Protokoll der Sitzung vom 06.03.2008

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, so ganz geheuer scheint Ihnen das Thema Schule und Wirtschaft nicht zu sein. Immerhin wird das Ganze durch den Begriff Polytechnikunterricht dann kommunismuskompatibel, frei nach dem Motto: Was in der DDR gut war, kann auch heute nicht schlecht sein.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das polytechnische Prinzip gibt es auch in Frankreich!)

Nun bleiben wir einmal beim Begriff. Woran denken wir denn beim Wort Polytechnikunterricht? An die DDR und an die Einführung des Arbeitsunterrichts 1958? Das sind die wirklich Älteren, die daran denken. Vielleicht auch an den UTP. In meiner Generation denkt man an Produktive Arbeit (PA) oder Einführung in die Sozialistische Produktion (ESP). Die wollen wir, glaube ich, nicht mehr. Da könnten mittlerweile vielleicht auch die Linken mitgehen; hoffe ich zumindest.

(Tino Günther, FDP: Na?!)

Aber selbst wenn man die DDR-Erfahrung berücksichtigt, es war nicht nur alles positiv. Vielleicht wusste der eine oder andere, was er später nicht lernen mochte.

(Regina Schulz, Linksfraktion: Genau!)

Aber dass dies praktische Berufsorientierungen waren, dass das nur hilfreich war, möchte ich aus eigener Erfahrung wirklich bestreiten. Die Adressaten Ihres Polytechnikunterrichtes, den Sie wollen, sind ja offenbar auch nicht DDR-Nostalgiker, sondern die heutigen Schüler und die heutigen Unternehmer. Ob da der Begriff Polytechnik tatsächlich der richtige ist, da habe ich – und ich glaube, auch meine Fraktionskollegen – erhebliche Zweifel.

(Beifall bei der FDP)

Es ist zu begrüßen, dass DIE LINKE jetzt die Berufsorientierung systematischer gestalten will und dass sie sich Gedanken macht, wie man Schüler frühzeitig mit der Arbeitswelt vertraut macht. Ohne Zweifel ist das auch dringend notwendig. Die Frage ist aber, ob man eine von oben durchgedrückte und bürokratische Zwangsbeglückung braucht oder ob man nicht besser funktionierende Projekte unterstützt und dort, wo vielleicht die Erfahrung noch fehlt, über die Projekte und die Erfahrungen berichtet, mit denen es erfolgreich läuft.

Ich denke da zum Beispiel an Großröhrsdorf. Da gibt es zusammen mit Unternehmen und der Mittelschule einen Neigungskurs Kunststofftechnik. Das funktioniert seit einiger Zeit hervorragend. Ich glaube, das ist besser als jede von oben aufgedrückte Richtlinie oder quasi von oben aufgedrückte Projekte des Kultusministeriums.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Eine Schule!)

Es gibt von diesen Projekten – lieber Herr Hahn, das wissen Sie vielleicht nicht, da müssten Sie sich einmal im Land umschauen – viele, viele in ganz Sachsen.

(Falk Neubert, Linksfraktion: Leider zu wenige!)

Es werden mehr. Und ich glaube, das Interesse der Unternehmen nimmt auch zu. Natürlich muss man klar sagen, dass es auch eine Zeit gab, in der das nicht so war und die Ausbildungslage noch so war, dass man viele Bewerbungen bekommen hat. Aber die meisten sehen, sie müssen jetzt etwas tun. Ich habe durchaus das Gefühl, dass sich hier eine Menge bewegt.

Aber ich sage auch: So wenig wie der Antrag der Linken überzeugt, so wenig überzeugt auch die Antwort des Kultusministeriums. Denn wenn es danach geht, dann ist irgendwie alles bestens: In den Fächern, in den Lehrplänen ist alles berücksichtigt. Im Übrigen gibt es ja auch Praktika.

Wenn die Antwort von den Linken in der Regierung käme – die ja Gott sei Dank nicht in der Regierung sind –, würden sie melden: 150 % Planerfüllung.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Wir wissen inzwischen auch, dass es nicht über 100 % geht!)

Kein Wort darüber, dass es Mängel bei der Verknüpfung zwischen Unterrichtstheorie und beruflicher Praxis gibt. Kein Wort darüber, dass die Praktika, die auch vorgeschrieben sind, oft nicht zielführend sind. Und kein Wort darüber, dass es dem Kultusministerium bis heute nicht gelungen ist, die Berufsorientierung in Zusammenarbeit mit der Landesarbeitsgemeinschaft Schule-Wirtschaft vernünftig landesweit zu koordinieren und eine zentrale Anlaufstelle zu schaffen.

Was ist mit dem Vorzeigeprojekt Berufswahlpass? Wie viele Schüler haben den bisher? Ich glaube, wenn wir uns die Zahlen anschauen, dann haben wir keinen Grund fürs Schulterklopfen.

Sie werden vielleicht noch sagen: Wir haben aber das Berufswahlsiegel eingeführt. In der Tat. Doch auch das ist nicht das Verdienst der Landesregierung, sondern des Landtages, der immerhin auf einen Antrag der FDPFraktion hin dieses Projekt beschlossen hat.

Die Staatsregierung spricht viel über Berufsorientierung, doch zwischen der Ankündigung und den Taten klafft oft eine große Lücke. Natürlich müssen wir umdenken, wenn wir uns vorstellen, dass es bald mehr Ausbildungsplätze als potenzielle Bewerber gibt. Schüler sollen in der Lage sein zu erkennen, in welchen Wirtschaftsbereichen sie eine erfolgreiche Zukunft haben, wo sie ihre eigene Erfüllung auch finden können und von welchem Job sie später einmal ordentlich leben können. Solange das nicht geschieht, verschenken wir Potenziale. Das können wir uns nicht länger leisten. Wir werden uns bei Ihrem Antrag deshalb enthalten.

(Beifall bei der FDP)

Frau GüntherSchmidt spricht für die Fraktion der GRÜNEN, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag ist für mich Ausdruck eines niedergeschriebenen Phantomschmerzes. Die PDS will offenbar die DDR-Schulpolitik zurückhaben.

(Dr. Monika Runge, Linksfraktion: Ach nein!)

Ich weiß nicht, ob Gott da helfen kann bei dem lauten Wehklagen. Ich denke, dafür ist es zu spät. Sie vergessen nämlich konsequent, dass sich in den letzten 20 Jahren die Welt grundlegend geändert hat.

(Lachen der Abg. Dr. Monika Runge, Linksfraktion – Dr. André Hahn, Linksfraktion: In der Schule nicht!)

Frau Dr. Runge, mich hat gestern Ihr Beitrag zur DDRVergangenheit sehr irritiert und jetzt Ihre Reaktion wiederum. Ich werde einfach versuchen, konsequent fortzufahren.

Also in den letzten 20 Jahren – Sie haben es nicht mitbekommen – hat sich die Welt verändert. Unternehmen sind vorrangig an Gewinnerzielung orientiert und haben nicht mehr die Zeit, sich wöchentlich um eine Schulklasse zu kümmern. Es gibt nicht mehr das schuleigene benachbarte Betriebskombinat. Hätten Sie Ihr Anliegen doch lieber damit umschrieben, dass Sie erfolgreiche Berufsorientierung in den Schulen betreiben wollen, dann hätten Sie hier bestimmt eine größere Zustimmung erlangt.

Denn die Mängel auf dem Gebiet der Berufsorientierung hat die Staatsregierung ja beredt in ihrer Stellungnahme zu Ihrem Antrag offenbart. Es gibt zwar eine Reihe guter Ansätze, aber die ersetzen immer noch kein Konzept. Das erkennen wir auch in anderen Bereichen. Es werden ein paar Leuchttürme gebaut und der Rest steht im Schatten.

Aber zurück zu Ihrem Antrag. Sie fordern, alle zwei Wochen einen halben Unterrichtstag für den sogenannten polytechnischen Unterricht zu verwenden. Wie wollen Sie denn das machen? Sollen andere Fächer dafür in ihrem Stundenumfang gekürzt werden? Oder findet das als zusätzlicher Unterricht statt? Hier geben Sie uns keine Antwort.

Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie mit Ihrem Antrag ein zusätzliches Fach mit circa zwei bis drei Wochenstunden einführen? Wie wollen Sie das mit der Frage der Benotung lösen? Jedes Unterrichtsfach hat am Ende eines Schulhalbjahres eine Bewertung der Leistung vorzunehmen.

Moderne Berufsorientierung findet im Unterschied zu Ihrem Antrag heute fächerübergreifend statt. Damit muss sich jeder Lehrer und jede Lehrerin verantwortlich fühlen. Natürlich müssen hierfür Unternehmen in die Schulen geholt werden.

Ich muss jetzt auch noch einmal auf die Debatte im Schulausschuss zu sprechen kommen. Das, was der Kultusminister mit dem ADAC in der Grundschule gemacht hat, wo der kleine ADACUS verliehen wurde, oder was Sie neulich mit Vattenfall gemacht haben, wo Sie eine Glühlampe überreicht haben – ich hoffe ja immer, es geht ein Licht auf –, das kann natürlich nicht das Beispiel sein, das zielführend ist.

Sinnvoll erscheinen mir in diesem Zusammenhang auch verpflichtende Praktika für Lehrerinnen und Lehrer, denn auch ihnen fehlt häufig genug – das will ich ihnen nicht persönlich zum Vorwurf machen, sondern das ist auch eine Frage von Zeit – eine realistische Vorstellung von den Abläufen in den modernen Wirtschaftsunternehmen.

Was sagen aber eigentlich die Unternehmen zu Ihrem Antrag? Wir waren in der vergangenen Woche auf Weiterbildungstour in Sachsen und haben neben einem Fachgespräch auch mehrere Unternehmen besucht. Bei dieser Gelegenheit haben wir die Frage des polytechnischen Unterrichts, so wie Sie ihn in Ihrem Antrag dargelegt haben, aufgeworfen. Die Unternehmen waren durchgehend skeptisch, was die Zielführung anbelangt.

Meine Fraktion hatte eigentlich vor, Ihren Antrag durch einen Änderungsantrag zu qualifizieren. Leider lässt die Geschäftsordnung des Landtages das nicht so zu, wie wir es wollten; denn diese Qualifizierung wäre eine ersetzende Überschreibung gewesen. Da dies offenbar nicht möglich ist, wird meine Fraktion den vorliegenden Antrag ablehnen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das war die erste Runde der Fraktionen. Gibt es weiteren Aussprachebedarf? – Die Linksfraktion noch einmal. Frau Falken.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So ganz kann ich

gar nicht verstehen, wo Ihre Aufregung eigentlich liegt. Wir in der Linksfraktion haben uns Gedanken gemacht, weil wir der Auffassung sind und entsprechende Äußerungen sowohl aus den Schulen als auch aus den Wirtschaftsbereichen haben, dass das, was zurzeit passiert, nicht ausreicht. Wir haben immer wieder die Diskussionen in der Schule und in der Wirtschaft, dass die Jugendlichen nicht gut genug vorbereitet sind, dass die Voraussetzungen fehlen,

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Falsche Vorstellungen vom Leben!)

dass sie nicht motiviert sind usw., dass die Lehrer sagen, dass sie gerade in bestimmten Klassen bei bestimmten Schülern zunehmend Schwierigkeiten und Probleme haben.

Schauen Sie sich doch Sachsen-Anhalt an. Dort macht man fächerübergreifend nur in Wirtschaft Unterricht. Es gibt dort, und zwar flächendeckend, die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler nur in Wirtschaft unterrichtet werden – und das bereits seit der 7. Klasse.

Machen wir uns doch nichts vor, Herr Colditz. Ihre Rede war für mich ungefähr so: Bei uns ist alles in Ordnung, wir brauchen nichts mehr zu machen, damit hat es sich erledigt. – Es hat sich eben nicht erledigt! Wir werden in den nächsten Jahren zunehmend mit diesem Problem konfrontiert sein, und wir müssen uns – ich bitte Sie! – parlamentarisch Gedanken machen. Ich denke, dass es nicht allein der Verwaltung obliegt, was da in der Schule passiert und was nicht. Es ist unsere Aufgabe.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Dulig, eine Musterschule, wie Sie sie sich vorstellen, möchte ich auch gern haben. Das ist gar keine Frage. Aber ich lebe zurzeit in dieser Realität, wo die CDU entscheidet, was in der Bildungspolitik passiert, und nicht die SPD.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Aber die macht mit!)

Ja, sie macht mit. – Das heißt, diese tollen Ziele, die Sie gerade benannt haben, möchte ich auch. Ich möchte keinen Lehrplan, ich möchte einen Rahmenplan, ich möchte eine Gemeinschaftsschule, das längere gemeinsame Lernen usw. Ich möchte vieles in diesem Bereich. Aber wir leben jetzt in der entsprechenden Realität, die wir haben.