Protokoll der Sitzung vom 30.05.2008

Meine Damen und Herren! Das sind konkrete Maßnahmen, die vor uns stehen und an denen wir gemessen werden. Gute Appelle an die Eigenverantwortung können wir uns hier sparen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Wird von den Fraktionen noch das Wort gewünscht? – Das kann ich nicht erkennen. Dann Frau Staatsministerin Orosz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage der Aktuellen Debatte: Gesunde Ernährung kann man lernen? Lassen Sie mich versuchen, das in drei Schritten zu beantworten.

Zuerst stellt sich in der Tat die Frage: Wo wird Ernährung gelernt. Einiges haben wir in den Redebeiträgen schon gehört. Jeder von uns hat sein Ess- und Trinkverhalten, ich nehme an, zunächst in der Familie gelernt.

(Beifall bei der CDU – Caren Lay, Linksfraktion: Was, wenn er es da nicht lernt?)

Darf ich fortführen, Frau Lay? Da können Sie vielleicht noch einiges lernen.

Ergänzt und begleitet wird er durch sein soziales Umfeld und die ersten Bildungseinrichtungen, wie Krippe, Kindergarten, Hort und Schule. Diesbezüglich stellt sich natürlich auch die Frage: Was wird gelernt? Diese Frage muss man leider mit den drei Worten Pi – Pa – Po beantworten: Pizza, Pasta, Pommes. Das sind die Renner. In diesen Worten verdichtet sich sehr deutlich die Esskultur vieler Kinder und Jugendlicher, aber natürlich auch deren Eltern.

Ich will an dieser Stelle hervorheben, dass es auch viele Familien, Kinder, Jugendliche und Erwachsene gibt, die sich mehrheitlich an sechs von sieben Tagen in der Woche gesund ernähren, doch was als Lebensstil prägendes Verhalten individuell gelernt und überwiegend gesellschaftlich vermittelt wird, entspricht – wie wir alle wissen, und zumindest in diesem Punkt sind wir uns einig – nicht dem Idealbild.

Das führt mich zu der Frage, wie Ernährung gelernt wird. Ich bin nach wie vor – und vielleicht etwas anders als Sie, Frau Lay – der Auffassung, dass Kinder trotz der Fakten, die Sie genannt haben, Vorbilder brauchen. Es kommt darauf an, vor den Augen unserer Kinder im richtigen Moment ohne zu zögern das Richtige zu tun; denn Kinder lernen von Anfang an von Vorbildern und wir lehren sie durch unser tägliches Vorbild – egal, ob beim Essen am Familientisch, beim Spielen am Sonntagnachmittag, im Straßenverkehr oder auch im Umgang mit anderen Menschen. Das werden Sie sicherlich nicht abstreiten. Eltern sind die ersten Vorbilder, an denen sich Kinder orientieren, deren Verhalten sie in der Regel imitieren und wie wir wissen auch mehrheitlich übernehmen.

Was kann also der Freistaat tun, um den Lernprozess frühzeitig zu unterstützen? Es ist heute schon gesagt worden: Eine Vielzahl von Projekten und Initiativen sind in den letzten Jahren auf den Weg gebracht worden. Eines der wichtigsten – zumindest aus meiner Sicht – sind die sächsischen Gesundheitsziele und davon wiederum das erste Gesundheitsziel, nämlich „Gesund aufwachsen“. Hier haben in den letzten Jahren, meine Damen und Herren, die Fachfrauen und Fachmänner für Kinderernährung gute Arbeit geleistet. Vielleicht ist Ihnen das nicht im Detail bekannt. Deswegen will ich es Ihnen noch einmal kurz vor Augen halten.

(Caren Lay, Linksfraktion, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Wir haben knapp 5 000 Veranstaltungen in Kindergärten, Grundschulen, Förderschulen und Horten durchgeführt.

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich würde gern den Gedanken zu Ende führen.

Mit diesen Veranstaltungen erreichten wir ungefähr 90 000 Kinder, Schülerinnen und Schüler, aber auch pädagogisches Personal. Ich habe ein sehr umfangreiches Feedback von diesen Veranstaltungen bekommen, wonach alle Beteiligten der Meinung sind, dass das eine Initialzündung ausgelöst und Gott sei Dank schon zu Veränderungen in der eigenen Ernährungsphilosophie geführt hat. Ich habe deswegen bewusst auf die beteiligten Erzieherinnen, Lehrer und Eltern hingewiesen. Ich halte das für eine wichtige Aufgabe, die wir akribisch finanziell und materiell unterstützen und in der nächsten Zeit mit der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung ausbauen werden.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Und jetzt, bitte schön.

Frau Ministerin, Sie haben aber gehört, dass ich in meiner Rede gesagt habe: „Auch DIE LINKE schätzt die Arbeit der Fachfrauen und Fachmänner für Kinderernährung. Wir anerkennen ihre Arbeit.“?

Das habe ich gehört, aber in Ihrem weiterführenden Text oder auch zuvor – das kann ich jetzt nicht mehr genau sagen – hatte ich den Eindruck, dass das für Sie mal so nebenbei etwas ist. Ich wollte Ihnen jetzt mit meinen Fakten vermitteln, dass es eine hohe Dominanz hat, wenn wir es schaffen, parallel in den Kindereinrichtungen und Schulen fachlich nicht nur Vorträge zu halten, sondern mit den Kindern, den Eltern und den Lehrern tatsächlich selbst zu kochen.

An dieser Stelle habe ich die Möglichkeit, Ihre Frage zu beantworten. Es gibt inzwischen in fast allen Kinderein

richtungen Kochgelegenheiten für Kinder, unabhängig davon, ob in der Einrichtung für die Versorgung der Kinder selbst gekocht wird oder ob das Essen zugeführt wird. Die Kinder können sich an der eigenen Herstellung von Gerichten beteiligen, einschließlich des Anbaus in den Kinder-Gärten.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich weiter ausführen. Es genügt also nicht, auf der Ebene der individuellen Verhaltensänderung stehen zu bleiben – auch darin sind wir uns wohl einig –; wir müssen unsere Aufmerksamkeit zusätzlich auf die Veränderung von Verhältnissen und Strukturen lenken. Das ist ein wichtiger Punkt. Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung müssen dazu führen, dass die Essensqualität auch in den sächsischen Kitas und Schulen verbessert wird. Um diese Aufgabe, die wir als erforderlich und dringend ansehen, zu unterstützen, haben wir bereits im letzten Jahr die Sächsische Informationsstelle für Gemeinschaftsverpflegung eingerichtet, die mein Haus finanziert. Dort finden ständig Beratungen von Essensherstellern, aber auch von Schulträgern und Einrichtungsträgern im frühkindlichen Bereich statt. Der Austausch ist hier auf einem guten Weg. Wir müssen dafür sorgen, dass es zeitnah entsprechende Erfolge durch konsequente Umsetzung gibt.

Lassen Sie mich die 2. Nationale Verzehrstudie noch einmal kurz aufrufen. Hinsichtlich des Essverhaltens kann man das knapp in zwei Sätzen zusammenfassen. Erstens. Wir essen nicht das, was wir essen sollten. Zweitens: Zwischen unserem Wissen und unserem Verhalten klafft eine bisweilen noch große Lücke. Da muss ich Frau Schöne-Firmenich recht geben: Wenn wir es nicht schaffen, diese Lücke zu schließen, Frau Lay, werden auch alle Angebote, die Sie heute genannt haben und die teilweise schon Realität sind, aber auch teilweise von Ihnen noch angemahnt werden, nicht erfolgreich sein. Denn wer soll denn mit welchem Wissen und welcher Einstellung diese Angebote für sich nutzen? Deswegen ist Wissen und Verhalten als Erstes aufzurufen und alles dafür zu tun, dass der auch von Ihnen genannte Mentalitätswechsel stattfindet, und dann sind die entsprechenden Veränderungen in den Strukturen und Organisationskonstellationen notwendig.

Es ist mir noch einmal wichtig anzumerken, dass die Studie festgestellt hat, dass sich schon zwei Drittel der Befragten zum Thema Ernährung informieren. Das ist ein Beweis dafür, dass das, was wir an Informationen anbieten, auch nachgefragt wird. Die Differenzierung, an welcher Stelle die Menschen Informationen aufnehmen wollen, ist auch interessant; denn über die Hälfte – 56 % – informiert sich über Printmedien, weitere 54 % holen ihre Informationen von den Angaben auf den Lebensmittelverpackungen, weitere 54 % nennen persönliche Kontakte über Freunde und Familie und 51 % über das Fernsehen. Das sind die Hauptinformationsquellen in Sachen Ernährung. Das ist eine wichtige Aussage, um unsere Informa

tionen tatsächlich dort zu platzieren, wo sie die Menschen im Alltag erreichen.

Was die Lebensmittelverpackungen betrifft, wissen wir, dass inzwischen wichtige Produktinformationen über den Gehalt an Nährstoffen auf den Verpackungen zu finden sind. Ich bin auch froh, dass demnächst alle Lebensmittel obligatorisch mit Nährwertangaben gekennzeichnet werden, sodass Verbraucher entscheiden können, welches Produkt sie kaufen und ob es ihrer Gesundheit dient.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, Frau Ministerin?

Bitte schön.

Herr Brangs, bitte.

Frau Ministerin, ich habe ein Frage: Sind Sie der Auffassung, dass man Lebensmittel mit der sogenannten Ampel kennzeichnen sollte, indem man nach Rot, Gelb und Grün unterteilt, und dass die besonders ungesunden Lebensmittel mit einem roten Punkt versehen werden sollten?

Sehr geehrter Herr Brangs! Wie man das am Ende kennzeichnet, wird man in der Europäischen Union gemeinschaftlich aushandeln müssen. Sie wissen, dass dieser Ampelvorschlag in der Diskussion eine Rolle gespielt hat. Ich hätte kein Problem, wenn es dazu gekommen wäre. Aber Sie wissen ja, dass es andere Auffassungen gab. Mir ist jetzt wichtig, dass wir ein einheitliches Verfahren finden und dass es zumindest den Verbraucherinnen und Verbrauchern ihre Fragen beantwortet.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Ich komme zum Schluss. Ich bin der Auffassung, gesunde Ernährung kann man lernen. Wir brauchen dazu nach wie vor Vorbilder, und wir müssen uns, glaube ich, auch selbst an die Nase fassen, um Vorbild zu sein.

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Erich Kästner enden: „Bei Vorbildern ist es unwichtig, ob es sich dabei um einen großen toten Dichter, um Mahatma Gandhi oder um Onkel Fritz aus Braunschweig handelt, wenn es nur ein Mensch ist, der im gegebenen Augenblick ohne Wimpernzucken gesagt oder getan hat, wovor wir zögern.“

Also, gesunde Ernährung kann man lernen. Wir müssen begreifen, dass Gesundheitlernen nicht bei der Alkoholausstellung in der Mittelschule endet, sondern eine lebenslange Aufgabe ist, und das, meine Damen und Herren, für jeden Einzelnen von uns.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Danke schön. Frau Bonk von der Linksfraktion hat noch einmal gebeten

Das sagen Sie so. Wir haben das in der Anhörung zu den Schulen, zu den Förderlernmitteln auch gehört, dass es in der Diskussion ist, einen Kinderregelsatz einzuführen. Wir sind auch für den Kinderregelsatz. Das haben Sie hier im Landtag abgelehnt. Aber es ist noch lange nicht absehbar, dass es dazu kommt.

zu sprechen. Da sie noch Zeit hat, gibt es keinen Grund, diesen Wunsch abzuschlagen.

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe in der Debatte viel Bedauern über den Zusammenhang zwischen sozialem Hintergrund und Ernährung gehört, aber leider noch nicht die dazugehörigen Einsichten. Frau SchöneFirmenich, Sie möchten vielleicht nicht weiter über Hartz IV reden oder Sie können es vielleicht nicht einsehen, aber ich möchte Sie doch bitten, zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich nicht lohnt, die Eltern aufzufordern, etwas anders zu machen, wenn 2,51 Euro oder 2,57 Euro einfach nicht ausreichen. Ihre Art sich hinzustellen und zu sagen, Eltern, macht es anders, obwohl die Grundlagen dafür nicht da sind, ist im Grunde eine Politik, die die Probleme negiert,

(Zuruf der Abg. Iris Schöne-Firmenich, CDU)

und zwar, weil Sie sich dieser Menschen einfach nicht annehmen wollen.

Frau Orosz, bei allem Respekt und wenn Sie auch recht haben, dass Kinder von Vorbildern lernen, aber gerade angesichts des Zusammenhangs zwischen sozialem Hintergrund und Bildung hätten Sie mit Ihrem Ernährungsprojekt vielleicht nicht in die Internationale Schule in Dresden gehen sollen.

Frau Bonk, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Augenblick. – Die Kinder in der Internationalen Schule sind wahrscheinlich diejenigen, die regelmäßig ihren Salat essen und die Müsli zumindest kennen, wenn sie es auch als jüngere Kinder noch nicht mögen, bzw. für die eben ausgewogene Ernährung und gute Lebensmittel zu Hause nichts Fremdes sind. Natürlich möchte ich denen das nicht absprechen, aber gerade die Notwendigkeit seitens der politisch Verantwortlichen sollte das Augenmerk auch noch einmal auf eine andere Richtung lenken.

(Beifall der Abg. Caren Lay, Linksfraktion)

Frau Schöne-Firmenich, ich lasse Ihre Zwischenfrage gern zu.