Protokoll der Sitzung vom 20.05.2005

Auf Seite 24.

„Gerade weil der demokratische Verfassungsstaat nicht davon ausgehen kann, dass seine Werte von allen Bürgern geteilt werden, muss Bildung einen Beitrag dazu leisten, vor ideologischer Verführbarkeit zu schützen. Geschichte, Gemeinschaftskunde, Ethik und Religion vermitteln in besonderer Weise Wert und Orientierungen. Sie gehören deshalb bis zum Ende der Sekundarstufe II“ – ich weiß nicht, ob jemand nicht weiß, wo das ist – „einschließlich der beruflichen Schulen zum obligatorischen Lernbereich“.

Ich möchte auch noch einmal – das ist heute schon zweimal gemacht worden – daran erinnern, dass Sie auch in diesem Koalitionsvertrag über die Durchlässigkeit mit besonderer Fördermöglichkeit gesprochen haben. Wenn im kommenden Schuljahr die Abwahlmöglichkeit in Geschichte und Geografie eingeführt wird – noch haben wir ein bisschen Zeit –, dann bedeutet das für einen Schüler, der beides wählen will, dass er das gar nicht kann. Er wird für sein künftiges Leben dieses Jahr Geschichte oder Geografie in Klasse 10 verlieren.

Kommen wir doch noch einmal klar zur Durchlässigkeit. Ich weiß nicht, ob Sie sich die Lehrpläne einmal richtig angeschaut haben. Im Fach Geschichte gibt es keine Durchlässigkeit mehr, weil der Hauptschulgang und der Realschulgang im Lehrplan identisch sind. Zudem – meine Kollegin Bonk hat es schon gesagt – fehlen den Schülern in der 10. Klasse 92 Unterrichtsstunden Geschichte. Die sind einfach nicht mehr da! Wie gestalte ich denn da eine Durchlässigkeit? Dagegen, und das will ich ausdrücklich betonen, ist im neuen Lehrplan Geschichte am Gymnasium die Durchgängigkeit für alle Klassenstufen 5 bis 12 noch erweitert worden, da im

Grundkurs eine dritte Stunde Geschichte eingeführt worden ist.

Wir begrüßen es ausdrücklich, sich gerade in diesem Alter mit Geschichte zu beschäftigen.

(Beifall bei der PDS)

Auch den Mittelschülern muss die Nachkriegsgeschichte, die zeitgeschichtliche Entwicklung der beiden deutschen Staaten auf dem Wege zur Einheit nahe gebracht werden. Der Lehrplan in Klasse 9 endet mit dem Mauerbau 1961. Wir werden das einzige Land in Deutschland sein, das sich im Geschichtsunterricht mit diesem besonders sensiblen und wichtigen Thema unserer geschichtlichen Etappe in Deutschland nicht mehr beschäftigen wird.

Die frühzeitige Sensibilisierung für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bleibt in der Klassenstufe 8 und wird von den Kolleginnen und Kollegen sehr begrüßt, berücksichtigt aber nicht die von allen geteilte Notwendigkeit einer zweiten bewussten Gesprächsebene in der Klassenstufe 10.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! 15- bzw. 16-jährige Schüler werden erste eigene Standpunkte bilden und geschichtliche Zusammenhänge selbstständig erschließen. Für das, was hier notwendig ist, ist genau dieses Ansinnen wichtig.

Wenn Sie sich nicht von Ihrem eigenen Koalitionsvertrag überzeugen lassen, dann schauen Sie bitte noch einmal in den Lehrplan. Die jüngste deutsche Geschichte und die Nazidiktatur sind zwei geschichtliche Ereignisse, die Sie eigentlich überzeugen müssen.

(Beifall bei der PDS)

Die Staatsregierung, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Nun mag es sein, dass ich nach dieser Woche ein bisschen abgespannt bin. Frau Abg. Falken, ich habe versucht, Ihnen zu folgen. Es ist mir nicht gelungen. Wenn ich Sie recht verstanden habe, begrüßen Sie auf der einen Seite die Änderungen, Sie wollen aber auf der anderen Seite in der Klasse 10 alles beim Alten lassen. Das passt für mich nicht zusammen. Das ist nicht möglich.

Entgegen der Behauptung der PDS-Fraktion stellt eben der neue Lehrplan Geschichte für die Mittelschulen in keiner Weise ein Hindernis für den Übergang von Mittelschülern an das Gymnasium dar. Besonders in den Klassenstufen 5 und 6, die ja bekanntlich eine orientierende Funktion haben, ist auch im Fach Geschichte eine Parallelität der Inhalte der Lehrpläne für die Gymnasien und die Mittelschulen gegeben.

Der neue Lehrplan Geschichte für die Mittelschulen ist ferner darauf ausgerichtet, dass allen Schülern mit Abschluss der Klassenstufe 9 ein fundiertes historisches Wissen bis hin zur Gegenwart vermittelt wird. Deshalb steht dieser neue Lehrplan auch einem späteren Wechsel auf das Gymnasium nicht im Wege, zumal der Lehrplan für das Gymnasium die chronologisch strukturierte Be

handlung der historischen Inhalte und Zusammenhänge bis hin zur Gegenwart erst in Klassenstufe 10 vorschreibt. Mit anderen Worten: Die Mittelschüler haben vom zeitlichen Ablauf her gegenüber den Gymnasiasten einen Vorlauf in der Behandlung historischer Eppochen. Unterschiede bestehen allerdings zwischen den Schularten und ihren Lehrplänen in der Verständnistiefe und ebenso in der Systematisierung sowie in der Lehr- und Lernmethode, mit denen die historischen Epochen und die Fragestellungen thematisiert werden. Diese Unterschiede spiegeln die jeweiligen Bildungsziele der beiden Schularten wider.

Ziel der Koalitionsvereinbarung, auf die sich die Antragstellerin bezieht, ist es nicht, die Unterschiede zwischen den Schularten einzuebnen, sondern insbesondere durch eine entsprechende individuelle Förderung die Durchlässigkeit zu erhöhen. Ich möchte an dieser Stelle neben der Durchlässigkeit auch an die Anschlussfähigkeit unserer Bildungsgänge erinnern. Leider wird unserem Prinzip „Kein Abschluss ohne Anschluss“ viel zu wenig Aufmerksamkeit in der Diskussion um die Bildungschancen unserer jungen Generation geschenkt.

Neben der Förderung der Durchlässigkeit stellt die Koalitionsvereinbarung auch fest, dass unter anderem Geschichte und Gemeinschaftskunde bis zum Ende der Sekundarstufe II zum obligatorischen Lernbereich gehören. Dieser Forderung tragen die neuen Lehrpläne beider Fächer an der Mittelschule auch in ihrer Abstimmung und Abfolge Rechnung. So sind in Klassenstufe 9 des Faches Gemeinschaftskunde/Rechtserziehung unter anderem die Grundlagen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung einschließlich der Gefahren für die Demokratie und in der Klassenstufe 10 die europäische Einigung wesentliche verbindliche Lernbereiche. Diese Themenfelder sind eng mit den historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts verknüpft, die verbindlicher Gegenstand des Geschichtsunterrichts in den Klassenstufen 8 und 9 sind.

Ich sehe deshalb insgesamt keinen Anlass, weder die Stundentafel noch den Lehrplan Geschichte für die Mittelschule zu überarbeiten.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich vielleicht kurz auf den Änderungsantrag der FDP eingehen. Die Antragstellerin fordert – dies zweifellos mit gutem Recht –, dass alle Absolventen sächsischer Schulen sowohl die Zeit der Nazi-Diktatur als auch die jüngste deutsche Geschichte vermittelt bekommen. Genau dieser Forderung trägt der neue Lehrplan Geschichte der Mittelschulen Rechnung, und zwar eben auch für die Hauptschüler – das war der Anlass –, die die Mittelschule bekanntlich nach der Klassenstufe 9 verlassen.

Die Weimarer Republik, Herrschaft und Alltag im Nationalsozialismus sowie Völkermord und Kriegsverbrechen sind verpflichtende Inhalte des Geschichtsunterrichts in der Klassenstufe 8. In der Klassenstufe 9 werden ebenfalls verpflichtend die europäische Nachkriegsordnung, die damit verbundene deutsche und europäische Teilung sowie die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas behandelt. Deshalb geht der Änderungsantrag

der FDP-Fraktion aus der Sicht der Staatsregierung ebenso ins Leere.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Das Schlusswort hat die PDS-Fraktion. Herr Dr. Hahn, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich stelle fest, selten gab es eine so große Einmütigkeit im Landtag zu einem Antrag der PDS. CDU und SPD haben den Fortbestand des obligatorischen Geschichtsunterrichts bereits in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. Frau Falken hat darauf hingewiesen. Leider haben Sie aber bislang versäumt, die einschlägige Verordnung bzw. den Lehrplan entsprechend zu verändern, denn Sie haben gesagt, es bleibt obligatorisches Lehrfach bis zum Abschluss der Sekundarstufe II. Sie können dies nun heute nachholen und das, was Sie im Koalitionsvertrag aufgeschrieben haben, auch umsetzen. In diesem Punkt helfen wir Ihnen gern, wenn Sie das bislang einfach aufgrund vieler anderer Auseinandersetzungen versäumt haben sollten. Das können wir also klären. Die PDS hat den fraglichen Antrag selbst gestellt und eingereicht. Die FDP hat einen ergänzenden Änderungsantrag gestellt, der in die gleiche Richtung zielt. Die GRÜNEN haben ihre Zustimmung ebenfalls signalisiert. Wenn also die beiden Koalitionsfraktionen das wollen, was in der Vereinbarung steht, wenn die demokratischen Oppositionsfraktionen dieser Auffassung sind, dann lassen Sie uns doch das auch gemeinsam in einem Landtagsbeschluss dokumentieren. Wir waren uns doch eigentlich alle einig: Geschichte darf nicht abgewählt werden.

(Beifall bei der PDS, der FDP und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache zur Abstimmung. Gibt es dagegen Widerspruch?

Es gibt den Änderungsantrag. Er wird sicherlich noch eingebracht. Da das Ganze aber eigentlich im Hause aus unserer Sicht nach Koalitionsvereinbarung und bei der Opposition unstrittig ist, sollten wir das in einer namentlichen Abstimmung bekunden, damit wir die Möglichkeit haben zu prüfen, ob sich jeder auch an das, was er aufgeschrieben hat, hält.

Dennoch rufe ich jetzt erst einmal den Änderungsantrag der FDP-Fraktion in der Drucksache 4/1700 auf und bitte Herrn Herbst nach vorn.

Frau Präsidentin, ich möchte es gleich von hier machen. Ich möchte den Änderungsantrag formal einbringen. Inhaltlich habe ich ihn bereits in meinem Beitrag begründet.

Gibt es zum Änderungsantrag Diskussionsbedarf? – Ich sehe, dass das

nicht der Fall ist. Dann lasse ich über diesen Änderungsantrag abstimmen. Ich rufe den Änderungsantrag der FDP-Fraktion in der Drucksache 4/1700 auf. Wer möchte ihm die Zustimmung geben? – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer großen Anzahl von Stimmen dafür ist der Antrag dennoch mehrheitlich abgelehnt worden. Ich rufe jetzt den Antrag der Fraktion der PDS auf. Hierzu ist namentliche Abstimmung gewünscht worden. Ich bitte das jetzt vorzubereiten. Meine Damen und Herren! Bevor es zu dieser Abstimmung kommt, erlauben Sie mir bitte noch eine Bemerkung. Es ist vorhin in der Rede einer Abgeordneten das Wort „Nazi“ gebraucht worden. Ich möchte einfach darum bitten, dass sich alle Mitglieder des Hauses von historisch problematischen Bezeichnungen gegenüber den Mitgliedern des Hauses ein Stück fern halten, damit wir uns nicht selber immer wieder Probleme bereiten. Ich will Ihnen sagen – ich sage Ihnen das ganz persönlich als amtierende Präsidentin –, dass das eine sehr unangenehme Situation für uns alle ist. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir uns nicht selber immer wieder in diese Situation bringen würden.

(Beifall bei der CDU und bei der NPD – Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Aber „Rotfaschisten“ war gestattet!)

Nein, die Kritik ist genauso berechtigt, Herr Prof. Porsch. Darum habe ich das auch gesagt. Es geht genauso um die Worte „Rotfaschisten“ und „Bolschewisten“. Deshalb habe ich alle Mitglieder des Hauses darum gebeten zu versuchen, miteinander so auszukommen, dass es die Würde des Hauses auch trägt. Herr Lichdi, bitte; Sie wollen sich dazu äußern.

(Zuruf des Abg. Uwe Leichsenring, NPD)

Ich bitte jetzt um Ruhe, Herr Leichsenring. Herr Lichdi hat jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, offensichtlich hat Sie der Redebeitrag meiner Fraktionskollegin Frau Günther-Schmidt zu dieser Intervention veranlasst. Ich möchte Sie ausdrücklich darauf aufmerksam machen, dass Frau Günther-Schmidt ihre Ausdrucksweise inhaltlich begründet hat. Das heißt, ich sehe aus der Sicht unserer Fraktion keine Veranlassung für Ihre Mahnung. Das wollte ich Ihnen einfach gesagt haben. – Danke.

(Beifall bei der PDS)

Herr Lichdi, erstens steht es Ihnen nicht zu, mich zu korrigieren. Das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der NPD)

Zum Zweiten habe ich, denke ich, in einer sehr anständigen Art und Weise vorgebracht, dass es so eben auch nicht gehen kann.

(Beifall des Abg. Gunther Hatzsch, SPD)

Das bitte ich einfach so zu respektieren.

Bitte, Herr Abg. Nolle.

Frau Präsidentin, ich muss persönlich – nicht für meine Fraktion! – sagen, dass ich keine Möglichkeit sehe, zwischen einem KZ-Insassen und einem KZ-Wärter einen Kompromiss zu schließen.

Herr Nolle, darum ging es jetzt überhaupt nicht und das ist hier auch überhaupt nicht die Frage. Ich denke, ich habe mich deutlich ausgedrückt, dass wir alle versuchen sollten, uns nicht gegenseitig zu verletzen, weil wir sonst ständig in Begründungsnot sind, ob Ordnungsruf ja oder nein. Das ist für uns, die wir hier sitzen, eine außerordentlich schwierige Situation, weil das auch jeder anders empfindet.

Ich bitte jetzt die namentliche Abstimmung vorzunehmen.