Protokoll der Sitzung vom 06.03.2008

Meine Damen und Herren! Ich habe mich bei meinen Ausführungen bewusst an der Stellungnahme der Staatsregierung zu unserem bereits schon behandelten Antrag Berufs- und Arbeitsweltorientierung an allgemeinbildenden Schulen in Sachsen orientiert. Wie schon eingangs angemerkt, sind wir im praktischen Vollzug einer Berufs- und Arbeitsweltorientierung an unseren Schulen schon wesentlich weiter, als der vorliegende Antrag vermittelt und beschreibt. Wir lehnen deshalb den vorliegenden Antrag ab.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD und Beifall des Staatsministers Steffen Flath)

Es spricht jetzt die SPD-Fraktion, vertreten durch Herrn Dulig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Probleme werden wir mit Populismus nicht lösen können. Allein die Tatsache, dass wir diesen umfänglichen und bis ins Detail gehenden Antrag im Plenum und nicht im Ausschuss diskutieren, ist ein offensichtliches Indiz für den Zweck des Antrages:

(Widerspruch der Abg. Cornelia Falken, Linksfraktion)

Es geht nicht um das Finden von Lösungen, sondern um das Senden symbolischer Botschaften.

Schauen wir uns den Antrag inhaltlich etwas genauer an. Zunächst fällt schon die Nähe zum Polytechnikunterricht der DDR auf. Das wäre an sich nicht so schlimm, wenn nicht schon längst unsere Schulen inhaltlich und strukturell diesen Bezug aufgenommen hätten.

(Cornelia Falken, Linksfraktion, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Ich kann mir das hier sparen darzustellen, weil wir es gerade von Herrn Colditz gehört haben und in der Stellungnahme des Kultusministeriums zu diesem Antrag und zu unserem Antrag „Berufs- und Arbeitsweltorientierung an allgemeinbildenden Schulen im Freistaat Sachsen“ nachlesen können. Auch möchte ich auf die Stellungnahme des Wirtschaftsministers zum Koalitionsantrag „Berufsorientierung“ verweisen.

Herr Dulig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Er gestattet.

Herr Dulig, war denn der Antrag zur Berufsvorbereitung, den Sie mit der CDUFraktion gemeinsam im Plenum gestellt haben, auch ein populistischer Antrag?

Nein, er war zielorientiert und hat genau den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie setzen auf ein Thema, das vielleicht aufgrund der biografischen Erfahrungen der Menschen positiv ankommt, obwohl es eigentlich, Frau Falken, Ihren eigenen bildungspolitischen und pädagogischen Ansprüchen widerspricht. Dazu komme ich noch einmal.

Der aufmerksame politische Beobachter wird bemerkt haben, dass es die PDS vielleicht wurmte, dass auf diesem Gebiet andere politisch aktiver waren. Im Ausschuss hätte man nicht so viel Beachtung gefunden und vor allem argumentativ gar nicht mehr darstellen können, was man im Antrag fordert. Wir hätten uns sicher im Ausschuss praxisnah informieren können, wie die verschiedenen Beteiligten, also die Schülerinnen und Schüler, die Partner in Wirtschaft und Verwaltung, die Lehrkräfte und schließlich die Eltern die derzeitige Praxis der Arbeitswelt und

Berufsorientierung einschätzen und welche Anregungen der Ausschuss der Kultusverwaltung hätte mit auf den Weg geben können.

Was wäre denn das Neue gegenüber dem, was wir bereits machen und entwickeln? Offensichtlich die Zusammenfassung des Querschnittsthemas Berufsorientierung in einem Fach. Ist das vernünftig? Nun, wenn man immer noch ein Bild vom Lernen als häppchenweises Auffüllen bestimmter Gehirnschubladen hat, dann sicher. Dann müsste man auch konsequent sein und sich ebenso anderen wichtigen Themen und Problemen zuwenden. Mit gleicher Berechtigung müsste man zumindest „Gesundheitserziehung“, „Umwelterziehung“, „Medienkunde“ und vielleicht auch noch „Verkehrserziehung“, sicher auch noch “Friedenserziehung“ und „Lernen lernen“ einführen, denn das sind zweifellos wichtige Themen, bei denen Handlungsbedarf und ein entsprechender Bildungsauftrag für die Schulen besteht.

(Beifall der Abg. Dr. Gisela Schwarz, SPD, und Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE)

Die Folgen einer solchen Ausweitung des Fächerspektrums wären in doppelter Hinsicht fatal. Zum einen laufen sie wissenschaftlich begründeten und international üblichen Trends der Verringerung der Fächerzersplitterung zugunsten der Gestaltung ganzheitlicher Lernprozesse entgegen. So ist das eben, wenn man in die Mottenkiste greift. Zum anderen aber produziert die Ausdehnung des Fächerkanons die Fiktion, dass ein Fach eine bestimmte Kompetenz ausbilden könnte. Das ist der gleiche Unsinn, als wenn ich sage, Lesekompetenz wird nur in Deutsch ausgebildet, demokratische Werte werden nur in Gemeinschaftskunde und Ethik oder Religion vermittelt. Wem dies nicht als Unsinn erscheint, dem sei gesagt, dass man Lesen durch Lesen lernt und demokratische Werte sich im gesellschaftlichen Alltag aneignet.

Die Schule kann diese Prozesse anschieben, stützen, fördern. Sie kann im einzelnen Unterricht sicher spezifische Beiträge liefern, etwa in der Schuleingangsphase oder in Gemeinschaftskunde, Religion oder Ethik, aber es ist fatal, in der Schule derart fächerbezogen zu denken. Es verschafft dem einzelnen Fachlehrer die Illusion, auf die übergreifenden Aspekte weniger eingehen zu müssen, weil es dafür ein Fach gibt.

Wenn wir auf Polytechnik zur Berufsvorbereitung zurückkommen, so muss aus unserer Sicht der Weg genau in die andere Richtung gehen: dass im gesamten Lernprozess immer die passenden Bezüge hergestellt werden, dass die Lernprozesse in allen Fächern ganzheitlich gestaltet werden und dass die Schulen das reformpädagogische polytechnische Prinzip in ihrem Schulprogramm stärker verankern und im Schulalltag praktizieren, aber nicht in einem Fach.

(Cornelia Falken, Linksfraktion: Jetzt machen in Sachsen, nicht in zehn Jahren!)

Genau das meine ich. Wo ist die PDS mit ihrem Bildungsprogramm? Was wollen Sie denn? Wollen Sie nur

herumschustern an dem, was jetzt ist, oder haben Sie Visionen? Sie sind völlig widersprüchlich.

(Widerspruch bei der Linksfraktion)

Ich bin wirklich gespannt, wann wir Klarheit bekommen, wofür Sie bildungspolitisch stehen.

Es gibt eine weitere Folge mit der Einführung von Unterrichtsfächern im Kontext unserer Lernkultur: Ein Fach wird bewertet. Schulische Bewertung, wie wir sie maßgeblich an unseren Schulen finden und von Ihnen fordern, kann zur Entfremdung von Lernprozessen führen, weil sie die Motivation nachhaltig verändert oder sogar zerstört. Wenn wir uns darauf besinnen, was in den Leitlinien für die Mittelschulen und Gymnasien als Bildungsauftrag formuliert ist und welche Orientierungen dort ungeachtet der bestehenden strukturellen und organisatorischen Vorgaben gegeben werden, dann müssen wir alles daransetzen, gerade kein Fach Polytechnik/Berufsorientierung einzuführen. Stattdessen müssen wir dafür sorgen, dass die Schulen die ihnen zugewiesene Verantwortung übernehmen und übernehmen können. Dafür ist sicher noch einiges zu tun, jedoch auf keinen Fall noch mehr staatliche Regulierung angezeigt.

Wir werden diesen Antrag ablehnen. Damit dies nicht falsch verstanden wird, noch einmal mit aller Deutlichkeit: Wir werden uns weiter intensiv dafür einsetzen, dass sich die Lebensweltorientierung überhaupt und speziell die Arbeitswelt- und Berufsorientierung an unseren Schulen verbessert und die Schulen sich dazu in ihrem Umfeld in vielfältiger Form öffnen, auch über die Nutzung von Ganztagsangeboten. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, der Lernkultur an unseren Schulen noch stärker einen ganzheitlichen Charakter zu verleihen, um unsere jungen Menschen zu stärken und mit den nötigen Kompetenzen auszustatten.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Danke schön. – Nach Ihnen spricht die NPD-Fraktion. Frau Schüßler, Sie sind wieder dran.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich ist schon aus den Erfahrungen – da schließe ich meine persönlichen ein – ein polytechnischer Unterricht zu begrüßen. Es gibt seit geraumer Zeit Forderungen in diese Richtung aus der Wirtschaft oder zum Beispiel von der Handwerkskammer Chemnitz. Frau Falken hatte vorhin das Konzept schon angesprochen.

Allerdings basieren Ihre Vorstellungen, meine Damen und Herren von der Linksfraktion, auf der DDR, die ein völlig anderes gesellschaftspolitisches Gefüge hatte. Sie lassen zum Beispiel völlig unberücksichtigt, dass es in den meisten Regionen Sachsens nicht einmal annähernd für vier Jahrgangsstufen geeignete Betriebe gibt, die diesen

Bedarf abdecken könnten. Sie ignorieren also wieder einmal die Realitäten.

In der Stellungnahme der Staatsregierung wird darauf verwiesen, dass die Inhalte dieses angedachten Polytechnikunterrichts fächerübergreifend gelehrt werden. So ähnlich hatten Sie das schon beim Fach Gesunde Ernährung gehalten, allerdings halten wir eigene neue Unterrichtsfächer Polytechnik und Familienkunde sowie Gesunde Ernährung/Gesunde Lebensweise für weiterführender.

Deshalb werden wir diesen Antrag auch nicht ablehnen. Trotz unserer Zustimmung möchte ich betonen, dass Sie tief in die Wünsch-Dir-was-Kiste greifen und der Antrag so nicht realisierbar sein dürfte. Besonders die Punkte 4 und 5 scheinen uns in der Kürze der Zeit nicht umsetzbar. Begrüßenswert ist aber, dass die Linksfraktion trotz allem billigen Populismus, der aus dem Antrag herausschimmert, das Thema wieder ins Plenum gebracht hat. Der Fachkräftemangel wird zunehmend auch in Sachsen ein Problem werden, gerade in der Industrie mit Elektrotechnik, Maschinenbau usw. Das ist ja bekannt. Hier könnten sich Schule und Wirtschaft gegenseitig zuarbeiten, um Schüler bei der Berufsorientierung und Berufswahl zu unterstützen, Jugendliche rechtzeitig für Berufe in der Industrie zu interessieren und ihnen somit auch eine Zukunft in ihrer sächsischen Heimat zu ermöglichen.

Wir halten diese Form der Berufsorientierung für effektiver und sinnvoller als beispielsweise den jährlichen Girls’Day und bald wohl auch den Boys’ Day. Deshalb werden wir den Antrag nicht ablehnen, auch wenn er – wie gesagt – leider ziemlich populistisch ist.

Der polytechnische Unterricht als eigenständiges Fach bleibt trotzdem ein begrüßenswerter Vorschlag. Allerdings müssten die Voraussetzungen vorhanden sein und deutlich weitergehende Diskussionen zu dem Thema geführt werden. Das ist wohl in den wenigen Monaten bis zum Beginn des neuen Schuljahres einfach nicht zu leisten.

Zum Beispiel bleiben die Fragen der Versicherung außen vor, die Entschädigung für die teilnehmenden Unternehmen, Qualifizierungsmaßnahmen für Meister und betriebliche Angestellte – das wurde schon angesprochen – oder die theoretische Grundlagenbildung für die Schüler, um nur einige zu nennen.

Also, es gibt noch ziemlich viele Mängel, aber wir werden trotzdem zustimmen, um unsere grundsätzliche Befürwortung der Idee – polytechnischer Unterricht als eigenständiges Fach – zu signalisieren.

Besten Dank.

(Beifall bei der NPD)

Herr Herbst, Sie haben die Gelegenheit, für die FDP zu sprechen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! DIE LINKE ist immer wieder mal für Überraschungen gut. Normalerweise, so

habe ich das zumindest bisher mitbekommen, fürchten Sie immer den Einfluss von Unternehmen auf Schule wie der Teufel das Weihwasser.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Sponsoring!)

Ich erinnerte mich jüngst an eine Diskussion – genau! – im Schulausschuss, bei der es um Werbung und Sponsoring von Unternehmen in Schulen ging. Da waren Sie eigentlich der Meinung, selbst der Coca-Cola-Automat sollte weggeräumt werden, weil die armen Schüler dadurch zu sehr beeinflusst würden.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Aber auch aus Gesundheitsgründen!)

Bei der Linken hat man oft den Eindruck, dass Unternehmen und Unternehmer die Verkörperung des Bösen schlechthin darstellen. Vor deren wirklich schlimmem Einfluss müsste man die Kinder in ihrer schulischen Idylle schützen.

Jetzt sorgt sich DIE LINKE um die Berufsorientierung unserer Schüler. Der Sinneswandel ist zunächst einmal erfreulich, auch wenn die Antragstellerin das Anliegen in einen nostalgischen – oder ich müsste besser sagen – ostalgischen Mantel verpackt hat.

(Beifall bei der FDP)