tagesstätten findet. Das ist eine sehr gute Initiative, und ich danke allen, die sich in dieser Beziehung engagieren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war ja zunächst nicht so recht klar, worüber Sie heute sprechen wollen. Aber deutlich wird: All die Probleme haben Sie bereits erkannt und trotzdem scheinen in allererster Linie dieses Parlament und die Regierung lernen zu müssen, und zwar, dass man mit Appellen die soziale Wirklichkeit nicht verändern kann.
Erstens: Dazu gehört zum Beispiel, dass man mit einem Hartz-IV-Regelsatz oder einem niedrigen Einkommen Kinder und Jugendliche in Deutschland beim besten Willen nicht ausgewogen und gesund ernähren kann. Kaufen Sie einmal mit Hartz IV regelmäßig Obst und Gemüse. Freunde von mir sind Veganer – das bedeutet, kein Fleisch und keine Tierprodukte –, die können sich gar nicht so viel Obst und Gemüse kaufen, weil es einfach teuer ist, frisch zu essen. Oder eine alleinerziehende Mutter, Geringverdienerin, sagt, sie würde das Kind gern gut und ausgewogen ernähren, aber Nudeln und Fleischwurst sind eben das, was satt macht und was man sich leisten kann.
Ganz deutlich sehen Sie es beim Brot. Toastbrot ist billig und macht satt und ist gerade für Familien mit mehreren Kindern das, was im Supermarkt mitgenommen wird – kontra Vollkornbrot, das ordentlich vom Bäcker mitgebracht wird. Wo die Abhängigkeit der Ernährung vom Geldbeutel so offensichtlich wird, stellen Sie sich hin und sagen, man könne das lernen?
Zweitens: Man muss sich zum Beispiel in Dresden die steigenden Besucherzahlen der Dresdner Tafel nur einmal anschauen, die, wie wir in der ersten Debatte heute schon gehört haben, durch die neoliberale und sozial ungerechte Politik von SPD und CDU verursacht worden sind und auch unter Ihrer Arbeit als Sozialministerin entstanden sind. Angesichts dieser Not müsste jeder Cent, den Sie für Broschüren, für ein Werbefilmchen zum gesunden Essen, den man auf der Homepage findet, ausgeben, eigentlich in strukturelle Veränderungen wie zum Beispiel das gesunde Mittagessen gesteckt werden.
Mehr als die Hälfte der Grundschülerinnen und Grundschüler nehmen in der Schule oder dem Hort keine warme Mahlzeit zu sich. In Mittelschulen und Gymnasien sind es über 80 %. Das sind Zahlen, die uns die Staatsregierung in der Antwort auf die Große Anfrage geliefert hat.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie müssen sich einfach mal entscheiden. Herr Krauß hat wieder gesagt, dass das kostenlose Mittagessen nicht der richtige Weg sei; Frau Schwarz predigt das in ihrer Rede als die
Maßnahme, die folgen müsse. Ich möchte von Ihnen auch einmal hören, was die Zukunft in der Koalition an dieser Stelle bringen wird, und dass sich die SPD entsprechend positioniert.
Es ist ein Problem, wenn Kinder nicht am Schulessen teilnehmen; aber dazu kommt noch viel stärker, dass viele Kinder nicht einmal genug Pausenbrot mit in die Schule nehmen.
Zur Ernährung ändert sich aber in der Gesellschaft etwas. So wie die Umwelt vor einer Weile ins Bewusstsein rückte, ist es jetzt die Ernährung. Man sieht es an den Vita-Vital-Linien oder Biosphäre-Discountern, und da ist noch lange nicht alles Öko, was wie Bio glänzt. Trotzdem wollen sich weite Teile der Bevölkerung bewusster ernähren und mehr auf sich achten. Wir wissen um die Bedeutung der Ernährung. In Japan gibt es durch eine andere Ernährung eine längere Lebenserwartung und niedrigere Krebsrate; ayurvedische Ernährung hat eine komplette Philosophie dahinter. Aber das Entscheidende für Politik ist, dass solche Bewusstseinsveränderungen für alle möglich sein müssen; dass die Politik die entsprechenden Maßnahmen ergreift, damit es sich alle leisten können.
Dazu muss ich Ihnen sagen: 2,57 Euro zur Ernährung eines vier- bis sechsjährigen Kindes, wie im Hartz-IVRegelsatz vorgesehen, reichen dafür einfach nicht aus. Der Bericht des Forschungsinstitutes für Kinderernährung sagt, das reicht gerade so, wenn die Produkte im Discounter gekauft werden. Auch für die Ernährung von 14- bis 18-Jährigen reicht der im Hartz-IV-Satz vorgesehene Anteil einfach nicht aus. Der Vorschlag eines Hartz-IVSpeiseplanes grenzt an Sarrazynismus, der Bevölkerung ein bestimmtes Bewusstsein in ihrer Ernährung vorzuschreiben. Haben Sie eine Ahnung davon, wie sich Menschen fühlen, die jeden Cent umdrehen müssen und sich zugleich von jemandem über gesunde Ernährung belehren lassen müssen, die sich gerade auf „Abgeordnetendiät“ befinden.
Sicher ist es auch ein Problem, wenn Eltern nicht das entsprechende Bewusstsein für die Ernährung ihrer Kinder aufbringen. Meine Mitbewohnerin hat sich jetzt dazu konditioniert, Vollkornbrot zu essen, weil Weizenbrötchen ihr einfach nicht mehr schmecken. Aber es ist eben auch eine Frage der Erziehung. Ein Kind, das mit Müsli, Joghurt und Himbeeren aufwächst, hat eine wesentlich größere Chance, sich später so zu ernähren, als diejenigen Kinder, die mit 2,57 Euro das Toastbrot zu essen bekommen.
Die Koalition hat bisher keinen unserer Vorschläge zur besseren Ernährung aufgenommen. Wir haben Vorschläge zum kostenlosen Mittagessen, zu einem kindergerechten
Bedarfssatz gemacht. Übrigens sind auch alle unsere Vorschläge zur Ernährungsbildung an Schulen von Ihnen abgelehnt worden.
Ich erteile der Fraktion der NPD das Wort. Wird das gewünscht? – Nicht. Dann die FDPFraktion, bitte; Frau Schütz.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab ist an die Antragsteller von CDU und SPD zu sagen: Auch gute Debattentitel kann man lernen.
Dieser hier ist leider sehr phrasenhaft und wenig konkret gewählt, und deshalb ist es unheimlich schwer, in 5 Minuten dieses Thema umfassend zu bearbeiten. Geht es um Kinder in Kitas und Schulen, geht es um die Risikogruppen oder geht es vielleicht sogar um die Berufsbilder wie Ernährungsberater und Diätassistenten? All das lässt der Titel offen.
An dieser Stelle gleich an Frau Schwarz: Dieser Vergleich mit Hänschen und Hans ist bei Ihnen in der Koalition mittlerweile sehr beliebt. Ich sehe es aber so, dass auch 50-Jährige noch sehr viel über gesunde Ernährung lernen können, nämlich spätestens dann, wenn sie gesundheitlich von Übergewicht oder Bluthochdruck betroffen sind. Von daher sollten Sie diesen Vergleich endlich einmal außen vor lassen.
Zum Anlass der Aktuellen Debatte nehmen Sie den Beschluss des Bundeskabinetts zur Unterstützung einer gesunden Ernährung und Bewegung von Kindern. Das hat die Situationsanalyse – mehr war es bisher nicht – von Frau Schöne-Firmenich gezeigt. Aber auch dieser Bezugspunkt taugt nicht viel; denn auch dort orientiert man sich nur an der proklamierten Strategie einer Zusammenfassung bereits bestehender Beschlüsse und Programme.
Vielleicht sollten wir deshalb eher der Frage nachgehen, ob es überhaupt ein Wissensdefizit gibt oder ob nicht vielmehr ein Umsetzungsproblem besteht. Ich glaube nämlich, dass mittlerweile jedes Kind – und zwar in allen gesellschaftlichen Schichten – weiß, dass Fett dick macht und Fast Food nicht wirklich gesund ist. Doch wenige wissen, dass beispielsweise die als „fettarm“ deklarierten Joghurts viel Zucker enthalten und damit ähnlich kalorienreich sind wie der Sahne-Joghurt. Oft lohnt sich dort der zweite Blick. Es fehlt also nicht an den Wissensgrundlagen, sondern an der praktischen Anwendung.
Wer weiß schon, dass Weißmehlprodukte den Hunger nicht so stillen wie Vollkornprodukte, auch wenn das gerade von links anders dargestellt wurde? Wer kennt
denn gesunde Alternativen zur Schokolade? Noch viel wichtiger: Wer lebt dies konsequent in der Familie? Das sind die Knackpunkte im Zusammenhang mit dem Stichwort „Gesunde Ernährung erlernen“.
Frau Dr. Schwarz, Sie haben vorhin gesagt, die Hauptschüler seien zu dick, die Gymnasiasten zu dünn. Ich glaube, beides ist ungesund.
Einige Sachen können wir sicherlich in den Kitas und Schulen vermitteln. Wir können im Rahmen von Ganztagsangeboten junge Menschen an das Thema heranführen, und zwar nicht nur theoretisch anhand der zu Papier gebrachten Nährwerttabellen, sondern auch praxisnah, indem man gemeinsam einkaufen geht, Lebensmittel pur probiert und einen Tagesablaufplan aufstellt, in dem dargestellt wird, was über den Tag verteilt zu welchen Mahlzeiten günstig zu essen ist.
Natürlich sind auch die Eltern einzubeziehen. Sie sind für viele praktische Tipps sicherlich sehr dankbar. Bis wir es allerdings schaffen, dass süße Säfte, Cola und Co. durch zuckerarme Getränke ersetzt werden, wird es noch etwas längerer Zeit bedürfen.
Die öffentlichen Einrichtungen müssen selbst Vorbild sein. Wir haben im Landtag bereits darüber debattiert. Zu viele Schulen und Kitas beziehen von den CateringVersorgern zu viel Fleisch und zu wenig Gemüse. Hier muss das Land beispielsweise mit entsprechenden Empfehlungen, verbindlichen Vorgaben und zum Beispiel einem Qualitätssiegel unterstützend eingreifen.
Doch wir dürfen uns keine Illusionen machen. Solange gesunde Nahrungsmittel teurer sind, werden vor allem ärmere Schichten diese nicht kaufen. Damit sind wir beim Umsetzungsproblem. Hochwertiges Mehl ist teurer als das einfache Weizenmehl. Vollkornbrot und sogar Mineralwasser sind oftmals teurer als Weißbrot und Limonade. Aus Kostengründen kann dann die gesunde Ernährung tatsächlich auf der Strecke bleiben.
Stichpunkt Wasser: Wir sind in Deutschland in der glücklichen Lage, echtes Trinkwasser aus unseren Wasserleitungen zu erhalten. Doch nach wie vor sind die Vorbehalte dagegen groß. Es wäre zum Beispiel ein Leichtes, Wasserspender kostenlos an Schulen aufzustellen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dann das eine oder andere Kind auf die kalorienreiche Limo verzichten würde.
Ich hoffe – das sei mir zum Abschluss gestattet –, dass dieses Thema nicht nur im Protokoll des Landtages als Schriftstück landet und damit als abgehandelt gilt, sondern dass bei der Staatsregierung weitere Aktivitäten in Richtung einer gesunden Ernährung für unsere Bürgerinnen und Bürger ausgelöst werden.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Schöne-Firmenich, ich denke, Sie haben nicht ganz recht, wenn Sie sagen, gesunde Ernährung beginne im Kopf. Gesunde Ernährung hat nicht nur etwas mit Inhaltsstoffen zu tun, also zum Beispiel mit der Frage, ob genug Vitamine in der Nahrung sind. Sie haben in Ihrer Rede das Beispiel der Essstörungen angeführt. Diese sind, so glaube ich, nicht darauf zurückzuführen. Für Essstörungen gibt es vielfältige Ursachen. Deshalb darf man das Thema Ernährung nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Inhaltsstoffe abhandeln, vielleicht getragen von der Idee, wenn wir genug darüber wüssten, was in den Lebensmitteln enthalten ist und was uns guttut, dann würden sich die Probleme lösen.
Essen hat etwas mit Lust zu tun und ist eine kulturvolle Angelegenheit. Man setzt sich gemeinsam an den Tisch, unterhält sich, nimmt sich Zeit füreinander und für das Essen. Das alles bildet sich nicht ab, wenn wir nur über Inhaltsstoffe reden.
Im Übrigen ist gesunde Ernährung ein Thema, über das wir hier im Sächsischen Landtag schon häufig gesprochen haben. Es ist wirklich an der Zeit, dass an der Stelle, an der wir Einfluss nehmen können, Taten folgen.
Ein wichtiger Ansatzpunkt, um Kindern und Jugendlichen Lust – ich sage ganz bewusst: Lust – auf eine ausgewogene, gesunde Ernährung zu machen, sind die Gemeinschaftsverpflegungen in Kitas und Schulen. Dort kommen die Kinder zum Essen zusammen; dort können Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer oder auch der Caterer den Zusammenhang zwischen Ernährung, dem gemeinsamen Am-Tisch-Sitzen und Gesundheit unmittelbar vermitteln. Das ist die Theorie.
Wie sieht es in der Praxis aus? Wir alle wissen: Das Essen ist ein Dauerstreitpunkt zwischen Eltern und Kitas. Als Kritikpunkte bringen die Eltern immer wieder vor: viel zu viel Fleisch, zu wenig Gemüse, kein frisches Obst.
Das Essen wird um 10 Uhr angeliefert und bleibt in Warmhaltegefäßen stehen, bis es am Mittag ausgegeben wird. Wo bleiben denn da die Frische, der Geschmack und das Aroma? Das hat doch auch etwas mit gesunder Ernährung zu tun. Wo bleiben die kulturellen Aspekte des Essens, wenn Kinder in der Schule das Essen schnellstmöglich hinunterschlingen, weil die Organisation des Tagesablaufs an der Schule eben nur ein ganz kleines Zeitfenster für das Mittagessen bereithält?
(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Julia Bonk und Caren Lay, Linksfraktion, sowie Kristin Schütz, FDP)