Protokoll der Sitzung vom 12.03.2009

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Linksfraktion hatte noch Redebedarf angemeldet. Herr Dr. Pellmann, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte, bevor ich es am Ende vergesse, mich bereits an dieser Stelle für die Debatte bedanken, weil ich denke, wir können in diesem Haus nicht genug über eines der wichtigsten Themen sprechen, das uns – sicher mit zeitlicher Verzögerung – dereinst vielleicht alle direkt betreffen könnte.

Lassen Sie mich, bevor ich noch einige zusammenfassende Bemerkungen mache, auf die Debatte selbst eingehen. „Debatte“ heißt, man soll sich auseinandersetzen; ansonsten liest man ja nur sein Manuskript vor.

Herr Jähnichen, gestatten Sie mir als Historiker einen kurzen historischen Exkurs. Das, was Sie hier zum Familienbild vorgetragen haben, kann man so sehen. Aber es ist das Familienbild des Feudalismus!

(Beifall bei der Linksfraktion – Thomas Colditz, CDU: So ein Quatsch!)

Ich sage Ihnen, warum.

(Unruhe bei der CDU)

Ich weiß, dass Sie – das machen Sie in anderen Debatten auch – völlig ahistorisch an die Dinge herangehen. Deswegen will ich Ihnen Nachhilfe erteilen. Das ist auch bitter nötig.

(Lachen bei der CDU)

Ich sagen Ihnen Folgendes: Im Feudalismus war es im Interesse des Überlebens nötig, die Dorfgemeinschaft und die Gemeinschaft der Familie zusammenzuhalten; es ging gar nicht anders. Jetzt zu der Gesellschaft, in der wir leben – die Sie ja vielleicht eher wollten als ich; das gebe ich gern zu.

(Dr. Rolf Jähnichen, CDU, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Dr. Pellmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich bringe erst den Gedanken zu Ende. Dann gestatte ich auch eine Zwischenfrage.

Diese Gesellschaft zerstört Familien im traditionellen Sinne, wie sie Herr Jähnichen will. Denn diese Gesellschaft lebt von der Mobilität des Arbeitsmarktes, von der Abwanderung dorthin, wo Arbeitskräfte gebraucht werden. Das wissen Sie doch. Dann können Sie sich doch nicht hier hinstellen und ein derartiges Familienbild, das zu Zeiten von August vielleicht noch Gültigkeit hatte, aber heute lange überlebt ist, dartun.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Herr Dr. Jähnichen möchte eine Zwischenfrage stellen.

Ich habe eine Frage an den Historiker: War nicht die Familie auch schon die Grundlage und das Leitbild in der Urgesellschaft, Herr Historiker?

Herr Agrarexperte, das eint uns ja: Wir haben beide landwirtschaftliche Wurzeln. Insofern haben wir natürlich auch dazu Beziehungen. – Zu Ihrer Frage so viel: Selbstverständlich entwickelte sich in der Urgesellschaft ebenfalls schrittweise eine Familie. Wir unterscheiden zunächst das Matriarchat – das können Sie bei Engels nachlesen; das haben Sie sicherlich schon getan – und dann das Patriarchat. Es ist also ein längerer Familienentwicklungsprozess bis hin zum Feudalismus gewesen. Dann kam die sogenannte Akkumulation, die notwendig wurde, um den Kapitalismus aufzubauen.

(Dr. Volker Külow, Linksfraktion: Die ursprüngliche Akkumulation!)

Logischerweise kam es schon damals zu einem Auseinanderdriften traditioneller Familienbeziehungen.

(Rita Henke, CDU: Wie war es in der DDR?)

So viel zum Exkurs.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Jetzt möchte ich doch auf die Große Anfrage zurückkommen und einige kurze Bemerkungen dazu machen, wo wir in der Tat Handlungsbedarf sehen.

(Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Sie sehen, wie interessant historische Debatten sind.

(Dr. Fritz Hähle, CDU, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Herr Dr. Pellmann, Herr Dr. Hähle wünscht eine Zwischenfrage zu stellen.

Jetzt gibt es keine Zwischenfragen mehr; ich muss jetzt mal zu meinem Konzept kommen.

(Oh! bei der CDU und der SPD)

Im Unterschied zu dem, was Herr Jähnichen und auch andere angemerkt haben, halten wir die Datenbasis in der Antwort auf die Große Anfrage nicht nur für lückenhaft, sondern auch für nicht aktuell. Das will ich Ihnen an einer Reihe von Positionen nachweisen.

So fragt man sich: Wie will die Staatsregierung überhaupt einschätzen, wie die Qualität der Pflege insgesamt ist, wenn sie nicht über eine aktuelle Datenbasis verfügt oder wenn eine solche in wichtigen Positionen gar nicht vorhanden ist?

Als Erstes zur Situation der zu Hause zu Pflegenden. Der Hinweis auf das, was dort geleistet wird, ist richtig. Auch wir bedanken uns für das Engagement gerade dort. Aber die Staatsregierung weiß offenbar gar nicht so richtig, was dort vorgeht. Wir haben zu vielen weiteren Aspekten gefragt: Situation der Demenzkranken, Situation im ambulanten Pflegebereich, Kosten für die Verwaltung in den Pflegeeinrichtungen. Schließlich ging es uns um Probleme, die das Personal betreffen: Überstunden und ihre Ursachen, Fluktuation des Personals in den Pflegeheimen, Krankheiten. Das alles sind Dinge, die wir gern gewusst hätten, die uns aber die Staatsregierung nicht beantworten kann.

Zum Zweiten! Mit der Ablehnung des Landespflegegesetzes flieht die Staatsregierung aus der Verantwortung.

Frau Schwarz, Sie haben mich beim letzten Mal offenbar falsch verstanden oder falsch interpretiert: Wir haben mit der Forderung nach mehr Verantwortung der Staatsregierung nicht deutlich machen wollen, dass wir den Kommunen nichts zutrauen. Nein, wir wollen nicht, dass die Staatsregierung sich hier aus der Verantwortung nimmt und die Kommunen im Regen stehen lässt. Das ist der Punkt.

Das Dritte. Ja, wir brauchen endlich eine Landesbedarfsplanung. Das fordern wir seit Langem. Auch dazu: Fehlanzeige!

Viertens. Mangelhafte Aufsicht und Kontrolle – wir haben da sogar untertrieben. Wir bräuchten nicht zwölf aktuell besetzte Planstellen in den drei Aufsichtsbehörden, sondern wir bräuchten mindestens 60 – wo sind die? –,

damit man überhaupt den gesetzlichen Anforderungen gerecht werden kann.

Fünftens. Ich stimme Ihnen zu, Frau Herrmann, wir hätten möglicherweise intensiver danach fragen können. Aber man lässt sich manchmal in einer Abwehrreaktion zu etwas verleiten. Es ist eine Abwehrreaktion gegen das Problem, dass die Betonung zu sehr auf einem „Pflegemarkt“ liegt. Schauen Sie sich das an; die Zahlen sind interessant. Wir haben soeben über kommunale Verantwortung gesprochen. Was bedeutet das? Das bedeutet, dass die Kommunen in diesem Lande kaum noch Pflegeheime in eigener Trägerschaft haben. Wie sollen sie dann aber ihrem Auftrag gerecht werden? Sie sind auf Gedeih und Verderb einem sogenannten Wettbewerb ausgeliefert, der sich sehr rasch in steigenden Ausgaben der Sozialhaushalte widerspiegeln wird. Das kann ich Ihnen voraussagen.

(Zuruf von der CDU: So ein Unsinn!)

Sie verstehen das nicht. Dafür habe ich auch wieder Verständnis. Aber wenn man keine Ahnung hat, sollte man wenigstens den Mund halten.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Sechstens. Sie als Staatsregierung können natürlich sagen: Wir haben keine Verantwortung für Pflegesätze und Tarife. – Aber Sie haben eine Aufsichtspflicht; diese ist gesetzlich geregelt. Wenn es eben so ist, dass in diesem Lande viele Pflegekräfte weit unter einem angemessenen Tarif bezahlt werden, dann kann man das bedauern. Aber dann hat die Staatsregierung zumindest eine moderierende, ja, eine weiterführende Pflicht.

Das Gleiche gilt für Pflegesätze. Wenn diese nicht kostendeckend sind, dann muss die Staatsregierung eingreifen; anders geht es nicht.

Frau Schwarz, Sie haben recht: Es ist ein Fortschritt, dass es künftig einen Mindestlohn im Pflegebereich geben soll. Aber erstens muss er endlich eingeführt werden, und zwar in einer solchen Höhe, dass er armutsfest ist. Zweitens müssen wir auch kontrollieren, dass er eingehalten wird.

Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir gerade im Altenpflegebereich – da sind wir uns, denke ich, alle wieder einig – in den nächsten Jahren noch sehr viel zu tun. Die Herausforderungen werden zunehmen. Wir sind heute noch nicht ausreichend darauf eingestellt. Ich hoffe nur, dass eine künftige Staatsregierung als eine ihrer ersten Aufgaben ein tragfähiges Konzept entwickelt, wie wir uns diesen Herausforderungen angemessen und auf die Zukunft ausgerichtet stellen können.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Gibt es weiteren Diskussionsbedarf? – Ich kann momentan keinen erkennen.