Herr Kollege Dulig, erinnere ich mich richtig, dass Sie im Wahlkampf für mehr Lehrer für unsere Kinder geworben haben? Können Sie mir jetzt erklären, warum das nicht mehr gelten sollte?
Herr Porsch, ich weiß jetzt nicht, wie viele Bildungsdebatten wir in diesem Sächsischen Landtag geführt haben. Ich vermute einmal, dass es die höchste Anzahl aller Diskussionen war. Sie würden selbst Ihre eigenen Kolleginnen und Kollegen jetzt etwas infrage stellen, wenn Sie die bildungspolitische Debatte wirklich nur auf die Frage von Lehrerstellen reduzieren. Da widersprechen Sie auch Ihren eigenen Kolleginnen und Kollegen. Es ist zu fragen, ob wir, wenn wir eine andere Bildung, eine bessere Bildung für unsere Kinder wollen, das auf die Frage von Lehrerstellen reduzieren. Da bin ich gespannt, inwieweit es dabei einen Widerspruch zu den Kolleginnen und Kollegen in Ihrer Fraktion gibt; da bin ich wirklich gespannt.
Die Frage, ob wir jetzt fein raus sind und den Kopf in den Sand stecken können – Sie vermuten richtig, dass ich diese Frage nur rhetorisch gestellt habe –, verneine ich natürlich. Statt in den Sand, sollten wir unseren Kopf über den Zaun strecken. Offensichtlich kommen andere Schulsysteme mit teilweise weniger Lehrern besser zurecht. In vielen dieser Länder kennt man gar keinen Unterrichtsausfall. In vielen dieser Länder wird nicht jedes Jahr
Was ist also anders in diesen anderen Schulwelten? Sie sind nicht staatlich verwaltet. Sie sind kommunal verortet. Sie haben selbst die Verantwortung, auch für das Personal. Statt der formalen Absicherung einer Stundentafel nachzujagen, müssen die Schulen die Verantwortung für die Bildungsprozesse übernehmen, und das mit Erfolg. Das können wir den Statistiken der Schulabbrecher oder den Ergebnissen internationaler Vergleichsstudien entnehmen. Lohnt es nicht, einen solchen Weg zu beschreiten? Lohnt es nicht, die Bildungsprozesse stärker in den Blick zu nehmen als die Verwaltung der Lehrerstellen? Lohnt es nicht, statt in die zentrale Verwaltung besser in die Schulen zu investieren? Wir sagen: Ja, das lohnt sich. Lassen Sie uns nicht länger die falschen ritualisierten Diskussionen führen, lassen Sie uns die Probleme an der Wurzel packen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über das Problem der Unterrichtsversorgung, die aus Sicht der NPD-Fraktion das Hauptproblem zum Schuljahresbeginn darstellt, wurde ja gestern Abend bei der Behandlung des FDP-Antrages bereits gesprochen. Deshalb werde ich hier nur einige grundsätzliche kurze Ausführungen machen.
Uns ist ohnehin nicht ganz klar, was DIE LINKE mit dieser Debatte eigentlich bezweckt. Hier kann doch – die vorangegangenen Redebeiträge haben es auch gezeigt – bestenfalls eine Bestandsaufnahme gemacht werden. Also ist es wohl eher die übliche Aufgeregtheit der Linken bei Fragen der Schulpolitik, die uns diesen Tagesordnungspunkt beschert hat. Damit will ich nicht sagen, dass an den Schulen in Sachsen alles in Ordnung ist. Auch wir haben Stundenausfall und Lehrermangel an allen Schularten. Aber der Zeitpunkt für diese Debatte ist denkbar ungeeignet. Richtiger wäre es doch gewesen, sie vor Beginn des neuen Schuljahres zu führen.
In der Sondersitzung des Schulausschusses am 10.07. wurde auch auf Antrag der Linken bereits umfangreiches Zahlenmaterial bekannt gegeben. Es ist aus meiner Sicht nicht weiterführend, wenn wir uns jetzt diese und andere Zahlen gegenseitig erneut vortragen. Den Lehrermangel werden wir jedenfalls mit dieser Debatte nicht beseitigen. Wir sollten dem neuen Kultusminister die Chance geben, die von ihm gestern erneut angekündigte Prüfung des Lehrerbedarfs abzuwarten, anstatt jetzt eine Auseinandersetzung im luftleeren Raum zu führen. Der gestrige Antrag war jedenfalls ein wesentlich sinnvollerer Beitrag als Ihr zum x-ten Mal vorgetragenes Wehklagen.
Wir müssen also zum Anfang des neuen Schuljahres feststellen, dass es zu wenig Lehrer in Sachsen gibt. Dass diese Erkenntnis nun auch von Herrn Wöller verbreitet wird, ist zu begrüßen. Die Pressekonferenz von Herrn Prof. Wöller am 21. August war in dieser Hinsicht bemerkenswert. Die Einsicht des neuen Kultusministers wirft allerdings auch ein schlechtes Licht auf seinen Vorgänger. Herr Steffen Flath, jetzt CDU-Fraktionsvorsitzender, hat als Minister schlicht und einfach versagt. Das ist für uns die Haupterkenntnis zu Beginn des neuen Schuljahres. Von Herrn Wöller erwarten wir nun eine Aufarbeitung der Versäumnisse der Vergangenheit, damit wir zu Beginn des nächsten Schuljahres nicht wieder eine solche Feststellung treffen müssen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Debattentitel kommt mir, ehrlich gesagt, etwas lieblos und dahingeschludert vor. Er passt – in Teilen zumindest – auch zum Start des Schuljahres 2008/2009, denn auch dort ist etwas schiefgegangen, wenn man beispielsweise den Medienberichten über die Zustände an Dresdens Grundschulen glaubt. Nicht überall konnte die Unterrichtsversorgung abgesichert werden. Es gab eine 1. Klasse, in der die Klassenleiterin fehlte, und die Schüler durften eine Woche malen, weil nicht klar war, nach welcher Methode man die Schüler später im Schreiben unterrichten wird.
Aber klar, Probleme beim Schulstart wird es immer geben. Die Frage ist nur, ob es so viele sein müssen. Aus unserer Sicht hat die zentrale Planungsbürokratie der Bildungsagenturen ihre Grenzen längst erreicht. Direktoren erfahren teilweise erst wenige Tage vor dem Start des neuen Schuljahres, welche Lehrer eigentlich bei ihnen unterrichten.
Wenn sie Pech haben, werden sie kurz vor dem neuen Schuljahr selbst versetzt. Mit strategischer Personalentwicklung, mit Teambildung, mit Herausbildung einer Schulkultur hat das wirklich nichts zu tun, meine Damen und Herren.
Zentrale Planwirtschaft hat übrigens noch nie so richtig funktioniert. Das mussten schon einmal ganz andere erfahren. Deshalb muss aus unserer Sicht auch Schluss sein mit der Lehrer-Landverschickung durch ganz Sachsen. Wir wollen eine dezentrale Planung und mehr Personalverantwortung für Schulen und Schulträger vor Ort.
Im aktuellen Schuljahr wurden 32 000 ABC-Schützen eingeschult. Was erwartet diese Schüler in ihrer Laufbahn? Wir haben uns einmal die Mühe gemacht, etwas nachzurechnen. Ändert sich an den derzeitigen Verhältnissen nichts, dann werden diese Schüler in ihren ersten zehn Jahren insgesamt 313 761 Stunden Unterrichtsausfall erleben. Es wird 6 720 Fälle von Schuljahreswiederholungen geben, und 2 786 der 32 000 Schulanfänger werden die Schule ohne Abschluss verlassen. Diese Zahlen zeigen, dass sich Sachsen trotz aller PISA-Erfolge nicht auf den bisherigen Leistungen ausruhen kann.
(Beifall bei der FDP und der Linksfraktion – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Aber Herr Colditz kann sich ausruhen!)
Vor dem neuen Kultusminister steht eine Menge Arbeit, denn das sächsische Bildungssystem ist längst nicht so gut, wie es sein müsste. Ich freue mich, dass dies jetzt auch der Ministerpräsident erkannt hat; so hat er sich zumindest in der Zeitung geäußert. Erkenntnis ist immer der erste Schritt zur Besserung.
Um den jetzigen Schulanfängern bessere Bedingungen zu bieten, brauchen wir aber auch mehr Mut; Mut beispielsweise zur eigenverantwortlichen Schule, damit vor Ort flexibler und schneller reagiert werden kann, damit Angebote auf das Wohnumfeld und auf die konkrete Schülerschaft ausgerichtet werden können. Ich war sehr überrascht, dass Martin Dulig jetzt auch für die Übertragung der Personalhoheit auf die Schulträger plädiert. Das ist begrüßenswert. Wenn die SPD einen entsprechenden Antrag stellt, kann ich versprechen, dass wir diesem zustimmen werden.
Seit Jahren sprechen wir über mehr Verantwortung für sächsische Schulen – passiert ist bisher nichts. Dass dies praktisch funktioniert, konnten zumindest die Mitglieder des Schulausschusses im Winter im Baltikum erleben. Doch offensichtlich setzt sich nicht jede Erkenntnis in konkretes Handeln um. Herr Wöller, hier haben Sie einmal die Chance, neue Akzente zu setzen – trauen Sie sich, zeigen Sie mal Mut!
Gleiches gilt übrigens für das längere gemeinsame Lernen. Auch der Ministerpräsident hat erkannt, dass das frühe Aussortieren Probleme mit sich bringt, und das ist auch schon mal ein Anfang. Doch irgendwann müssen den wohlfeilen Worten die Taten folgen. Darauf werden wir achten, und zwar nicht nur am Schuljahresanfang, sondern das ganze Schuljahr lang.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist in den vergangenen Tagen des Öfteren angesprochen worden. Die einen meinen sich in den vermeintlichen Erfolgen der Untersuchung sonnen zu können – Herr Colditz hat eine ausführliche Lobpreisung vorgenommen –;
die anderen kritisieren – wie ich finde, zu Recht – die Untersuchung als Gefälligkeitsstudie der Wirtschaft, die kein objektives Abbild der Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme zeigt.
Nach meiner festen Überzeugung bemisst sich diese Leistungsfähigkeit nämlich vor allem daran – ich habe es hier schon oft gesagt und werde es so lange wiederholen, bis es endlich in praktische Politik umgesetzt wird –, welche Chancen in der Schule den Schwächeren eingeräumt werden und wie sich dieses System den Herausforderungen der Zukunft stellt.
Was die Schwächeren betrifft, so hat sich in Sachsen nichts Entscheidendes getan. Immer noch verlassen knapp 9 % der sächsischen Schulabgänger die Schulen ohne Abschluss. Das ist ein Skandal.
Und, Herr Colditz, die Hälfte derer, die keinen Schulabschluss in Sachsen bekommen, sind Förderschüler. Ich finde, das potenziert den Skandal.
Die meisten dieser Schulabgänger, die ins Aus geschickt werden, sind Förderschüler. Ich höre zwar wohl, dass man sich zum Ziel gesetzt hat, die Gesamtzahl zu halbieren; ich sehe aber nicht, dass dieses Vorhaben mit irgendwelchen praktischen Maßnahmen untersetzt wird. Auch im neuen Schuljahr ist die Ausstattung gerade der Förderschulen mit Lehrerstellen unzureichend. Die Stundentafel kann auch in diesem Schuljahr nur zu ungefähr 98 % abgesichert werden. Ergänzungsbereich findet in diesen Schulen praktisch nicht statt – übrigens auch an berufsbildenden Schulen, an denen darüber hinaus auch noch Lehrerstellen abgebaut werden sollen.
An Mittelschulen und Gymnasien gibt es unter anderem Engpässe bei der Erteilung des Lateinunterrichts und in den Naturwissenschaften. Darüber hinaus benötigen wir eine Lehrerreserve, um den durchschnittlichen Unterrichtsausfall von knapp 3 % zu verringern. Auch hier ist festzustellen, dass Förderschulen und berufsbildende
Schulen wiederum besonders benachteiligt sind; denn hier betrug der Unterrichtsausfall im vergangenen Jahr knapp 5 bzw. fast 7 %. Gerade dort, wo man es sich am wenigsten leisten sollte, wird also am meisten gespart.
Die Mangelbewirtschaftung von Lehrerstellen wird auch im neuen Schuljahr fortgesetzt; die sächsischen Lehrerinnen und Lehrer arbeiten am Limit und Unterrichtsausfälle können nicht aufgefangen werden.