Protokoll der Sitzung vom 10.07.2008

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Wir fordern daher eine übersichtliche Gestaltung von förderfähigen Aufgaben zur Entwicklung des Radverkehrs in Sachsen, aber vor allem auch eine ausreichende finanzielle Ausstattung. Damit Fördermittel auch für die Kommunen abrufbar sind, ist der Informationszugang für sie durchaus verbesserungsbedürftig.

Zum Schluss noch ein paar Worte zum Thema Sicherheit für Radfahrer. Höchst erfreulich ist, dass die Unfallzahlen seit 2005 rückläufig sind, auch die Zahl der Toten ging fast um die Hälfte zurück. Allerdings ist die Zahl der Toten nach wie vor sehr hoch. Deshalb darf in den Anstrengungen bei der Verkehrserziehung und Verkehrsaufklärung vor allem von Kindern und Jugendlichen nicht nachgelassen werden.

In den großen Städten stellt sich durch den zunehmenden Radverkehr verschärft das Problem der Verkehrssicherheit für Fußgänger auf den Gehsteigen und in den Fußgängerzonen. Hierzu hat in den letzten Wochen in der „Leipziger Volkszeitung“ eine ausführliche Debatte und Diskussion stattgefunden, dass nämlich nun mittlerweile durch den wilden Radverkehr auf den Geh- und Bürgersteigen und in den Fußgängerzonen die Fußgänger, vor allem ältere Fußgänger und behinderte Menschen, sehr leicht in Unfälle verwickelt werden können, die auch immer häufiger werden. Hierfür sollten die Kommunen und Städte sowie die Landkreise sensibilisiert werden, dass sie geregelte Fahrradwege auch in den innerstädtischen Fußgängerboulevards ausweisen, damit tatsächlich auch Fußgänger sicher zu Fuß ihr Ziel erreichen können.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Für die SPD-Fraktion Frau Dr. Raatz, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Zunächst

eine Frage an Herrn Lichdi. Was haben Sie denn gegen Hausfrauen?

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Ich?)

Sie haben vorhin einen so großen Bogen zwischen berufstätigen Auto fahrenden Männern und den Hausfrauen geschlagen. Ich stelle fest, dass Hausfrauen sehr viel Fahrrad fahren. Also muss es eine Klientel sein, die Ihnen sehr am Herzen liegt. Sie müssten froh sein, wenn es viele Hausfrauen gibt,

(Beifall bei der CDU)

denn sie fahren zum Einkaufen mit dem Fahrrad, stören, sage ich einmal, Leute, die zum Sächsischen Landtag wollen – und das manchmal recht schnell –, und sie fahren natürlich auch ihre Kinder zur Schule, zum Sport usw.

Gestatten Sie zum Thema Hausfrauen eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Vielen Dank. – Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich natürlich nicht finde, dass es zu wenig oder zu viele Hausfrauen sind, sondern dass ich der Meinung bin, dass jeder selbst entscheiden soll, was er gern ist.

Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es mir gerade darum ging, darauf hinzuweisen, dass diejenigen Personen, die in den Kommunalparlamenten, also auch hier im Sächsischen Landtag, über die Prioritäten der Mobilitätspolitik entscheiden, oft Männer sind, die oft in ihrem Alltag nur Auto fahren, und dass deswegen nach meiner Interpretation die Belange des Radverkehrs auch in den Köpfen von den Alltagserfahrungen her zu gering ausgeprägt sind?

– Ja, Herr Lichdi, ich nehme das zur Kenntnis.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Vielen Dank!)

Ganz kurz dazu: Es liegt aber nicht an den Männern, die im Landtag oder auch in den Stadt- und Gemeindeparlamenten sitzen und Auto fahren, sondern wohl eher an den Leuten, die nicht in den Parlamenten sitzen und sich nicht zur Wahl stellen. Das muss man einmal feststellen.

Nun zum Thema Radverkehr und weg von den Hausfrauen. Am letzten Wochenende fand in Dresden unter dem Motto: „Auf in den Süden“ das 13. Fahrradfest statt. Insgesamt gingen über 9 000 Radler die verschiedenen Strecken zwischen 10 und 125 Kilometern an. Dieser Fahrradtag brachte Klein und Groß, Jung und Alt sowie Leistungs- und Freizeitsportler zusammen. In dem vorab verteilten Flyer stand: „Das Fahrrad ist ein nicht wegzudenkendes Fortbewegungsmittel unserer Zeit. Es stellt die wohl ökologischste Variante dar, die heimatliche Umgebung zu erkunden. Das Fahrradfahren fördert die körperliche Ertüchtigung und ist das ideale Verkehrsmittel, um

im gesellschaftlichen Miteinander die Schönheiten der Landschaft zu entdecken.“ Genau so, wie es in dem Flyer dargestellt ist, wurde es auch schon von meinen Vorrednern gesagt. Die touristische Bedeutung des Fahrrads wird allseitig erkannt und auch in Sachsen kräftig ausgebaut. Meine Kollegin Frau Windisch ist intensiv auf diese Problematik eingegangen.

Aber es geht ja noch um mehr, nämlich um die Erhöhung des Radverkehrsanteils am gesamten Verkehrsaufkommen. Die Entwicklung des Alltagsradverkehrs ist – da gebe ich Herrn Lichdi recht – noch lange nicht dort, wo sie hingehört. In Deutschland, aber auch in Sachsen haben wir da noch einiges zu tun. Das Fahrrad ist ein extrem unterschätztes Verkehrsmittel, obwohl etwa 11 % – Sie sprachen von 12 %, wir wollen uns da nicht streiten – aller Wege in Deutschland auf dem umwelt- und gesundheitsfreundlichen Drahtesel zurückgelegt werden. Ich sehe es so, dass 11 oder 12 % schon einmal eine Ausgangsbasis sind.

Tatsache ist, dass die Erkenntnisse über die positive Wirkung des Radverkehrs in der Gesellschaft und auch die Wirkung auf die nachhaltige Stadtentwicklung nur unzureichend umgesetzt werden. Häufig bleiben gut gemeinte Maßnahmen wirkungslos, weil sie oft isoliert und ohne integrierten Ansatz durchgeführt werden.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Folglich ist es kein Wunder, dass Deutschland und auch Sachsen von rund 30 % Radverkehrsanteil, wie ihn zum Beispiel die Niederlande aufzuweisen haben, noch weit entfernt ist. Dennoch steht bei vielen Menschen das Rad bereits bei ihren sportlichen Aktivitäten und in ihrer Freizeitgestaltung hoch im Kurs. Warum sollte es nicht gelingen, noch mehr das Gute mit dem Nützlichen zu verbinden? Die Vorteile liegen auf der Hand: Fahrradfahren ist gesund und kostengünstig. Außerdem ist es auf kurzen Strecken gerade in der Stadt häufig konkurrenzfähig zum Auto.

Studien belegen, dass mehr als ein Viertel aller angetretenen Autofahrten bereits nach 3 Kilometern endet – eine Entfernung, bei der selbst der geregelte Katalysator seine Aufgabe noch nicht erfüllen kann und der Kraftstoffverbrauch überproportional hoch ist. Gerade für diese Kurzstrecken ist das Fahrrad eine bessere Alternative.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Dr. Martin Gillo, CDU)

Ein Radfahrer braucht für 3 Kilometer circa 9 Minuten ohne Stau, Parkplatzsuche, Abgas- und Lärmverursachung – ein wichtiger Aspekt für Umwelt und Gesundheit. Das Fahrrad hat das Potenzial, etwa 50 % des städtischen motorisierten Verkehrs zu ersetzen, und ist auch eine Lösung für das Parkplatzproblem der Städte. Ein geparktes Fahrrad benötigt ein Achtel der Fläche eines geparkten Pkws. Weitere Vorteile des Radverkehrs sind offensichtlich. Er ermöglicht Mobilität, nahezu unabhängig von Alter und Einkommen, ist gesundheitsfördernd,

geräuscharm, Flächen schonend und vor allem klimafreundlich.

Aus diesen Gründen will die Bundesregierung vor allem mit dem Nationalen Radverkehrsplan, aber auch der Freistaat Sachsen mit dem schon häufig hier erwähnten Radverkehrskonzept aus dem Jahr 2005 den Radverkehrsanteil an der Mobilität weiter erhöhen. In der Sächsischen Radverkehrskonzeption werden dazu sieben Leitsätze formuliert, die eine Stärkung des Radverkehrs besonders im Bereich des Alltags bewirken sollen.

Ein wesentlicher Leitsatz in diesem Konzept lautet: Um zum Radfahren zu ermuntern, ist ein Systemansatz zu verfolgen. Ich denke, genau das ist das Wesentliche. Radfahrer benötigen auf ihrer Fahrt mehr als den gebauten Weg oder die Straße. Sie müssen sich zum Beispiel orientieren, ihr Fahrrad sicher und leicht zugänglich abstellen und ein Netz von Servicefunktionen vorfinden. So wie bei anderen Verkehrsmitteln oft schon vorbildlich umgesetzt, soll auch für den hinsichtlich Investition und Betriebskosten sehr effizienten Verkehrsträger Fahrrad ein System aus Infrastruktur und Dienstleistungsangeboten entstehen, das Funktionalität, Zuverlässigkeit und Komfort vereint. Darüber hinaus ist potenziellen Nutzern durch Marketing und Öffentlichkeitsarbeit der Zugang zu den Angeboten zu erleichtern.

Dazu bedarf es – auch das, Herr Lichdi, haben wir hier dargelegt – einer die Ebenen übergreifenden Zusammenarbeit. Beste Praxisbeispiele zur Steigerung des Alltagsradverkehrs gibt es zur Genüge. Die EU-Kommission führt in ihrem Grünbuch „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt 2007“ ebenfalls den Radverkehr an. Verkehrsbelastungen müssen gesenkt werden, ohne die Mobilität der Bürger einzuschränken. Frau Windisch hat schon deutlich gemacht, dass man, wenn man für das Fahrradfahren ist, nicht gegen das Autofahren sein muss; denn auf diesem Weg werden wir nicht weiterkommen.

Handlungs- und Umsetzungspartner sind hier ganz klar die Kommunen. Eine dringende Aufgabe ist dabei die Verbesserung des integrierten Verkehrs, also eine gute Verknüpfung von ÖPNV und Fahrrad. Hier sind eben alle Akteure in der Pflicht, umzudenken und gemeinsam neue Wege zu gehen.

Um einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten, hat sich die Landesregierung zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit den wichtigsten Akteuren vor Ort – den Landkreisen, Kommunen und Verbänden – ein funktional gegliedertes integriertes Radwegenetz zu schaffen. Es gilt, die zahlreichen durch das Land oder mit Unterstützung des Landes in Planung oder Realisierung befindlichen Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs unter Beachtung der sich deutlich wandelnden demografischen und finanziellen Rahmenbedingungen in geeigneter Weise umzusetzen und fortzuschreiben. So konnten wir kürzlich durch eine Pressemitteilung des SMWA erfahren, dass für den nachträglichen Bau von Radwegen an Staatsstraßen über das Operationelle Programm 11 Millionen Euro bereitgestellt werden. Hinzu kommen 5 Millionen Euro pro Jahr

für den kommunalen Radwegebau aus dem Landeshaushalt. Das ist doch ein ganz klares und positives Signal.

Die wirklichen Potenziale des umweltfreundlichen Verkehrsmittels sind anhand der Entwicklung in Leipzig zu erahnen,

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

wo in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich viel für die Radverkehrsförderung getan wurde. Der Anteil des Fahrrades an allen Wegen stieg in der Messestadt von 6 % im Jahre 1994 auf mittlerweile 13 %. Die Gesamtlänge der Radverkehrsanlagen im öffentlichen Verkehrsraum hat sich von 74 Kilometern im Jahre 1990 auf 296 Kilometer im Jahr 2007 mehr als vervierfacht. Die Stadt strebt an, den hohen Anteil des Radverkehrs am Wegeaufkommen weiter kontinuierlich auszubauen; darüber hinaus will sie alle Möglichkeiten zur Förderung des Radverkehrs, wie die Schaffung von Abstellmöglichkeiten, Wegweisungen, Stadtplänen, Beseitigung von Problemstellen sowie Fahrradausleihstationen, nutzen und unterstützen.

Das macht deutlich: Wo sich die Verkehrsplanung bemüht, ein gutes Fahrradklima zu erzeugen, werden durchaus überdurchschnittliche Radverkehrsanteile erreicht. Es liegt also an der Politik, aber hier vor allem an der kommunalen Politik und der Planung, den Radverkehr zu fördern und damit die Umwelt zu entlasten. Wie man sieht, gibt es viele gute Gründe, sich für das Radfahren in Sachsen starkzumachen. Daher danke ich auch der Fraktion der GRÜNEN für diese angezettelte Debatte.

(Beifall bei den GRÜNEN – Leichte Heiterkeit)

Ich muss aber doch noch eine Frage anschließen, Herr Lichdi, die Sie nachher noch etwas genauer beantworten können: Sie haben ja sehr viele Kleine Anfragen zur gleichen Problematik gestellt, haben darauf auch die gleichen Antworten wie auf die Große Anfrage erhalten, sodass ich für mich nicht ganz erschließen kann, warum aufgrund der vielen Kleinen Anfragen noch diese Große Anfrage gestellt werden muss. Aber Sie sehen, wir halten die Thematik für wichtig.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN sowie vereinzelt bei der CDU und der Staatsregierung)

Die NPD-Fraktion; Herr Despang, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der GRÜNEN hätte ihre Große Anfrage früher stellen sollen, damit sie diese mit den Antworten der Staatsregierung noch vor den Kreistagswahlen hätte ins Plenum ziehen können. Denn den Antworten ist zu entnehmen, dass in zahlreichen Fällen die Zuständigkeiten für den Radverkehr auf der kommunalen Ebene liegen. Nur finden die GRÜNEN dort nicht oder nur unmaßgeblich statt.

Dass aber das Thema Radverkehr an sich nicht nur in Sachsen an Bedeutung gewinnen wird, ist aufgrund der Entwicklung der Kraftstoffpreise zu erwarten. Man kann nach Kenntnisnahme der Antworten der Staatsregierung zur vorliegenden Großen Anfrage sicherlich nicht behaupten, in den letzten Jahren wäre in Sachen Radverkehr im Freistaat nichts getan worden. Aber man muss auch nicht in Jubelarien ausbrechen. Vielfach hat man den Eindruck, dass zwar viele Fachtagungen und Fortbildungsveranstaltungen stattfinden und Arbeitskreise, Koordinationsstellen, Ausbildungseinrichtungen und dergleichen mehr existieren, mit ebenso vielen Konzepten aber letztlich konkret nur ein Bruchteil aus diesen „Ideenschmieden“ Wirklichkeit wird. Kurz gesagt: Es wird viel darüber gefachsimpelt, doch der Wirkungsgrad hält sich in Grenzen.

Ich möchte dazu beispielgebend kurz auf die Antworten auf die Fragen 17 und 18 eingehen. Es geht darin um die Fahrradabstellmöglichkeiten an den sogenannten Schienenpersonennahverkehrszugangsstellen in Sachsen. An nicht einmal der Hälfte der SPNV-Zugangsstellen sind vernünftige Fahrradabstellmöglichkeiten gegeben.

(Stefan Brangs, SPD: Was?)

Gerade einmal 44 % weisen laut Auskunft der Staatsregierung solche auf.

Aus ebendieser Erkenntnis heraus resultiert die Planung der Staatsregierung, innerhalb der nächsten fünf Jahre an sage und schreibe 32 Zugangsstellen Fahrradabstellanlagen zu errichten. Man stelle sich vor: Dies wären fast sechseinhalb Anlagen im Jahr. Angesichts eines selbst eingestandenen Defizits von 304 Abstellanlagen plant die Staatsregierung gerade einmal alle zwei Monate eine weitere fertigzustellen. Nur nicht übereilen, meine Damen und Herren von der Staatsregierung! Bei diesem rasanten Tempo sind bereits in circa 48 Jahren – vielleicht passend zum Erschöpfen der fossilen Ressourcen – die sächsischen SPNV-Zugangsstellen radfahrerfreundlich ausgestattet – wenn nicht bis dahin die bestehenden Abstellmöglichkeiten Erneuerungsbedarf aufweisen. Hier, darf wohl zu Recht behauptet werden, herrscht Nachbesserungsbedarf bei den Planungsvorgaben.

Dass die Sächsische Staatsregierung dem Einsatz von Polizeistreifen grundsätzlich positiv gegenübersteht, hört sich erst einmal gut an und klingt angesichts mancher Kilometerstände polizeilicher Dienstwagen, die allein schon zum Umsatteln auf den Drahtesel anraten, sogar glaubwürdig. Doch mit den insgesamt nur neun Fahrrädern, die sich derzeit in ganz Sachsen in Polizeirevieren im Einsatz befinden, möchte man gern das Grundsätzliche genauer erläutert bekommen. Herr Staatsminister Buttolo, vielleicht können Sie sich im Rahmen der Debatte einmal dazu äußern. Die Fahrradstaffel der sächsischen Polizei ist ja so überschaubar, dass Sie vermutlich jeden Polizeibeamten mit Dienstfahrrad persönlich kennen.