Für mich ist die Frage wichtig, ob das alles praktikabel ist, sowie die Frage der Normenhierarchie. Sie wollen ein Landesgesetz für eine Verdeutlichung einer Regelung, die im Bundesinfektionsschutzgesetz ist. Ich bin etwas unsicher, ob das alles so aufeinanderpasst. Das müssen wir uns wirklich genau anschauen. Ich halte das für kritisch und denke, wir verschlechtern eher die Basis der Verordnung, wenn wir das Gesetz so verabschieden, wie Sie es vorschlagen. Das sehe ich nicht als den richtigen Weg an.
Ich glaube, man muss überhaupt nicht auf den Vorschlag der AfD eingehen, das Ganze auf die Kommunen abzuwälzen. Wir haben keine Regelungskompetenz für solch ein Gesetz. Wenn doch klar gesagt wird, es muss ein Gesetz geben, kann man das nicht einfach an die Kommunen abschieben. Das halte ich für eine abstruse Lösung.
Wir müssen uns auf das Folgende konzentrieren: Wir als Parlament haben die Möglichkeit - die wir auch ausgiebig genutzt haben -, uns in den Ausschüssen wie dem Corona-Ausschuss und den einzelnen Fachausschüssen wöchentlich intensiv mit den Verordnungen auseinanderzusetzen. Wir haben es in den Fraktionssitzungen und in der Landespressekonferenz, wo die vierte Gewalt noch einmal reingespielt hat, debattiert. Wir als Parlament haben eine intensive Arbeit geleistet und alles kontrolliert. Machen wir uns jetzt so klein, dass wir eine Lösung haben wollen und sagen, dass wir es bisher nicht richtig gemacht haben? - Ich sehe das wirklich anders, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich bin dafür, dass wir keine Selbstverständlichkeiten in solch ein Gesetz reinschreiben wie zum Beispiel, dass das Parlament die Regierung hören darf. Das dürfen wir sowieso, das ist unser gutes Recht und das haben wir auch gemacht, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Damit möchte ich auf einen langfristigen Punkt eingehen. Ich glaube, es ist etwas, dass wir in dieser ganzen Sache nicht außen vorlassen sollten. Die entscheidende Frage ist: Wie machen wir unsere Verfassung krisenfester? - Wir kennen alle die Auswertung, die im Bundestag entstanden ist und wo gesagt wurde, was in einer Gefahrensituation zu tun ist. Es reicht aber nicht, für die nächste Krise nur mehr Masken anzuschaffen. Wir müssen tatsächlich einen Blick auf unsere Verfassung werfen und sie für alle Krisen fest machen, die kommen können. Wenn ich jetzt noch einmal all das Revue passieren lasse, was wir erlebt haben, ist das Horrorszenario, dass wir eine Pandemie haben, die mit einem Anschlag durch einen Computervirus gekoppelt wird. Was würden wir dann machen? Wie würden wir unser
Saarland durch solch eine Krise manövrieren? - Ich glaube, das sind neue Szenarien, die sich durch die Erkenntnisse dieser Pandemie ergeben. Ich finde es super, dass der Landtagspräsident diese Kommission ins Leben gerufen hat, die sich genau mit solchen Fällen beschäftigt und einen Blick darauf wirft, wie das Parlament mit einem Notausschuss vertreten werden kann. Damit müssen wir uns beschäftigen, das ist das Wichtige.
Noch ein weiterer Punkt. Wenn man die Geschichte des Saarlandes Revue passieren lässt, kann man davon sprechen, dass wir durchaus honorige Regierungen in diesem Land hatten, die während einer Krise nie etwas Böses im Schilde geführt haben. Wir müssen aber auch da immer wieder Vorsicht walten lassen. Als Beispiel kann ich einige Länder nennen: Nordkorea und Venezuela, wo ein monatelanger Ausnahmezustand und eine monatelange Ausgangssperre verordnet wurden. Da muss ich mich immer fragen: Wird dies gemacht, um die Pandemie einzudämmen, oder hat da jemand was ganz anderes im Sinn? Möchte man vielleicht Demonstrationen eingrenzen? - Darauf müssen wir bei unserer Verfassungsreform einen Blick werfen. Ich möchte zum Schluss noch einmal Karl Poppers Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ zitieren: Wir müssen für die Freiheit planen und nicht nur für die Sicherheit, wenn auch vielleicht aus keinem anderen Grund als dem, um mit der Freiheit unsere Sicherheit zu bewahren. - Darum müssen wir kämpfen und daran müssen wir uns orientieren und das nicht nur mittwochs, sondern an allen beliebigen Tagen. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Gesetz. Wir werden das andere Gesetz im Justizausschuss gerne genauer betrachten. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Thielen. Wir haben anfangs gesagt, dass die Punkte 4 und 5 im Sachzusammenhang diskutiert werden. Wir kommen deshalb zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Lesung des von der DIE LINKE-Landtagsfraktion eingebrachten Gesetzes zur Sicherstellung der parlamentarischen Kontrollfunktion bei Maßnahmen der Landesregierung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (Infektionsschutz-Parlaments-Kontrollgesetz - lfSPKG) (Drucksache 16/1429)
Zur Begründung des Gesetzentwurfs erteile ich Herrn Fraktionsvorsitzenden Oskar Lafontaine das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich hier in dieser Halle bin, beschleichen mich nostalgische Gefühle. Ich war das letzte Mal 1998 hier. Es gab einen kleinen Unterschied: Die Bude war voller. Vielleicht war der eine oder andere von Ihnen dabei. Viele von Ihnen haben mir zum Geburtstag gratuliert. Ich bedanke mich dadurch, dass ich mich kurz fasse.
Zunächst einmal zu Ihren Gesetzentwurf. Wir stimmen dem zu und entsprechen damit der Vorgabe des Bundesverfassungsgerichtshofes. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Es bleibt eine offene Frage: Hat die Polizei weiter Zugriff? - Sie kennen die rechtliche Diskussion. In Baden-Württemberg hat Thomas Strobl, der Innenminister, erklärt, dass eine Verwendung dieser Daten durch die Polizei zur Verfolgung von Straftaten nicht zulässig sei. Insofern wäre es von Interesse, wie die Landesregierung es hier sieht. Wir glauben, dass ohnehin einige Fragen mit dieser Kontaktnachverfolgung verbunden sind.
Ich habe in den letzten Wochen oft beobachtet, wie es in den Restaurants abläuft. Es geht sehr locker zu. Sicherlich schreiben einige irgendwelche Witzadressen auf. Das ist alles bekannt. Wenn sich auch noch herumspricht, dass das von der Polizei genutzt wird, um Straftaten zu verfolgen, auch kleinere wie beim Parken oder bei Handtaschendiebstahl, besteht natürlich die Gefahr, dass noch weniger korrekte Angaben erfolgen. Ich weise nur darauf hin, es bleibt offen, wie Sie das sehen. Vielleicht können Sie noch ein Wort dazu sagen.
Der zweite Punkt ist unser Gesetzentwurf. Der Gesetzentwurf ist - Herr Kollege Thielen, um auf Ihren Beitrag einzugehen - ausdrücklich durch den Verfassungsgerichtshof selbst begründet worden. Ich zitiere aus dem Urteil: Während Verordnungen wie jene zur Bekämpfung die Corona-Pandemie bis zu ihrer Veröffentlichung im Wesentlichen im Internum der Exekutive erarbeitet, beraten und beschlossen werden und Bürgerinnen und Bürger vor vollendete und geltende Regelungen gestellt werden, gewährleistet ein parlamentarisches Gesetz die Debatte von Für und Wider vor dem Forum der Öffentlichkeit und damit ein wesentliches Element der repräsentativen Demokratie. - Das ist natürlich der Kern, denn sonst könnte man sagen, die Regierungsfraktionen haben sowieso die Möglichkeit, die Regierung zu kontaktieren. Wir debattieren auch in der Öffentlichkeit, also brauchen wir hier keine Debatte. Ich glaube, das wird dem Parlamentarismus gerecht. Das ist der Kern.
Wir haben zu Beginn gesagt, dass wir nicht an unserer Formulierung kleben. Wenn Sie bessere Formulierungen haben, bringen Sie sie im Ausschuss vor. Uns geht es um die Sache, also um die parlamenta
rische Beratung. Bei meiner Biografie werden Sie mir abnehmen, dass ich weiß, dass Regierungen manchmal zügig handeln müssen. Deshalb haben wir im Gesetzentwurf aufgenommen, dass die Regierung sofort entscheiden kann, aber das Parlament im Nachhinein befassen muss. Der Landtag kann dann in diesem Fall korrigieren oder aufheben, sofern nicht Rechte Dritter begründet sind. Das ist eine ganz simple Formulierung, die praktikabel ist und seit Jahrzehnten angewandt worden ist. So meinen wir das. - Wir stimmen dem Gesetzentwurf zu und bedanken uns, dass Sie eine parlamentarische Beratung im Ausschuss eröffnen.
Vielen Dank, Herr Fraktionsvorsitzender. Ich eröffne die Aussprache zu den Punkten 4 und 5 der Tagesordnung. - Das Wort zur Aussprache hat nun die Abgeordnete Petra Berg.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für mich ganz persönlich war es, als ich mich damals als Rechtsanwältin entschlossen habe, Politikerin zu werden, undenkbar, jemals in eine Situation zu kommen, in der ich die Grundrechte aller Menschen in unserem Land einschränken muss. Das treibt mich seit März um, das bereitet mir große Sorgen. Darüber mache ich mir sehr viele Gedanken.
Wir haben im März erlebt, dass die WHO das Infektionsgeschehen als Pandemie eingestuft hat und damit, auch wegen des hohen Infektionsrisikos und des erforderlichen Schutzes der vulnerablen Personengruppen, schnell und wirksam gehandelt werden musste. Das seinerzeit einzig richtige und wirksame Handeln bestand im Handeln der Landesregierung, zunächst durch Allgemeinverfügung, danach durch Rechtsverordnung. Das war ein Handeln der Landesregierung in Gemeinsamkeit aller Ressorts, denn damals waren Krankenhäuser betroffen, Schulen und Kitas waren betroffen, Unternehmen waren betroffen. In den Ressorts saßen und sitzen auch heute noch die Fachleute, die das damals in aller Eile regeln mussten.
Nach einem halben Jahr der Verordnung und der durch diese Verordnung auferlegten Einschränkungen für die Menschen in unserem Land ist das Infektionsgeschehen nun abgeflacht. Das Infektionsgeschehen ist zum Glück überschaubar, die ergriffenen Maßnahmen tragen Früchte. Ich darf hier aus der Ausgabe der ZEIT der vergangenen Woche zitieren: „Der Grund dafür, dass es uns vergleichsweise gut geht, ist kein kategorischer Irrtum über die Gefährlichkeit des Erregers selbst - die ist von der Wissen
schaft inzwischen recht zuverlässig beschrieben worden. Die relativ entspannte Lage ist das Ergebnis harter Arbeit, solidarischer Disziplin und milliardenschwerer Investitionen.“ - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich erinnere: Wir mussten lernen, mit dem Begriff der Triage umzugehen, die in unseren Nachbarländern grausame Wirklichkeit wurde. Das bitte ich, auch im Folgenden nicht zu vergessen, insbesondere auch jene nicht, die noch immer das Geschehen leugnen.
Unser Gesundheitssystem hat dieser Krise standgehalten. Das ist ein Verdienst unserer Landkreise und unserer Landesregierung, denn sie haben mit schnellen und zielgerichteten Maßnahmen im Krisenmodus ein Abflachen der Infektionskurve erreicht. Aber das Virus bestimmt immer noch unseren Alltag. Wir müssen auch das Infektionsgeschehen bei unseren Nachbarn im Auge behalten; insbesondere die neuen Zahlen aus Frankreich müssen uns Anlass zur Sorge geben.
Wir wollen auch weiterhin verantwortungsvoll mit der Situation umgehen. Das heißt für uns: So viel Freiheit wie möglich, so viel Beschränkung wie nötig. Wir verlangen dabei sehr viel von unseren Saarländerinnen und Saarländern. Ich erinnere an die Kontaktverbote, ich erinnere an die Beschränkungen innerhalb der Familien. Kinder mussten auf Schulunterricht verzichten, sie durften Kitas nicht mehr besuchen. Betriebe und Unternehmen wurden geschlossen. Es herrscht in weiten Teilen Kurzarbeit. Das Vereinsleben ist praktisch zum Erliegen gekommen. Und wir dürfen auch die Vereinsamung der Menschen in der eigenen Häuslichkeit nicht vergessen. Deshalb geht von dieser Stelle aus von ganzem Herzen ein ganz besonderer Dank an alle Bürgerinnen und Bürger, die umsichtig und besonnen in der Krise handeln, denen nicht nur die eigene Gesundheit, sondern auch die Gesundheit ihrer Berufskolleginnen, ihrer Nachbarn, ihrer Freunde, aber auch des nur zufällig beim Einkauf vorübergehenden Mitbürgers am Herzen liegt. Herzlichen Dank für diese Solidarität!
Liebe Saarländerinnen und Saarländer, die Pandemie ist noch nicht vorbei! Die Infektionszahlen können jederzeit wieder steigen, die Infektion kann jederzeit wieder aufflammen. Wir müssen uns auf langfristige Maßnahmen einstellen. Die erste Gefahreneinschätzung, die sogenannte Einschätzungsprärogative, lag in der Stunde der Not bei der Landesregierung. Sie musste angesichts sich ständig entwickelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse immer wieder neu handeln. In den Ministerien war, ich sagte es bereits, die Einsetzung von Krisenstäben sehr zügig möglich.
Aber: Die Einschränkung elementarer Grundrechte von hoher Intensität bedarf einer ständigen Rechtfertigungskontrolle. Je länger sie wirken, desto höher sind die Anforderungen an dieser Rechtfertigung. An Maßnahmen, die in der Stunde der Not der Exekutive einen weiten Spielraum der Risikoeinschätzung und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit erlauben, müssen auf Dauer neue Maßstäbe angelegt werden. Jetzt ist die Stunde der Parlamente in allen Bundesländern und auch des Bundestags.
Wir müssen über Gebote, über Verbote, über Lockerungen und über Beschränkungen zukünftig hier in diesem Parlament beraten, und zwar regelmäßig bevor sie in Kraft treten. Und wir brauchen eine stärkere Balance: Auf der einen Seite brauchen wir, ohne jeden Zweifel, die Handlungsfähigkeit der Regierung. Auf der anderen Seite benötigen wir die demokratische Legitimation der Maßnahmen hier im Parlament.
Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf greifen wir die Wertung des Verfassungsgerichtshofs auf, wonach die Regelung der Kontaktnachverfolgung in der Rechtsverordnung mit der Verfassung des Saarlandes nicht vereinbar ist. Dabei gilt auch hier der Grundsatz, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass kein Gesetz das Parlament so verlässt, wie es eingebracht wurde. Die Anhörung wird sicherlich noch Nachbesserungsbedarf ergeben. Insbesondere war das Unabhängige Datenschutzzentrum aufgrund der Eilbedürftigkeit bislang darauf beschränkt, eine datenschutzfreundliche Ausgestaltung der Datenerhebung und Datenübermittlung anzumahnen. Das Unabhängige Datenschutzzentrum wird jetzt in einer Anhörung dazu eine detaillierte Stellungnahme abgeben können.
In der Formulierung des Gesetzesentwurfs findet sich auch eine Ermächtigung der Landesregierung, die Kontaktnachverfolgung hinsichtlich weiterer Einrichtungen, Anlagen und Betriebe anzuordnen. Ob das auch für die Zweite Lesung so bestehen bleiben kann, dahinter setze ich mal ein Fragezeichen. Das ist ein Vorschlag der Regierung, sie wiederum zu ermächtigen. Ich denke aber, diese Begriffe des Gesundheitsministeriums sind zu unbestimmt formuliert. Es fehlt hier an einer normenklaren und bestimmten Regelung. Deshalb besteht auch hier das Risiko eines andauernden imperativen Eingriffs in der Weise, dass grundrechtsberechtigte Personen durch die Kontaktnachverfolgung davon abgehalten werden, ihre Grundrechte ausüben. Das hat der Verfassungsgerichtshof deutlich gemacht: Durch die Kontaktnachverfolgung können Menschen davon abgehalten werden, Einrichtungen aufzusuchen, Betriebe aufzusuchen. Dadurch werden sie mittelbar an der Ausübung ihrer Grundrechte gehindert. Das müssen wir prüfen, dazu ist dieses Parlament berufen. Das werden wir gegebenenfalls ändern.
Sie sehen, die Kontaktnachverfolgung bedarf dringend der parlamentarischen Befassung. Das ist aber nur ein erster Schritt, der bis zum 30. November umgesetzt sein muss. Deshalb gibt es heute diesen Gesetzentwurf. Uns geht es aber um sehr viel mehr, denn wir wollen auch das Parlament in der Krise stärken. Mit einem zukünftigen Gesetz, das wir voraussichtlich im Oktober oder im November vorlegen werden, betreten wir auch ein Stück weit juristisches Neuland. Weder der Bundesgesetzgeber noch die Länderparlamente haben bislang vergleichbare Gesetze erlassen. Die zeitliche Dauer und die Intensität der einschränkenden Maßnahmen haben so sehr an Bedeutsamkeit gewonnen, dass nun das Parlament die Maßstäbe definieren muss, die für Grundrechtseingriffe dieser Art gelten.
Es hat sich zu Beginn der Pandemie bewährt, dass die Exekutive mit Rechtsverordnungen handeln konnte. Und ich möchte ausdrücklich klarstellen: Selbstverständlich wird exekutives Handeln auch weiterhin möglich sein. Im Sinne der Gewaltenteilung ist das auch völlig richtig. Dies muss aber unter Beteiligung des Parlaments und unter Kontrolle durch das Parlament geschehen. Alleine das Parlament ist der Ort, an dem das Für und das Wider der Maßnahmen transparent und öffentlich mit Sachverständigen debattiert und abgewogen werden können. Denn die von der Landesregierung erlassenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung der Pandemie betreffen alle Lebensbereiche und haben zu drastischen Einschränkungen des öffentlichen und des privaten Lebens geführt. Diese Maßnahmen wurden bislang ohne Parlamentsbefassung ergriffen. Sie müssen in der Folgezeit aber durch eine Parlamentsbefassung legitimiert werden.
Anders als in der Anfangsphase der Ausbreitung der Pandemie ist unser Gesundheitssystem gut gerüstet, die Überlastung hat sich deutlich reduziert. Gleichwohl, das muss man immer wieder sehen, werden die Einschränkungen der Bürgerrechte aber voraussichtlich noch einige Zeit anhalten. Die Menschen werden nur beschränkt ihre Grundrechte ausüben können, sich frei fortbewegen können, Orte aufsuchen können. Aus diesem Grund ist eine stärkere parlamentarische Kontrolle der Regierung dringend geboten. Die grundsätzlichen und wesentlichen Entscheidungen bedürfen der Legitimation durch dieses Parlament, denn das Parlament ist das höchste Verfassungsorgan dieses Landes.
Nicht zuletzt die immer häufiger erfolgende Aufhebung einzelner freiheitsbegrenzender Maßnahmen durch Gerichte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes bietet einen Beleg dafür, dass einige dieser Maßnahmen rechtlich fehlerhaft und unverhältnismäßig sein können. Auch deswegen ist eine stärkere Rolle des Parlaments wichtig. Wir dürfen dabei den Blick nicht nur auf das Saarland richten, son
dern müssen auch die Situation bundesweit in den Blick nehmen, denn überall entscheiden Gerichte über einzelne Maßnahmen, und das kann auch Wirkungen hier ins Saarland haben.
In einer Hinsicht muss ich ausnahmsweise meinem Kollegen Stefan Thielen widersprechen: Der saarländische Verfassungsgerichtshof hat sich in seinem letzten Beschluss nur mit der Kontaktnachverfolgung befasst. Er hat die Vereinbarkeit der Regelungen zur Mund-Nasen-Bedeckung für mit der Verfassung vereinbar erklärt, aber bezüglich der Kontaktnachverfolgung hat er Verfassungswidrigkeit festgestellt. Liest man den Beschluss aber genau, erkennt man, dass darin noch die Verletzung weiterer Grundrechte durch Grundrechtseinschränkungen im Raum steht. Auch insoweit müssen wir handeln. Das betrifft beispielsweise die Glaubens- und Religionsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Fortbewegungsfreiheit, die Freizügigkeit und die Berufsfreiheit. Sie werden durch die derzeitige Rechtsverordnung eingeschränkt. Wir wissen, dass das Oberverwaltungsgericht vielfach im Eilverfahren schon zu diesen Punkten entschieden hat. Hauptsacheverfahren stehen allerdings noch aus. Erst im Hauptsacheverfahren wird entschieden, ob es eines Gesetzes bedarf, um diese Grundrechte einschränken zu können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Verantwortung ist es, die Grundrechte der Saarländerinnen und Saarländer zu schützen, dabei durchaus abwägend, dass diese Grundrechtsausübung auch Schranken unterliegt. Würde beispielsweise durch die Ausübung eines Versammlungsrechts die Gesundheit anderer Menschen unverhältnismäßig gefährdet, so wäre das ein Beispiel, bei dem Schranken der Grundrechtsausübung greifen. Durch seine Gesetzgebung wird der Landtag zum zentralen öffentlichen Forum, in dem Maßstäbe, Kriterien, Bewertungsgrundlagen und ihre Verhältnismäßigkeit von den gewählten Vertreterinnen und Vertretern des Volkes öffentlich und nachvollziehbar erörtert werden. Dadurch erhalten diese Maßnahmen eine hohe Legitimation.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist doch gerade angesichts steigender Unsicherheit in Teilen der Bevölkerung geboten, um Extremisten und Verschwörungstheoretikern den Nährboden zu entziehen! Das Parlament ist der Ort, an dem breit unter Einbindung von Interessenvertretern und Sachverständigen diskutiert wird. Damit haben die Menschen in unserem Land auch die Möglichkeit, sich über Sinn und Zweck der Maßnahmen und auch über deren Hintergründe zu informieren. Die Anhörungen sind allesamt öffentlich, auch die Bevölkerung kann an ihnen teilnehmen. Gerade in diesen Zeiten muss doch der Parlamentarismus gestärkt werden! Diesbezüglich werden wir hier im Land in kurzer Zeit eine Vorreiterrolle übernommen haben.
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, zum Gesetzesentwurf der LINKEN: Dieser Gesetzesentwurf wurde am 13. Mai schon einmal eingebracht. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde diesen Gesetzesentwurf nicht in Bausch und Bogen verwerfen. Nein, denn die Zielrichtung, Herr Lafontaine, das Parlament zu stärken, diese Zielrichtung ist richtig. Seinerzeit, in Ihrer Rede am 13. Mai, hatten Sie auf die Gemeindeordnung verwiesen. Das ist nach meiner Ansicht falsch, denn die Regelungen, die für kommunale Parlamente gelten, sind nicht auf den verfassungsrechtlichen Parlamentarismus übertragbar.
Und um Ihre Frage betreffend den Zugriff der Polizei auf die Kontaktdaten zu beantworten: Wir haben dazu im Innenausschuss Berichte des Innenministeriums und auch der Staatsanwaltschaft gehört. Durch ein Gesetz zur Kontaktnachverfolgung können wir Bundesrecht nicht brechen, wir können damit die Regelungen der Strafprozessordnung nicht verwerfen. Die Regelungen der Strafprozessordnung gehen vor, die strafprozessualen Maßnahmen der Beschlagnahme von Listen sind weiterhin möglich; ich möchte allerdings auch auf das Bestehen eines Richtervorbehalts verweisen. Das können wir also durch unseren Gesetzesentwurf nicht regeln. Inwiefern die Verhältnismäßigkeit gegeben ist - Sie erwähnten das Beispiel des Handtaschendiebstahls und was wir dazu regeln können, das sollten wir in der Anhörung noch einmal klären.
Die Beteiligung des Parlaments ist in einer bestimmten Form möglich. Da das Gesetz aber substanzielle Grundrechtseingriffe legitimieren muss, muss es auch hinreichend bestimmt sein und darf die betroffenen Grundrechte nicht völlig unerwähnt lassen. Dies fehlt in Ihrem Gesetzentwurf.
Unsere Landesregierung wird durch das Bundesgesetz ermächtigt, diese Rechtsverordnung zu erlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE LINKE, dieser rechtsstaatliche Grundsatz der Formenstrenge - ich weiß, das wird jetzt etwas juristisch, das muss aber an dieser Stelle sein, um das zu erklären - verbietet es uns, durch Rechtsverordnung zu handeln. Wir können durch ein parlamentarisches Gesetz handeln, das die Rechtsverordnung der Landesregierung aufhebt. Wir können aber nicht einseitig die Rechtsverordnung der Regierung aufheben. Das wäre eine Verletzung des Gewaltenteilungsprinzips. Dem saarländischen Landtag bleibt es aber unbenommen, die Rechtsverordnung der Landesregierung obsolet werden zu lassen, indem er ein Gesetz erlässt. Wir können also eine Rechtsverordnung nicht in Teilen ändern, wir können aber quasi ein Gesetz darüberlegen, das diese Rechtsverordnung ersetzt.