Protokoll der Sitzung vom 12.03.2009

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Gibt es weiteren Aussprachebedarf? – Das kann ich nicht erkennen.

Dann kommen wir zur Abstimmung. Aufgerufen ist die Drucksache 4/14977, Entschließungsantrag der Linksfraktion. Ich bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Ich frage nach Gegenstimmen. – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmen dafür und Stimmenthaltungen ist der Entschließungsantrag nicht beschlossen worden.

Meine Damen und Herren! Die Behandlung der Großen Anfrage ist beendet und damit auch der Tagesordnungspunkt 2.

Wir kommen nun zum

Tagesordnungspunkt 3

Tätigkeit des Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR

Drucksache 4/14107, Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge lautet: CDU, SPD, Linksfraktion, NPD, FDP, GRÜNE und, falls gewünscht, die Staatsregierung. Ich erteile der CDU-Fraktion das Wort; Herr Schiemann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Jahr erinnern wir mit dem 20. Jahrestag an die friedliche Revolution des Herbstes 1989. Getragen aus der Mitte des Volkes hat diese Revolution ihren besonderen Platz in der Geschichte der Deutschen verdient.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung – Vereinzelt Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Sie stellt die wichtigste Veränderung der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Die Bürger in Sachsen haben sich mit dem Ruf nach Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Bewahrung der Schöpfung für eine Abkehr vom verordneten Sozialismus der SED entschieden. Sie haben damit die Einheit des Vaterlandes vorbereitet, die mit der Wiedervereinigung erreicht wurde. Wir stehen in der Pflicht, dieser mutigen Leistung vieler Frauen und Männer Respekt und Dank zu zollen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung – Vereinzelt Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Gerade im 20. Jahr nach der friedlichen Revolution gibt es Anlass, Danke zu sagen. Viele bemühen sich um eine faire Darstellung der erlebten Zeit. Im Herbst 2005 haben wir den sächsischen Landesbeauftragten Michael Beleites in sein Amt wiedergewählt. Ich danke Herrn Michael

Beleites, allen Mitarbeitern und all seinen Mitstreitern für die bisher geleistete Arbeit ganz herzlich.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung – Vereinzelt Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Herzlichen Dank für das persönliche Engagement, das Sie in jedes einzelne Projekt investieren. Sie sind bekanntlich ein Mann der leisen Töne, der zuhört und hilft, Lösungen zu finden. Der 16. Tätigkeitsbericht ist ein Beleg für diese engagierte Arbeit. Er gibt Einblicke in die Aufgabenvielfalt und die Belastung der kleinen Behörde. Wir begrüßen ausdrücklich, dass Schwerpunkte in der Erweiterung und im qualifikativen Ausbau der Bildungsangebote gesetzt werden. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Arbeit sind die Unterrichtung der Öffentlichkeit, das Gespräch mit Lehrern und Schülern und andere Aufgaben im Rahmen der politischen Bildung. Dabei halten wir es für wichtig, dass die Kooperation der Landeszentrale für politische Bildung mit der sächsischen Gedenkstättenstiftung und den Opferverbänden weitergeführt wird.

Wir wollen mit diesem Antrag die Tätigkeit des sächsischen Landesbeauftragten besonders bei der Recherche sowie Bildungs- und Beratungsarbeit im Freistaat Sachsen stärken. Dabei sollen noch mehr Impulse für die Schulen gesetzt werden. Die junge Generation hat einen Anspruch zu erfahren, wie Diktaturen wirken, wie sich das Leben tatsächlich gestaltet hat. Die Erlebnisgeneration weiß, dass es kein Schwarz-Weiß-Klischee gab. Neben Vorträgen, Diskussionen und Ausstellungen sind neue Impulse und Ideen auch künftig gefragt.

Im vorigen Monat war ich mit dem Bundestagspräsidenten, Prof. Lammert, in der ehemaligen Stasi-Haftanstalt in Bautzen II. Die Leiterin, Frau Silke Klewin, hat uns

einige Biografien von Opfern vorgestellt. Unter anderem hat sie das Schicksal des ersten Außenministers der Deutschen Demokratischen Republik, Herrn Georg Dertinger (CDU), erläutert.

Es war erschreckend, festzustellen, wie perfide das System der DDR mit Menschen umgegangen ist. Bis kurz vor seinem Tod war Georg Dertinger in Haft. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion sind Polizisten in sein Haus eingedrungen und haben ihn und seine Frau festgenommen. Die beiden älteren minderjährigen Kinder sind festgenommen worden, und der kleine Sohn ist später zu Pflegeeltern verbracht worden, die nichts mit der Familie zu tun hatten. Die Kinder kamen später, ohne zu wissen, was mit den Eltern geschehen ist, in einen Jugendwerkhof bzw. später in Haft. Sie wurden der Mitwisserschaft angeklagt, ohne dass sie sich jemals gegen diesen Vorwurf wehren konnten, der dem Vater angelastet wurde. Die Frau von Georg Dertinger musste ebenfalls Haft verbüßen, ohne dass es von der Staatsführung oder von der SED irgendwelche Begründungen dafür gab.

Ich glaube, das ist moderne Sippenhaft nach der Zeit des Nationalsozialismus gewesen.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Das Ziel war, das Ansehen einer ganzen Familie, ja die gesamten Biografien dieser Familie völlig zu streichen und aus dem Erleben vieler anderer Menschen zu löschen. Es sollten Biografien vernichtet werden.

Die DDR-Justiz hat mit der Stasi zusammengearbeitet, und die Urteile wurden von der SED vorgeschrieben. Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren hier im Hohen Haus, gilt uns als Mahnung: Justiz und Recht müssen unabhängig bleiben.

Deshalb sage ich auch selbstkritisch zu mir: Weder ein Staatssekretär noch ein Beamter hat das Recht, bei laufenden Verfahren nachzufragen.

Die Schikanen in der DDR gingen bis zum Berufsverbot. Viele Menschen wurden von der Schulbildung ausgeschlossen, weil sie nicht den politischen Grundsätzen der DDR entsprachen. Teilweise wurden Studiengänge auch solchen Menschen verbaut, die die Qualifikation und die nötigen Schulabschlüsse, teilweise mit Note 1,0, hatten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Landesbeauftragte hat die Aufgabe, einen großen Teil dieser Geschichte wieder zu aktivieren und an die nächste Generation weiterzugeben. Ich kann Ihnen nur empfehlen, auch selbst einmal in die Runde Ecke nach Leipzig oder in eine der Gedenkstätten zu gehen, die es gibt und in denen engagierte Menschen versuchen, uns Geschichte zugänglich zu machen.

Herr Dertinger war Mitglied der CDU. Auf Mitglieder der CDU wird stets pauschal eingeprügelt, besonders exemplarisch von einer Person. Ich mache einen Sprung in das Jahr 1989. Im September 1989 gab es den Brief aus Weimar, geschrieben von Mitgliedern der CDU in Sorge

darum, dass dieser Sozialismus die Menschen in den Abgrund führen wird.

In meinem Kreisverband der CDU in Bautzen gab es Herrn Fritz Gerber, der diesen und andere Briefe mit technischen Möglichkeiten vervielfältigt hat, die viele, die im Westen geboren sind, überhaupt nicht verstehen würden. Wir kennen diese Möglichkeiten auch schon nicht mehr. Das Hektografieren ist sehr kompliziert, und ich glaube, es wird heute nur noch in einem Museum zu finden sein.

Fritz Gerber war einer derjenigen, die sehr lange in der CDU waren. Er ist 1947 aus christlichen Motiven in diese Partei eingetreten, um mit zu verhindern, dass der Nationalsozialismus jemals wieder Raum findet. Fritz Gerber hat mir ein Schreiben vom 27. November 1989 gegeben: „Er eröffnet die Beratung, erklärt im Namen der CDU, dass diese mit dem heutigen Tage und ab sofort den Block im Kreis Bautzen nicht mehr als bestehend betrachtet. Dies gilt unabhängig von der gegenwärtigen Haltung der CDU-Parteileitung in Berlin. In gleicher Weise sind heute die Ortsgruppen der CDU verständigt und aufgefordert worden, sich der Haltung der CDU im Landkreis Bautzen und in ihren Gemeinden anzuschließen. Die gleiche Haltung gilt für die Mitarbeit in den Ausschüssen der Nationalen Front. Im Kreistag wird die CDU künftig als eigene Fraktion auftreten.“

Ich sage Ihnen: Das ist auch ein kleiner Baustein, mit dem Menschen Mut und Courage bewiesen haben, auch wenn sie damals Mitglied der CDU gewesen sind.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Enrico Bräunig, SPD)

Die LDPD ist im Übrigen zur gleichen Zeit auch aus diesem Demokratischen Block ausgetreten.

Ich finde, diese Menschen verdienen es nicht, pauschal beschimpft zu werden, nur weil sie in eine Partei eingetreten sind, die sich, fremdgeleitet in ihrer Parteileitung, natürlich politisch an die SED angebiedert hat. Letzteres gilt aber nicht für die einzelnen Mitglieder.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Gunther Hatzsch, SPD)

Ich würde – zur politischen Kultur kann es nur einen Beitrag geben, Herr Kollege – diese Differenzierung von jemandem erwarten, der das Glück und die besondere Chance hatte, in einer Demokratie seine Schulbildung zu erfahren, seine Ausbildung zu machen und in der Demokratie aufzuwachsen. Wer den Stab über die Entwicklung in der DDR und die Menschen, die sich hier engagiert haben, bricht, sollte sich detaillierter mit diesen Biografien befassen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Gunther Hatzsch, SPD)

Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist nur ein ganz kleiner Abschnitt der Geschichte. Aber mir ist es wichtig, das in diesem Zusammenhang auch anzuspre

chen. Wir haben hier viel von Menschen gesprochen, die sich in diesen Jahren engagiert haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gilt deshalb, die Arbeit des Landesbeauftragten weiterzuführen, in Schwerpunkten zu stärken sowie auf neue Erkenntnisse hinzuweisen. Das muss das gemeinsame Ziel des hier zu behandelnden Antrags sein. Damit soll – neben vielen weiteren Initiativen – der Geschichtsverzerrung, der Verklärung und der Umdeutung begegnet werden.

Immer wieder gab es in den letzten 20 Jahren den Versuch der kollektiven Verdrängung, der Verdrängung zum Teil von Schuld, aber überwiegend von Verantwortung. Allen, die immer wieder nach einem Schlussstrich unter diese kollektive Verdrängung rufen, möchte ich im Namen der CDU-Fraktion klar und deutlich sagen: Nutzen Sie Ihre Energie zur Aufarbeitung der Geschichte und nicht zur Führung einer Schlussstrichdebatte, die es mit der CDULandtagsfraktion nicht geben wird!

(Beifall bei der CDU – Karl Nolle, SPD: Aha! – Rufe von der Linksfraktion)

Geschichte, meine sehr geehrten Damen und Herren, kann niemand wegwischen. Es ist aberwitzig, etwas wegwischen zu wollen, was stattgefunden hat,

(Zuruf des Abg. Karl Nolle, SPD)

auch wenn es manchmal unbequem ist.

(Karl Nolle, SPD: Ganz sicher, ganz sicher!)

Im Übrigen haben wir im Sächsischen Landtag über Schuld weder zu richten noch zu entscheiden. Aber die Verantwortung für 40 Jahre DDR-Diktatur können wir weiter einfordern, damit die Geschichte nicht umgedeutet wird.

Auf dem alljährlich stattfindenden Bautzen-Forum, organisiert von der Friedrich-Ebert-Stiftung in meiner Heimatstadt Bautzen, haben die Opfer des Kommunismus, unter anderem Benno von Heynitz, Hans Corbath, Harald Möller, der jetzige Vorsitzende des BautzenKomitees, und der leider verstorbene Görlitzer Günter Mühle, immer wieder stellvertretend für die vielen Opfer die Erinnerung an deren Schicksal eingefordert.

Hass habe ich dabei niemals vernommen oder feststellen können. Welch menschlich große Leistung von ehemaligen Haftinsassen, die viele Jahre in Bautzen in Haft gesessen haben, dass sie nicht Hass verspritzt oder versprüht haben gegenüber den Peinigern, sondern nur Gerechtigkeit und Erinnerung für dieses Leiden eingefordert haben!