Protokoll der Sitzung vom 12.03.2009

Hass habe ich dabei niemals vernommen oder feststellen können. Welch menschlich große Leistung von ehemaligen Haftinsassen, die viele Jahre in Bautzen in Haft gesessen haben, dass sie nicht Hass verspritzt oder versprüht haben gegenüber den Peinigern, sondern nur Gerechtigkeit und Erinnerung für dieses Leiden eingefordert haben!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und der SPD – Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Deshalb hat die Generation der Nachgeborenen keine Verantwortung für die Fehler und Verfehlungen der DDRDiktatur. Die junge Generation hat aber die entscheidende Verantwortung, dass die Demokratie stark bleibt und

Diktaturen egal welcher Couleur niemals mehr zugelassen werden.

Ich danke noch einmal dem Landesbeauftragten Michael Beleites, der Sächsischen Gedenkstättenstiftung und natürlich auch der Runden Ecke zu Leipzig stellvertretend für die harte Arbeit mit unserer Geschichte, die im Übrigen nicht allein unsere Aufgabe bleibt. Dieser Teil der Geschichte ist eine Aufgabe von gesamtdeutscher Verantwortung und muss auch als solche betrachtet werden.

Die CDU wird die Arbeit des Sächsischen Landesbeauftragten auch nach dem Jahr 2010 weiterhin unterstützen, weil wir der Auffassung sind: Es ist nicht mit einem Schlussstrich getan. Wir müssen für die Opfer die Sachwalter sein, dass sich diese Diktaturen niemals wiederholen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD sowie der Abg. Sven Morlok, FDP, und Michael Weichert, GRÜNE)

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Herr Abg. Dulig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem Interview mit der „SUPERillu“ hatte Wolfgang Schäuble im Januar dieses Jahres zugegeben, wenn er und Helmut Kohl entschieden hätten, dann würde es heute keine einzige Stasi-Akte mehr geben,

(Zuruf von der CDU: Das wissen wir!)

damit – und jetzt Zitat – „Streitigkeiten der Vergangenheit nicht zu sehr den Wiederaufbau der neuen Länder und damit die Zukunft belasten“.

Ohne Akten wäre kein Spitzel der Stasi je enttarnt worden. Kein Opfer der Stasi hätte seine Akten je einsehen können. Die Vergangenheit würde die Zukunft nicht belasten, und ein Schlussstrich unter das MfS-Kapitel hätte auch bedeutet, dass wir hier im Landtag keine anstrengenden Debatten über Volker Külow hätten führen müssen. Es ist zum Glück anders gekommen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Das verdanken wir politisch der ersten demokratisch gewählten Volkskammer und vor allem den Bürgerrechtlern, die damals die Stasi mit besetzt und die Akten gesichert haben. Schäuble und Helmut Kohl haben sich deren Willen nach Aufarbeitung gebeugt. Wir haben den schwereren, aber richtigen Weg gewählt.

Die Ostdeutschen haben selbst entschieden, keinen Schlussstrich zu ziehen. Wir haben selbst gesagt: Die Akten dürfen nicht einfach verschwinden. Daraus ist das Gesetz entstanden. Es regelt den Umgang mit den Akten der Staatssicherheit. Wir sind damit auch international zu einem Vorbild geworden, wie man mit den Hinterlassenschaften einer Diktatur umgeht.

(Beifall bei der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Es ist keine Siegerjustiz. Wir wollen unsere Akten sehen, wir wollen sie aufarbeiten, wir wollen damit einen Umgang finden. Die von Schäuble angedachte Lösung hätte diesen Ansatz aber ad absurdum geführt.

Nun, 20 Jahre nach der friedlichen Revolution, ist die Aufarbeitung längst nicht abgeschlossen und sie wird auch nicht abzuschließen sein. Deshalb ist auch die Arbeit des Landesbeauftragten unverzichtbar. Selbstverständlich gilt auch von unserer Seite Ihnen und Ihrer Arbeit unser Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Denn der Einsatz dafür, die DDR und ihr unheilvolles Erbe aufzuarbeiten, ist weiterhin notwendig. Er ist auch deshalb notwendig, um immer wieder in Erinnerung zu rufen, was und wie die DDR tatsächlich war. Die DDR war eine Diktatur. Sie war ein Unrechtsstaat,

(Beifall bei der SPD, der CDU und des Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

der auf ganzer Linie – politisch, ökonomisch und moralisch – gescheitert ist. Diese Wahrheit, diese historische Wahrheit wird aber inzwischen auch durch Mythen und Legenden ersetzt. Die DDR verblasst zunehmend und erscheint in einem milderen Licht: Jeder hatte seine Arbeit. Jeder hatte seine Sicherheit. Jeder hatte seine Perspektive. Die fehlende Freiheit und der Preis dafür werden komplett ausgeblendet.

(Volker Bandmann, CDU: Jeder hatte seine Staatssicherheit!)

Das Phänomen dieses Ausblendens gibt es eben auch bei denjenigen, die die DDR selbst erlebt haben. Noch viel drastischer ist es natürlich bei der nachwachsenden Generation, bei den jungen Leuten. Sie wissen erschreckend wenig über die DDR. Deshalb ist die Aufklärung darüber notwendig, was und wie die DDR war.

Da helfen keine DDR-Museen, die jetzt in manchen Orten aus dem Boden sprießen. Da hilft auch keine OstalgieShow, sondern da helfen nur eine differenzierte Aufarbeitung und die Vergleiche zwischen den Zeiten. Es geht nämlich auch darum, die Jahre von 1949 bis zum Zusammenbruch 1989 zu bewerten. Da gehört der Stalinismus der Fünfzigerjahre genau so dazu wie die Entstehung der Bürgerbewegungen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Auch der Kalte Krieg!)

Ja, natürlich, gehört auch dazu.

Markus Meckel hat uns anlässlich unserer Ausstellungseröffnung zum 20. Jahrestag der friedlichen Revolution darauf hingewiesen, dass es in jedem Jahrzehnt eine eigene Bürgerrechtsbewegung und Widerstandsbewegung gegeben hat, die aber voneinander nichts gewusst haben, die sich nicht kannten. Es ist jetzt auch für sie interessant, im Nachhinein festzustellen, dass es eigentlich keine

durchgängige Widerstandsgeschichte gab, sondern immer eine eigene für die jeweilige Zeit. Auch das gehört dazu, wenn wir die einzelnen zeitlichen Epochen bewerten.

Wenn ich die junge Generation anspreche – und das ist ja Teil unseres Antrages –, dann geht es auch darum zu fragen: Wo sind die Orte, in denen man eine solche historische Auseinandersetzung führen muss?

Natürlich geht es da auch um unsere Schulen. Dort muss das weiterhin ein Thema sein. Dabei kann der Beauftragte für die Unterlagen wertvolle Beiträge leisten. Denn die Möglichkeiten, die Palette der Angebote sind jetzt schon groß: außerschulische Bildungsangebote, Gestaltung von Unterrichtsstunden, Schülerprojekte usw. Diese Angebote müssen genutzt, aber auch ausgebaut werden. Da darf es kein Nachlassen vonseiten der Regierung und des Landtages bei der Unterstützung dieser Arbeit geben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es jetzt auch wieder gehört, gerade läuft öffentlich wieder eine aktuelle Debatte über das Leben in der DDR und den heutigen Umgang damit. Das ist sicherlich keine einfache Debatte, weil auf der einen Seite eine rationale Herangehensweise an bestimmte historische Momente durch Emotionen überdeckt wird. Aber sie erfordert gerade eine differenzierte Sicht. Sie erfordert auch eine kritische Haltung zu sich selbst.

Das ist auch der Unterschied, wenn wir darüber reden, ob es um Verantwortung oder Schuld geht. Schuld ist etwas Individuelles. Verantwortung hat auch etwas damit zu tun, sich systematisch auseinanderzusetzen und die richtigen Lehren daraus zu ziehen.

Ja, diese differenzierte Sicht und auch die kritische Haltung für sich selbst, das schafft nicht jeder. Aber bei der Staatssicherheit ist dieses leichter zu beantworten. Wer für die Stasi spioniert und Berichte geliefert hat, der hat Menschen geschadet.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Wer Stasi-Akten kennt, weiß, wozu das MfS fähig war: Zersetzungsmaßnahmen, inoffizielle Mitarbeiter, Gefängnisse bis hin zur Zerstörung von Existenzen. Das MfS existierte aber nicht autonom, es war Bestandteil dieser DDR. Auftraggeber war die SED, das MfS war vom Politbüro an in die Befehlsstruktur eingebunden. Ja, und das „Schild und Schwert der Partei“ hatte Einfluss auf das Leben, auf Biografien. Aber die Staatssicherheit war nicht die DDR. Die Stasi war nicht und darf auch jetzt nicht der einzige Maßstab zur Bewertung der DDR sein – jedoch ein wichtiger Maßstab. Man darf die Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht darauf reduzieren; denn eines ist auch klar: Die ostdeutsche Biografie gibt es nicht.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Der Berliner Schriftsteller Thomas Brussig, der sehr viele gute Werke geschrieben hat, auch in der Auseinandersetzung um die Neunundachtziger-Zeit, zum Beispiel „Wie

es leuchtet“ oder „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“, hat gerade in seinem Buch zur Sonnenallee geschrieben: „Das war das Land, in dem haben wir gelebt und geliebt.“ Das ist eine andere Kategorie. Dabei geht es nicht um Stasi und Partei, sondern es geht um das Leben. Das meine ich mit der „ostdeutschen Biografie“. Das ist das Leben, und das ist nicht einheitlich und eindeutig gewesen, sondern individuell. Das bedeutet aber auch, dass wir, wenn wir uns mit unserer Geschichte auseinandersetzen, individuelle ostdeutsche Biografien nicht vereinheitlichen oder gar für kollektive Vergebungen instrumentalisieren dürfen.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Die Lebenswege waren so unterschiedlich, wie die Menschen überall auf der Welt unterschiedlich sind. Damals haben wir alle unter gleichen Bedingungen gelebt; aber das Verhalten war durchaus unterschiedlich.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP)

Was bleibt, ist die Aufforderung, dass die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit auf der Tagesordnung bleibt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der FDP und den GRÜNEN)

Die Linksfraktion hat das Wort; Herr Dr. Friedrich.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

(Rolf Seidel, CDU: Frau Präsidentin! – Teilweise Heiterkeit bei der CDU)

Die Linksfraktion begleitet die Arbeit des Landesbeauftragten Herrn Beleites mit dem notwendigen Interesse und dem erforderlichen Respekt. Deshalb haben wir überhaupt nichts dagegen, dass der Bericht des Landesbeauftragten entgegen dem sonst üblichen Ritual, über Jahre hinweg erst in den späten Abendstunden ohne die notwendige mediale Aufmerksamkeit behandelt zu werden, nicht mittels eines zulässigen Geschäftsordnungstricks, sondern mittels dieses Antrages in eine bessere Öffentlichkeitszeit gezogen wird. Wir sind bei diesem wichtigen und sensiblen Thema ausdrücklich für Öffentlichkeit und mediale Aufmerksamkeit.

Kollege Schiemann, in einem haben Sie ganz unzweifelhaft recht: Es geht auch uns um die ehrliche Darstellung des Erlebten in den Jahren 1989/90, aber auch in den vielen Jahren davor. Ich denke, das muss sein, unabhängig von den vielen Gedenktagen, die uns in diesem und im nächsten Jahr ereilen. Dieser Erinnerungs- und Aufbereitungsarbeit stellt sich meine Fraktion, auch meine Partei ganz ausdrücklich, auch wenn das zuweilen ein nach wie vor sehr schmerzhafter Prozess ist, den wir noch lange