Protokoll der Sitzung vom 25.02.2005

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich diesem Thema aus einer anderen Sichtweise nähern. Viele Facetten und Teile sind genannt worden. Lassen Sie mich trotz aller

Detailbezogenheit auf Sachsen das Thema noch einmal etwas globaler betrachten.

Unbestritten hat der Europäische Rat auf seiner Sondersitzung im März 2000 in Lissabon ein neues Kapitel der europäischen Politik aufgeschlagen. Die Festlegung eines neuen strategischen Zieles, in dessen Rahmen Beschäftigung, eine Reform der Wirtschaft und der soziale Zusammenhalt der EU gestärkt werden sollten, war der Beginn einer neuen Strategie. Unter der Überschrift „Der Weg in die Zukunft“ stellte damals der Europäische Rat fest: „Die Union hat sich heute ein neues strategisches Ziel für das kommende Jahrzehnt gesetzt: das Ziel, die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen, einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“

Es war die Rede von einer globalen Strategie, in deren Rahmen – und ich zitiere wieder – erstens der Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft durch bessere Politiken für die Informationsgesellschaft, für die Bereiche Forschung und Entwicklung sowie für die Forcierung des Prozesses der Strukturreform im Hinblick auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovation und die Vollendung des Binnenmarktes vorzubereiten ist, und zweitens das europäische Gesellschaftsmodell zu modernisieren, in die Menschen zu investieren und die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen und drittens für anhaltend gute wirtschaftliche Perspektiven und günstige Wachstumsaussichten Sorge zu tragen ist.

Lassen Sie mich Eckpunkte benennen. Zwei große Schwerpunkte stehen im Mittelpunkt. Wenn wir sie uns näher betrachten, lohnt es sich, jeden einzelnen Schwerpunkt auf sächsische Bedingungen herunterzudeklinieren. Sachsen ist Raum und Teil der EU. Alles das, was wir in der kleinen Region nicht umsetzen, kann in der Union insgesamt nicht wachsen. Eckpunkte sind zum Beispiel die Vorbereitung des Übergangs zu einer wettbewerbsfähigen, dynamischen und wissensbasierten Wirtschaft oder die Modernisierung des europäischen Gesellschaftsmodells durch Investitionen in die Menschen und Aufbau eines aktiven Wohlfahrtsstaates.

Es wurde bereits festgestellt, dass die Ziele, so wie sie damals aufgestellt und in vielen Facetten nochmals untersetzt wurden, nicht aufgegangen sind.

Zum so genannten Lissabon-Paket gehören 28 Hauptund 120 untergeordnete Ziele. Man hat sich also bemüht, das entsprechend herunterzubrechen. 22 Mitgliedsstaaten schreiben jährlich 300 Berichte. Es nützt nichts, wenn wir Berichte schreiben und Europa nicht leben.

(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Diese Schwierigkeit haben wir offensichtlich in vielen Bereichen. Es ist daher nur folgerichtig, wenn die Kommission im März 2005 dem Europäischen Rat einen Bericht vorlegt, der das ehrgeizige Ziel von Wachstum und Beschäftigung in einem Aktionsprogramm für die kommenden zehn Jahre festschreiben möchte.

Sicher ist, auch Sachsen muss im Rahmen der nationalen Umsetzung seinen Beitrag leisten. Das gilt nicht nur für die Weiterentwicklung im Rahmen der Biotechnologie und der Mikroelektronik, wo wir sicher einige Schwerpunkte auf Feldern, die dort angesetzt sind, aufzeigen können. Das gilt auch für andere Bereiche.

Ich habe mir unseren Koalitionsvertrag mit Blick auf die Lissabon-Eckpunkte vorgenommen. Dort wurden einige Aussagen getroffen, die Hoffnung zeitigen. Im Schwerpunkt „Europa und internationale Zusammenarbeit“ wird aufgezeigt, wie dringend es nötig ist, den Ausbau grenzüberschreitender Infrastruktur zu gestalten. Weitere Punkte in unserem Koalitionsvertrag sind die Verkehrsanbindung Böhmen und Niederschlesien, zweisprachige Schulen und Kultureinrichtungen. Auch zur Schlüsselrolle der Bildung für die persönliche Entwicklung jedes Einzelnen gibt es Aussagen im Koalitionsvertrag. Ich nenne hier nur die frühkindliche Förderung, die Verbesserung der Berufsfelder- und Arbeitsweltorientierung. Das geht bis hin zur Vernetzung von Hochschulen und KMU.

Meine Damen und Herren! Heute Morgen hat unser Wirtschaftsminister gesagt, dass wir eine integrierte Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik brauchen. Genau das ist es. Wir müssen lernen deutlich zu machen, dass auch das ein Teil dessen ist, was wir im Rahmen einer europäischen Weiterentwicklung ermöglichen können.

Zu sagen, es ist gescheitert, es gab so viele Punkte, die das schwierig gemacht haben – Frau Hermenau hat einige aufgezeigt –, ist die eine Seite. Wir haben uns auch hier in Sachsen zu Europa bekannt.

Frau Präsidentin! Ich möchte noch einen wichtigen Punkt aufgreifen und dann komme ich zum Schluss.

Es ist ein gutes Gefühl und ein Zeichen von Stärke, dass sich alle demokratischen Kräfte dieses Landtages einig sind. Dies erreichen wir nur in einem toleranten und weltoffenen Sachsen. Das ist wichtig für uns alle.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Die NPD-Fraktion erhält das Wort. Herr Abg. Leichsenring.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ausführungen waren hoch interessant. Die demokratischen Fraktionen bekennen sich also zu Europa und seinen Auswirkungen. Wer dem widerspricht, kann also kein Demokrat sein. Das ist sehr interessant.

Die Antragstellerin will über die Auswirkungen der EUMachenschaften im Zusammenhang mit dem so genannten Lissabon-Prozess auf die sächsische Wirtschafts- und Sozialpolitik diskutieren.

Was kann man erwarten von einem Prozess, der im Kern darauf hinausläuft, die überalterte Bevölkerung und implodierte kinderlose Gesellschaft noch weiter zu desorganisieren, sie auch noch ihrer sozialen Identität zu

berauben, sie durch verstärkte ausländische Billiglohnkonkurrenz im eigenen Land unter Druck zu setzen?

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Deutsche Unternehmer machen das!)

- Das haben wir doch am Mittwoch im ZDF gesehen.

Gleichzeitig soll durch Elitebildung auf High-tech der Rest der Welt durch Geisteskraft und jugendliche Vitalität übertroffen werden.

Diese Quadratur des Kreises kann nicht gelingen und ist noch niemandem – keiner Nation und keinem Kulturkreis – gelungen.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk nennt Günter Verheugen, der Vizepräsident der EU-Kommission mit Zuständigkeit für Industrie und Unternehmen, folgende Probleme, von denen Europa bedrängt werde: Erstens die schrumpfende und alternde Bevölkerung und zweitens die Abwanderung von Arbeitsplätzen in Länder mit niedrigeren Löhnen und niedrigeren Kosten. Wie will Verheugen diese Probleme lösen? Einerseits will er die wenigen verbliebenen halbwegs frischen Kräfte – ich weiß, das ist ein ironischer Unterton, aber er sei mir gestattet – auf einige wenige Schwerpunktbereiche konzentrieren: Forschung, Entwicklung, so genannte Innovationen, damit die Welt über unsere Findigkeit und jugendliche Schwungkraft in Staunen versetzt werden kann. Andererseits will er den alternden Rest, immerhin 80 %, die auf Arbeit und soziales Netz im eigenen Lebensraum angewiesen sind, mit Hilfe von vagabundierenden Arbeitstrupps aufmischen und massiv unter sozialen Druck setzen.

(Lachen der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Frau Hermenau, da können Sie lachen. Haben Sie am Mittwoch im ZDF den Fernsehbeitrag über die Fleischerei gesehen? Dann würde Ihnen das Lachen vergehen.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Was Sie hier für Parallelen ziehen!)

Ich glaube nicht, dass die Menschen draußen im Lande lachen über die Tatsache, dass ihre Arbeitsplätze wegrationalisiert bzw. dass sie durch andere Menschen ersetzt werden.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Die werden wegrationalisiert, das hat mit andern Menschen nichts zu tun. Was erzählen Sie für einen Unsinn?!)

Die werden wegrationalisiert durch Auslagerung von Arbeitsplätzen oder die Menschen aus Osteuropa kommen und nehmen die Arbeitsplätze weg. Das hätten Sie sehen können, wenn Sie sich den Beitrag im ZDF angeschaut hätten.

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

Das hat damit nichts zu tun.

Herr Leichsenring, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich gestatte.

Sie haben gerade den Begriff „Lebensraum“ benutzt. Wie definieren Sie den eigenen Lebensraum – so waren Ihre Worte? Definieren Sie den innerhalb der Grenzen der Europäischen Union, innerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland oder innerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches von 1941?

Ihre dümmlichen Fragen zeigen, wessen Geistes Kind Sie sind. Lebensraum ist natürlich etwas Subjektives. Jeder Mensch hat seinen Lebensraum. Wenn dieser Lebensraum in Gefahr ist, wird sich der Mensch dagegen wehren. Das werden Sie auch noch merken. Wie die Umfragen zeigen, haben Sie mittlerweile nur noch 4 % und werden irgendwann wieder dorthin gehen, wo Sie hingehören, nämlich in die außerparlamentarische Opposition.

(Beifall bei der NPD – Der Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE, tritt erneut ans Mikrofon.)

Ich gestatte keine weiteren Zwischenfragen.

(Karl Nolle, SPD: Dann können Sie auch keine beantworten!)

Die ganze Dienstleistungsrichtlinie bedeutet, dass wir verstärkt ausländische Konkurrenz, gerade im Bau-, Kfzund Montagebereich, aber auch bei Ingenieurdienstleistungen beobachten werden. Dadurch geraten die einheimischen Firmen massiv unter Druck, weil sie den nationalen Bestimmungen unterworfen sind und nicht wie die ausländischen Konkurrenten agieren können, die nur deren Regeln beachten müssen. Da zeigt sich das Problem des Herkunftslandprinzips.

Falls die EU am Herkunftslandprinzip festhält, so werden auf dem Boden eines Staates 25 parallele Rechtssysteme in 20 Sprachen gültig sein und in Konkurrenz zueinander treten. Das anzuwendende Recht wäre von Person zu Person bzw. Betrieb zu Betrieb, Dienstleistung zu Dienstleistung je nach Herkunft des Dienstleisters verschieden. Deutsche Richter müssten auch nach estnischem, dänischem und ungarischem Recht urteilen. Rechtschaos und ein Harakiri der europäischen Rechtsverfasstheit wären absehbar.

(Proteste bei der SPD und den GRÜNEN)

Das habe nicht ich gesagt, weil Sie den Kopf schütteln, sondern das hat die Frau Sperk gesagt. Die ist Berichterstatterin der Arbeitsgruppe Wirtschaft der SPD-Bundestagsfraktion. Da freue ich mich, dass Sie den Kopf schütteln.

(Heiterkeit und Beifall bei der NPD – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Was hat das mit anderen Menschen zu tun?)

Diese Dienstleistungsrichtlinie hat zur Folge, dass unser Staat, unsere Volksvertreter, dem nicht mehr Einhalt gebieten können.

Wir können unsere demokratischen Rechte als Volksvertreter nicht mehr wahrnehmen, weil EU-Recht natürlich

übergeordnetes Recht ist. Diese Dienstleistungsrichtlinie ist ein Knebelungsvertrag zur Liberalisierung des Dienstleistungssektors. Dieser Dienstleistungssektor soll uneingeschränkt dem Wettbewerb geöffnet werden, wobei wir alle praktisch jegliche Rechte zur Gestaltung des eigenen Lebensraumes, in diesem Falle Sachsens, verlieren sollen.

Das kommt auch überdeutlich in der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU heraus. Da steht nämlich wenig davon drin, dass die Lebensverhältnisse in Deutschland angeglichen werden sollen, sondern da spricht man auch von Angleichung an Böhmen und Polen, was dann auch zur Folge haben müsste, dass natürlich die Sozialleistungen und alles andere auch nivelliert werden.