Protokoll der Sitzung vom 25.02.2005

Ich freue mich, dass dabei gerade die mittelgroßen Firmen von der allgemein günstigen Geschäftsentwicklung der letzten Zeit profitieren konnten. Eine jüngst vorgestellte Studie des IWH hat gezeigt, dass entgegen der öffentlichen Wahrnehmung in Ostdeutschland die Anlageninvestitionen in der Industrie deutlich über denen Polens, Tschechiens und Ungarns liegen. Das ist ein Beitrag zur Standortdiskussion, den wir zur Kenntnis nehmen sollten, ja, zur Kenntnis nehmen müssen. Diese Zahlen können sich durchaus sehen lassen.

Aber weit wichtiger sind die Menschen, die sich hinter diesen Zahlen verbergen. Es sind zuallererst die Leistungen, der Fleiß, die Innovationskraft und die Flexibilität der sächsischen Unternehmer und ihrer Beschäftigten. Für mich ist die Botschaft klar: Sachsen ist eine Zukunftsregion und ein erstklassiger Wirtschaftsstandort mit einem ernormen Potenzial.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werden in der Staatsregierung alles tun, um die positiven Impulse zu verstärken. Der Freistaat Sachsen wird auch künftig im Rahmen seiner rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten Unternehmen, die in Sachsen investieren, unterstützen. Damit wollen wir folgende Ziele erreichen: Wir wollen Anreize für Neuansiedlungen in Wachstumsbereichen bieten, die strategische Marktanpassung im sächsischen Mittelstand unterstützen, um dort die nach wie vor schwierige Eigenkapitalbasis nachdrücklich zu stärken, und die Förderung auf die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen konzentrieren.

Auch wenn die Investitionsförderung aufgrund der sinkenden Mittelausstattung noch konzentriert werden muss, werden die genannten Ziele im Mittelpunkt der Politik der Staatsregierung stehen. Investitionsvorhaben, mit denen lediglich die bereits bestehenden Arbeitsplätze erhalten werden, können aufgrund der sinkenden Mittelausstattung und der hohen Mittelvorbindung bereits seit Anfang 2004 nicht mehr gefördert werden.

An dieser Stelle möchte ich auch Folgendes sagen: Die anderen Bundesländer wären froh, wenn sie unsere Probleme hätten. Gleichwohl unternehmen wir alles, um die hohe Investitionsneigung der sächsischen Wirtschaft zu unterstützen. In den kommenden Tagen erwarten wir die förmliche Zuweisung von weiteren Verpflichtungsermächtigungen des Bundes und, meine sehr verehrten Damen und Herren, bereits vor dem In-Kraft-Treten des Landeshaushaltes können im Vorgriff durch die SAB damit weitere GA-Förderanträge beschieden werden. Ich danke in diesem Zusammenhang dem Finanzministerium für die kooperative Zusammenarbeit mit meinem Haus.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Im Bereich der Unternehmensfinanzierung gehen wir neue, innovative Wege. Der Mittelständische Wachstumsfonds ist eine Initiative, die wir gemeinsam mit den

sächsischen Sparkassen und der Sächsischen Landesbank umsetzen. Mit Hilfe dieses Fonds wird zusätzliches Beteiligungskapital zur Verfügung gestellt und die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen verbessert.

Ich habe dem Fraktionsvorsitzenden der PDS, Herrn Porsch, gestern bei der Erwiderung auf die Einbringung des Landeshaushaltes durch Kollegen Metz sehr genau zugehört. Ich will Sie informieren: Der Mittelständische Wachstumsfonds wird sogar ein Volumen von 35 Millionen Euro haben.

(Beifall der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Er wird damit ein größeres Volumen aufweisen als in der Koalitionsvereinbarung fixiert.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Bitte, Herr Herbst.

Herr Staatsminister, Sie sprachen vom Mittelständischen Wachstumsfonds. Er wurde schon vor einem Jahr von Ihrem Amtsvorgänger angekündigt. Wann wird es praktisch so weit sein, dass die ersten Unternehmen von diesem Fonds profitieren?

Wenn Sie, Herr Herbst, mir weiter zuhören, werde ich Ihnen darauf eine Antwort geben. Die Tatsache, dass der Fonds auch von den Banken gespeist wird – darauf lege ich ausdrücklich Wert – und nicht nur Gelder aus dem sächsischen Landeshaushalt zur Verfügung gestellt werden, kann man doch nicht ernsthaft kritisieren, vor allem dann nicht, wenn man ansonsten den Rückzug der Banken aus der Mittelstandsfinanzierung beklagt.

Damit der Fonds seine Arbeit aufnehmen kann – jetzt, Herr Herbst, gehe ich auf Ihre Frage ein –, benötigen wir nun noch grünes Licht von der Europäischen Kommission aus Brüssel. Im Übrigen, Herr Herbst, ist dieser Fonds mehrmals umkonzipiert worden. Insofern sollten Sie davon ausgehen, dass er nicht mehr mit dem übereinstimmt, was im Jahre 2003 geplant war, dass aber die neue Koalitionsregierung zu diesem Fonds steht und dass wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, das übliche und unvermeidbare Verfahren bei der EU-Kommission durchstehen müssen. Aber ich bin optimistisch, dass der Fonds mit der Arbeit beginnen kann, wenn der sächsische Landeshaushalt verabschiedet ist.

(Beifall bei der SPD)

Es hat eine intensive wirtschaftspolitische Diskussion zu der Frage gegeben, ob wir die Förderung auf so genannte Leuchttürme konzentrieren sollen. Diese Gegenüberstellung geht an der Sache vorbei. Wir brauchen doch in Sachsen beides. Die Förderung muss dort ansetzen, wo wir bestmögliche Effekte erwarten können. Und das sind in Sachsen eben nicht nur die städtischen Zent

ren, sondern überall im Land gibt es kleine Leuchttürme. Bei Leuchttürmen kommt es ja nicht in erster Linie auf die Größe an. Sie müssen gut sichtbar sein, damit sie Orientierung geben können. Das ist letztlich entscheidend.

In den Koalitionsverhandlungen haben wir deshalb ein Förderprogramm „Regionales Wachstum“ vereinbart. Wir wollen es auf die Regionen außerhalb der Zentren und auf kleine und kleinste Unternehmen konzentrieren, die dort die Wirtschaft prägen. Derzeit laufen in meinem Haus intensive Vorbereitungen. Ich will, dass auch dieses Programm unmittelbar nach der Verabschiedung des Hauhaltes – denn dann erst ist es verfassungsrechtlich möglich – gestartet werden kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Die Eigenkapitaldecke vieler Unternehmen in Sachsen ist noch zu gering. Die Finanzierungsbedingungen haben sich verschlechtert. Die Baubranche hat die Talsohle anscheinend immer noch nicht überwunden. Der Arbeitsmarkt profitiert insgesamt nur wenig von der anziehenden Konjunktur. Sie haben in der Debatte zu Recht darauf hingewiesen, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten.

Ich habe eingangs gesagt, dass uns weder Schönreden noch Schlechtreden weiterhilft. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist bedrückend. Hier bleibt eine zentrale Herausforderung eben auch an die Politik. Arbeitslosigkeit ist das Ergebnis komplexer Ursachen und Verflechtungen. Das einfache Patentrezept gibt es nicht. Wir brauchen integrierte wirtschafts-, beschäftigungs-, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Konzepte und wir brauchen einen langen Atem.

Derzeit konzentriert sich die Politik darauf, die Arbeitslosen zu aktivieren. Wir müssen nun darangehen, den Arbeitsmarkt zu aktivieren. Hartz IV setzt an der Angebotsseite des Arbeitsmarktes an. Nun muss die Nachfrageseite belebt werden, denn Druck auf Arbeitslose ist nicht die Lösung.

(Beifall des Abg. Karl Nolle, SPD, und vereinzelt bei der PDS)

Der Wunderglaube, die Deregulierung des Arbeitsmarktes schaffe ein Beschäftigungswunder, führt in die Irre.

(Beifall des Abg. Ronald Weckesser, PDS)

Wir brauchen ein ausgewogenes Verhältnis von Flexibilität und sozialer Sicherung.

(Beifall des Abg. Peter Schowtka, CDU)

Ein besonders wichtiges Beispiel möchte ich an dieser Stelle nennen: Flexible Arbeitszeiten sind heutzutage in Sachsen selbstverständlich, auch wenn viele Betriebe die Möglichkeiten, die sie gesetzlich bereits haben, noch nicht ausschöpfen. Darum ist es umso wichtiger, dass eine gute Kinderbetreuung und Ganztagsschulen Beruf und Kinder vereinbar machen.

Eine wesentliche Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit und die steigende Langzeitarbeitslosigkeit ist die falsche

Finanzierung gesamtstaatlicher Aufgaben durch Sozialversicherungsbeiträge.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Faktor Arbeit wird in Deutschland mit einer Art „Strafsteuer“ belegt. Besonders deutlich tritt dieser Sachverhalt bei der Finanzierung der deutschen Einheit hervor. Ein IWHGutachten vom Januar 2005 belegt, dass im Jahre 2003 insgesamt 25 Milliarden Euro für den Aufbau Ost aus den Kassen der Sozialversicherung geflossen sind. Das ist der falsche Weg. Die Einheit Deutschlands ist eine Aufgabe, die von allen Steuerzahlern bezahlt werden muss und nicht zu einem großen Teil von Unternehmern und Arbeitnehmern mit ihren Beiträgen.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Eine Folge ist, dass die deutschen Unternehmer beschäftigungsintensive Teile der Wertschöpfung auslagern. Arbeit muss aber auch künftig in Deutschland bezahlbar bleiben. Ein Standort, der nur von Blaupausen lebt, hat keine wirkliche Zukunft – Wissensgesellschaft hin oder her.

Besonders alle mit niedriger Qualifikation sind von der falschen Finanzierung betroffen. Sie stellen auch den Hauptanteil der Langzeitarbeitslosen. Wir müssen das Problem der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme endlich wieder vom Kopf auf die Füße stellen.

Das Ziel ist klar: eine spürbare Entlastung der Arbeitskosten zugunsten der Arbeitnehmer und der Wirtschaft. Die Arbeitsmarkteffekte einer linearen Absenkung wären aber gerade in Wirtschaftsbereichen mit niedriger Produktivität und niedrigen Löhnen am geringsten.

Ich denke, wir sollten ernsthaft über einen allgemeinen Freibetrag in der Sozialversicherung diskutieren. Ein Freibetragsmodell in der Sozialversicherung entlastet den Faktor Arbeit insgesamt, aber niedrige Einkommen würden überproportional entlastet. Wir würden damit echte neue Beschäftigungschancen schaffen, gerade für diejenigen mit niedriger Qualifikation.

(Beifall bei der SPD)

Wir würden die typischen Probleme der Kombilohnmodelle vermeiden.

Das heißt auch, dass die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben über Steuern finanziert werden müssen. Wir befinden uns in der paradoxen Situation, dass die gesamtwirtschaftliche Steuerquote auf das Niveau der fünfziger Jahre gesunken ist, während sich die Sozialabgaben auf einem Rekordniveau befinden. Deutschland hat EU-weit mit 44,5 % den höchsten Anteil der Sozialversicherungsbeiträge an der gesamten Abgabenbelastung.

Eine ordnungspolitisch saubere Finanzierung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben ist nicht nur ein Beitrag zur Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern auch ein Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit. Die Patentrezepte, welche die Diskussion in unserem Land beherrscht haben, greifen aber nicht. Jeder Markt funktioniert nur, wenn Angebot und Nachfrage zueinander kommen. Wer auf einem

Auge blind ist, egal auf welchem, kann nur die Hälfte sehen. In den vergangenen Tagen mehren sich Besorgnis erregende Berichte, dass in Fleischereien Belegschaften komplett ausgetauscht werden.

(Heinz Lehmann, CDU: In Niedersachsen.)

Für mich zeigt das vor allem, dass wir Menschen nicht behandeln dürfen wie Waren. Der Arbeitsmarkt ist etwas anderes als der Gemüsemarkt. Marktradikale Denkmodelle schaffen keine neue Arbeit.

(Beifall bei der PDS)

Sie taugen nicht dazu, den sozialen Frieden und damit letzten Endes auch den wirtschaftlichen Fortschritt in einer Gesellschaft zu sichern. Es gibt keinen wirtschaftlichen, sozialen oder technologischen Fortschritt für sich genommen. Echter Fortschritt ist immer unteilbar und muss den Menschen zugute kommen. Wir müssen daher dringend, nicht zuletzt auf bundespolitischer Ebene, die Diskussion über die soziale Dimension der Europäischen Union neu führen.

(Beifall bei der SPD und der PDS)