Protokoll der Sitzung vom 12.03.2009

Entsprechend dieser Altersstruktur verfügt der überwiegende Teil der Lehrkräfte über eine pädagogische oder Hochschulausbildung der DDR. Der Anteil mit Lehramtsbefähigung nach bundesdeutscher Ausbildung fällt dagegen auch 20 Jahre nach der Wende relativ gering aus: an Grundschulen 8,6 %, an Mittelschulen 7,7 %. Es fällt auch auf, wie sich die Studierenden heute entscheiden: an Mittelschulen 7,7 %, an Gymnasien und Förderschulen vergleichsweise hoch mit 18,4 und 15,3 %. Das hat auch mit unterschiedlicher Besoldung in den Schularten zu tun, wofür Sie die Weichen so stellen.

Es war also prognostizierbar, dass in Sachsen ein erheblicher Teil der heute noch praktizierenden Lehrer in absehbarer Zeit in den Ruhestand geht – nach Zeitungsangaben circa 15 000 bis zum Jahr 2020.

Abgesehen von den Schwierigkeiten, die sich rein quantitativ aus diesen Entwicklungen ergeben werden, droht auch ein erheblicher qualitativer Verlust; denn der gut ausgebildete Lehrerstamm, über den Sachsen verfügt, war nicht zuletzt das Pfund, mit dem unser Bundesland auch bei den PISA-Erhebungen wuchern konnte.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion)

Doch was taten die Staatsregierung und die Kultusverwaltung bisher, um auf diesem Feld Vorsorge zu treiben? Es ist, glaube ich, an dieser Stelle nicht übertrieben, von einer Vogel-Strauß-Politik zu sprechen: Kopf in den Sand und nach uns die Sintflut! Dabei hätte es sich gerade hier um eine notwendige Zukunftsinvestition gehandelt, die auch enorme Auswirkungen auf die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes hat.

Stattdessen beklagt sich Herr Wöller wortreich über angeblich unfaire Abwerbungspraktiken anderer Bundesländer, wobei er übersieht, dass dieses Problem zu guten Teilen hausgemacht ist und im – hypothetisch – umgekehrten Fall er der Erste gewesen wäre, der auf den notwendigen Wettbewerbsföderalismus verwiesen hätte. Gerade unserer Staatsregierung, die sich ja sonst gern in die Musterknabenrolle begibt, hätte hier ein wenig mehr Zurückhaltung gut getan; denn der Erfolg der Werbekampagne beruht auf dem Umstand, dass auch Sachsen, wie gesagt, seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Rohwer, statt zu betonen, die Einstiegsschwelle zum Lehramtsstudium heben zu wollen, um dort die Motivation zu verändern, sollten Sie die Hochschulen strukturell

und finanziell in die Lage versetzen, eine quantitativ ausreichende und qualitativ hochstehende Lehrerbildung anzubieten. Ihre Logik verwundert da immer wieder. Sie wollen an einer völlig falschen Stelle ansetzen.

Gespannt dürfen wir auch auf das Ergebnis der Verhandlungen mit Baden-Württemberg über Rückkehroptionen sein. Allerdings ist hier Skepsis angebracht. Denn sind die jungen Lehrkräfte einmal in das Schulsystem, in das schulische und soziale Umfeld ihres neuen Lebensmittelpunktes integriert, werden sie schwerlich zu einem wiederholten Neuanfang in Sachsen – zu schlechteren Bedingungen! – zu überreden sein.

Das führt zu einem anderen Aspekt, den eine junge Lehramtsstudentin in einem Zeitungsinterview sinngemäß wie folgt formuliert hat: Es kommt bei der Bindung von Lehrkräften nicht nur auf die Höhe der Entlohnung bzw. ihre potenzielle Verbeamtung an. Gerade für die besten und engagiertesten Nachwuchslehrer spielt auch das schulische Umfeld eine große Rolle, sind Entscheidungskriterien wie die anzutreffenden Klassengrößen, die Ausstattung der Schulen und die Möglichkeit einer offenen, kreativen und pädagogischen Arbeit von hoher Wichtigkeit. Wollen wir die besten Nachwuchskräfte in Sachsen halten, so sind auch Veränderungen hinsichtlich des Lehreralltags notwendig, der über das Verständnis von Schule als reine Wissensvermittlungsanstalt hinausgehen.

Die Bedingungen für gute Schule – damit fasse ich zusammen – sind in Sachsen in den letzten Jahren diesbezüglich systematisch ausgedünnt worden: mit Schulschließungen, Teilzeit, Haushaltskürzungen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Sehr richtig!)

Da nutzt es nichts – ich knüpfe noch einmal an Herrn Rohwer an –, zu postulieren, dass der Lehrerberuf eine Berufung sei, sondern es müssen auch die richtigen Bedingungen für den Beruf geschaffen werden.

(Beifall bei der Linksfraktion sowie der Abg. Astrid Günther-Schmidt und Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Sie müssen sich klarmachen: Gute Schulen ziehen gute Lehrer an. Umgekehrt braucht Sachsen gute Lehrer, um auch in Zukunft gute Schulen haben zu können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort; Herr Rohwer, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir müssen den Wettbewerb um die Lehrerschaft eben auch annehmen.

Herr Herbst, als Sie vorhin von Wettbewerb gesprochen haben, waren Sie schon auf dem richtigen Trip. Aber Sie waren nicht ganz stringent unterwegs. Wissen Sie, warum? Wenn Sie denn kritisieren, dass man auf der Home

page des Kultusministeriums eine Verlinkung zu den Stellenangeboten von Rheinland-Pfalz und BadenWürttemberg findet, wo Lehrer gesucht werden, dann muss man den Wettbewerb eben auch konsequent annehmen. Man kann dies nicht auf der einen Seite kritisieren und andererseits vom Wettbewerb erzählen. Wenn schon, sollte man konsequent bei einer Linie bleiben.

Das Zweite, das ich Ihnen sagen möchte, Herr Herbst, gehört zum Fachwissen: Es gibt einen KMK-Beschluss, der die Bundesländer gegenseitig verpflichtet, diese Stellenanzeigen zu verlinken. Dieser Beschluss wird umgesetzt, und daran gibt es nichts zu kritisieren. Im Wettbewerb ist das eben ein legitimes Mittel.

Wir müssen also den Wettbewerb um die Lehrerschaft annehmen. Wenn jemand glaubt, Sachsen könne seine Lehrerinnen und Lehrer halten, indem es sich von den Anwerbestrategien anderer Bundesländer abschottet, dann ist er einfach falsch gewickelt. Eine Kritik an Bundesländern wie Baden-Württemberg bringt uns deswegen aus meiner Sicht nicht voran, zumal Sachsen ja selbst um Studierende aus anderen Bundesländern wirbt. Wir dürfen also nicht jammern oder die Schotten dichtmachen. Wir müssen den Wettbewerb bewusst und auch gezielt annehmen. Nur durch ihn erreichen wir die erwünschte Qualität und Innovation im Bildungsbereich. Damit schaffen wir die Voraussetzungen, die Lehrerinnen und Lehrer dafür zu begeistern, ihre Arbeit im Freistaat Sachsen auszuüben.

Angesichts dieser Wettbewerbssituation müssen wir uns einmal fragen, was denn eigentlich den Lehrernachwuchs in Sachsen halten könnte. Ist es nur die Bezahlung oder gar die Aussicht auf den Beamtenstatus? Das sind nach meiner Auffassung nicht die ausschlaggebenden Motive. Der Beamtenstatus vermittelt zwar Sicherheit, eröffnet aber nicht die vielfältigen Entwicklungs- und Veränderungsmöglichkeiten, die Lehrerinnen und Lehrer heute schätzen.

Dazu gehört nun einmal, neue Herausforderungen anzunehmen, vielleicht auch vorübergehend in anderen Berufen mit Freude und Engagement zu arbeiten und dann in die Pädagogik zurückzukehren. Dafür darf man auch eine entsprechende Anerkennung und Wertschätzung genießen.

Diese Faktoren scheinen in vielen Schulen in freier Trägerschaft eher gegeben zu sein als in einigen öffentlichen Schulen. Warum sind denn Lehrer in freien Schulen oft motivierter als Lehrer in staatlichen Schulen, die sich mit Schwierigkeiten des Systems herumschlagen müssen?

(Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich habe Ihnen, Frau GüntherSchmidt, auch zugehört und bitte Sie, mir jetzt zuzuhören. Wir können weiter diskutieren, wenn Sie wieder sprechen.

Ist es nicht viel wichtiger, die staatlichen Schulen im Wettbewerb zu stärken? „Gleiche Chancen für staatliche und freie Schulen bei der Lehrerauswahl“ erscheint mir als ein wichtiges Ziel. Das Geld allein kann es nicht sein; denn viele Lehrer in freien Schulen akzeptieren ein geringeres Gehalt und nehmen dafür gern den Vorteil größerer Freiheiten an.

(Cornelia Falken, Linksfraktion, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, diesmal von einer anderen Dame?

Ich habe es gesehen, Herr Präsident, aber ich würde gern den Redebeitrag zu Ende führen. Vielen Dank für die Frage, aber Frau Falken wird noch einmal sprechen können, wenn sie möchte.

Was ich Ihnen damit sagen möchte, meine Damen und Herren: Wir brauchen in Sachsen ausreichend Referendarstellen und zudem genügend Möglichkeiten, die Referendare in den Schuldienst zu übernehmen. Kommt dann noch eine Vollzeitanstellung hinzu, sodass sich das Lehrpersonal der Zukunft nicht – neben einer Teilzeitstelle in der Schule – an der Kasse eines Supermarktes etwas dazuverdienen muss, dann haben wir schon viel erreicht.

Erreichen müssen wir aber ferner, dass in Sachsen genau das Lehrpersonal in den Fächerkombinationen geschult wird, in denen der Bedarf am größten ist. Herr Staatsminister Wöller hat aus meiner Sicht die richtigen Signale gesetzt. Klassische Fächerkombinationen wie Deutsch und Geschichte haben zum Beispiel geringere Bedarfe an zusätzlichem Lehrpersonal als weniger gängige Schulfächer wie Fremdsprachen oder die sogenannten MINTFächer. Wir werden deshalb noch stärker darauf hinarbeiten, Studieninteressierte insbesondere für diese Fächer zu begeistern. Eine entsprechende Bedarfsanalyse wird helfen, Lehrpersonal noch gezielter und optimiert auf die Bedarfsstruktur in Sachsen auszurichten.

Ich glaube, die heutige Debatte sollte dazu dienen, eine neue Strukturdebatte aufs Schild zu heben, indem man diesmal über die Lehrerschaft und ihre Bezahlung diskutiert. Das sächsische Schulsystem hat aber seine eindeutigenVorteile; das ist längst entschieden. Wir tun eher Gutes, wenn wir am professionellen Image des Lehrerberufes arbeiten und ihn wieder dorthin führen, wo er hingehört. Wir sollten der Lehrerschaft jenen Stand und jene Anerkennung in der Gesellschaft zurückgeben, welche sie verdienen. Das heißt, Motive wie Freude an der Arbeit mit Kindern, Leidenschaft beim Unterrichten und Interesse am Fach werden bei der Wahl des Lehrerberufes wieder Berücksichtigung finden.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Ich frage die Fraktion der NPD. – Nicht. Ich frage die Fraktion der FDP. – Nicht. Die GRÜNEN? – Auch nicht.

(Cornelia Falken, Linksfraktion, meldet Redebedarf an.)

Ach, die Linksfraktion. Frau Falken bitte noch einmal. Entschuldigung!

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Man kann doch den Unfug nicht stehen lassen!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn es in einer Debatte um bessere Arbeitsbedingungen im Lehrerbereich geht, sollte und muss man die Zeit ausschöpfen, die man zur Verfügung hat. Sie haben sicherlich nichts anderes von mir erwartet.

Herr Rohwer, wenn Sie zu diesem Thema sprechen, dann erwarte ich von Ihnen – auch und gerade weil Sie Vorsitzender des Schulausschusses sind –, dass Sie sich mit dem Inhalt und der Materie ein wenig intensiver beschäftigen.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Es geht bei der Frage der Eingruppierung von Lehrern nicht um eine Neiddebatte, sondern es geht um Grund- und Mindestanforderungen an die Bezahlung von Lehrerinnen und Lehrern.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich möchte mich auch noch einmal zur Problematik der Einstellungen von Lehrerinnen und Lehrern äußern. Wir haben in Sachsen einen Einstellungskorridor. Ich weiß nicht, ob Sie sich das genau angeschaut haben. Dieser Einstellungskorridor ist für das laufende Schuljahr nicht einmal an Mittelschulen und Gymnasien ausgeschöpft. Das heißt, wir haben hier ein Potenzial, sogar einen vorgegebenen Rahmen mit den Gewerkschaften beschlossen, der nicht ausgeschöpft worden ist. Was will denn eigentlich das Kultusministerium? Wollen Sie die Einstellungen oder wollen Sie sie nicht?

Zu den Referendaren: Ich habe in den letzten Wochen sehr häufig mit Referendaren und Lehrern von Referendaren gesprochen und festgestellt, dass diese jungen Leute, die noch im Studium stehen und hier in Sachsen aufgewachsen sind und hier studiert haben, auch gern ihr Referendariat machen und auch in Sachsen bleiben wollen – allerdings nicht unter den Bedingungen, die wir hier in Sachsen sowohl in der Arbeit als auch in der Vergütung haben. Dieses Hin und Her, das wir in Sachsen bei der Entscheidung im Bildungsbereich haben, muss endlich ein Ende haben.

Kollege Dulig hat es schon angesprochen: In der Amtszeit von Herrn Rößler sind Entscheidungen getroffen worden, die einfach falsch waren, die dringend korrigiert werden müssen.