Protokoll der Sitzung vom 19.05.2005

Das ist richtig. Nur, meine Damen und Herren, haben Sie vergessen, was in der Vergangenheit passiert ist? Genau das Zusammensetzen ist doch längst passiert. Das ist doch ein Fakt. Es wurden – das will ich ganz klar sagen – auch schmerzliche Entscheidungen vor Ort getroffen. Jeder, der in der Kommune verankert ist, weiß, dass es sich die Träger der Schulen nicht einfach gemacht haben, dass es oftmals auch ein Kampf zwischen den Kommunen war, um eine Entscheidung zu treffen, wer seine Schule verliert und für wen sie Bestand haben wird.

Aber ich sage auch: Die Tatsache, dass Schulen, die diesen Auswahlprozess überstanden haben und in den Schulnetzplänen als bestandssicher bestätigt wurden – im Übrigen mit behördlichem Segen –, jetzt erneut zur Debatte stehen, ist doch das, was den Protest mobilisiert und was die Bürger in unserem Land nicht verstehen.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dietmar Jung, PDS)

Das gilt insbesondere für den Fakt, dass Schulen betroffen sind, die als bestandssicher ausgewiesen und erst kürzlich mit einem Millionenaufwand landesweit ausgebaut und modernisiert wurden. Dieser Millionenaufwand soll umsonst gewesen sein? Das versteht weder der Steuerzahler noch die Kommune.

Ich will hier auch noch einmal ganz klar sagen: Dass wir das Schulnetz anpassen müssen, weil die Schülerzahlen sinken, ist uns allen klar. Wir werden nicht umhinkommen, Schulen zu schließen. Das ist ein Fakt. Doch was die Staatsregierung vorhat, geht über das Notwendige hinaus, das eröffnet eine neue Dimension, denn es schafft schulfreie Regionen in Größenordnungen in Sachsen. Diese Politik tragen wir als FDP nicht mit!

(Beifall bei der FDP)

Das Problem, das wir haben, ist ein Schulsystem, das mittlerweile der Realität in unserem Land nicht mehr gerecht wird. Wenn Schüler Schulwege von bis zu anderthalb Stunden in Kauf nehmen müssen – und es handelt sich eben nicht um Einzelfälle, sondern solche Fälle werden aus allen Regionen Sachsens gemeldet –, wenn wir ein Schulsystem haben, das Schulen aus ihrer regionalen Identität, aus ihrer Verankerung reißt, dann kann etwas mit dem System nicht stimmen. Die Realität stimmt immer, meine Damen und Herren. Auch das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.

Ich finde es mehr als ärgerlich, dass selbst Schulen schließen müssen, die in der Vergangenheit bewiesen haben, dass sie mit ihren Leistungen über dem Durchschnitt liegen. Wir reden doch hier oft über Qualitätsverbesserung, über bessere Bildung. Und Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben, bessere Leistungen zu erreichen, werden jetzt dicht gemacht.

Nur ein Beispiel: Vor kurzem erhielten wir ein Schreiben der Baumgarten-Mittelschule aus Chemnitz. In diesem

Schreiben gratuliert das Kultusministerium dazu, dass diese Schule UNESCO-Projektschule geworden ist. Die Gratulation war kaum zur Kenntnis genommen, als 14 Tage später ein Schreiben kam, in dem mitgeteilt wurde, dass dieser Schule die Mitwirkung entzogen wird. Das ist doch eine absurde Politik, die niemand in Sachsen versteht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der PDS)

Es geht – ich will das noch einmal ganz klar sagen – auch nicht nur um die einzelne Schule. Natürlich, Bildung ist wichtig, auch die einzelnen Schulgebäude und die Wege zur Schule sind wichtig. Mittlerweile geht es aber um mehr; denn Schulen sind nun einmal auch ein Herzstück des kommunalen Lebens. Wenn wir davon sprechen, dass wir Angebote auch in der Freizeit machen wollen, dass AGs stattfinden, dass sich Eltern unentgeltlich an den Schulen engagieren, sich um Schüler kümmern, wie jüngst im Fall der Mittelschule Boxberg eindrucksvoll bewiesen, dass sich die regionale Wirtschaft zu ihrer Schule bekennt, sie auch finanziell in Größenordnungen unterstützt, und wenn diese Schulen dicht gemacht werden, wird damit auch dieses Engagement mit Füßen getreten. Das kann es doch auch nicht sein!

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. André Hahn, PDS)

Das Schulgesetz mit seinen starren Vorgaben sorgt dafür, dass wir in den Großstädten wahrscheinlich noch einigermaßen erträgliche Bedingungen haben. Das Problem haben wir in den ländlichen Regionen. Genau deshalb brauchen wir keine Rasenmäherpolitik, die übers Land geht, sondern wir müssen in der Lage sein, auch die regionalen Unterschiede zu berücksichtigen.

Wir haben mit unserem Antrag einen Vorschlag mit Augenmaß unterbreitet, der sehr wohl die Mindestschülerzahlen in vernünftige Relation setzt zu dem Anliegen, Schulen zu erhalten. Dass dies nicht jenseits der Realität ist, wird uns auch von Teilen der Koalition bestätigt. Herr Weiss hat unlängst auf der Pressekonferenz gesagt: „Wir finden das Anliegen und den Antrag der FDP inhaltlich vernünftig, würden ihm gern zustimmen, werden aber durch die Koalitionsdisziplin daran gehindert.“ – Das ist bitter, meine Damen und Herren.

Ich möchte Ihren Blick auch noch einmal in ein Nachbarbundesland lenken. In Sachsen-Anhalt wurden genau solche Regelungen, wie wir sie für Sachsen vorschlagen, erst vor kurzem eingeführt, weil es dort genau dieselben Probleme wie in Sachsen gibt.

(Zuruf von der CDU: Dort regieren CDU und FDP!)

CDU und FDP, Ihre Kollegen. Vielleicht fragen Sie dort einmal nach. So unvernünftig kann unser Antrag also nicht sein.

Meine Damen und Herren insbesondere von der CDU und der SPD, ich möchte an Ihre persönliche Verantwortung als Abgeordnete, auch als Vertreter Ihrer Wahlkreise appellieren: Setzen Sie ein Zeichen für die sächsischen Schulen, für Ihre Kinder vor Ort und für die Kommunen! Wir haben heute im Parlament leider die

allerletzte Chance, die rigorose Kahlschlagspolitik im sächsischen Schulwesen ein Stück weit zu stoppen. Nutzen wir sie! Stimmen Sie unserem Antrag zu!

Danke schön.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der PDS)

Die CDU-Fraktion, bitte. Herr Abg. Colditz.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Herbst, zunächst zwei Vorbemerkungen zu Ihren Ausführungen: Die Qualität von Bildungspolitik macht sich ganz bestimmt nicht an Entscheidungen zur Schulnetzplanung aufgrund der demografischen Entwicklung fest. Die Qualität der Bildungspolitik macht sich im Ergebnis dessen fest, was Schulen im Land leisten.

(Dr. André Hahn, PDS: Die Ergebnisse sind verheerend!)

Wenn Sie da vergleichsweise die zurückliegenden Jahre betrachten und sehen, was gerade in Sachsen an Bildungspolitik und an Rahmenbedingungen geschaffen wurde und was im Ergebnis dabei herausgekommen ist, können Sie feststellen, dass sich Sachsen im Vergleich mit anderen Bundesländern durchaus sehen lassen kann.

Das Zweite, was ich Ihnen sagen muss, Herr Kollege Herbst: Sie haben eine sehr weitreichende Einschätzung dessen vorgenommen, was beabsichtigt ist. Ich muss Ihnen trotzdem noch einmal deutlich sagen: Wir befinden uns zurzeit in einem Anhörungsverfahren und dieses Anhörungsverfahren war und ist notwendig, weil eine Reihe von Schulen bzw. auch von Klassen im Land die Mindestvorgaben, die auch der Schulnetzplanung noch vor wenigen Monaten zugrunde lagen, letztlich unterschritten hat. Daher war und ist dieses Anhörungsverfahren notwendig und es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass die Kommunen auf der örtlichen Ebene ihre Vorstellungen, die sie im Schulnetzplan entwickelt haben, mit den Sollvorgaben in Übereinstimmung bringen.

Aber das sind Entscheidungen, die vor Ort getroffen werden müssen. Da reicht es auch nicht, sich nur zu verständigen, sondern es müssen tatsächlich Entscheidungen zustande kommen. Wenn diese Entscheidungen nicht getroffen werden, dann entsteht die Situation, dass man in Dresden entscheiden muss. Man muss sich dann nicht wundern, dass die kommunale Selbstverwaltung ein Stück weit eingeschränkt wird.

Meine Damen und Herren! Wir haben uns mehrfach – ich hatte es gerade angesprochen – mit den Problemen und der Gestaltungsmöglichkeit der Schulnetzplanung im Rahmen von Landtagsdebatten beschäftigt. Unsere Fraktion hat es nicht bei dieser Debatte belassen, sondern gesetzliche Regelungen auf den Weg gebracht, die es ermöglichen sollen, regionale Abstimmungsprozesse in dieser Frage zu befördern. Ich hatte das eingangs gesagt. Es sind auch gesetzlich normierte Vorgaben zur Zügigkeit von Schul- und Klassengrößen geschaffen und unterlegt worden, die eine grundlegend optimale Vorgabe für den Erhalt von Schulen vor Ort in einer vernünftigen

Größenordnung einschließlich der dazu notwendigen Gestaltungserfordernisse ermöglichen.

Meine Damen und Herren! Für uns gelten nach wie vor zwei Grundsätze, denen die Schulnetzplanung entsprechen soll:

Erstens der Erhalt von Standorten in einer vertretbaren Entfernung zum Wohnort. Hierbei muss schulartspezifisch differenziert und ein Grundschulstandort anders als ein Gymnasialstandort bewertet werden. Es darf auch nicht außer Acht gelassen werden – auch das sage ich an Ihre Adresse, Herr Kollege Herbst –, dass es die Aufgabe der Planungsträger vor Ort, insbesondere der Landkreise, ist, die Schülerbeförderung so zu organisieren, dass sich die Fahrzeiten in einem vernünftigen Rahmen bewegen. Auch dort haben wir sicherlich Handlungsbedarf. Aber das ist nicht eine Frage der Schulnetzplanung, die letztlich vom Land initiiert worden ist, sondern das ist eine Frage der Verantwortungswahrnehmung vor Ort.

Zweitens sehen wir die Notwendigkeit von landesweiter Chancengleichheit bei schulischen Angeboten. Dies betrifft das Profilangebot, den Fachunterricht ebenso wie die Möglichkeit des Erwerbs von differenzierten Abschlüssen an den Schulen.

Ich kann an dieser Stelle nur nachdrücklich unterstreichen und nachdrücklich darauf hinweisen, dass sich die Vorgabe einer Zweizügigkeit für eine Mittelschule und die Dreizügigkeit eines Gymnasiums

(Dr. André Hahn, PDS: … für falsch halte!)

letztlich aus strukturellen Erfordernissen des qualitativen Angebots dieser Schulen herleitet. Herr Kollege Hahn, das ist das, was Sie permanent leugnen, weil es nicht in Ihre Vorstellung passt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das ist eine falsche Vorstellung!)

Eine Abschlussdifferenzierung an Mittelschulen erfordert ebenso wie die Differenzierung eines Kurssystems mit entsprechenden Wahlmöglichkeiten am Gymnasium eine Mindestzügigkeit, die bei anstehenden Planungsentscheidungen einfach nicht ausgeblendet werden darf, wenn die Qualität und das Angebot inhaltlich gesichert werden sollen.

Bei allem aktuell wieder auflebenden Widerstand, um einer Ausdünnung des Schulnetzes gerade im ländlichen Raum entgegenzuwirken, darf dieser strukturell-inhaltliche Ansatz nicht vernachlässigt oder leichtfertig unterlaufen werden. Diese Diskussion erleben wir bedauerlicherweise gegenwärtig wieder.

Wenn es einen grundgesetzlich verfassten Auftrag des Staates zur Bereitstellung und zur Ausgestaltung von schulischen Angeboten gibt, dann dürfen die gesetzten Normative nicht leichtfertig außer Acht gelassen werden, es sei denn, man will das Schulsystem einer Beliebigkeit unterstellen, die letztlich zu ungleichen Schulangeboten im Land führt.

(Dr. André Hahn, PDS: Sie setzen es blind um! Blind!)

Genau an dieser Stelle geht der vorliegende Antrag letztlich an den rechtlichen Rahmenvorgaben vorbei. Die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, wie sie der Antrag fordert, kann nicht davon ausgehen, dass der kommunalen Vorstellung zum Erhalt eines Schulgebäudes bei notwendigen Entscheidungen das Primat eingeräumt wird. Diese populistische Darstellung verkauft sich zwar in der Auseinandersetzung, die wir zurzeit erleben, sehr gut, geht aber, wie gesagt, an inhaltlichen Gestaltungserfordernissen vorbei.

Eigenverantwortung und Kreativität der kommunalen Ebene bei der Ausgestaltung der Schulnetzplanung sind dennoch möglich, aber in Anlehnung und in Ausgestaltung gesetzter struktureller und sinnvoller Normative. Mit der Wahrnehmung regionaler Verantwortung dieser Gestaltungsprozesse lassen sich dann auch am ehesten Standorte erhalten, die letztlich vertretbare Schulwege einschließen und berücksichtigen.

Meine Damen und Herren! Nun geht der vorliegende Antrag noch besonders auf die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen bis zum Jahr 2008 ein. Begründet wird diese Forderung mit der Annahme, dass spätestens ab 2010 mit einem Schüleraufwuchs zu rechnen sei. Diese Darstellung, meine Damen und Herren, insbesondere meine Damen und Herren von der FDP, geht an den Realitäten vorbei und ignoriert die aktuelle Situation.

(Dr. André Hahn, PDS: Statistisches Landesamt!)

In diesem Jahr haben rund 300 von 452 Mittelschulen nicht die notwendige Mindestschülerzahl zur Einrichtung einer Eingangsklasse erreicht. Würde man vor dem Hintergrund dieser Verhältnisse dem Antrag folgen, würden Ausnahmegenehmigungen zur Regel gemacht werden – und dies über das Jahr 2008 hinaus. Denn wenn man sich die Zahlen einmal vergegenwärtigt, die aufgrund von Schülerzahlprognosen jetzt schon vorliegen, kann man Folgendes feststellen:

Wir hatten an Mittelschulen im Jahr 2000/2001 eine Schülerzahl von ungefähr 214 000. Im Jahr 2005/2006 ist diese Schülerzahl auf 117 000 gesunken. Im Jahr 2010/2011 wird sie weiter – auf rund 94 000 – absinken und dieser Trend ist anhaltend.

Am Gymnasium besteht eine ähnliche Situation. Dort waren es im Jahr 2000/2001 rund 136 000 Schüler, 2005/2006 88 000 Schüler und 2010/2011 werden 61 000 Schüler erwartet. So weit das Entgegentreten bezüglich Ihrer Vorstellung bzw. Ihrer Annahme, die letztlich nicht zutrifft.

(Dr. André Hahn, PDS: Wie sind denn die Geburtenzahlen jetzt?)

Meine Damen und Herren! Diese Zahlen belegen eindeutig, dass die Annahmen, die dem Antrag zugrunde liegen, so eben nicht zutreffen. Es sind reine Wunschvorstellungen, die die aktuelle Diskussion um die Schulnetzplanungsentscheidungen bedauerlicherweise nicht befördern.

(Dr. André Hahn, PDS: 15 % !)