Nun heißt es im Umkehrschluss aber nicht, dass man jetzt in Aktionismus verfällt, sondern uns geht es um eine grundsätzliche Lösung für die Ganztagsangebote und nicht allein um die kurzfristige Zuweisung von Personal und Ressourcen, wie DIE LINKE das fordert.
Wir wollen, dass die Schulen die Möglichkeit erhalten, im Rahmen eines eigenen Budgets ihre Ganztagsangebote auszurichten, eigenverantwortlich. Welche Angebote es dann gibt, wie die Ressourcen im Einzelnen eingesetzt werden, das soll dann, bitte schön, die Schule entscheiden und nicht das Kultusministerium.
Wir sind der Auffassung, dass Ganztagsangebote nur funktionieren können, wenn die Initiative von vor Ort ausgeht, dort getragen und auch umgesetzt wird. Nur dann entsteht die Motivation und auch nur dann entstehen die Voraussetzungen dafür, qualitativ gute Angebote zu haben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Schulversuchen ist das so eine Sache. Man kann sie unternehmen, um etwas völlig Neues, bisher Unerprobtes und bislang nur in der Theorie Bekanntes auszuprobieren, um festzustellen, ob es sich dann auch in der Praxis bewährt.
Diese Möglichkeit scheidet im vorliegenden Fall schon deshalb aus, weil das Modell Ganztagsschule – zumindest international gesehen – in der Praxis längst erprobt ist und sich dort auch bewährt hat.
Man kann einen Schulversuch aber auch durchführen, um zu sehen, ob etwas, was überall in der Welt funktioniert, im Freistaat Sachsen ebenfalls die Praxisprobe besteht oder ob für die Sachsen vielleicht besondere Wege gegangen werden müssen.
Anerkannte pädagogische Konzepte und Bildungsstrukturen sollten eigentlich übernommen werden können. Hier scheint mir aber eher das Anliegen zu sein, dass man feststellt: In Sachsen wollen wir das nicht. Das, was überall funktioniert, das darf bei uns nicht sein. Herrn Colditz’ Redebeitrag war dazu wieder sehr deutlich und unmissverständlich.
Die zehn Schulen, von denen wir sprechen, waren für eine sehr begrenzte Zeit echte Ganztagsschulen. Die Welt ist dort nicht zusammengebrochen. Der Sozialismus feierte keine fröhlichen Urständ. Und auch die Schülerinnen und Schüler sind in ihrer Entwicklung nicht massiv zurückgeworfen worden. Das Gegenteil ist wohl eher der Fall.
Man kann einen Schulversuch auch unternehmen, um einfach zu sagen: Wir haben es doch gemacht. Wir lassen uns jedenfalls nicht vorwerfen, Ganztagsschulen nicht im Blick zu haben. Nun gebt doch endlich Ruhe. Auch nach Abschluss des Schulversuches machen wir alles so wie bisher. – Mir will scheinen: Das ist die Lesart des vorliegenden Schulversuches. Das ist der Hintergrund, vor dem wir über den Antrag der Linksfraktion diskutieren.
Ich habe im Schulausschuss Anfang Januar eine ganze Reihe von Fragen zum Modellversuch Ganztagsschulen gehabt, die mir, wie wohl mittlerweile in den Ausschüssen schlechte Praxis, dort nicht zugelassen wurden.
Mittlerweile ließ Kultusminister Wöller seinen Staatssekretär antworten. Aus dem Schreiben geht klar hervor, dass Herr Wöller wohl immer noch nicht den Unterschied zwischen Ganztagsangeboten und echten Ganztagsschulen verstanden hat. Deshalb will ich es hier noch einmal wiederholen, auch wenn ich wenig Hoffnung habe, dass diese Erkenntnis dann irgendwann einmal bei den Kollegen der CDU Raum greift.
Gebundene Ganztagsschulen zeichnen sich dadurch aus, dass sie für alle Schüler verbindlich sind. In einer gebundenen Ganztagsschule ist der Unterricht auf Vor- und Nachmittag verteilt. Stunden im Klassenverband und offene Angebote, Konzentrations- und Entspannungsphasen wechseln sich ab. Das ist etwas ganz anderes als das, was an sächsischen Schulen praktiziert wird. Und im Übrigen auch etwas ganz anderes als Hortbetreuung, die wir – wir haben es vorhin schon gehört – großzügigerweise einmal als Ganztagsschule mit verkaufen.
In den Antworten auf meine Fragen, welche Schlussfolgerungen denn nun aus dem erfolgreichen Abschluss des Modellversuches Ganztagsschule zu ziehen seien, lese ich unter anderem zum Beispiel folgende Sätze: „Die wissenschaftliche Begleitung hat einige Schlussfolgerungen herauskristallisiert, die als Grundlage für den qualitativen Aufbau von Ganztagsangeboten gesehen werden.“
Oder: „Das Kultusministerium sieht keine Notwendigkeit, für diese Schulen zusätzliches Personal zur Verfügung zu stellen.“
Und: „Die Ergebnisse des Modellversuchs flossen in die Änderung der Förderrichtlinie Ganztagsangebote ein.“
Sowie: „Die Möglichkeiten zur Steigerung der Qualität von Ganztagsangeboten wurden diskutiert und Mindestanforderungen für Ganztagsangebote formuliert.“
Sie merken an keiner Stelle auch nur die vage Absicht, in Sachsen Ganztagsschulen zu etablieren, und das, obwohl eingestanden wird, dass der Versuch erfolgreich war. Hier wurde also ein Versuch erfolgreich abgeschlossen und dann in der Schublade versenkt.
Das Höchste, wozu sich die Sächsische Bildungsagentur zum Beispiel im Fall der teilnehmenden RudolfHildebrandt-Schule in Markkleeberg durchringen konnte, war, den Ergänzungsbereich zu 100 % auszureichen.
Das kann man doch nur noch als zynisch bezeichnen. Es braucht keinen Modellversuch, um zu wissen, wie wichtig der Ergänzungsbereich an allen Schulen ist. Es ist auch nichts Neues, dass die Staatsregierung seit Jahren unter wechselnden Kultusministern versagt und eben nicht in der Lage ist, in allen Schulen zu 100 % den Grund- und Ergänzungsbereich abzudecken.
Jetzt kommen Sie, Herr Wöller, daher und versuchen auch noch, es als eine Errungenschaft bzw. als einen Akt des gnädigen Ermessens zu verkaufen, wenn eine erfolgreiche Ganztagsschule nunmehr zu 100 % den Ergänzungsbereich ausschöpfen kann.
Bleibt abschließend festzustellen: Die Sächsische Staatsregierung ist nicht in der Lage, aus erfolgreichen Modellen die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Sie hält an ihrer ideologisch begründeten Ablehnung von echten Ganztagsschulen fest und versucht, die Leute weiter für dumm zu verkaufen. Sie legt Schulmodellen, die sich in aller Welt bewährt haben, weiterhin Steine in den Weg und ignoriert so notwendige und auch in Sachsen mögliche Innovationen in das Bildungssystem.
Ein Modellversuch, der so lieblos abgehakt und dann einfach versenkt wird – ich weiß nicht, das lohnt sich doch nun wirklich nicht.
Danke schön. – Das war die erste Runde der Fraktionen. Ich weiß, dass die einreichende Fraktion zum Beispiel mit Frau Bonk noch einen zweiten Redebeitrag hat. Bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Werfen wir doch einmal einen Blick auf die Umsetzung des Bundesprogramms Ganztagsangebote in Bildung und Betreuung in Sachsen.
Als 2004 eine Änderung des Schulgesetzes die Möglichkeit der Einrichtung von Ganztagsangeboten eröffnen
sollte, haben wir damals schon im Landesschülerrat davor gewarnt, dass Ganztagsangebote keine Ganztagsschulen sein werden und den qualitativen Anforderungen an solche nicht genügen können.
Die Kollegen sind eben schon auf die Schwerfälligkeit der damaligen Regierung in der Reaktion auf das Konzept Ganztagsschule eingegangen. Sachsen hat sich mit der Beteiligung als Letztes gemeldet, keine Personal- und Sachkosten eingestellt und als eines der letzten Länder Grundlagen für die Teilnahme geschaffen.
Was folgte, war die Inanspruchnahme der investiven Mittel des Bundes, und zwar für den Abbau des Sanierungsstaus bei Schulgebäuden. Dabei wäre eine konzeptionelle Begleitung beim Umbau der Schulgebäude in Häuser für ganztägige Bildung vonnöten gewesen, wenn man das Geld sinnvoll hätte investieren wollen,
wenn man mit den baulichen Maßnahmen auch das inhaltliche Ziel hätte erreichen wollen. Meine Fraktion hat diesbezüglich im Jahr 2005 Vorschläge zur Kurskorrektur eingebracht. Dass dies von der Staatsregierung nicht forciert wurde, ist Ausdruck ihres halbherzigen Umgangs mit dem Konzept „Ganztägige Bildung“. Es muss noch einmal gesagt werden: Die vorhandenen Ganztagsangebote in Sachsen sind nicht die Ganztagsschulen, die wir brauchen.
Um diese näher zu beschreiben, möchte ich aus einer Anhörung im Schulausschuss, die meine Fraktion beantragt hatte, Herrn Dobe, den Vorsitzenden des Ganztagsschulverbandes Berlin, zitieren. Er sagte: „Wenn ich über Ganztagsschulen nachdenke, dann ist der Punkt, ob Kinder nachmittags betreut werden, gar nicht so wichtig. Wichtiger ist für mich, dass wir lernen müssen, in einem anderen Bildungsbegriff zu denken, einen umfassenden Bildungsbegriff, der von Bundesjugendkoordinatoren definiert wurde. Es gibt erstens formelle Bildungssituationen. Das entspricht im weitesten Sinne dem, was wir bisher von der Schule kennen. Es gibt zweitens halbformelle Bildungssituationen. Das könnte zum Beispiel Projektarbeit sein. Drittens gibt es informelle Bildungssituationen. Das entspricht am ehesten dem, was bisher im Hort stattgefunden hat. Die Ganztagschule muss also eine Verbindung von schul- und sozialpädagogischen Denkansätzen und Traditionen sein. Dem können Ganztagsangebote unter dem Dach der Schule am besten entsprechen.“ Das ist das Maß, an dem wir Ganztagsangebote auch in Sachsen messen müssen.
Indem Sie Ganztagsangebote zum Standard machen, setzten Sie als Regierung und Koalition nur auf die offene Form. Es geht bei den Worten nicht nur um Begriffe, sondern auch um Inhalte. Herr Colditz hatte das offen eingestanden.
Die offene Form der Ganztagsbetreuung orientiert sich überwiegend an der klassischen Unterrichtsstruktur der Halbtagsschule und bietet nach dem Mittagessen ein zusätzliches freiwilliges Nachmittagsprogramm an. Dagegen findet in gebundenen Ganztagsschulen der Unterricht auf den Tag verteilt statt. Die klassische Einteilung in 45-Minuten-Einheiten kann aufgelöst werden. Phasen angestrengten kognitiven Lernens wechseln sich mit anwendungs- und projektbezogenen, musischen und sportlichen Zeiten sowie Pausenzeiten ab. Wenn dieser auch rhythmisiert genannte Tagesablauf nicht verpflichtend ist, kann keine wirkliche Umstellung der Unterrichtsweise erfolgen. Wenn Sie auch überzeugt die offene Form der Ganztagsangebote als die Ihre proklamieren, Herr Colditz, muss man dem deutlich entgegenhalten, dass an Ihren offenen Formen laut der Evaluation nur 60 % der Schülerinnen und Schüler teilnehmen. Wir sagen: Das reicht nicht aus, das ist kein Einstieg in die Ganztagsschule.
Das von Ihnen genannte Modul 1 der Förderrichtlinie zur leistungsdifferenzierten individuellen Förderung kann nur von Gymnasien in Anspruch genommen werden. Ich sage: Es ist keine gerechte Bildungspolitik, die eine Schulart bzw. eine Gruppe so bevorzugt. Deswegen sind Schulen, die Ganztagsangebote bereithalten, leider nicht die Ganztagsschulen, die wir brauchen.