Personalplanung ist eine langfristige Angelegenheit, und die Bildung unserer Kinder darf nicht unter den Folgen der Föderalismusreform leiden.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben von Martin Dulig gerade eine wunderbar pastorale Rede gehört, die nun wirklich am Thema vorbeiging
und vergessen machen soll, dass die Sozialdemokraten als Koalitionspartner Mitverantwortung auch in der Bildungspolitik hier in Sachsen tragen.
Sie tragen Mitverantwortung für geschlossene Schulen und lange Schulwege, Sie tragen Mitverantwortung für eine aufgeweichte Bildungsempfehlung, und Sie tragen Mitverantwortung für genau die Bürokratie, unter der sächsische Schulen heute leiden.
Nun kann man den Bogen ja gern zum Thema Lehrer und dem befürchteten Lehrermangel spannen. Ja, es gibt einen Wettbewerb um Lehrer in Deutschland. Das ist nicht neu, das gab es in der Vergangenheit schon. Jetzt trifft es eben auch Sachsen. Die besten Köpfe werden überall gern genommen. Das ist in Unternehmen so, in der Wirtschaft genauso wie im öffentlichen Dienst. Doch was wir jetzt vom Kultusminister in Interviews hören, ist für mich eine erschreckende Reaktion. Es wird gejammert. Wenn sich zum Jammern noch Ungeschick hinzugesellt, wird es irgendwann peinlich. Man kann sich ja mal die Website des Kultusministeriums anschauen. Was findet man dort? Links zu Stellenangeboten für Lehrer in BadenWürttemberg und Nordrhein-Westfalen.
Da kann man sich Fragen stellen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer sich als staatlicher Fluchthelfer für sächsische Lehrer betätigt, darf sich nicht wundern, wenn sie tatsächlich flüchten.
Natürlich stehen wir im Wettbewerb um attraktive Arbeitsbedingungen und höhere Gehälter. Auch die Aussicht auf die Verbeamtung in anderen Ländern lockt. Aber das bloße Jammern wird nicht helfen. Man stelle sich einmal vor, wir sind im Marathonlauf, und der Läufer ganz hinten ruft der Spitze zu: Lauft doch bitte mal langsamer, wir wollen doch faire Bedingungen im Sport! Das wird nicht funktionieren, meine Damen und Herren.
Darum müssen wir uns auch mal Gedanken machen, wie wir besser werden, wie wir interessantere Bedingungen bieten und wie wir die durchaus vorhandenen Vorteile in Sachsen selbstbewusster darstellen. Diese gibt es. Normalerweise wäre das Aufgabe der Regierungsfraktionen; wir helfen aber gern auf die Sprünge.
Im Gegensatz zu Baden-Württemberg, meine Damen und Herren, kann man bei uns zum Beispiel Beruf und Familie vereinbaren, auch wenn man junger Lehrer ist. Wir haben vergleichsweise weniger migrationsbedingte Probleme und im Durchschnitt deutlich kleinere Klassen.
Natürlich ist auch das gute Abschneiden in PISA ein Punkt, der für Sachsen spricht. Klar ist, dass all das nicht ausreicht, um dem Abwerbedruck standzuhalten. Es muss klar sein, dass es eine Zukunftsperspektive gibt; das heißt
Wir müssen darüber nachdenken, wie wir besondere Leistungen auch besonders würdigen. Ich weiß, das ist bei den Gewerkschaften nicht überall beliebt; aber wenn Sie in einer Firma arbeiten oder auch in einem Verein sind, wissen Sie: Es gibt immer Menschen, die mehr als andere tun. Ich bin der Auffassung, wenn jemand mehr leistet, soll er auch mehr in der Lohntüte haben, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP und des Abg. Thomas Colditz, CDU – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Da dürfte die FDP ja gar keine Lohntüte mehr kriegen!)
Zu diesem Thema werden wir heute noch auf Antrag der FDP diskutieren. Sachsen soll die Chancen einer leistungsorientierten Bezahlung nutzen, um Lehrer hier zu halten, um jungen Leuten ein klares Signal zu geben: Sie sind hier erwünscht, wenn sie ihr Lehramtsstudium beendet haben.
Meine Damen und Herren, was in der letzten Tarifrunde passiert ist, nämlich dass man genau die Leistungselemente, die vorher drin waren, wieder herausgenommen hat, ist genau der falsche Weg. Es nivelliert und es fördert nicht, meine Damen und Herren.
Zu guter Letzt kann man sich einmal in der Staatsregierung anschauen, wie andere Ministerien mit dem Thema Mangel und dem Thema Werbung umgehen. Ich kann hier auf die Wissenschaftsministerin Frau Dr. Stange verweisen: Ihr Ministerium wirbt selbstbewusst in anderen Bundesländern für den Freistaat, um Studenten nach Sachsen zu holen. Warum versuchen wir das nicht einmal bei jungen Lehrern, bei künftigen Lehramtsstudenten? Meine Damen und Herren, es ist Zeit zu handeln, statt zu lamentieren. Das erwarten wir vom Kultusministerium.
(Beifall bei der FDP – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Bei dem Gehalt kommt keiner nach Sachsen. Das ist das Problem!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Martin Dulig, durch meine Zwischenfrage, die leider nicht mehr zum Zuge gekommen ist, wollte ich hier einen Beitrag leisten, eine gewisse Qualifizierung in den Redebeitrag einzubringen. So muss ich feststellen: Was wir gehört haben, war ja nichts weiter, als dem Prinzip treu zu bleiben: Wie bleibe ich nichtssagend und trotzdem eine Autorität? Es hat mich doch sehr enttäuscht; es war relativ inhaltsleer.
In der Debatte um die drohende Abwanderung von Lehrerinnen und Lehrern kommt darüber hinaus natürlich auch bei anderen viel Hilflosigkeit zum Ausdruck. Ich habe mich schon sehr gewundert, als Kultusminister Wöller Mitte Februar eine entsprechende Werbekampagne für Junglehrer als „aggressiven Abwerbeversuch“ kritisierte. Dabei nutzen diese Bundesländer doch nur die Regularien von Angebot und Nachfrage, was grundsätzlich vernünftig ist; und die Lehrer, die darauf eingehen, suchen natürlich nach Möglichkeiten, ihre Arbeitskraft zu angemessenen Preisen zu „verkaufen“. Ich hoffe, dass wir 20 Jahre nach der Wende keine Diskussion mehr darüber führen müssen, wie man dafür sorgt, dass die Leute hierbleiben, sondern Freizügigkeit als Wert an sich muss anerkannt werden. Ich denke, darin sind wir uns alle einig.
Die Herausforderung, die es zu bewältigen gilt, besteht darin, den Lehrerinnen und Lehrern, vor allem auch den künftigen Lehrerinnen und Lehrern entsprechende Bedingungen zu schaffen, die es attraktiv machen, hier in Sachsen zu bleiben. Dabei ist Geld nicht alles, aber natürlich wichtig.
Was wir seit Jahren einfordern, ist eine langfristige Lehrerbedarfsplanung. Ich bin mir ja sicher, in irgendeiner Schublade liegt sie herum, aber man lässt sie einfach nicht heraus, weil dann sofort bestimmte Schwachpunkte ersichtlich würden. Die Betonung liegt hierbei auf langfristig und transparent. Ich bin einmal gespannt, wann wir etwas vorgelegt bekommen. Wenn man sich nämlich für Sachsen als Arbeitsort entscheidet, möchte man natürlich auch ein bisschen Verlässlichkeit und Planungssicherheit haben. Damit verbunden sind zuverlässige Einstellungskorridore – übrigens verknüpft mit entsprechenden Angeboten auch an ältere Lehrerinnen und Lehrer, möglicherweise früher aus dem Beruf auszusteigen.
Ich bin fest davon überzeugt, dass es sich lohnt, junge Absolventen bereits jetzt einzustellen, auch wenn wir sie im Augenblick scheinbar noch nicht benötigen, weil die große Welle der Lehrer, die in den Ruhestand gehen, erst ein paar Jahre später kommt und dann aber mächtig für Probleme sorgt.
Das kostet zwar eine ganze Menge Geld; aber wer hier erst einmal seine sozialen Netzwerke geknüpft hat, der ist später eben nicht mehr empfänglich für Abwerbeversuche aus anderen Bundesländern.
Ich halte allerdings wenig davon – das möchte ich betonen, auch schon im Vorgriff auf die Debatte, die heute Nachmittag kommen wird –, Lehrer, die Mangelfächer unterrichten, mit bestimmten Boni auszustatten. Damit kommen wir nämlich ganz schnell in eine Zweiklassengesellschaft im Lehrerzimmer, und es lässt sich meiner Meinung nach überhaupt nicht begründen, warum zum Beispiel ein Mathelehrer mehr Geld bekommen soll als ein Deutschlehrer.
Die ganzen Probleme werden, wie mir scheint, auf dem Rücken der Lehrer ausgetragen. Hier braucht es – und
zwar vorsorgend – nicht nur an sogenannten Brennpunktschulen soziale Unterstützungssysteme. Seit Jahren fordere ich, Schulsozialarbeiter und -psychologen flächendeckend einzustellen. Sie weichen immer beharrlich davor zurück und sagen, das brauchen wir nicht, das bekommen wir schon hin. Ich bin der Meinung, Schule als soziales System braucht mehr als Lehrerinnen und Lehrer; das macht die Schule attraktiv.
Darüber hinaus – über Aus- und Weiterbildung hatten wir schon gesprochen – denke ich, dass es ganz, ganz notwendig ist, die Idee des schulartübergreifenden Ausbildungsansatzes zu verfolgen. Wenn wir nämlich eine Gemeinschaftsschule und solche ausgebildeten Lehrer haben, haben wir die Diskussion über differenzierte Entlohnung gar nicht mehr zu führen. Dann haben wir Lehrer, die alle die gleiche Ausbildung haben und die gleiche Entlohnung bekommen, und Sachsen könnte tatsächlich einmal Vorreiter sein, nämlich mit dem flächendeckenden Angebot von Gemeinschaftsschulen und Lehrern, die dann eben einen Grund haben, gern hier zu unterrichten.
Meine Damen und Herren, die Abwanderung junger, qualifizierter Fachkräfte stellt nämlich immer die Frage nach dem System: Ist das Schulsystem richtig oder nicht? Die Schülerinnen und Schüler müssen auf jeden Fall hierbleiben; sie sind die Leidtragenden. Dauerhaft kann man der Abwerbung nur begegnen, indem das Bildungssystem eben für alle attraktiv gestaltet wird: für Schülerinnen und Schüler, für Lehrerinnen und Lehrer und natürlich auch für Eltern.
Angesichts der furchtbaren Ereignisse an der Realschule in Winnenden fällt es mir schwer, zum schulpolitischen Alltag zurückzukehren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines hat die Landesregierung in Baden-Württemberg mit ihrer Werbekampagne zur Anwerbung von Lehrkräften aber erreicht: Sie hat die hiesige Kultusverwaltung und die Regierungskoalition aus ihrer schulpolitischen „Nach-PISA-Ruhe“ aufgeweckt, und das ist ja schon mal etwas; auch wenn mir die Erfahrung sagt, dass die Halbwertszeit ministerial angekündigter Veränderungen hier in Sachsen nicht immer sehr hoch zu veranschlagen ist.
Aber zunächst verstehe ich – unabhängig von der auch schon angesprochenen Werbekampagne – nicht, warum die Staatsregierung und das Kultusministerium von dieser Entwicklung und dem absehbaren Lehrermangel in den öffentlichen Verlautbarungen inzwischen so überrascht worden sind. Hätte nicht ein Blick in den eigenen ersten Sächsischen Bildungsbericht vom September 2008 genügt, um über die Problemlage informiert zu sein? Darin heißt es nämlich – ich zitiere: „Das durchschnittli
che Alter der Lehrkräfte aller Schulen in Sachsen lag im Schuljahr 2007/2008 bei 48,2 Jahren.“ Weiter: „Betrachtet man schulartspezifisch die Altersstruktur aller Lehrkräfte der öffentlichen Schulen und der Schulen in freier Trägerschaft, so war in fast allen Schularten ein relativ hoher Anteil von Lehrkräften im Alter zwischen 51 und 60 Jahren zu finden. Er lag zwischen 33 % an den Gymnasien und 40,5 % an den Mittelschulen. An den Grundschulen fiel zusätzlich ein hoher Anteil von über 60-jährigen Lehrkräften auf.“
Entsprechend dieser Altersstruktur verfügt der überwiegende Teil der Lehrkräfte über eine pädagogische oder Hochschulausbildung der DDR. Der Anteil mit Lehramtsbefähigung nach bundesdeutscher Ausbildung fällt dagegen auch 20 Jahre nach der Wende relativ gering aus: an Grundschulen 8,6 %, an Mittelschulen 7,7 %. Es fällt auch auf, wie sich die Studierenden heute entscheiden: an Mittelschulen 7,7 %, an Gymnasien und Förderschulen vergleichsweise hoch mit 18,4 und 15,3 %. Das hat auch mit unterschiedlicher Besoldung in den Schularten zu tun, wofür Sie die Weichen so stellen.