Protokoll der Sitzung vom 11.03.2009

Es liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Es spricht daher nur die Einreicherin, die Staatsregierung. Herr Staatsminister Dr. Buttolo hat das Wort. Bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bringe den Gesetzentwurf in Vertretung meines Kollegen Mackenroth ein.

Die Untersuchungshaft bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen. Aufgrund dringenden Tatverdachts und bei Vorliegen von Haftgründen wie Flucht-, Verdunklungs- oder Wiederholungsgefahr ordnet der Ermittlungsrichter die Inhaftierung für eine zunächst ungewisse Zeit an. Gerechtfertigt ist dieser Freiheitsentzug nur, wenn er zur Sicherung des Strafverfahrens unerlässlich ist. Bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung gilt der Untersuchungsgefangene als unschuldig.

Aus diesen Besonderheiten des Untersuchungshaftvollzuges erwächst dem Staat eine besondere Fürsorgepflicht gegenüber den Untersuchungsgefangenen für deren psychisches und körperliches Wohl. Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihre Durchführung sind dabei

bisher nur recht spärlich im § 119 Strafprozessordnung geregelt. Seit Jahrzehnten gab es daher immer wieder Vorstöße, die Untersuchungshaft umfassend gesetzlich zu regeln. Diese Versuche sind jedoch nie über das Entwurfsstadium hinaus gelangt. Mit der Föderalismusreform I ist den Bundesländern nunmehr die Zuständigkeit für die Gestaltung des Justizvollzuges zugefallen, während die Vorschriften des Strafverfahrens weiterhin der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz unterliegen.

Im Bund wird derzeit an einer Änderung der Strafprozessordnung gearbeitet, die voraussichtlich schon am 1. Januar 2010 in Kraft treten wird. Spätestens dann brauchen wir landesrechtliche Regelungen zum Vollzug der Untersuchungshaft; denn zukünftig regelt die Strafprozessordnung nur noch die Voraussetzungen der Anordnung von Untersuchungshaft; die Ausgestaltung des Vollzuges hingegen ist Ländersache.

Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf kommen wir unserer Verantwortung im Bereich des Untersuchungshaftvollzuges nach. Das Gesetz beruht auf den Ergebnissen einer Arbeitsgruppe von zwölf Ländern der Bundesrepublik unter Beteiligung Sachsens. Unter Hochdruck hat sie einen gleichermaßen praktikablen wie anspruchsvollen Arbeitsentwurf geschaffen, an dem wir weiter

gefeilt und den wir für Sachsen zugeschnitten haben. Ich meine, es ist uns ein Werk gelungen, das sich sehen lassen kann.

Im Folgenden will ich Ihnen nun einige Erläuterungen dazu geben. Bisher werden alle über die bloße Freiheitsentziehung hinausgehenden Beschränkungen, denen sich der Untersuchungsgefangene im Vollzug unterwerfen muss, auf eine Generalklausel in § 119 Abs. 3 Strafprozessordnung gestützt. Zur weiteren Ausgestaltung existiert eine von den Ländern bundeseinheitlich erlassene Verwaltungsvorschrift, die sogenannte Untersuchungshaftvollzugsordnung, die aber die Gerichte nicht bindet. Das soll nun geändert werden.

Der Untersuchungshaftvollzug wird auf eine umfassende gesetzliche Grundlage gestellt, die aus sich heraus verständlich und für die Praxis gut handhabbar ist. Für Gefangene wie Bedienstete sind Rechte und Pflichten der Inhaftierten zukünftig leicht festzustellen.

Wegweisend ist auch die Neuverteilung der Zuständigkeiten zwischen Gericht und Anstalt. Die Entscheidungskompetenzen des Gerichts und der Justizvollzugsanstalt werden klar und detailliert geregelt. Wegen der größeren Sachnähe wird für rein vollzugliche Entscheidungen zukünftig in der Regel ausschließlich die Anstalt zuständig sein.

In materieller Hinsicht durchzieht ein Grundgedanke das gesamte Gesetz wie ein roter Faden: Die Gestaltung des Untersuchungshaftvollzuges ist ganz auf die Unschuldsvermutung ausgerichtet. Alle Beschränkungen müssen daher so gering wie möglich gehalten werden, ohne jedoch den Haftzweck, die Sicherung des Strafverfahrens, zu gefährden. Andererseits soll sich die Unschuldsvermutung nicht zum Nachteil des Untersuchungsgefangenen auswirken und keine Schlechterstellung gegenüber Strafgefangenen zur Folge haben. Gerade hier gibt es in der Praxis Handlungsbedarf.

Zwei Brennpunkte sind immer wieder Thema: die Beschäftigung der Inhaftierten und ihre finanziellen Verhältnisse. Deshalb haben wir hierauf unser besonderes Augenmerk gelegt. Die Untersuchungsgefangenen werden nach wie vor nicht zur Arbeit verpflichtet sein; jedoch soll ihnen vermehrt Arbeit oder eine sonstige Beschäftigung angeboten werden. Die Erfahrung zeigt: Eine hohe Quote arbeitender Gefangener wirkt sich nicht nur positiv auf den Einzelnen, sondern auch günstig auf das Anstaltsklima aus.

Zum anderen ermöglichen wir den Untersuchungsgefangenen mehr Eigenständigkeit, indem wir ihnen durch eine angemessene Arbeitsvergütung die Möglichkeit geben, sich eigenverantwortlich um ihre finanziellen Belange zu kümmern und zum Beispiel mit einem – wenn auch kleinen – Betrag ihre Angehörigen zu unterstützen bzw. Schulden zu tilgen. Kann ihnen weder Arbeit noch eine Beschäftigungsmaßnahme angeboten werden, erhalten Bedürftige zukünftig auf Antrag ein Taschengeld. Das verhindert ein Abgleiten in die Subkultur. Dies dient

letztendlich der Sicherheit und dem gesamten Anstaltsbetrieb.

Eine weitere Folge der Unschuldsvermutung ist das Trennungsprinzip. Untersuchungsgefangene sind von Strafgefangenen getrennt unterzubringen. Mit unserer Regelung bleiben wir aber im Einzelfall flexibel. Unter bestimmten Voraussetzungen kann im Interesse der Untersuchungsgefangenen vom Trennungsgrundsatz abgewichen werden, insbesondere mit ihrer Zustimmung. Selbstverständlich schreiben wir auch die grundsätzliche Einzelunterbringung vor.

Besonderen Wert legen wir auf einen modernen, zeitgemäßen Vollzug der Untersuchungshaft bei jungen Untersuchungsgefangenen. Hier profitieren wir von unseren Erfahrungen mit dem Sächsischen Jugendstrafvollzugsgesetz, das am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist und sich bereits bestens bewährt hat.

Mit einem eigenen Abschnitt im Gesetz tragen wir den Besonderheiten, alterstypischen Erfordernissen und Bedürfnissen junger Untersuchungsgefangener Rechnung. Vorgesehen ist eine erzieherische Ausgestaltung des Vollzuges. Schon bei ihrer Aufnahme in der Anstalt wird in einer Konferenz, in der außer den Sozialarbeitern der Anstalt gegebenenfalls auch die Personensorgeberechtigten und die Jugendhilfe teilnehmen, der Förder- und Erziehungsbedarf der jungen Untersuchungsgefangenen ermittelt. Ihnen werden nach Möglichkeit altersgemäße Bildungs-, Beschäftigungs- und Freizeitmöglichkeiten und entwicklungsfördernde Hilfestellungen angeboten oder vermittelt. Auch die Besuchsregelungen werden an die im sächsischen Jugendstrafvollzug geltenden Vorschriften angepasst.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach intensiver Arbeit in der 12-Länder-Arbeitsgruppe und einem umfangreichen Anhörungsverfahren lege ich den Gesetzentwurf nicht ohne Stolz in Ihre Hände. Es würde mich freuen, wenn Sie ihn genauso zielstrebig und sachlich behandeln wie damals unser Jugendstrafvollzugsgesetz. Dann habe ich Hoffnung, dass unser ehrgeiziger Zeitplan eingehalten werden kann, damit der sächsische Untersuchungshaftvollzug ab dem 1. Januar 2010 auf guter Grundlage steht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Enrico Bräunig, SPD)

Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz über den Vollzug der Untersuchungshaft im Freistaat Sachsen sowie zur Änderung weiterer Gesetze an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss – federführend – und an den Haushalts- und Finanzausschuss zu überweisen. Wer dem Vorschlag der Überweisung an diese Ausschüsse zustimmen kann, den bitte ich um sein Handzeichen. – Danke. Die Gegenprobe! – Gibt

es Stimmenthaltungen? – Damit ist die Überweisung beschlossen und der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Wir kommen zum

Tagesordnungspunkt 18

1. Lesung des Entwurfs Gesetz zur Umsetzung des verfassungsrechtlichen Anspruches auf Lernmittelfreiheit in Sachsen (Sächsisches Lernmittelfreiheitsgesetz – SächsLFreihG)

Drucksache 4/14866, Gesetzentwurf der Linksfraktion

Dieser Entwurf wird eingebracht von der Linksfraktion; ich bitte um Einbringung. Frau Falken, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Sächsische Verfassung garantiert im Artikel 102 Abs. 4 für alle Kinder und Jugendlichen kostenlose Teilnahme am Unterricht und kostenlose Bereitstellung von Lernmitteln an öffentlichen Schulen in Sachsen. Daraus ergibt sich ein Rechtsanspruch.

Ungeachtet dessen werden die Erziehungsberechtigten der Schülerinnen und Schüler an sächsischen Schulen regelmäßig zu Beginn des Schuljahres mit nicht unerheblichen Kostenerstattungsforderungen der Schulen für Gegenstände, Geräte, Instrumente und Sachmaterialien konfrontiert, wie zum Beispiel für Arbeits- und Schreibhefte, Zeichen- und Malmaterialien, Taschenrechner, Tafelwerk, Atlanten und andere Druckwerke sowie für im Unterricht bereitgestellte Literatur und Kopien. Das sind Materialien, die ausschließlich für den Unterricht benötigt werden, die in aller Regel nur zur Nutzung des Unterrichts bestimmt sind und die demzufolge zu den Lernmitteln im Sinne der obersten Verfassungsbestimmung gehören.

Nach dem geltenden Schulgesetz – § 38 Abs. 2 – werden lediglich die „notwendigen“ Schulbücher leihweise zur Verfügung gestellt, und dies nicht einmal in ausreichendem Maße. Letzteres gilt insbesondere für Tafelwerke, Atlanten, schöngeistige Literatur usw.; denn diese Materialien müssen die Schüler bzw. die Eltern trotzdem kaufen.

Das gegenwärtig geltende Recht erfüllt die Verfassungsgerechtheit der Lernmittelfreiheit im Freistaat Sachsen nicht und muss demzufolge, da es nicht rechtskonform mit der Verfassung ist, geändert werden.

Zu der Frage, was Lernmittel im Sinne dieser Verfassungsgarantie sind, kann man sich – ja, man könnte sich – am gesunden Menschenverstand orientieren oder an Handbüchern zur Schulrechtskunde oder auch an einschlägigen Urteilen, zum Beispiel dem Urteil des Verwaltungsgerichts Baden-Württemberg aus dem Jahre 2001. Darin heißt es beispielsweise:

„Lernmittel sind Gegenstände, die für den Unterricht notwendig sind und zur Nutzung durch den einzelnen Schüler bestimmt sind. Lernmittel sind damit nicht nur Schulbücher. Vielmehr können auch sonstige Druckwerke

wie Lern- und Arbeitsmaterialien Lernmittel sein, seien diese verbrauchbar oder nicht.“

In anderen Bundesländern, die in ihren Verfassungen ebenfalls Lernmittelfreiheit garantieren, gibt es folglich entsprechende Gesetze, die im Laufe der Jahre – also auch nicht sofort, aber im Laufe der Jahre – weiterentwickelt wurden, zum Beispiel, wie soeben zitiert, aus dem Land Baden-Württemberg.

In Bayern formulierte die SPD einen Gesetzentwurf zur umfassenden Lernmittelfreiheit, der zwar im Lande von der bekannten Mehrheitspartei abgelehnt wurde; jedoch zeigt das ganz deutlich, dass dieses Thema durchaus parteiübergreifend behandelt wird. Wir gehen davon aus, dass auch in Sachsen die SPD und andere demokratische Fraktionen das Ziel der umfassenden Lernmittelfreiheit unterstützen werden.

Unser Gesetzentwurf sieht eine Neufassung des § 38 vor. Zu unentgeltlichen Lernmitteln gehören demzufolge nach unserem Gesetzentwurf:

1. für die Hand der Schüler bestimmte Schulbücher und Druckerzeugnisse wie Tafelwerk und Atlas;

2. gedruckte Unterrichtsmaterialien von Schulbuchverlagen, zum Beispiel Arbeitshefte;

3. Lektüren- und Quellentexte, die für die Gestaltung des Unterrichts notwendig sind;

4. Kopien, die ein Schulbuch im Unterricht ergänzen oder ersetzen;

5. für den Unterricht benötigte und zur Nutzung durch den einzelnen Schüler im Unterricht bestimmte Gegenstände, Geräte, Instrumente und Sachmaterialien;

6. weitere aufgrund von Unterrichtsformen erforderliche Materialien;

7. weitere aufgrund von handlungsorientiertem Fachunterricht bestimmte Materialien, die auch möglicherweise zum Verbrauch bestimmt sind.

Die Kosten dafür werden über die Schulträger vom Freistaat Sachsen getragen.

Unser Gesetzentwurf regelt auch, dass für verbindliche Schulveranstaltungen – Sie werden sich erinnern, dass wir in diesem Hohen Hause schon sehr intensiv darüber diskutiert haben –, zum Beispiel Theater, Konzerte,

Exkursionen, den Schülern keine weiteren Kosten entstehen.

Zur Kostenermittlung stehen uns leider keine von der Staatsregierung erhobenen Zahlen zur Verfügung, sondern lediglich die Umfrage des Landeselternrates. Dafür an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank an die Eltern im Freistaat Sachsen!

(Beifall bei der Linksfraktion)

Die Umfrage ergab – ich zitiere nur einige Beispiele, die für unseren Gesetzentwurf wesentlich sind – für Schulbücher 39 Euro, für Arbeitshefte 31 Euro, für Kopien 10 Euro, für Arbeitsmittel 37 Euro, für Exkursionen 30 Euro. Das ergibt eine Gesamtsumme von 147 Euro. Es gibt eine vergleichbare Erhebung und eine Untersuchung vom DGB, die auch auf eine Summe von circa 150 Euro für Lernmittel kommen. Diese Zahlen sind die Grundlage für die Berechnung der im Haushalt zur Verfügung zu stellenden Gelder.