Protokoll der Sitzung vom 25.02.2005

Aus dieser Unsicherheit heraus erwarten die Menschen in Sachsen heute ein eindeutiges Zeichen aus dem Landesparlament.

Ich weiß nicht genau, wie es Ihnen mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ging, aber ich empfand damals und empfinde immer noch sehr große Wut. Meine Damen und Herren speziell von der CDU-Fraktion, wenn ich gutmütig bin, dann unterstelle ich Ihnen Fahrlässigkeit. Sie haben halt die Ergebnisse Ihres Handelns nicht abwägen können, warum auch immer. Aber es ist schon unappetitlich, dass all diejenigen, die sowohl die Klage als auch das Urteil verantwortet oder begrüßt haben, als auch diejenigen, die über dieses Urteil entschieden haben oder heute Studiengebühren fordern, selbst in den Genuss eines gebührenfreien Studiums gekommen sind.

Meine Damen und Herren, Sie kündigen damit an einer weiteren Stelle den Generationenvertrag. Ihr eigenes Versagen in einer verfehlten Wirtschafts-, Bildungs- und Steuerpolitik wälzen Sie auf nachfolgende Generationen ab, besonders auf Familien mit Kindern. Bei denen fangen Sie jetzt manchmal an, plötzlich über soziale Gerechtigkeit zu reden. Es kommt das Argument der Krankenschwester, die nun angeblich das Studium des Chefarztes bezahlen würde. Aber dieses Beispiel zeigt doch eher die Ungerechtigkeit des vorhandenen Steuersystems. Will man Gerechtigkeit, müsste man den Kin

dern der Krankenschwester eine elternunabhängige Grundsicherung zur Verfügung stellen, um deren Studienwunsch zu befördern. Deren Kinder sind nämlich heute so gut wie ausgeschlossen von einem Studium.

Von 100 Kindern – jetzt hören Sie bitte gut zu! – unterer sozialer Herkunft schaffen nur 33 den Übergang auf das Gymnasium und nur acht überwinden die Schwelle zum Studium. Bei Kindern höherer sozialer Herkunft dagegen schaffen es von 100 Kindern 84 auf das Gymnasium und allein 72 schaffen die Aufnahme eines Studiums. Durch die Einführung von Studiengebühren oder vergleichbaren Modellen wird die soziale Schere weiter verschärft, denn Studiengebühren wirken ganz klar sozial selektiv; sie würden das hoch selektive Schulsystem in Deutschland und in Sachsen fortsetzen. Damit wird sozialer Gerechtigkeit nicht gedient.

Man hat den Verdacht, darum gehe es hier auch nicht, sondern es geht nur darum, dass Haushaltslöcher gestopft werden sollen, die Ihre Politik gerissen hat. Zur Verschleierung dessen werden uns verschiedene Märchen erzählt, zum Beispiel das Märchen von dem so armen Deutschland. Aber allein im Jahr 2002 ist die Zahl der deutschen Euro-Millionäre um 25 000 gestiegen. Durch den Verzicht auf die Vermögensteuer werden den Millionären mehr Steuern geschenkt, als der Bund für die Arbeitslosenhilfe aufwendet. Nach Berechnungen der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die nun weiß Gott nicht PDS-nah ist, könnte der Fiskus jährlich bis zu 129 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuern einnehmen. Dazu müsste man natürlich die Vermögensteuer wieder einführen, das Ehegattensplitting abschaffen und man bräuchte eine wirkliche Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und Steuerhinterziehung.

Es gibt ein weiteres Märchen in der Diskussion um Studiengebühren. Es wird gesagt, die Ressource Bildung stünde nur begrenzt zur Verfügung und müsse deswegen sinnvoll verteilt werden. Diese Argumentation ist kurzsichtig. Der Wissenschaftsrat, Hochschulforschungsinstitute und andere weisen bereits seit Jahren darauf hin, dass in vergleichbaren Industrieländern bereits mehr als 50 % eines Altersjahrgangs die Hochschulen besuchen. In Deutschland liegen wir bei gerade mal 30 %. Wir wissen – es gibt Studien in Dresden dazu –, dass sich der AkademikerInnenmangel verschärfen wird. Wir wissen auch, dass wir viel mehr Studierende, gerade aus bildungsfernen Schichten, gewinnen müssen. Wir brauchen auch eine Erhöhung des Frauenanteils mit Studienabschluss.

Ein drittes Märchen will ich Ihnen noch kurz erzählen, nämlich die Legende vom Bummelstudenten. Es wird oft erzählt, dass man Gebühren erheben müsse, um der Bummelstudenten Herr zu werden. Das ist eine Irreführung. Die überwiegende Mehrheit der Studierenden ist ganz objektiv nicht in der Lage, ihren Abschluss innerhalb der Regelstudienzeit zu machen.

(Regina Schulz, PDS: Das stimmt!)

Die Zahl der Studierenden, die neben ihrem Studium einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen, hat sich um rund 20 % erhöht, in den neuen Ländern gar um 35 %. Fast die Hälfte davon ist nur zur Sicherung ihres Lebensunterhalts auf diese Erwerbstätigkeit angewiesen. Das

heißt, die Konstruktion des Langzeitstudenten entspricht eher einer klassischen Sündenpolitik, die von der politischen Verantwortung für die Defizite in den Hochschulen ablenken soll.

Die PDS-Fraktion meint allerdings, es geht vielmehr darum, darüber nachzudenken, welche Instrumente wir brauchen, um den fortschreitenden Ausschluss junger Menschen vom Hochschulzugang bzw. dem Studienabbruch aufgrund ihrer sozialen Herkunft entgegenzuwirken. Die PDS-Fraktion steht zum Verfassungsziel, den freien Zugang zu öffentlichen Bildungseinrichtungen zu ermöglichen.

(Beifall bei der PDS)

Wenn wir die Studienabbrüche vermindern wollen, geht das nicht mit Sanktionen, sondern zum Beispiel mit der Einführung einer ein- bis zweisemestrigen Orientierungsphase am Anfang des Studiums. Eine solche Phase müsste fächerübergreifend sein. Sie sollte Grundlagen des wissenschaftlichen Denkens und der Lernmethodik vermitteln, und sie sollte begleitet werden durch MentorInnengespräche und richtungweisende Beratungsgespräche. Wir brauchen eine individuelle Unterstützung und Betreuung von Studierenden. Dies muss Grundbestandteil eines Studiums werden. Das heißt, dass Sozial- und Studienberatungssysteme ausgebaut und gefördert werden müssen. Natürlich brauchen ausländische Studierende eine viel bessere Betreuung, um den Austausch zu befördern.

Es werden auch größere Anstrengungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf, Studium und Familie unternommen werden müssen. Wir brauchen eine bedarfsgerechte Angebotsgestaltung der Kinderbetreuung usw.

Die PDS meint also, statt der Anwendung repressiver Maßnahmen, wie zum Beispiel Zwangsexmatrikulation und Studiengebühr, sehen wir in der Beratung und Förderung sowie der Verbesserung der Situation der Studierenden ein geeigneteres Mittel, einen erfolgreichen Abschluss des Studiums für mehr junge Menschen zu ermöglichen. Lassen Sie uns daran gemeinsam arbeiten!

(Beifall bei der PDS und des Abg. Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD)

Die CDU-Fraktion, Herr Dr. Wöller.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDSFraktion fordert mit dem vorliegenden Antrag ein gebührenfreies Studium in Sachsen. Der Antrag verkennt die geltende Rechtslage in Sachsen. Eindeutig gilt § 7 Abs. 5 des Verwaltungskostengesetzes des Freistaates Sachsen: Das grundständige Studium ist gebührenfrei. Gleiches gilt für das Zweitstudium, insoweit das Zweitstudium nicht mehr als vier Semester über die Regelstudienzeit des Erststudiums hinausgeht. Meine Damen und Herren! Der Freistaat Sachsen hat mit anderen Bundesländern gemeinsam gegen die Novelle des Hochschulrahmengesetzes des Bundes geklagt und erfolgreich ein Verbot der Erhebung von Studiengebühren verhindert. Das Bundesverfassungsgericht hat das

eindrucksvoll bestätigt. Das war nicht deshalb der Fall, weil Gebühren sofort eingeführt werden sollen, sondern weil sich der Bund in Kompetenzen einmischt, die ihn nichts angehen. Ich bin sehr dankbar, dass wir hier Rechtsklarheit geschaffen haben.

Meine Damen und Herren, unsere Auffassung ist es, dass wir Autonomie an den Hochschulen brauchen. Wir haben mit dem Hochschulkonsens erste Schritte in diese Richtung in Gang gesetzt, denen weitere folgen müssen. Dieser Prozess ist am Arbeiten.

Hochschulvereinbarung soll es auf der Ausgabenseite zu einer besseren Mittelverwendung kommen. Aber ich denke, wir müssen auch auf der Einnahmenseite sehen, dass wir Verbesserungen für die Hochschulen und insbesondere für die Studenten, die dort immatrikuliert sind, erwirken. Das bedeutet, dass wir uns darüber Gedanken machen, die Einnahmensituation zu verbessern, und zwar auch durch Beiträge von Studenten.

Dies muss natürlich durch klare staatliche Vorgaben geregelt sein, meine Damen und Herren. Das bedeutet insbesondere für den Haushalt: Diese Einnahmen, die dort vonseiten der Hochschulen erzielt werden können, dürfen erstens nicht in den Staatshaushalt fließen, zweitens darf es auch keine Abzüge von Seiten des Freistaates geben, weil hier Einnahmen erhoben worden sind. Das muss natürlich gewährleistet sein.

Meine Damen und Herren! Wir möchten nicht ausschließen, dass den Hochschulen die Möglichkeit eingeräumt wird, mit diesen Einnahmen die Qualität von Forschung und Lehre an den Hochschulen dauerhaft zu verbessern. Kein junger Mensch – und ich betone das namens der Koalition – darf durch die Erhebung von Beiträgen an der Aufnahme und Vollendung eines Studiums, für das er geeignet ist, gehindert werden.

(Beifall der Abg. Angelika Pfeiffer, CDU)

Diese Überlegungen müssen langfristig angestellt werden. Klar ist auch, dass es hier keine Denkverbote geben darf. Wir werden nicht den Fehler des Bundes machen, unseren Hochschulen und Universitäten zu verbieten, solche Beiträge zu erheben. Wir haben in Sachsen eine klare Rechtslage, die gilt. Insofern entbehrt Ihr Antrag jedes realen Hintergrundes. Deswegen lehnen wir ihn ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Ihre Rede war ein realer Hintergrund!)

Die SPD-Fraktion; Frau Dr. Raatz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit der SPD wird es ganz klar keine Studiengebühren in Sachsen geben.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD, und Beifall bei der PDS)

Auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hält die SPD-Landtagsfraktion an der Gebührenfreiheit für das Erststudium fest. Wir wenden uns wie die PDS

ganz klar gegen die Privatisierung staatlicher Bildungsaufgaben.

(Beifall bei der SPD und der PDS)

Ich denke, das haben wir auch an genügend Stellen deutlich gemacht. Ich muss Herrn Wöller da beipflichten: Es bedarf diesbezüglich keines Antrages, denn die Gebührenfreiheit ist in Sachsen geltendes Recht.

(Beifall der Abg. Angelika Pfeiffer, CDU)

Eine Änderung könnte ohnehin nur durch den Landtag geschehen, so dass der vorliegende Antrag ins Leere geht. Er bietet allerdings die Möglichkeit – und das wurde von meinen Vorrednern schon getan –, das Thema Studiengebühren hier im Plenum zu debattieren und auch zur Versachlichung der Debatte beizutragen.

Ich denke, wir sind uns darin einig, dass wir mehr Studierende und gut ausgebildete junge Leute brauchen. Der OECD-Durchschnitt von Studierenden eines Altersjahrganges liegt bei 51 %. In Deutschland lag er 2004 bei 38 %. Ich denke, das macht einiges deutlich.

Dabei muss insbesondere der Anteil der Studierenden aus sozial schwachen Familien – Frau Werner hat auch darauf hingewiesen – erhöht werden.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, PDS)

Er liegt derzeit bei nur 19 %. Ich denke, uns allen ist klar: Studiengebühren verfestigen diesen Anteil und binden Studienchancen an den Geldbeutel der Eltern.

Mit der BAföG-Reform hat die Bundesregierung das Studium für einen Großteil sozial benachteiligter Jugendlicher ermöglicht. In Sachsen liegt der Anteil dieser Jugendlichen, die BAföG erhalten, immerhin bei über 30 %. Das zeigt, dass diese Art der Ausbildungsförderung der richtige Weg ist, um eine höhere Bildungsbeteiligung zu erreichen. Studiengebühren würden hier kontraproduktiv wirken.

Ich stelle mir daher stets die Frage: Warum stehen Studiengebühren trotzdem immer wieder zur Diskussion? Ich denke, dass das hauptsächlich aus zwei Gründen geschieht.

Erstens erhofft man sich durch Studiengebühren finanzielle Vorteile für die Hochschulen. Herr Dr. Wöller hat das heute an einigen Stellen benannt. Ich meine, die Hochschulen selber und die Rektoren verschließen sich dem auch nicht. Denn oft sagen sie: Ja, wir könnten die Bibliotheken länger öffnen oder auch unsere Labors besser ausstatten.

Aber aller Voraussicht und Erfahrung nach wird das so nicht sein. Denn die Erfahrung zeigt, dass Studiengebühren für die Hochschulen ein finanzielles Nullsummenspiel sind. Denn warum sagen gerade die einen oder anderen Bundesländer – ich will nur Baden-Württemberg und Bayern anführen –, sie führen Studiengebühren ein? Die Gebühren fließen an den Hochschulen vorbei direkt in die öffentlichen Kassen. Die heute schon in BadenWürttemberg oder Niedersachsen erhobenen Studiengebühren für Langzeitstudenten kommen nahezu vollständig den Landeshaushalten zugute. Auch aus diesem

Grunde erklärt sich die Klage der Bundesländer vor dem Verfassungsgericht.

Selbst wenn gesetzlich sichergestellt wäre, dass Studiengebühren direkt den Hochschulen zufließen, ließe sich nicht verhindern, dass sich die öffentliche Hand Stück für Stück aus der Finanzierung der Hochschulen zurückzieht.

Das zeigt zum Beispiel das australische Studiengebührenmodell. Dort deckten die Studiengebühren anfangs 20 % des Universitätsbudgets. Bis heute hat sich der Anteil auf nahezu 40 % erhöht.

Auch im Fall von Österreich zeigt sich, dass die staatlichen Grundmittel 2004 deutlich abgesenkt wurden, obwohl das die Einnahmen durch Studiengebühren von etwa 140 Millionen Euro nicht deckten.

Der zweite Grund oder die zweite Annahme ist, das Studiengebühren die Studienzeit verkürzen und die Abbrecherquote verringern. Auch das ist ein Trugschluss. Schon heute übt ein Großteil von Studenten – im Durchschnitt sind es in Deutschland 68 % – Nebenjobs aus. Durch die Erhebung von Studiengebühren würde sich die finanzielle Belastung für die Studenten deutlich erhöhen. Die Notwendigkeit zu jobben steigt mit entsprechender Konsequenz dann natürlich für die Studiendauer.