Protokoll der Sitzung vom 30.05.2008

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Die Zusammenlegung der Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt hat sich aus unserer Sicht offensichtlich als falscher Schritt erwiesen. Die Agrarlobbyisten im SMUL bestimmen die Politik und die Linie des Ministeriums, und nicht die Naturschutzexperten, die dort in guter Qualität vorhanden sind. Die Minister Tillich und Wöller verstehen sich offensichtlich nicht als Naturschutz-, sondern als Agrarminister oder neuerdings als Minister für den ländlichen Raum. Aktuelles Stichwort: die Verzögerung der Förderrichtlinie Natürliches Erbe.

Wenn wir nach Maßnahmen gegen das Artensterben fragen, antwortet uns der jeweils zuständige Umweltminister – wir wissen ja nicht, wie lange wir jetzt vielleicht noch den derzeitigen Umweltminister haben oder uns bald wieder an einen neuen gewöhnen müssen –, dass die Einhaltung der sogenannten guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft für den Naturschutz ausreiche. In der Antwort der Staatsregierung auf unsere Große Anfrage Biodiversität im Freistaat Sachsen werden Ergebnisse der Landesanstalt für Landwirtschaft im Lehr- und Versuchsgut Köllitsch präsentiert. Die Landesanstalt behauptet doch allen Ernstes, „dass die derzeit übliche landwirtschaftliche Praxis für viele Vögel der Agrarlandschaft überwiegend gute Lebensvoraussetzungen schafft“. Da bleibt einem glatt die Spucke weg. Offensichtlich schafft sich die Landesanstalt ein Fantasiebiotop, das für die sächsische Agrarlandschaft keinesfalls repräsentativ ist. Die Notwendigkeit der Pflege von Biotopen als Grundla

ge für den Artenschutz ist in diesem Hause glücklicherweise unumstritten, soweit ich es erkennen kann.

Auch die Notwendigkeit des Ehrenamtes im Naturschutz wird immer wieder auch von der Staatsregierung betont. Wie nachlässig die Staatsregierung mit diesem Thema umgeht, zeigen die Fortschritte bei der Förderung der Biotoppflege im Freistaat. Auch im Jahre zwei der neuen Förderperiode ist es immer noch nicht möglich, Förderanträge zur Biotoppflege einzureichen. Beeinträchtigungen der Artenvielfalt und Arbeitsplatzverluste bei den Pflegeverbänden sind die Folge.

Die neueste Pressemitteilung des Ministers vom 23. Mai schießt dabei wirklich den Vogel ab: Als sogenannte Übergangslösung präsentiert der Minister allen Ernstes, dass die Biotoppflegeanträge im Juli gestellt werden können – mit der beglückenden Aussicht, dass die ersten Zahlungen dann endlich im September zu erwarten seien. Meine Damen und Herren, im Herbst können die notwendigen Pflegemaßnahmen des Frühjahrs wohl kaum mehr nachgeholt werden. Ich frage mich mittlerweile: Ist das Desinteresse und Schlampigkeit des Umweltministers oder hat dieser Wahnsinn sogar Methode?

Eine Bemerkung ist in diesem Zusammenhang zu machen: Die faktische Außerkraftsetzung der Förderrichtlinie Natürliches Erbe ist eine Erblast des heutigen Ministerpräsidenten Tillich, die sein Nachfolger Wöller jetzt auslöffeln muss.

Meine Damen und Herren, wir können dem weiteren Artensterben in der sächsischen Agrarlandschaft nicht länger zuschauen; wir müssen etwas tun. Die Agrarumweltmaßnahmen konnten die Bewahrung geeigneter Lebensräume nicht erreichen. Offensichtlich – ich bleibe dabei – dienen sie eher der Förderung der Landwirte als der Förderung der Natur und ihrer Lebensräume.

Wir fordern die Staatsregierung deshalb wirklich auf, ein Aktionsprogramm zur Rettung der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft aufzulegen. Der Schutz der Biodiversität muss in jeden landwirtschaftlichen Betrieb integriert werden. Aus Wiesen und Feldern sind 10 % als ökologische Vorrangflächen, als tatsächliche Lebensadern, Herr Minister Wöller, auszuweisen – das sind Lebensadern, und nicht Ihre kommunalen Straßen, die Sie jetzt wieder mit dem Sonderprogramm bedient haben – und diese Lebensadern auch entsprechend zu bewirtschaften. Ansonsten darf es zukünftig keine Förderung mehr geben. Ich habe sogar den leichten Verdacht, dass man mit dieser Art von Förderung tatsächlich auch noch Geld sparen und wesentlich mehr für die Natur erreichen könnte.

Wie stellt sich die Staatsregierung denn nun zur nationalen Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung? Angeblich unterstützt sie die Ziele, die schon auf der Bundesebene weichgespült worden sind. Die Staatsregierung plant aber nach eigener Aussage ein Handlungsprogramm – Herr Mannsfeld hat es betont; vielleicht kann uns Herr Wöller dazu ein paar Einzelheiten nennen – zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Wie Sie unserem Antrag entnehmen können, ist uns das aber zu wenig.

Das Artensterben kann wirklich nur durch einen Paradigmenwechsel gestoppt werden. Dies erfordert ein konzertiertes Vorgehen aller gesellschaftlichen Akteure. Dazu ist nicht nur ein Handlungspapier, sondern eine Landesstrategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt notwendig. Diese muss sich an die Bundesstrategie anschließen und sich mit ihr verknüpfen.

Wie Sie der Antwort der Staatsregierung auf unsere Große Anfrage entnehmen können, kritisiert die Staatsregierung ausdrücklich diese Festlegung der Ziele, die wenigstens im Bundesprogramm, wenn auch weichgespült, enthalten sind. Dass das die Linie der Staatsregierung ist, zeigt auch der sogenannte „Entwurf einer Nachhaltigkeitsstrategie“ vom Januar 2008, den Minister Wöller vorgelegt hat. Diese Strategie sieht bewusst davon ab, tatsächlich abrechenbare – auch kommunizierbare – Ziele zu verabschieden.

Wir fordern daher: klare Zielsetzungen zum Erhalt von bedrohten Arten und Lebensräumen mit einer kontrollierbaren Zeitschiene; klare und kontrollierbare Verantwortlichkeiten für die einzelnen Ziele; klare Finanzierungsmechanismen; Pakete von Einzelmaßnahmen, die auf diese konkreten Zielsetzungen, beispielsweise zum Schutz einzelner Arten, abgestimmt sind.

Die Maßnahmen der Staatsregierung zum Erhalt der biologischen Vielfalt sind ein Sammelsurium von Einzelmaßnahmen, die zu wenig verzahnt sind. Mögliche Synergieeffekte werden so bewusst nicht genutzt. Ich habe den Eindruck, die Staatsregierung ist zufrieden, wenn Naturschutz in FFH- und SPA-Gebieten praktiziert und betrieben wird; denn auch die Schaffung des Biotopverbundes schleift ja, wie wir alle wissen.

Das reicht uns aber nicht. Wir fordern Naturschutz auf 100 % der Fläche. Nur so kann das Artensterben in der sächsischen Agrarlandschaft gestoppt werden.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Artenschutz in Sachsen ist es nicht fünf vor zwölf, sondern zwei vor zwölf. Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir – auch fraktionsübergreifend – tatsächlich daran arbeiten könnten, dass dieses wichtige Thema auch in der Öffentlichkeit einen höheren Stellenwert, ein höheres Gewicht bekommt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Danke schön. – Frau Kagelmann, Sie haben das Wort für die Linksfraktion.

Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordneten! Unsere cleveren Marketingstrategen haben das Thema „biologische Vielfalt“ längst als wirksamen Träger von Werbebotschaften entdeckt. Da werden Neuwagen beispielsweise mit einem seltenen Schmetterling oder dem vom Aussterben bedrohten Braunbären beworben. Das ist geradezu perfide; denn es sind besonders der wachsende Autoverkehr und die

Zerschneidung der Landschaft, die nicht nur Schmetterling und Braunbär den Raum zum Leben nehmen. Außer Acht gelassen wird dabei, dass es um unsere natürlichen Lebensgrundlagen geht – das wichtigste Gut, das Menschheit, menschliches Sein überhaupt erst ermöglicht.

Die Hälfte der Arten und ein Drittel der Lebensräume Sachsens sollen sich nach einem ersten Bericht über den Zustand nach der EU-Naturschutzrichtlinie in unzureichendem Zustand befinden. Ein erster Bericht Sachsens liegt vor. Das Bewertungsergebnis könne als Teil eines Barometers für die biologische Vielfalt genutzt werden, heißt es im SMUL. Den Bericht der Bundesregierung erhielt ich; den sächsischen Bericht finde ich nicht, weder im Internet noch in Broschur.

Die Bundesregierung unterrichtete den Deutschen Bundestag über die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“. Aus Sachsen kam im Vorfeld anstatt konstruktiver Mitwirkung eine lange Meckerliste.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Umweltdaten und Umweltbeobachtungssysteme, die zur Überwachung der Zielerreichung notwendig sind, seien vielfach nicht vorhanden. Bei der Einrichtung der Systeme und der Erhebung der Daten müsse mit erheblichen Kosten gerechnet werden. Es sei versäumt worden, den zur Umsetzung der Strategie erforderlichen Konsens in den betroffenen Nutzergruppen herzustellen. Und: Die Zielwerte der Strategie seien vielfach unrealistisch.

Angesichts dessen sage ich nur: Damit werden die Dramatik der Entwicklung und die eigene sächsische Verantwortung für einen dringend notwendigen globalen Umkehrprozess beim Artensterben ein weiteres Mal völlig verkannt.

(Beifall bei der Linksfraktion sowie der Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg und Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wenn das der sächsische Weg zum Stopp des Artensterbens sein soll, muss er in einer Sackgasse enden.

Die Staatsregierung ist im Übrigen der Auffassung, dass neben der Zieldefinition und Umweltbeobachtung in geringer räumlicher Auflösung nicht das konkrete Handeln vergessen werden dürfe. So steht es jedenfalls in ihrer Antwort auf die Große Anfrage von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die vor zwei Tagen ausgegeben wurde.

(Prof. Dr. Karl Mannsfeld, CDU: Deswegen ist sie heute nicht Gegenstand der Debatte!)

Selbstverständlich, Herr Prof. Mannsfeld. Ich darf aber kurz darauf verweisen.

Das ist eine durchaus tiefschürfende Erkenntnis. Ich zitiere gleich noch Prof. Wöller aus der Pressemitteilung zum Aktionstag: „Nichts tun ist teurer als Handeln!“ – Ja, Herr Staatsminister, da haben Sie zweifelsohne recht. Nur kommt es mir so vor, als ob Sie zum Beweis in Sachsen 2008 einen „Feldversuch“ gestartet haben, um mit dem

Vorenthalten von Fördermitteln ganz praktisch zu beweisen, dass Nichtstun im Biotopschutz tatsächlich teurer ist als Handeln. Das ist unnötig. Brechen Sie diesen „Feldversuch“ schnellstens ab und stellen Sie Naturschutzvereinen und Landschaftspflegeverbänden endlich die notwendigen Mittel für Pflegemaßnahmen zur Verfügung!

(Beifall der Abg. Bettina Simon, Linksfraktion, und Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wir haben in einem eigenen Änderungsantrag dazu einen Weg aufgezeigt. Unser Änderungsantrag erweitert den Ursprungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema „Biologische Vielfalt im Freistaat Sachsen sichern!“, den wir natürlich vorbehaltlos unterstützen. Es bedarf dringend – ich sage das an dieser Stelle nicht zum ersten Mal – einer Landesstrategie zum Erhalt der biologischen Vielfalt, auch wenn wir inzwischen – Herr Prof. Mannsfeld, da teile ich Ihre Skepsis – etwas vorsichtiger geworden sind, ob wir das Artensterben bis 2010 überhaupt noch stoppen können. Dazu steckt die Karre inzwischen zu tief im Dreck. Es wird wohl noch erheblich länger brauchen, um durchgängig eine Wende zum Besseren zu erreichen. Die Zielsetzung ist dennoch nicht überflüssig.

Die Fraktion DIE LINKE stimmt selbstverständlich auch dem Antrag der Koalitionsfraktionen zu, in dem die Staatsregierung um einen Bericht zum Thema ersucht wird. Wir haben nicht ohne Grund mit unserer Großen Anfrage zur Zwischenbilanz über den Schutz der FFHGebiete auf Defizite bei der Umsetzung des Europäischen Netzes Natura 2000 aufmerksam machen wollen. Wäre man damals unserem aus den Antworten auf die Große Anfrage resultierenden Entschließungsantrag gefolgt, wären wir heute bereits einen konkreten Schritt weiter. Aber wir kennen ja diese parlamentarischen Spielchen und sind an dieser Stelle nicht nachtragend.

Ich kann es Ihnen nicht ersparen, auf eine weitere Bedrohung der biologischen Vielfalt zu sprechen zu kommen. Sie ahnen es: Es geht um die Bedrohung durch die AgroGentechnik. Auf über 114 Millionen Hektar weltweit werden inzwischen gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Es dominieren herbizid- und insektenresistente Pflanzen. Ihr Anbau ermöglicht den Einsatz von Totalherbiziden, das heißt, alle Pflanzen – außer den gentechnisch veränderten – werden vernichtet. Ich frage Sie, meine Damen und Herren: Wollen Sie das für Sachsen? Wollen Sie den Rückgang von Wild- und Ackerunkräutern bis zu deren Aussterben? Ich denke, nein.

Nun sind wir in Sachsen zum Glück noch nicht von dramatischen Entwicklungen in dieser Größenordnung betroffen. Aber die Agrokonzerne haben mit dem Anbau von gentechnisch verändertem Mais MON 810 bereits den Fuß in der Tür. Der Maiszünsler, der mit dem gentechnisch veränderten Mais bekämpft werden soll, ist nur in ganz wenigen sächsischen Gebieten ein wirtschaftliches Problem, und auch das meist nur, wenn die gute fachliche Praxis nicht eingehalten wurde oder nicht

eingehalten werden konnte. Trotzdem hat die aggressive Markteinführungsstrategie von Monsanto Erfolg.

Es wird zünslergiftproduzierender Mais in Gebieten angebaut, in denen es gar keine wirtschaftliche Bedrohung durch den Schädling gibt. Es wird also ein Problem gelöst, das keines ist. Gleichzeitig werden neue Probleme geschaffen.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Darin sind Sie doch Meister!)

Diese durch Agro-Gentechnik in der Praxis entstehenden Gefahren für die biologische Vielfalt müssen immer wieder benannt werden. Da ist zunächst die Unkontrollierbarkeit der Ausbreitung der gentechnisch veränderten Pflanzen in die Umwelt über Auskreuzungen zu nennen. Denn wenn die neuen Gensequenzen der Pflanze einen Standortvorteil verschaffen, werden sie innerhalb kürzester Zeit andere Pflanzen verdrängen, ohne dass wir eine Chance haben, ihre Ausbreitung wieder zu stoppen. Hinzu kommt die reale Gefahr, dass sich Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittel auf andere Unkräuter übertragen und dadurch sogenannte Superunkräuter entstehen.

Aber auch genetisch veränderte Pflanzen ohne einheimische Kreuzungspartner, wie der Mais, stellen ein Umweltrisiko dar, wenn ihre Pollen von Insekten aufgenommen werden oder wenn sie Bodenorganismen beeinflussen, indem sich das vom gentechnisch veränderten Mais produzierte Toxin im Boden anreichert.

Diese Pflanzen, meine Damen und Herren, sind kreuzgefährlich. Die Agrotechnik gehört nicht auf die Felder in Sachsen und die Staatsregierung muss hier endlich aktiv werden.

(Beifall bei der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Vorbild kann hier der Hessische Landtag sein. Dort hat man einen mutigen Beschluss gefasst, der dafür sorgt, dass keine gentechnisch veränderten Pflanzen auf landeseigenen Flächen angebaut werden. Der Antrag kam von den GRÜNEN und wurde von der SPD und den Linken unterstützt. Herr Wöller, ich fordere Sie ausdrücklich auf, diesem Beispiel zu folgen und den Antrag auf Sachsen zu übertragen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Danke schön. Die NPD-Fraktion wird vertreten durch Herrn Despang.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland ist zurzeit Gastgeber der 9. Naturschutzkonferenz der Vereinten Nationen in Bonn. Deshalb haben wir heute gleich zwei Anträge zur biologischen Vielfalt in Sachsen auf der Tagesordnung.

Weil die NPD erst im April in der Debatte zu Natura2000-Gebieten ihre Position zum Natur- und Artenschutz deutlich gemacht hat, möchte ich mich heute nur zum Inhalt der vorliegenden Anträge äußern.