Meine Damen und Herren! Mehr Netto für alle ist das beste Konjunkturprogramm für Deutschland und das beste Konjunkturprogramm für Sachsen; mehr dazu in der zweiten Runde.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Zeit der Konjunkturkrise machen wir uns Gedanken, ob der Staat sehr viel stärker eingreifen muss. Wir haben begonnen, als die Bankenkrise Auslöser dieser Wirtschaftskrise wurde, über mehr Regulierung nachzudenken, ob der Staat es besser könnte.
Aber der Großteil der Bevölkerung sehnt sich nach sozialer Absicherung, in den alten Bundesländern wie in den neuen und in den neuen Bundesländern noch etwas stärker. Das Vertrauen in diese Wirtschaftssituation und das Vertrauen in unser Wirtschaftssystem, in unsere Demokratie ist schon deutlich gesunken. Aber kann der Staat es wirklich besser? Oder sind Lösungen, wie sie Kollege Zastrow vorgetragen hat, den Privaten mehr zu lassen, der richtige Weg?
Es geht um unsere Konjunktur. Alle Bereiche schwächeln. Seit dem II. Quartal 2008 bewegen wir uns rückwärts mit unserer realen Wirtschaftsleistung. Im III. Quartal ist das Bruttoinlandsprodukt preis- und saisonbereinigt um 0,5 % zum Vorquartal gesunken.
Wesentlicher Grund ist die rückläufige Auslandsnachfrage. Unser Exportmotor stottert. Das trifft vor allem die international ausgerichtete Industrie. Die Exportquote in Sachsen, insbesondere Automobil und Chip, bringt ja 36 % unserer Wirtschaftsleistung.
Noch ein paar Zahlen, um zu analysieren und zu zeigen, vor welchem Hintergrund wir über Mechanismen und Instrumente zu sprechen haben.
Das verarbeitende Gewerbe hat 2 % Bruttowertschöpfung gegenüber dem Vorjahr verloren, bereinigt sogar 3,8 %. Die Bauproduktion sinkt, zuletzt um 5 %.
Nur der Dienstleistungssektor war in Deutschland noch ein Stabilitätsfaktor. Zwei Drittel unserer deutschen Wirtschaftsleistungen kommen aus diesem Bereich. Aber mit Zeitverzögerung, können wir uns ausrechnen, wird diese Krise auch dort einschlagen, ob nun über die Zeitarbeit oder über die Bankenproduktivität.
Und noch ein paar Zahlen: Die Inlandsnachfrage ist real um 1,9 % gestiegen. Der private Konsum als wichtigster Einflussfaktor ist um 0,3 % gesunken und konnte auch durch staatlichen Konsum, durch Konsum der Aus
Wie begegnen wir nun dieser Krise? Es verwundert mich überhaupt nicht, dass die Parteien jetzt so durchgefärbte Ansätze über die Medien und auch hier im Parlament diskutieren und aus ihrem politischen Instrumentenbaukasten das herausholen, was sie als allein selig machend erkennen: Steuersenkungen, Steuererhöhungen nur für Reiche, Konsumschecks, Investitionsprogramme, Kindergelderhöhung, Hartz-IV-Erhöhung bis hin zu mehr Mitbestimmung für Arbeitnehmer. Das ist eine große Kiste. Mir erscheint das etwas ungeordnet und auch etwas hektisch, also Aktionismus, ungeordnet insbesondere deswegen, weil wir die Konsequenzen nicht ausreichend zu Ende beachten und weil wir unseren Ordnungsrahmen verlieren, den sicher jeder in einer anderen Fasson hat, aber auf den wir uns besinnen müssen, um nicht das über Bord zu werfen, was wir vorgestern beschlossen haben. Wir wollen unsere Neuverschuldung stoppen und unsere Schulden abbauen.
Wir vertreten den Staat, aber er ist nur einer der Handlungspartner in der Wirtschaft. Bevor wir in einer zweiten Runde auch über das Maßnahmenpaket und mögliche Instrumente diskutieren, möchte ich noch die Rolle der anderen beiden Partner ansprechen: Unternehmen und Private. Für die Wirtschaft gilt, dass jede Rezession den Druck verstärkt, effizientere und bessere Produkte und Leistungen zu entwickeln. Im Sinne von Josef Schumpeter liegt eine positive Kraft in der Zerstörung von ballastreichen und verkrusteten Systemen. Es tut aus meiner Sicht unserem behäbigen System und übertriebenen Anspruchsdenken gut, auf ein vernünftiges Maß zurückzuschrumpfen, denn Lohnforderungen von 8, 10, 16 % mehr sind etwas unersättlich. Das ist Verkennung internationaler Geflechte. Dafür ist vielleicht die Forderung nach Steuersenkungen die bessere Lösung.
Die Betriebe haben es versäumt, in den guten Zeiten Reserven für die derzeit schlechte Situation aufzubauen, und können nun nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. Wir müssen überlegen, wie wir das ausgleichen, was Private weggenommen bekommen haben und was Firmen nicht mehr haben. Man hat zugunsten von Einkommens- und Dividendenzahlungen auf das Sammeln von Vorräten verzichtet. Man hat den privaten Konsum durch laufende Kredite zu null Prozent, wie jetzt in der Werbung – „heute leben, morgen bezahlen“ –, aufgepusht, aber diese amerikanische Art, auf Krisen zu reagieren, ist nicht unsere. Deutschland hat in Krisensituationen seine Sparquote erhöht, und das ist auch gut so.
wir sicher noch nie einen so vor Tatkraft strotzenden und von der Gewissheit über die einzige, ausschließliche, richtige Lösung kündenden Titel: „Statt umständlicher Konjunkturpakete und Krisenaktionismus: Jetzt Steuern senken und Bürger direkt entlasten!“
Das ist nicht ganz schlüssig, meine liebe Kollegin und Kollegen von der FDP-Fraktion; denn Ihre Forderung, gerade jetzt die Steuern zu senken, ist auch nichts anderes als Krisenaktionismus.
Genau. Sie hätten lieber das Wort „jetzt“ weglassen sollen. Sie hätten sich damit nicht nur den Widerspruch zum kritisierten Krisenaktionismus erspart, sondern vor allem ist es wirklich keine Forderung, die Sie gerade jetzt erheben. Steuersenkungen werden von der FDP seit Jahren, egal, ob es mit der Wirtschaft bergauf oder bergab geht, gefordert. Für Sie ist die Steuersenkung für alle Lebenslagen immer und ausschließlich die beste Lösung – außer für eine Zeit, nämlich dann, wenn Sie selbst regieren.
Da kann doch irgendetwas nicht stimmen, wenn die FDP im Bund bis 1998 fast durchgehend mitregiert hat und dann, kaum in der Opposition gelandet, als Erstes und seitdem permanent Steuersenkungen fordert. Da kann doch irgendetwas nicht stimmen, wenn diese Forderung, obwohl ihr in den vergangenen Jahren leider auch und gerade durch Rot-Grün in einer bisher nicht vorstellbaren Dimension entsprochen wurde, dennoch weiter permanent erhoben wird. Jedenfalls spricht es weder für eine differenzierte und an den Problemen der Gesellschaft orientierte Politik noch für ein Verantwortungsbewusstsein für die gesamte Gesellschaft,
wenn permanent und penetrant immer nur das Gleiche gefordert wird. Das ist für mich eher ein Erkennungszeichen stupider, radikaler und egoistischer Klientelpolitik.
Das bestätigt sich, wenn man in das Detail Ihrer bisherigen Steuersenkungsforderungen und Ihrer Steuersenkungserfolge geht. Welche Steuern wurden denn bisher gesenkt? Wer wurde in welchem Maße entlastet? Wer ist jetzt von der Krise elementar und unmittelbar betroffen? Wer sind die Hauptnutznießer Ihrer Forderungen? Profitieren und profitierten vor allem die Rentner, die sozial Schwachen oder die Geringverdiener oder überhaupt die Arbeitnehmer vom abgesenkten Spitzensteuersatz der Einkommensteuer, von der Reduzierung der Körperschaftsteuer, von der fehlenden Vermögensteuer und den nun geschaffenen enormen Freigrenzen bei der Erbschaftsteuer und der generellen Freistellung selbst genutzter Villengrundstücke? Oder sind es vor allem die Spitzenverdiener und die Vermögenden, die doch wohl bereits
in den vergangenen Jahren mit den ihnen überlassenen Steuergeschenken die deutlich besseren Voraussetzungen haben, die jetzige Krise zu bestehen, möglichst sogar ohne größere Blessuren?
Statt zu protestieren, sollten Sie sich lieber mit der Struktur des Steueraufkommens befassen. An erster Stelle steht bekanntermaßen bundesweit die Umsatzsteuer mit einem Aufkommen von circa 170 Milliarden Euro. Dieser folgt an zweiter Stelle – na, große Überraschung – die Lohnsteuer mit 132 Milliarden Euro. Ganz weit abgeschlagen folgen veranlagte Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und noch viel weiter zurück die Erbschaftsteuer.
Es ist kein Wunder, dass das Privatvermögen der reichsten 30 % der Haushalte mit 5 000 Milliarden Euro beziffert wird. Die meisten Bürgerinnen und Bürger können sich beim Blick auf ihr privates Konto sicher gar nicht vorstellen, dass das Durchschnittsvermögen der Deutschen laut einer Studie reichlich 80 000 Euro beträgt, denn 50 % der Bevölkerung haben weniger als 15 000 Euro Vermögen. Der hohe Durchschnitt ergibt sich daraus, dass das oberste Zehntel über knapp 60 % des gesamten Vermögens verfügt.
Diese Personen zahlen natürlich auch Steuern, aber sie brauchen doch keine Steuersenkungen. Sie sollten lieber einen ihrem Vermögen angemessenen Beitrag zum Steueraufkommen leisten. Aber leider hat die vor einigen Jahren gegründete Millionärsinitiative für die Vermögensteuer keine große Anhängerschaft gefunden, was übrigens nicht daran liegt, dass es zu wenige Millionäre gibt.
Letzten Endes müssen Strukturmaßnahmen greifen, die die Masse der Bevölkerung mitnehmen, aber die, liebe Kollegin und Kollegen von der FDP-Fraktion, ist leider nicht Ihre Klientel.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Umständliche Konjunkturpakete, Krisenaktionismus steht über dieser Aktuellen Debatte. Sowohl im November als auch gestern haben wir uns mit Pro und Kontra verschiedener Formen und Ideen zur Stärkung der Konjunktur ausführlich befasst. Die EU hat ein Programm mit über 200 Milliarden Euro aufgelegt. Man kann sich sicher zu Art und Umfang der Maßnahmen politisch positionieren, aber muss man sie deshalb schon in der Überschrift diskreditieren? Ich glaube nicht.
Das Steueraufkommen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, lag trotz der gestiegenen Einnahmen in den letzten Jahren mit rund 22 % weit unter dem Durchschnitt der OECD-Länder. Im Gegensatz dazu liegen die Belastungen durch Sozialabgaben über dem OECD-Schnitt. Das ist auch unseren sozialen Sicherungssystem geschuldet. Es wird empfohlen, Grund-, Vermögen-, Schenkung- und
Erbschaftsteuer zu erhöhen, da Deutschland bei diesen Steuern deutlich unter dem Schnitt der anderen 30 großen Wirtschaftsnationen liegt. Zu solchen internationalen Vergleichszahlen hört man herzlich wenig.
Interessant ist auch, dass die Steuerquote in Deutschland seit den Sechzigerjahren immer zwischen 21 und 23 % des BIP gelegen hat. Von immer wieder zusätzlichen Belastungen kann man also kaum reden.
Wer jetzt Steuersenkungen fordert, der zeigt, dass er die Herausforderungen, die vor uns liegen, nicht im Geringsten verstanden hat. Steuersenkungen schwächen die Handlungsfähigkeit der Politik, auf die es gerade jetzt in der Krise besonders ankommt. Sie nehmen uns das Geld, das wir für Zukunftsaufgaben und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft brauchen.
Ja, welch ein Irrsinn wird hier gefordert! Auf der einen Seite Steuern senken, dem Staat Einnahmen entziehen – Forderung der FDP! –, gleichzeitig natürlich Verschuldungsverbote in die Verfassung, aber natürlich auch milliardenschwere Unterstützung durch den Staat, siehe Finanzschutzschirm, fordern – das ist schlichtweg schizophren. Und es ist auch unehrlich, meine Herren von der FDP. Warum haben Sie denn die Einnahmenverluste aus Ihren Steuersenkungsgeschenken nicht im Haushalt beantragt, warum haben Sie nicht hineingeschrieben, dass Sie Steuern senken wollen und dass das im Haushalt des Freistaates Sachsen 200 oder 400 Millionen Euro negative Einnahmen zur Folge hat?
Dann hätten Sie nämlich auch sagen müssen, was wir in diesem Freistaat nicht mehr hätten tun können.
Steuersenkungen zur Ankurbelung der Konjunktur sind in dieser Zeit – davon bin ich überzeugt – ein falsches Mittel. Davon profitieren – Frau Simon hat das richtig ausgeführt –
in erster Linie die Bezieher hoher Einkommen, und die Millionen Rentner, die Arbeitslosen und die Hartz-IVEmpfänger gehen völlig leer aus. Dazu kommt noch, dass die Hälfte der 47 Millionen privaten Haushalte gar nicht einkommensteuerpflichtig ist. Das heißt, eine Steuersenkung, wie Sie, meine Herren von der FDP, sie fordern, würde diese Menschen gar nicht erreichen.
Was Sie hier betreiben, ist reines politisches Krisenschmarotzertum. Ich will es noch deutlicher machen: Nicht nur Rentner und Arbeitslose zahlen bei uns keine Einkommensteuer, sondern auch Familien mit zwei Kindern sind bis zu 37 500 Euro im Jahr steuerbefreit. Steuersenkungen in dieser Lage sind ökonomischer Unfug; denn diejenigen, die davon profitieren, haben jetzt schon Geld auf den Konten, und sie haben auch die