Protokoll der Sitzung vom 19.05.2005

(Dr. André Hahn, PDS: 15 % !)

Daran ändern auch Ihre Zwischenrufe nichts, Herr Kollege Hahn.

(Dr. André Hahn, PDS: Sind aber richtig!)

Ich will keinesfalls verkennen, meine Damen und Herren, dass in diesem Jahr die geburtenschwächsten Jahrgänge in den Eingangsklassen angemeldet worden sind. Deshalb muss es dort, wo die Mindestzügigkeit nur kurzzeitig unterschritten wird und klare Perspektiven darstellbar sind, auch nicht unbedingt zu einem Mitwirkungsentzug kommen.

(Dr. André Hahn, PDS: Das sieht der Minister anders!)

Hier sind ebenso wie im dünn besiedelten Raum durchaus Ausnahmen möglich. Sinnvollerweise können aber diese Ausnahmen nicht die Regel werden, wie das der Antrag im Prinzip initiieren will. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Die PDS-Fraktion, Frau Abg. Bonk.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Colditz, im Grunde macht es gar keinen Sinn, dass Sie uns immer wieder vorrechnen, dass die Schülerzahlen zurückgehen, und dass wir darauf verweisen, dass die Schülerzahlen auch wieder ansteigen werden. Das Entscheidende ist, dass wir uns im politischen Raum darüber verständigen, wie wir mit dem – natürlich relativen – Schülerzahlenrückgang umgehen wollen, welche Prioritäten wir setzen, was wir für Schule daraus machen wollen. Das ist unsere Aufgabe und nicht das gegenseitige Vorrechnen irgendwelcher Zahlen.

(Beifall bei der PDS)

Aber diese Debatte setzen wir praktisch heute fort.

Am 22.04. hat uns der Kultusminister eine Liste der Schulen vorgelegt, die die Mindestschülerzahl nicht erreichen. Das betrifft vor allem 300 Mittelschulen in Sachsen. Tatsächlich geschlossen werden sollen 150. Das ist ein Drittel der sächsischen Mittelschulen und das ist die Lage, in der wir uns aktuell und akut befinden. Genau vor diesem Hintergrund diskutieren wir natürlich alle aktuellen Anträge, die zu Schulschließungen gestern und heute vorgelegt wurden. Wir diskutieren vor allem auch vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Widerstands, den wir gestern zu spüren bekommen haben und der uns zeigt, welche Brisanz die Debatten haben, die wir führen, und wie wichtig es ist, dass wir zu einer Entscheidung im Interesse von Schulqualität kommen.

Zu den Schulnetzplänen ist zu sagen, dass es im Moment einfach praktisch unmöglich ist, eine zukunftsfähige Schulnetzplanung durchzuführen. Seit Jahren arbeiten die Schulträger an den Schulnetzplänen. Sie haben sich in schwierigen Entscheidungsprozessen untereinander verständigt. Kollege Herbst hat schon angesprochen, wie schwerwiegend und wie schwierig diese Prozesse in den einzelnen Kommunen gewesen sind.

Nun, in diesem Jahr, praktisch kurz vor der wieder anstehenden Entscheidung der Grundschüler, an welche Schule sie gehen werden, ist seitens des Kultusministeriums die Entscheidungsgrundlage all dieser Schulnetzpläne, die über Jahre aufgestellt wurden, praktisch verändert worden – mit der Veränderung der Bildungsempfehlung, mit der Veränderung, dass nun auch Schülerinnen und Schüler, die einen Notendurchschnitt von 2,5 haben, ans Gymnasium gehen können. Letzteres hat dazu geführt, dass regional unterschiedlich zwischen 7 und 10 % der Schülerinnen und Schüler, die sonst an die Mittelschule hätten gehen sollen, an das Gymnasium gegangen sind. Das, meine Damen und Herren, führt dazu, dass genau diese vier Schüler, die das unter dem Strich sind, an den Mittelschulen fehlen, die nun die Mindestschülerzahl nicht erreichen. Das ist denen gegenüber, die die Schulnetzplanung ausgehandelt haben, mehr als unfair.

(Beifall bei der PDS, der SPD und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Die Gymnasien müssen des Weiteren mit größerer Breite umgehen, wenn nun auch Schülerinnen und Schüler mit einem schlechteren Notendurchschnitt an die Schulen kommen. Sie müssen praktisch besser individuell fördern, bekommen dafür aber keine Möglichkeiten an die Hand geliefert, so dass wir leider auch damit rechnen müssen, dass es zukünftig eine relevante Zahl von Rückkehrern von den Gymnasien an die Mittelschulen geben wird. Was aber, meine Damen und Herren, wenn diese Mittelschulen dann schon geschlossen sind?

Das alles sind Dinge, die wir in der jetzigen Debatte um Schulschließungen berücksichtigen müssen.

Weitere Fragen verhindern, dass wir eine zukunftsfähige Schulnetzplanung im Moment abschließend machen können.

Wir diskutieren über Ganztagsschulen, die natürlich auch dazu führen werden, dass sich einige Eltern dafür entscheiden, ihre Kinder innerhalb des Kreises auf andere Schulen zu schicken. Es werden möglicherweise Gemeinschaftsschulen kommen, die das Schulwahlverhalten verändern. Für das nächste Jahr ist noch gar nicht richtig einschätzbar, wie sich die Schülerströme entwickeln, da die Bildungsempfehlung noch einen ganz anderen Stellenwert bekommen soll – wenn ich der Koalitionsvereinbarung folge –, wenn nur noch der Elternwille ausschlaggebend ist. Wie werden sich dann Schülerströme entwickeln? Das können wir heute noch nicht absehen. Deswegen können wir heute auch noch nicht ein Drittel der Schulen einfach schon einmal wahllos zu machen.

Alles in allem müssen wir uns Zeit nehmen für diese Diskussion. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir einen Punkt beachten. Gerade bei der Frage des Erhalts von Schulen sehe ich eine ganz starke Differenz zwischen dem, was die Staatsregierung tut, und dem, was die Bevölkerung will. Deswegen müssen wir erst die politische Prioritätensetzung ausdiskutieren.

Wollen wir uns wohnortnahe Schulen in Sachsen leisten? Oder entscheiden wir uns für die eine Schule im Kreis? Entscheiden wir uns für die Einsparung? Das müssen

wir diskutieren, bevor das Schulnetz unumkehrbar zerstört, wird und das vor allem im ländlichen Raum.

Wir glauben, dass man den Schülerrückgang kreativ nutzen muss. Wir bekennen uns klar zu kurzen Schulwegen, zu mehr Schulqualität durch kleine Lerngruppen. Das wollen wir in dieser Diskussion auch ganz klar machen.

(Beifall bei der PDS und den GRÜNEN)

Wegen dieser Analyse der Schülerströme, die erst fundiert passieren muss, wegen des gesellschaftlichen Willens und der zu klärenden Prioritätensetzung haben wir in der letzten Landtagssitzung auch einen Antrag auf ein Moratorium eingebracht, der die Zeit geben sollte, die Schülerströme zu beobachten. Er fand hier leider keine Mehrheit. Deswegen versuchen wir jetzt in der gesellschaftlichen Debatte dieses Thema voranzubringen und Initiativen zu unterstützen. Die PDS ist deshalb mit einer Moratoriumskampagne ins Land gegangen. Wenn wir die parlamentarischen Mehrheiten aufgrund der Konstellation hier nicht finden können, dann werden wir die gesellschaftlichen Mehrheiten suchen.

Es zeigt sich, dass die Menschen in den Regionen um ihre Schulen kämpfen und auf die Schulen als kulturelles Zentrum und Treffpunkt nicht verzichten wollen. Wir bemerken, wie ganze Schulen, Schulgemeinschaften, Initiativen und Verbände Postkarten bestellen. Wir freuen uns, gestern hier die ersten 21 000 Unterschriften an den Landtag übergeben haben zu können. 21 000 Unterschriften, meine Damen und Herren, gegen Schulschließungen in Sachsen zeigen, glaube ich, die Richtung, in die die Diskussion gehen sollte.

(Beifall bei der PDS)

Die Menschen in Sachsen verstehen auch, was sich abspielt und dass der Kahlschlag des Kultusministers bei den Schulen sich keineswegs an pädagogischen Gesichtspunkten oder Fragen der Schulqualität orientiert. Es sind rein finanzpolitische Gesichtspunkte, die bei diesen Entscheidungen eine Rolle spielen. Das werden weder wir noch – wie sich zeigt – die Bevölkerung mittragen.

(Beifall bei der PDS)

Dass sich die SPD jetzt zu Wort meldet, Einhalt gebietet und Glaubwürdigkeit wahren will, ist nur allzu verständlich. Aber ich kann Sie nur bitten, die Menschen im Land nicht einfach zum Narren zu halten. Wir haben vor einiger Zeit Seite an Seite für das Volksbegehren „Zukunft braucht Schulen“ gekämpft, für den Erhalt wohnortnaher Schulen und kleinerer Klassen. Wir haben uns gemeinschaftlich in Diskussionen und überall für mehr Schulqualität eingesetzt. Lassen Sie Ihre jetzige Intervention innerhalb der Koalition nicht die bloße Legitimation parteipolitischer Positionierung sein! Glaubwürdig bleiben Sie nur, wenn Sie in dieser Koalition tatsächlich für den Erhalt kleiner Schulen einstehen. Darauf, meine Damen und Herren von der SPD, bin ich in den nächsten Wochen ehrlich gespannt.

Leider ist unser Dringlicher Antrag heute, geschäftsordnungspolitisch motiviert, nicht auf die Tagesordnung gekommen, deswegen besprechen wir nun den FDP-Antrag. Es wird hier im Kern die Möglichkeit des Erhalts

einzügiger Mittelschulen und zweizügiger Gymnasien beantragt. Das kommt im Grunde dem Moratorium nahe, das praktisch einen Aufschub für eine zukunftsfähige Schulnetzplanung gewährleisten soll. Das geht in die richtige Richtung. Das wollen auch wir unterstützen, den Kommunen Zeit zu geben und die Schulen erst einmal zu bewahren.

Deswegen möchte ich an Sie appellieren: Wir hier im Parlament haben die Möglichkeit, uns gegenüber der Kultusverwaltung durchzusetzen, die natürlich das Interesse hat, dieses Verfahren schnell durchzuziehen und Einsparungen vorzunehmen. Wir können hier eine politische Schwerpunktsetzung treffen für die Regionen, aus denen Sie alle kommen. Wir werden dem Antrag zustimmen, weil er eine Möglichkeit ist, jetzt konkret Schulen zu erhalten, wenn wir uns darauf verständigen können. Wir wollen eine gesellschaftliche Mehrheit. Die sollte sich auch im Parlament widerspiegeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Die SPD-Fraktion. Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der FDP trifft mit seinem Titel voll ins Schwarze. Jawohl, es geht um möglichst wohnortnahe Schulen. Jawohl, es geht um eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung auch in Fragen der Schulträgerschaft.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, PDS)

Jawohl – so möchte ich anfügen –, es geht um mehr Verantwortung überhaupt an Schulen. Aber es kann nicht darum gehen, alle Schulen um jeden Preis zu erhalten. Scheinbar will die Opposition gerade das.

(Zuruf des Abg. Klaus Tischendorf, PDS)

Denn anders als dem Titel kann ich dem Antrag selbst nicht folgen.

Mit einem Moratorium hätten wir gut 300 Schulen, die nur mit opulenter Personalausstattung weiter bestehen könnten. Weder haben wir dafür den Stellenrahmen, noch wäre das verantwortbar. Und zwar aus zwei Gründen.

Zum einen wäre das bildungsungerecht: hier die schlecht ausgestattete größere Schule, dort die kleine mit international wettbewerbsfähiger Schüler-Lehrer-Relation.

Zum anderen würden wir damit unser überholtes Schulsystem in allen Facetten zementieren. Das genau wollen wir doch nicht. Im Gegenteil. Wir müssen jede nur mögliche Gelegenheit suchen, um endlich einen Wandel in der Schul- und Lernkultur zu erreichen. Nur der allein kann die Schulmisere beenden. Darum geht es. Dafür sind wir angetreten. Dafür ist im Koalitionsvertrag der Rahmen auch gespannt.

Wandlungen an Schulen, zumal teilweise grundlegend im Schulalltag, brauchen Zeit zur Vorbereitung und Einführung. Deshalb ist es wichtig, dass das Aus für eine

Klassenstufe 5 im kommenden Schuljahr nicht automatisch das Aus der Schule bedeuten darf,

(Klaus Tischendorf, PDS: Aber praktisch!)

dass die Ausnahmegenehmigung für eine Klasse 5 nicht automatisch eine Ausnahmegenehmigung für künftige Klassen 5 darstellt. Die Schulen und die Schulträger müssen wenigstens ein Jahr Zeit haben, um Entwicklungen anzugehen, die dann mit dem Schuljahr 2006/2007 umgesetzt werden.

Welche Entwicklungen könnten das aus unserer Sicht sein? Das wäre zum Beispiel, dass man – erstens – eine Schule auch an mehreren Standorten führen kann. So könnten Schulstandorte einzügig im Rahmen einer mehrzügigen Schule erhalten werden. Das erfordert veränderte schulorganisatorische Konzepte. Das stärkt die kommunale Selbstverwaltung. Das kostet aber den Freistaat keine Stelle mehr.

Zweitens. Schulträger sollen bei der Errichtung von Gemeinschaftsschulen unterstützt werden. Wenn für die Klassen 5 praktisch der ganze Schuljahrgang zur Verfügung steht, ist die Zweizügigkeit natürlich eher, also wohnortnah, zu erreichen.

Drittens. Schließlich wollen wir Alternativen zu den Förderschulzentren. Statt die Förderschüler zu konzentrieren, wollen wir die Angliederung von Förderklassen und -gruppen an Regelschulen. Das erhält Förderangebote wohnortnah. Wir vergessen zu schnell die Förderschüler, die keine so große Lobby haben.