Protokoll der Sitzung vom 19.04.2005

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident! – Leider ist er nicht mehr da. Offensichtlich ist ihm Bildung doch nicht so viel wert, aber er muss es sich trotzdem – –

(Zuruf von der SPD: Eigentor!)

Das hat mit Eigentor überhaupt nichts zu tun. Ich möchte mich speziell an ihn wenden, und er ist nicht da. Demzufolge denke ich, dass es zumindest legitim ist, dies zu äußern.

(Volker Bandmann, CDU: Sie wissen doch, dass es im ganzen Haus gehört wird!)

Herr Ministerpräsident! Sie sind offensichtlich der Auffassung, dass die für diesen Haushalt eingestellten Mittel hier im Hause für die Schulen ausreichen, um die Aufgaben im Schulbereich für die nächsten Jahre zu erfüllen. Ich frage mich, warum nicht alle, die an Schule beteiligt sind, diese Auffassung teilen – die Eltern, die Schüler, die Lehrer, Gewerkschaften, Verbände und viele andere mehr. Kann es vielleicht sein, dass Sie, Herr Ministerpräsident, gar nicht wissen, was an unseren Schulen los ist?

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das hat er vorhin bewiesen! – Widerspruch bei der CDU)

Wir beschließen heute mit dem Haushalt 05 über wichtige Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung unserer Schulen. Liebe Kollegen der CDU! Ich bitte Sie: Schauen Sie doch einmal über Ihren Horizont! Wir werden in wenigen Jahren in Sachsen nur noch die Hälfte der Schulabgänger haben. Jedes einzelne Kind, jeder Jugendliche, der im Jahr 2011 die Schule verlässt, wird in Sachsens Wirtschaft mit einer hohen Qualifikation gebraucht. Unser Potenzial und unsere Chance in Sachsen sind unsere jungen Menschen. Es muss uns gelingen, bis zu diesem Zeitpunkt junge Menschen mit so viel Wissen und Erfahrungen auszustatten, wie es nur geht.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Wie denn?)

Dabei geht es mir nicht um ein paar Lehrerstellen mehr oder weniger, sondern um das ganze Potenzial, das uns zur Verfügung steht; denn wir reden nicht nur von Qualität. Wir nehmen dieses Wort sehr ernst, und wir wissen auch, dass Qualität ihren Preis hat, den man zahlen muss, wenn man wirklich Chancengleichheit gewähren und Zukunftschancen eröffnen will. Nur über eine gute Ausbildung der Jugend haben wir in Sachsen die Möglichkeit, einen wirtschaftlichen Vorteil zu erhalten. Wenn Sie diese Chancen nicht sehen und begreifen, dann werden wir uns in den nächsten Jahren in diesem Landtag Gedanken machen müssen, wo wir hochwertig qualifizierte junge Leute herbekommen.

Ich bitte Sie, Kollegen von der CDU: Schauen Sie über Ihren Horizont! Wir haben heute noch gut ausgebildete und engagierte Lehrer an unseren Schulen, um eine andere, bessere Schule in Sachsen zu gestalten. Mittelfristig – und daran führt kein Weg vorbei – steht natürlich das gesamte Schulsystem zur Disposition. Wir brauchen eine hohe Allgemeinbildung für alle Schülerinnen und Schüler und eine möglichst lange gemeinsame Schulzeit.

(Beifall bei der PDS – Volker Bandmann, CDU: Warum denn das?)

Die Konsequenzen aus der derzeitigen Bildungspolitik der CDU – und nun leider auch der SPD – sind und werden gravierend sein. Über 10 % der Schüler in Sach

sen verlassen die Schule ohne jeden Schulabschluss. Die Schülerzahlen an Mittelschulen und Gymnasien sinken. Das ist real, es ist auch gar keine Frage. Aber: an Förderschulen nicht. Da stimmt doch etwas nicht!? Warum gelingt es also dieser Schule nicht, durchschnittlich intelligenten jungen Menschen wenigstens Grundkompetenzen zu vermitteln? Die Ursache liegt im System und nicht an den Lehrern. Die Konsequenzen der überstürzten Entscheidung des Staatsministers, die Zugangskriterien für das Gymnasium zu verändern, sind noch gar nicht abzusehen. Ich freue mich, dass Herr Colditz das auch so sieht. Es kann natürlich auch ein sehr günstiger Schachzug sein, das auszuprobieren. Die überstürzte Einführung des neuen Schulgesetzes in diesem Schuljahr mit der Einführung der Schuleingangsphase unter nicht durchführbaren Bedingungen lässt die daraus folgenden Konsequenzen nur erahnen. Dazu aber nachher in den Einzelanträgen mehr. Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Nein, nicht ganz.

(Allgemeine Heiterkeit)

Ach, Entschuldigung! So ist das, wenn man die Zeilen schreibt, wenn da noch eine Präsidentin sitzt. Also, Herr Hatzsch: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen der SPD! Wir begrüßen ausdrücklich Ihre Bemühungen in der Koalition im Bereich der Bildungspolitik.

(Zurufe von der CDU und der SPD)

Aber diese sind sehr, sehr zaghaft. Die Veränderungen haben doch nicht einmal in Ansätzen etwas damit zu tun, was Sie in den Jahren vor der letzten Landtagswahl gesagt haben, und ich gehe davon aus, dass Sie diese bildungspolitischen Veränderungen auch wirklich gewollt und sie nicht nur genannt haben. Ich möchte nun noch zu einigen Zahlen kommen, die sich im Haushalt verstecken – oder auch nicht verstecken. Wir haben heute mehrfach gehört, dass wir im Haushalt 800 Stellen zusätzlich für den Grundschulbereich zur Verfügung haben. Die stehen wirklich drin, selbstverständlich. Aber: Sie streichen sie mit den kwStellen für 2004 und 2005 sofort wieder weg. Sie streichen Stellen aus diesem Bereich. 91 Stellen wandeln Sie in Stellen für Förderschulen um, so dass insgesamt 407 Stellen im Grundschulbereich real zum neuen Schuljahr zusätzlich zur Verfügung stehen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir nur für das Regionalschulamt, um den derzeitigen Bedarf decken zu können, 200 zusätzliche Stellen benötigen – und wir haben fünf Regionalschulämter –, können Sie sich ausrechnen, wie „hervorragend“ die Schuleingangsphase und die vorschulische Erziehung durchgeführt werden können.

(Zuruf von der PDS: Gar nicht!)

Ich habe gehört, dass die Schulleiter die Stunden für die vorschulische Erziehung jetzt beantragen dürfen. Ich

hoffe, dass sie sie dann auch zugewiesen bekommen. Herr Minister, vielleicht können Sie nachher noch etwas dazu sagen.

Ich möchte mich auch – und das liegt mir sehr am Herzen – auf die zusätzlichen Stellen im Förderschulbereich beziehen. Der Ministerpräsident hat sie heute hier extra erwähnt. 272 zusätzliche Stellen im Förderschulbereich stehen wirklich korrekt darin.

Aber was ist das und woher kommen sie? Von den 800 benannten Stellen kommen 91 Stellen aus der Grundschule. Die kw-Stellen – also die Stellen, die künftig wegfallen und in Zukunft nicht wieder zu besetzen sind, denn auch im Förderschulbereich werden Stellen abgebaut – bleiben nach wie vor bestehen. Real ist es so, dass 100 Stellen weniger abgebaut werden, aber nicht zusätzlich zur Verfügung stehen.

Ich möchte nicht vergessen zu erwähnen – darüber bin ich sehr froh –, dass es der SPD-Fraktion in Nachverhandlungen gelungen ist, die kw-Stellen im Grundschulbereich etwas zu schieben. Diese Stellen werden nicht wirklich gestrichen, sondern ab dem Jahre 2008 wieder angehängt. Wenn man weiß, dass im Grundschulbereich die Schülerzahlen ansteigen, und wir dann davon ausgehen, dass der Bestand, den wir ab dem Jahre 2006 haben werden, ausreicht, halte ich das aus den eben dargelegten Gründen für sehr fragwürdig.

Sie haben heute die Möglichkeit zu zeigen, dass es Ihnen nicht nur um politische Karriere geht oder um einen Schmusekurs – ich hatte heute das Gefühl, dass dieser angesagt ist –,

(Rita Henke, CDU: Wer schmust mit wem? – Dr. André Hahn, PDS: Ich nicht mit Ihnen!)

sondern unseren Änderungsanträgen Ihre Zustimmung zu geben, weil Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in der Öffentlichkeit sonst vollständig Ihr Gesicht verlieren.

Was Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, betreiben, ist eine kurzsichtige und rückwärts gewandte Politik. Sie wollen Schule um Schule schließen. Wir wollen leistungsfähige Bildungseinrichtungen schaffen. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der PDS)

Gute Bildung hat bei höchstem Engagement aller Beteiligten natürlich auch ihren Preis. Alle Änderungsanträge, die die PDS-Fraktion gestellt hat, sind notwendig, um das derzeitige Schulgesetz und die Lehrpläne, die in den Schulen neu eingeführt wurden bzw. bei denen wir noch dabei sind, umzusetzen. Wir haben uns dabei nicht von Wunschträumen leiten lassen, sondern haben einen Kompromiss im Rahmen des Gesamthaushaltes gesucht und gefunden.

Unser Ansatz – Herr Porsch hat es heute schon gesagt – liegt bei über 5 000 zusätzlichen Stellen. Auch wir sind der Auffassung, dass wir schauen müssen, was mit dem Haushalt geht. Aber die heute vorliegende Größenordnung von 3 300 Stellen halten wir für machbar und sinnvoll.

Übrigens – der Ministerpräsident ist leider nicht anwesend –,

(Heinz Lehmann, CDU: Sie wiederholen sich! – Rita Henke, CDU: Das haben Sie schon einmal gesagt!)

wenn wir in der Verwaltung keine Stellen kürzen können, weil sonst die Zettel liegen bleiben, dann frage ich mich, wieso wir im Lehrerbereich kürzen. Wir kürzen die Stundenzahl, aber nicht die Arbeit, die die Lehrer haben.

(Beifall bei der PDS)

Ich rufe für die SPDFraktion Herrn Dulig auf; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Haushalt für den Kultusbereich ist natürlich ein Kompromiss zwischen dem Wünschenswerten und dem Machbaren, aber es ist ein akzeptabler Kompromiss.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Rita Henke, CDU: Da haben Sie es gehört, Herr Hahn!)

Das ist er nicht zuletzt deshalb, weil wir in der Koalition noch Änderungen im Laufe der Beratungen vorgenommen haben. Waren es im ursprünglichen Entwurf noch über 7 400 Stellen, die im Schulbereich bis zum Jahre 2009 hätten abgebaut werden müssen, so sind es jetzt nur noch knapp 6 500 Stellen. Für den Mittelschul- und Gymnasialbereich, in welchem in diesem Zeitraum die Schülerzahlen um ein Drittel zurückgehen, verbessert sich trotz des Stellenabbaus die Schüler-Lehrer-Relation um zirka einen Schüler pro Lehrer. International liegen wir deutlich unter dem Durchschnitt. Das ist in diesem Fall – anders als bei „Pisa“ – nicht schlecht.

Das bedeutet, dass wir im Durchschnitt eine bessere Personalausstattung als die OECD-Länder haben. Das ist auch dann noch der Fall, wenn wir die Stellen abziehen, die den Schulen nicht zur Verfügung stehen. Dabei müssen wir andererseits in Rechnung stellen, dass bei den OECD-Vergleichsdaten die Förderschulen eingerechnet sind. Rechnen wir diese bei den Mittelschulen hinzu und ziehen die nicht verfügbaren Stellen ab, dann haben wir trotz allem im Jahre 2009 noch eine Relation von 10,4 Schülern pro Lehrer. Im OECD-Durchschnitt sind das 14,4 Schüler pro Lehrer.

Trotz dieser guten personellen Ausstattung ist der Haushalt eine große Herausforderung, weil in Wirklichkeit entgegen guter Lehrerversorgung ständiger Mangel herrscht. Würden wir von dieser Seite den Lehrerbedarf berechnen, dann kämen wir gut und gern auf einen Mehrbedarf von wenigstens 1 000 Stellen, perspektivisch sicherlich noch mehr. Auf dieser Argumentation bauen die Forderungen der Lehrervertretungen auf. Sicherlich wären wir in der Koalition dem gefolgt, wenn wir im

Geld schwimmen würden, aber jeder weiß, dass wir das nicht tun. Jede Stelle mehr ist somit kreditfinanziert.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Habt ihr das nicht schon im Wahlkampf gewusst?)

Wir haben eine Gesamtverantwortung für den Haushalt und für die nächsten Generationen. Insofern stellen sich folgende Fragen: Warum kommt es bei dieser guten Ausstattung zu Lehrermangel und zu Unterrichtsausfall? Warum kommen andere Schulsysteme damit zurecht und erzielen viel bessere Ergebnisse als wir? Die aktuelle Schüler-Lehrer-Relation von zwölf ist noch besser als die der weit vor uns liegenden Schweden. Im Jahre 2009 sind wir sogar zwei Zehntel besser als der Spitzenreiter Finnland.

Damit ist klar, dass der Mangel nicht allein am Schülerrückgang liegen kann und dass wir nicht einfach zu viele kleine Schulen und Klassen haben. Die Siedlungsdichte von Nordeuropa ist wohl nicht mit der von Sachsen zu vergleichen. Wer meint, allein durch die Optimierung des Schulnetzes der Probleme Herr zu werden, irrt gewaltig. Vielmehr zeigen uns ein kritischer Blick auf unsere Stellenbewirtschaftung und der Blick auf andere Schulkulturen, dass wir mit unserem Personal ineffizient in doppelter Hinsicht umgehen. Zum einen erzeugen wir einen viel zu hohen Bedarf und zum anderen liefern wir ein viel zu schlechtes Ergebnis.

Nun frage ich Sie, ob wir diesen Weg weitergehen wollen. Der Preis ist nicht nur eine höhere Neuverschuldung, sondern weiterhin eine zu geringe Qualität. Wir würden auf diesem Weg unseren Kindern eine Hypothek hinterlassen, von der sie außer den Schulden nichts haben.

(Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD: Genau!)

Der Weg muss ein anderer sein. Man muss endlich über den deutschen Tellerrand hinausschauen und aufhören, im eigenen Saft zu schmoren. Es muss uns doch bei der sehr viel höheren Bevölkerungsdichte gelingen, mit einem ähnlichen Lehrereinsatz wie in Finnland ähnliche Ergebnisse zu erzielen. Wir haben dazu die nötigen Schritte im Koalitionsvertrag vereinbaren können und müssen nun die Dinge auch entschieden anpacken.

(Beifall des Abg. Prof. Dr. Cornelius Weiss, SPD)

Wir werden uns von der Kultusverwaltung keine Bemerkungen gefallen lassen, dass man schließlich nur mit den Stellen arbeiten könne, die der Landtag beschließt. Das reicht eben nicht. Wir kennen das aus der Vergangenheit und sagen deshalb hier und heute sehr deutlich: Der vorliegende Stellenplan des Einzelplanes 05 ist der Auftrag zur Umsetzung der Koalitionsvereinbarung in den Punkten „Neue Schul- und Lernkultur“ und „Verantwortliche Schule“.

(Beifall bei der SPD und der CDU)