwickeln sollen. Bisher ist aber nicht ausreichend sichergestellt, dass das EU-Parlament zwingend beteiligt wird. Im Gegenteil, die EU wünscht sich ein vereinfachtes Verfahren, um zukünftige Änderungen schnell und geräuschlos vornehmen zu können. Wir GRÜNE sind dagegen, wir möchten unsere Demokratie beschützen, wir möchten die Verbraucher schützen, die Arbeitsrechte, unsere Umwelt, und vor allem möchten wir unsere Bürgerinnen und Bürger schützen. Wir GRÜNE fordern auch, den Entwicklungsländern genug Raum zu lassen, um ihre Märkte zu schützen.

Durch die Abschriften sehen wir jetzt auch, was bereits vermutet wurde: die Automobilindustrie als Faustpfand. Die USA drohen der EU mit Nachteilen

bei der Autoindustrie, wenn sie nicht deutliche Abstriche beim Verbraucherschutz macht. Solche Verhandlungsmethoden kommen nahe an „Erpressung“ heran.

Sicher, es gibt bereits viele Handelsabkommen. Mit TTIP wollen die USA und die EU die größte Handelspartnerschaft der Welt werden. Die EU-Kommission und die deutsche Regierung, bestehend aus CDU und SPD, betonen immer wieder gebetsmühlenartig, dass es kein Absenken von Verbraucherstandards geben würde und diese Bereiche gar nicht zur Verhandlung stünden. Kolleginnen und Kollegen, seien wir doch realistisch: Wenn wirklich kein EU-Standard gesenkt werden würde, müssten die Amerikaner ihre Verhandlungsposition und ihr System komplett aufgeben. Es wäre doch naiv, daran zu glauben! Das wird nicht geschehen.

Wer im Interesse seiner Bürgerinnen und Bürger handelt, braucht auch die Öffentlichkeit nicht zu scheuen. Bei TTIP werden zentrale Bereiche des Alltags der Bürgerinnen und Bürger verhandelt, unter anderem kommunale Daseinsvorsorge, Gentechnik, Gesundheitsvorsorge, nur um einige wichtige zu nennen.

Als Repräsentanten unserer Bürgerinnen und Bürger sind wir gefordert, uns gegen CETA und gegen TTIP einzusetzen. TTIP und TISA müssen gestoppt werden. CETA lehnen wir ab. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von B 90/GRÜNE und bei der LINKEN.)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter. - Das Wort hat nun der Kollege Roland Theis von der CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! 2016 - und deshalb kommt diese Debatte auch zur rechten Zeit - wird in der Tat ein entscheidendes Jahr für die in Rede stehenden Freihandelsabkommen, und es ist richtig, dass wir heute über ein Thema sprechen, das bei vielen Menschen Sorgen, Nöte und Probleme auslöst. Umso wichtiger ist es, dass wir die Debatte mit der Betrachtung der Realität beginnen. Zu dieser Realität - das kann man nicht verschweigen und das will auch niemand - gehört, dass die Debatten der vergangenen Monate und Jahre dazu geführt haben, dass die Menschen in den Prozess der Aushandlung dieses Abkommens kein Vertrauen gewonnen haben. Viele - das ist ja vorhin beschrieben worden fürchten sich vor dem Verlust von Standards bei Lebensmitteln, im Arbeitsrecht, gar in der Demokratie. Und eine Ursache für diesen Verlust an Vertrauen ist mit Sicherheit, dass immer wieder der Mangel an Transparenz beklagt wird.

(Abg. Neyses (B 90/GRÜNE) )

Es gehört wiederum zu den Fakten, dass es kein Abkommen gibt - es gibt ja mehr als nur eines, allein die Bundesrepublik hat 130 unterschrieben -, zu dem so viel von den Verhandlungsführern bei der Kommission kommuniziert worden ist wie zu TTIP. Auch wenn die Europäische Kommission so viele Verhandlungsdokumente unter anderem ins Internet gestellt hat und wenn so viel kommuniziert wurde wie bei keinem anderen Abkommen, ist mit Sicherheit die eine oder andere Irrationalität im Spiel, denn in der Tat kann niemand die Frage beantworten, warum plötzlich das Thema der mangelnden Transparenz ein so großes Thema ist, während es bei vielen, vielen anderen Abkommen keines war. Und weil das alles so ist, ist eine Lektion bereits heute - und das gestehe ich nicht nur ein, sondern das fordere ich auch ein von der Politik -: Wir brauchen für die Zukunft Verfahren, die dieses Vertrauen zurückgewinnen. Wir dürfen nicht zulassen, dass das generelle Misstrauen gegen solche wichtigen Projekte jeglichen Fortschritt im Freihandel unmöglich macht. Eine der zentralen Herausforderungen für die Politik in einer modernen Mediendemokratie ist es, genau solche Verfahren zu finden, um Vertrauen zurückzugewinnen. Darüber sollten wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch an dieser Stelle diskutieren.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Das ist deshalb wichtig, weil der Vorwurf der mangelnden Transparenz und das, was da diskutiert wird, Raum lässt für das Schüren von Ängsten und auch Raum lässt, sehr geehrter Kollege Neyses, für scheinbare Skandale. Was ist denn passiert bei den sogenannten TTIP-Leaks? Dort wurden Verhandlungspositionen der Vereinigten Staaten von Amerika veröffentlicht. Herr Neyses, die hätte ich Ihnen auch vorher nennen können. Die sind nämlich öffentlich kommuniziert worden. Und selbstverständlich sind das keine Positionen, die wir einfach unterschreiben könnten, weil es eben die Verhandlungspositionen des Verhandlungspartners sind und nicht die der EU-Kommission. Das ist nicht nur kein Wunder, das ist selbstverständlich. Und deshalb sagen zum Beispiel die NZZ und viele andere Medien über diesen scheinbaren Skandal: Das ist ein Skandal, der keiner war. Er hat aber Vertrauen zerstört, weil es Leute wie Sie gibt, die das für die Debatte missbrauchen. Auch das muss an der Stelle einmal deutlich ausgesprochen werden.