Protokoll der Sitzung vom 06.03.2008

Natürlich gibt es an unseren sächsischen Schulen eine Berufsberatung. Das ist gar nicht strittig. Aber wir denken, dass es Zeit ist, diese zu verändern. Es gab in den ersten Jahren nach der Wende den Profilunterricht, dann hat man in den sächsischen Schulen gewechselt, und

heute haben wir an den Mittelschulen das Unterrichtsfach Wirtschaft, Technik, Hauswirtschaft, Soziales und die Neigungskurse mit jeweils zwei Unterrichtsstunden in der Woche. An den Gymnasien haben wir das Unterrichtsfach Gemeinschaftskunde, Rechtserziehung und Wirtschaft.

Die Idee, Neigungskurse an den Mittelschulen einzuführen, war sicherlich in der damaligen Zeit eine gute Idee. Doch die Praxis zeigt, dass die Neigungskurse nicht die Ergebnisse bringen, die eigentlich notwendig sind, und insbesondere für die Berufsorientierung sind sie nicht wirklich geeignet. Deshalb gehen wir davon aus, dass es notwendig ist, hier Veränderungen zu schaffen.

Wir stellen uns vor, dass durch das neue Unterrichtsfach in verschiedenen Modulen die Schüler an verschiedene Berufe herangeführt werden können. Diese Überlegung haben wir auch angestellt, weil wir glauben, dass für die Schüler die Motivation zum Lernen eine wesentlich größere wird. Schüler haben die Möglichkeit, sich in diesen entsprechenden Modulen auszuprobieren und die Berufe, die sie möglicherweise einmal ergreifen werden, auch kennenzulernen. Sie haben mit Personen, mit Erwachsenen zu tun, die nicht nur ihre Lehrer sind, sondern in der Wirtschaft stehen und arbeiten.

Auch die Wirtschaft begrüßt einen derartigen Unterricht. Wir haben an der Handwerkskammer in Chemnitz Gespräche geführt und erfahren, dass diese Handwerkskammer für alle Handwerkskammern in Sachsen ein Konzept im sächsischen Ministerium für Kultus eingereicht hat, in dem es um den modularen polytechnischen Unterricht geht. Nach unserem Kenntnisstand – ich hoffe, Herr Staatsminister, falls Sie nachher dazu reden, dass Sie uns dazu ein positives Beispiel bringen – ist es so, dass dieses Konzept durch das Kultusministerium negativ beschieden wurde, obwohl auch viele Landtagsabgeordnete der CDU die Einführung derartiger Unterrichtsfächer begrüßen würden.

Wir wissen – das ist in diesem Gespräch sehr deutlich geworden –, dass die Wirtschaft allein das Problem der so günstig wie möglichen Berufswahl der Jugendlichen nicht lösen kann. Wir wissen aber auch, dass die Schule allein das auch nicht lösen kann. Wir sind der Auffassung, dass hier ein wesentlich engerer Zusammenhang zwischen Schule und Wirtschaft hergestellt werden muss.

Nun wird vielleicht der eine oder andere von Ihnen sagen – auch wenn nur noch sehr wenige da sind –, dass das ja etwas ganz Neues ist, dass alles umgestellt und verändert werden muss. Nein, so ist es nicht. Diese Unterrichtsform wird an den verschiedenen Schulen in Projekten bereits praktiziert, und zwar erfolgreich. Von allen Schulleitern, mit denen ich diesbezüglich gesprochen habe, höre ich immer wieder: Wir brauchen dafür Mittel, wir brauchen dafür Personal. Wenn das funktioniert, haben wir eine Möglichkeit, in der Region mit den Einrichtungen und Betrieben zusammenzuarbeiten.

Es gibt das Motto im Kultusministerium – jedenfalls wird es durch den Minister sehr häufig genannt –: „Jeder zählt,

keinen Schüler zurücklassen“. Wir unterstützen dieses Motto, aber wir müssen auch Taten folgen lassen.

(Beifall der Abg. Andrea Roth, Linksfraktion)

Es reicht uns nicht, wenn in einzelnen Regionen gute Beispiele existieren. Wir wollen, dass es flächendeckend in ganz Sachsen für jeden Schüler eine Möglichkeit gibt, diese sehr günstige Berufsvorbereitung durchzuführen.

Was wollen wir nun im Einzelnen? Ich möchte die Punkte noch einmal kurz benennen, weil viele Hörer draußen nicht die Möglichkeit haben, in den Antrag zu schauen. Wir wollen für das kommende Schuljahr an Mittelschulen und Gymnasien ab der Klasse 7 alle 14 Tage an einem halben Unterrichtstag eine polytechnische Berufsvorbereitung. Darunter verstehen wir die stufenweise Einführung dieser Unterrichtsmodule und nicht ein „Alles-aufeinmal-Umstülpen“. Wir wollen, dass ein theoretischer berufsspezifischer Unterricht durchgeführt wird. Ich möchte hier nur ein Beispiel nennen: Wir wollen, dass in unseren Schulen wieder das Technische Zeichen im Unterrichtsfach bedient wird – was zurzeit leider nicht wirklich passiert.

Wir wollen des Weiteren, dass berufspraktischer Unterricht in Unternehmen und auch in den Berufsschulzentren durchgeführt werden kann. Wir wissen, dass wir perspektivisch wirklich Potenzial haben, das wir ausschöpfen können. Wir wollen auch, dass die Jugendlichen Berufsbesichtigungen durchführen – Besichtigungen in Instituten – und die eigentliche Arbeit kennenlernen. Wir wollen außerdem, dass spezielle Berufsfelder in Arbeitsgemeinschaften durchgeführt werden. Natürlich gibt es hierfür in der Praxis auch heute schon positive Beispiele.

Wir sind aber auch der Auffassung, dass die Lehrpläne, die derzeit existieren – für die Neigungskurse gibt es zum Beispiel gar keine Lehrpläne, das macht der Lehrer allein –, angepasst werden. Wir wollen nicht, dass sie neu geschrieben werden, sondern dass sie angepasst werden. Wir brauchen natürlich, um das wirklich flächendeckend zu realisieren, eine Organisation, eine Finanzierung und die personellen Voraussetzungen. Was ganz wichtig ist und was nach meiner Auffassung nicht den Schulen allein überlassen sein darf, ist, die geeigneten Unternehmen für dieses neue Unterrichtsfach zu finden.

Ich möchte Sie bitten, unserem Antrag zuzustimmen. Wenn Sie es so nicht geschafft haben, liebe Kollegen von der CDU, dann machen Sie es doch mit unserem Antrag.

(Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Es spricht die angesprochene CDU-Fraktion, vertreten durch Herrn Colditz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Inhalt des vorliegenden Antrages laufen Sie, meine Damen und Herren von der Linksfrakti

on, der Entwicklung wieder einmal hinterher. Ich darf Ihnen den Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „Berufs- und Arbeitsweltorientierung in allgemeinbildenden Schulen im Freistaat Sachsen“, Drucksache 4/7361, und die hierzu geführte Debatte in Erinnerung rufen. Frau Falken, wenn Sie sich diesen Antrag bzw. die Stellungnahme der Staatsregierung dazu durchlesen, dann werden Sie feststellen, dass dort weit mehr enthalten ist als nur die Neigungskurse oder das Fach WTH – wobei dieses Fach natürlich eine sehr bedeutsame Schlüsselfunktion in diesem Zusammenhang einnimmt.

Meine Damen und Herren, damals haben Sie diesen jetzt vorliegenden Antrag als Änderungsantrag gestellt; insofern haben wir uns eigentlich mit der Frage, die wir heute diskutieren, schon einmal befasst.

Die inhaltliche Ausrichtung unseres Antrages von damals umfasst die Fragen der Lehrplan- und Profilgestaltung an der Mittelschule, die Einbeziehung von Praxislehrorten in den schulischen Alltag, die damit verbundene Zusammenarbeit zwischen Schulen und Unternehmen genauso wie die Bezugnahme auf den mittlerweile eingeführten Berufswahlpass und die Lehrerfort- und -weiterbildung zu Fragen der Berufs- und Arbeitsweltorientierung.

Ihr vergleichsweise neuer Ansatz ist lediglich die schulorganisatorische Reaktivierung des Polytechnikunterrichts aus DDR-Zeiten in modifizierter Form.

Meine Damen und Herren, nicht nur als gelernter Lehrer für Polytechnik liegt es mir fern, dieses schulische Angebot im Nachgang leichtfertig zu diskreditieren. Im Gegenteil halte ich die Fortführung und Weiterentwicklung von wesentlichen Teilen dieses ehemaligen schulischen Angebotes für durchaus sinnvoll – und das ist ja mit der Schulgesetzgebung schon 1992 erfolgt.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Sie machen es doch nicht!)

Ich denke, dies kann man genauso ideologiefrei wie etwa die Renaissance der vorschulischen Bildung in Kindertageseinrichtungen diskutieren.

Gleichwohl, meine Damen und Herren, muss man allerdings anerkennen, dass sich die Rahmenbedingungen etwa für die Neubelebung polytechnischer Ausbildung geändert haben. Auch ist anzuerkennen, dass die Effizienz der schulischen Ausbildung von Berufs- und Arbeitsweltorientierung durchaus wirksamer erzielt werden kann als mit der Einführung eines neuen Unterrichtsfaches, vor allem wenn man den vorhandenen Fächerkanon in die Betrachtung einbezieht.

Abgesehen davon, dass damit eine ohnehin schon prall gefüllte Stundenzahl für unsere Mittelschulen noch weiter aufgeblasen würde, macht es keinen Sinn, die Schnittstelle zwischen Schule und Wirtschaft personell, finanziell und organisatorisch allein in die Verantwortung eines Unterrichtsfaches zu legen.

Die Berufs- und die Arbeitsweltorientierung steht in einem engen Zusammenhang mit der Anwendungsorien

tierung. Ganz wesentlich ist in diesem Zusammenhang der Erwerb anwendungsorientierten Wissens. Entsprechend wird im Leitbild für die Schulentwicklung, also dem Grundlagenpapier, auch für die Lehrpläne an unseren Schulen akzentuiert, dass der Erwerb anwendungsbereiten und anwendungsorientierten Wissens integraler Bestandteil des schulischen Wissenserwerbs sein muss.

Das Sächsische Schulgesetz, § 6 Abs. 1, und die Leistungsbeschreibung der Mittelschulen bestimmen, dass die Mittelschule eine allgemeine und berufsvorbereitende Bildung vermittelt und damit auch Voraussetzungen für eine berufliche Qualifizierung schafft. Damit ist die Berufsorientierung sowohl fachübergreifender Auftrag der Mittelschule als auch explizit ausgewiesener Bestandteil des im Schuljahr 2003/2004 neu eingeführten Faches Wirtschaft, Technik, Hauswirtschaft, Soziales.

Es wird in den Klassenstufen 7 bis 9 mit insgesamt acht Wochenstunden unterrichtet und die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass das Fach WTH auch hinsichtlich der Berufsorientierung einen geeigneten Ausgangspunkt für den fächerübergreifenden Unterricht darstellt.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Eben leider nicht!)

Meine Damen und Herren, Neigungskurse dienen der Ausprägung der Orientierungsfähigkeit von Schülern, der Vernetzung von erworbenem Grundlagenwissen, dem Erkennen von Problemen sowie dem Entwickeln und Erproben von Lösungsstrategien. Im Rahmen von Leistungskursen sollen auch Kooperationen mit beruflichen Schulzentren und außerschulischen Partnern entwickelt werden. Die Vertiefungskurse Wirtschaft, Gesundheit und Soziales – das haben Sie überhaupt nicht angesprochen, Frau Falken – in der Klassenstufe 10 intensivieren die Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt, mit Berufsbildern und Lebensentwürfen. Sie führen je einen der Inhaltsbereiche des WTH-Unterrichtes vertiefend fort.

Meine Damen und Herren, aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds werden seit 2006 Projekte zur Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit abschlussgefährdeter Hauptschüler gefördert. Diese Projekte sollen den betroffenen Jugendlichen einen anderen Zugang zum Lernen und Arbeiten eröffnen. Sie sollen besonders intensiv auf die Berufs- und Arbeitswelt vorbereiten und eine Lernbegleitung bieten, die die persönliche Lebenssituation von Schülerinnen und Schülern berücksichtigt.

Mit der Einführung eines eigenständigen Unterrichtsfaches würde uns demgegenüber sowohl die Möglichkeit eines solch differenzierten Einflusses auf eine bestimmte Schülerklientel als auch die Möglichkeit einer Finanzierung über EU-Mittel genommen werden. Das ist, was die Ausgestaltung des Schulalltags anbelangt, weder finanziell noch strukturell zu rechtfertigen.

Die konkrete Zusammenarbeit zwischen Schulen und Unternehmen ist eine wesentliche Voraussetzung, um die schulische Berufsorientierung praxisgerecht zu gestalten. Meine Damen und Herren, viele Schulen und Unterneh

men haben ihre Zusammenarbeit in bilateralen Kooperationsvereinbarungen bereits festgeschrieben.

Beispielhafte Regelungsgegenstände solcher Vereinbarungen sind:

die Zusammenarbeit bei der Durchführung von Schülerpraktika,

die fachliche Unterstützung von Schülerfirmen,

gemeinsame Projekte von Schülern und Auszubildenden,

die Einbeziehung von Unternehmen als Lernstandort,

die gemeinsame Realisierung von Wirtschaftsplanspielen,

die Einbeziehung von Unternehmen in den Unterricht, zum Beispiel in die Thematik unternehmerisches Handeln,

die Einbeziehung von Unternehmen in die Elternarbeit zur Berufsorientierung und nicht zuletzt

die Zusammenarbeit bei der Lehrerfortbildung.

Der Berufswahlpass ist ein bisher in neun Ländern erprobtes und bewährtes Instrument. Er soll den Schülern helfen, ihren Berufsorientierungsprozess zu organisieren, zu reflektieren und zu dokumentieren.

Darüber hinaus soll er die Verantwortung der Schule und ihrer Partner für die Berufsorientierung als gemeinsame Aufgabe stärken. Regionale Einzelaktivitäten können mit ihm besser gebündelt werden.

Im Zusammenhang mit der zur Diskussion stehenden Berufs- und Arbeitsweltorientierung an unseren Schulen stellt sich aber auch die Frage nach der Lehrerfort- und -weiterbildung. Auf dieses personelle Erfordernis nimmt der vorliegende Antrag der Linksfraktion überhaupt keinen Bezug. Demgegenüber lässt sich feststellen, dass im Bereich der Lehrerweiterbildung jedes Jahr neue Kurse zur berufsbegleitenden Weiterbildung gerade im Fach WTH ausgeschrieben und von Lehrkräften der Mittelschule auch absolviert werden. Ziel ist der Erwerb einer unbefristeten Lehrerlaubnis für dieses Fach, das den Bereich Berufs- und Arbeitsweltorientierung besonders einschließt.