(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Julia Bonk und Caren Lay, Linksfraktion, sowie Kristin Schütz, FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit August 2007 haben wir es amtlich: Die Studie des Sozialministeriums „Was bei Kindern auf den Tisch kommt … – Ernährungs- und Verpflegungssituation in sächsischen Kindertageseinrichtungen“ fasst Folgendes zusammen: Auf der Ernährungs- und Lebensmittelebene ist darauf hinzuwirken, dass die
Verpflegung der Kinder durch Eltern, Kita und/oder Caterer mehr Obst, Gemüse, Rohkost, Fisch sowie weniger Fleisch, süße Lebensmittel und süße Getränke enthält.
Die Daten liegen uns also vor. Wir haben auch viele Reden dazu gehört. Aber ich vermisse immer noch die Umsetzung. Wo sind die standardisierten Qualitätskriterien, die es uns erlauben, Mittagessen, das in Kitas und Schulen angeboten wird, zu bewerten?
Wir GRÜNEN setzen in unseren parlamentarischen Initiativen darauf, dass Kinder erfahren und erleben können, was gesunde Ernährung ist, und dass ihnen das wirklich Spaß macht.
Wir müssen mit den Kindern über Essen reden, ja. Aber wir müssen ihre Meinung auch ernst nehmen. Die Kinder müssen Gelegenheit haben, einzukaufen, Speisen und Getränke selbst zuzubereiten und dann zu verzehren,
auch um ein Gefühl dafür zu bekommen, was wie teuer ist. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist zum Beispiel, dass wir regelhaft Kinderküchen in Kitas und Schulen haben.
Herr Präsident! Ich hätte nicht gedacht, dass diese Debatte so emotional geführt werden kann. Man hätte vermuten können, das sei ein Thema, bei dem die wenigsten zuhören und zu dem man eigentlich alles zu wissen glaubt. Am Ende stellt sich heraus, dass es doch ganz unterschiedliche Auffassungen über den Weg zu einer gesunden Ernährung gibt.
Ich möchte es noch einmal klarstellen: Für uns als CDU steht im Vordergrund, die Eltern zur Eigenverantwortung zu befähigen, das heißt, die Verantwortung für ihre Kinder selbst wahrzunehmen. Ich denke, es ist der falsche Weg, wenn der Staat Aufgaben übernimmt, die dem Elternhaus zukommen.
Deshalb ist es für uns ganz wichtig, Hilfestellung durch Aufklärung zu geben. Dabei geht es mir nicht nur um die Inhaltsstoffe, Frau Herrmann. Essen beginnt auf jeden Fall im Kopf; denn gesunde Ernährung ist auch Psychologie.
Wir haben immer nur das Problem „Die Kinder sind zu dick“ im Fokus. Ich könnte auch sagen: Immer auf die Dicken! – Wir müssen überlegen, wie wir mit diesem Thema umgehen. Wenn wir diese Kinder von Anfang an mit Bemerkungen herausstellen wie „Ihr seid zu dick! Ihr seid etwas Schlechteres!“, dann werden sie von den anderen gehänselt und gemobbt, verlieren ihr Selbstbewusstsein, trauen sich nicht mehr, sich im Umkleideraum umzuziehen, und gehen nicht mehr zum Sportunterricht. Ich denke, wir müssen mit diesem Thema sehr viel sensibler umgehen.
Das gemeinsame Mittagessen in der Schule, Frau Herrmann, halte ich für einen ganz wichtigen Weg. Ich will Ihnen auch ein Beispiel bringen, warum.
In der evangelischen Grundschule in Frankenberg, an der ich auch eine Aktie habe, gehört das zum Schulkonzept. Die Kinder kommen morgens an. Es gibt einen offenen Beginn. Es wird gemeinsam gefrühstückt. Dann gibt es ein Eingangsgespräch. Nach dem Unterricht geht man gemeinsam mit der Lehrerin zu Tisch. Man setzt sich an einen ordentlich gedeckten Tisch. Es wird ein Lied gesungen oder ein Morgengebet gesprochen. Die Kinder kommen zur Ruhe. Es herrscht eine angenehme Atmosphäre.
Wir haben die Erfahrung gemacht: Als in den ersten Wochen dort noch eine 5. Klasse der Mittelschule im gleichen Raum gegessen hat, haben sich diese Schüler in den ersten zwei oder drei Tagen danebengestellt und die Kinder der Grundschule belächeltet. Es dauerte gar nicht lange, da kamen die ersten und fragten, dürfen wir uns dazusetzen, uns gefällt das, was ihr macht. Ich denke mir, was an einer Privatschule möglich ist, muss auch an einer staatlichen Schule möglich sein. Im Rahmen der Ganztagsangebote kann man den Unterrichtsablauf in den Tagesablauf einbauen.
Jetzt komme ich zu den Linken, das Thema Hartz IV. Sie haben ja vorgerechnet, was alles nicht geht. Wir haben das Thema schon nach allen Richtungen debattiert.
Zum Regelbedarf, Frau Dr. Ernst. Für Heranwachsende wird er neu ermittelt, weil man davon ausgeht, dass das Verfahren, das gewählt worden ist, nicht den Regelbedarf Heranwachsender abbildet. Jetzt warten wir das Ergebnis erst einmal ab. Ich bin optimistisch, dass sich dann die Situation für Kinder verbessert, weil man die Bedarfe von Kindern angemessen wiederfindet und finanziert.
Zum Thema „Kostenfreies Schulmittagessen“, Frau Dr. Schwarz. Sie haben es gesagt: Die Bundesregierung ist zurzeit in der Debatte. Es geht darum, sich zu entscheiden, ob wir das Kindergeld erhöhen oder direkte Sachleistungen für Kinder finanzieren wollen. Wenn man
sich das aus dem Bildungsaspekt ansieht, dass das Essen zum Bildungskonzept gehört, kann ich dem durchaus Sympathien abgewinnen. Inwiefern es wirtschaftlich sinnvoll ist, müssen wir sehen. Wir sollten als Land nicht vorpreschen, sondern die Diskussion in Richtung Berlin mit der Bundesregierung führen.
Noch zum Thema „Gesunde Ernährung“: Sie sei nicht möglich, weil man kein frisches Obst und kein frisches Gemüse kaufen kann, wenn man Hartz-IV-Empfänger ist. Die Tafel in Mittweida hatte die Idee: Es gibt in Kleingartenanlagen jede Menge brachliegende Gärten. Warum soll man denn nicht die Hartz-IV-Empfänger dazu motivieren: Wir gehen dorthin und bauen gemeinsam etwas an. Die Gärten werden uns kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Gemüse, das sie dort ernten, können sie selbst mit nach Hause nehmen. Somit sind sie mit Biogemüse versorgt. Fehlanzeige, die Aussage lautete: Was, wir im Garten arbeiten für meine Ernährung? Nein. Nunmehr hat man Arbeitsgelegenheiten durch Ein-Euro-Jobs geschaffen. Da geht es. Es tut mir leid, dafür habe ich kein Verständnis.
Wird von der SPD-Fraktion noch das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. Dann frage ich die Linksfraktion. – Frau Lay, bitte.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Jeder, der sich mit dem Thema „Gesunde Ernährung“ beschäftigt, weiß, dass Kinder aus sozial schwachen Familien deutlich stärker von Übergewicht und Fehlernährung betroffen sind. Wer von Hartz IV lebt, der soll sich von gut 70 Euro im Monat gesund ernähren. Das reicht einfach nicht, um frische und gesunde Lebensmittel einkaufen zu können.
Über 120 000 Kinder und Jugendliche in Sachsen leben in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften. Das sind die Fakten. Deswegen sage ich ganz eindeutig in Richtung CDU und auch in Ihre Richtung, Frau Orosz: Wer hier nicht von Kinderarmut reden will, wie in der Debatte, die wir in der vergangenen Stunde hatten, der soll bitte schön auch beim Thema „Gesunde Ernährung“ schweigen.
Wer will, dass sich Kinder gesund ernähren können, der muss auch gegen Armut kämpfen und den Mut haben zuzugeben, dass wir in der Bundesrepublik und auch in Sachsen ein Armutsproblem haben, und darf das Thema nicht immer wieder kleinreden.
Natürlich gehört auch Ernährungserziehung in Schulen, das Wissen über Lebensmittel, ihre Herkunft und ihre Zubereitung dazu. DIE LINKE hat vor gut einem Jahr Leitlinien für gesunde Ernährung gefordert, denn aus den Antworten auf meine Kleinen Anfragen geht hervor, dass diese Leitlinien weder für Kitas noch für Schulen existieren. Sie haben diesen Antrag damals abgelehnt.
Aber wichtiger, meine Damen und Herren, als das theoretische Wissen sind aus meiner Sicht praktische Erfahrun
gen. Ein Kind, das gewohnt ist, sich lediglich von Eis und Nutella zu ernähren, wird nicht plötzlich zum Salat greifen, nur weil die Lehrerin einmal gesagt hat, dass das gut ist. Praktische Ernährungsmuster müssen sich ändern, und genau deshalb fordert DIE LINKE ein gesundes, vollwertiges und kostenloses Mittagessen für jedes Kind.
Vor allem, meine Damen und Herren, muss es frisch sein. Deswegen ist es überaus bedauerlich, dass es immer weniger Schulküchen gibt, in denen selbst gekocht wird, dass nur noch in 22 % der Kitas selbst gekocht wird. Das ist einfach zu wenig. Deswegen wird es das Beste sein, wenn wir Schulküchen als Vollküchen erhalten und weiter ausbauen, damit die Nahrung frisch zubereitet wird. Fastfood hat in Sachsens Kitas und Schulen einfach nichts verloren.
Meine Damen und Herren! Schulküchen sind auch ein Garant dafür, dass Kinder selbst lernen können zu kochen. Ich bin in der Tat der Ansicht, dass es eine Kulturtechnik ist, die auch in Schulen vermittelt werden muss. Hier haben die Bildungseinrichtungen in Sachsen eine öffentliche Verantwortung. Sich allein auf die Eltern zu verlassen ist im Umkehrschluss auch verantwortungslos.
Ich bin durchaus der Meinung, dass jedes Kind, das in Sachsen die Schule verlässt, in der Lage sein muss – das gilt für Mädchen und Jungen –, für sich selbst und auch für andere eine gesunde Mahlzeit zuzubereiten.
Aus der Antwort auf meine Anfrage zu diesem Thema geht hervor, dass wir in der sächsischen Bildungspolitik einfach nicht gut genug aufgestellt sind.
Auch DIE LINKE schätzt die Arbeit der Fachfrauen und Fachmänner für Kinderernährung. Wir anerkennen die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten, die es hier von Krankenkassen, von der Plattform „Ernährung und Bewegung“ usw. gibt. Aber wir sind der Ansicht, dass wir dieses Thema systematischer und kontinuierlicher angehen müssen.
Aus der Studie, die Sie, Frau Orosz, uns vorgestellt haben, wissen wir: Sachsens Kinder essen zu viel Fleisch, zu viel Süßigkeiten und trinken zu viel Limonade. Wir wissen auch aus anderen Studien, dass in den öffentlichen Einrichtungen in Sachsen das angebotene Essen nicht dem entspricht, was Leitlinien für gesunde Ernährung anbelangt. Es wird zu wenig Gemüse und zu wenig Salat verzehrt. Wenn man also will, wie Sie, Frau Orosz, und ich, dass auch sächsische Kinder mehr Salat und mehr Gemüse, aber weniger Fleisch essen, dann muss man konkrete Maßnahmen ergreifen. Wir müssen in Schulküchen investieren, in denen selbst gekocht wird, und dafür sorgen, dass jedes Kind ein kostenloses gesundes Mittagessen erhält. Dann brauchen wir auch Leitlinien für gesunde Ernährung von Kindern und Jugendlichen.
Meine Damen und Herren! Das sind konkrete Maßnahmen, die vor uns stehen und an denen wir gemessen werden. Gute Appelle an die Eigenverantwortung können wir uns hier sparen.