Ich muss wirklich Wasser in den Wein schütten. Was steht denn dort drin? Es stehen zum größten Teil Dinge drin, die schon jetzt laut Schulgesetz als Ausnahmeregelung möglich sind, meine Damen und Herren.
Ich will Ihnen etwas vorlesen: „Ausnahmen können gemacht werden aus besonderen pädagogischen Gründen.“ – Das gab es schon immer! Modellversuche sind gemäß § 4a Abs. 4 des Sächsischen Schulgesetzes schon längst möglich. Warum muss man das neu aufschreiben?
Der zweite Teil sind Kann-Bestimmungen: „Bei den Klassenstufen 6, 7 und 8 wird auf eine Aufhebung dann verzichtet, wenn es keine pädagogische Notwendigkeit gibt.“ Wer legt denn fest, wie die „pädagogische Notwendigkeit“ aussieht? Das tut das Kultusministerium im Vollzug. Das, worauf insbesondere Sie, meine Damen und Herren von der SPD, stolz sind, ist nicht das Papier wert, auf dem es steht.
Wir halten die Schulpolitik der Staatsregierung für falsch. Wir sind der Meinung, dass sie korrigiert werden muss. Deshalb, meine Damen und Herren, werden wir zwar Ihren aufgeweichten Kriterien zustimmen, weil sie besser sind als nichts, aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass das die Probleme in unserem Land nicht löst, dass das Schulsterben weitergehen wird und dass Sie die ländlichen Regionen weiterhin unattraktiv machen werden.
Das war die erste Runde der Sprecher der Fraktionen. Mir sind weitere Sprecher angezeigt. Wir beginnen mit Herrn Kosel von der PDS-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Stellung nehmen und mich dabei zwei Vorrednern zuwenden.
Ich wende mich zunächst an Herrn Kollegen Colditz von der CDU-Fraktion. Was Sie hier an Argumenten aufgeführt haben, war ganz bestimmt richtig. Aber ich denke, die Staatsregierung und die Regionalschulämter haben das so nicht befolgt. Vielleicht sollten wir einmal gemeinsam einen Bescheid lesen, wie er zum Beispiel einer sorbischen Mittelschule bezüglich Mitwirkungsentzugs zugegangen ist. Dann werden vielleicht auch Sie einsehen, dass das, was wir hier gemeinsam als richtig empfinden, durch die Exekutive nicht hundertprozentig umgesetzt wird. Das ist ein Problem.
Zu meinem Vorredner von der NPD-Fraktion möchte ich sagen: Die Domowina agiert in der Lausitz unter der Losung „Die Lausitz ist zweisprachig“. Ihre Wahlkämpfer sind zu den Landtagswahlen vor reichlich einem Jahr durch die Lausitz gezogen mit der Losung: „Die Lausitz bleibt deutsch!“ Beides passt nicht zusammen. Schon gar
nicht passt es zu dem, was Sie eben gesagt haben. Das macht leider auch Ihre Aussagen hier unglaubhaft.
Herr Kollege Kosel, erstens ist mir nicht bekannt, dass unsere Wahlkämpfer mit so einer Losung durch die Lausitz gezogen sind.
Geben Sie mir Recht, wenn ich sage, dass das Problem, das die sorbische Minderheit jetzt hat, dadurch bedingt ist, dass die Bundesregierungen und auch die Landesregierungen eine Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik betrieben haben, die gerade auch im sorbischen Bereich zu einer massiven Abwanderung der Jugend geführt hat – die Jugend ist nun einmal der reproduktive Teil –, und dass dadurch auch immer weniger Schüler da sind?
Herr Kollege, Sie sind unter dieser Losung im Wahlkampf angetreten. Falls Sie Interesse daran haben, kann ich Ihnen das auch schriftlich nachweisen. Das ist kein Problem. Wir sprechen jetzt gerade über einen Teilbereich der Politik, nämlich über die Schulpolitik bezüglich der Sorben. Ich möchte jetzt gerade dazu Stellung nehmen. Sehr geehrte Damen und Herren, der Erhalt der sorbischen Schullandschaft ist nunmehr seit Jahren ein Dauerthema im Sächsischen Landtag. Die Opposition hat versucht, was nur ging. Die Staatsregierung hat sich stur und steif gestellt, als ginge sie das Thema nichts an.
Die Auseinandersetzungen um die sorbische Mittelschule Crostwitz, die vor allen Dingen in juristischer Form bis heute andauern, schienen manchem damals bereits der unerträgliche Höhepunkt. Nunmehr legt die Staatsregierung aber noch nach. Weitere sorbische Mittelschulen sollen geschlossen werden. Das kleine sorbische Schulnetz, aus DDR-Zeiten überkommen, soll endgültig zerstört werden: kein Netz mehr, sondern nur noch Punkte, bestenfalls Linien im Raum ohne Verbindung zueinander.
Seit dem Schulstreit um Crostwitz oder „Chróscˇan zbeˇzk“ wie es die Sorben nennen, hat das Thema europäische Dimensionen erreicht und die Ignoranz der Staatsregierung Ausmaße, dass man sich fragen muss: Wo leben wir denn eigentlich hier in Sachsen? Minderheitenpolitisch mit Blick auf das Schulwesen eher in einem Entwicklungsland als im Mutterland des sorbischen Volkes und in einem Land, das die Staatsregierung, bezogen auf Artikel 6, mit der Schließung der sorbischen Mittelschulen in einen handfesten Verfassungskonflikt hineinmanövriert hat, den auch Mitglieder der Koalitionsfraktionen nicht mehr leugnen.
In Artikel 6 Abs. 1 heißt es: „Die im Land lebenden Bürger sorbischer Volkszugehörigkeit sind gleichberechtigter Teil des Staatsvolkes. Das Land gewährleistet und
schützt das Recht auf Bewahrung ihrer Identität sowie auf Pflege und Entwicklung ihrer angestammten Sprache, Kultur und Überlieferung, insbesondere durch Schulen, vorschulische und kulturelle Einrichtungen.“
Meine Damen und Herren, was nützt es da, wenn Sachsen auf anderen Gebieten der Minderheitenpolitik durchaus Vernünftiges zustande gebracht hat? Ich erinnere nur an die positive konsequente Haltung des Freistaates gegen Kürzungen der Mittel für die Stiftung für das sorbische Volk,
ungeachtet dessen, ob die Kürzungsabsicht von einer CDU- oder von einer SPD-bestimmten Bundesregierung ausging. So prägt sich leider das Bild: Was Sachsen auf anderen Gebieten hinsichtlich der Sorben mit den Händen aufbaut, reißt es schulpolitisch quasi mit dem Hintern wieder ein. Das ist eigentlich schade. Weiß man denn nicht, was man da tut? Doch wohl nicht!
Staatsminister Tillich ist in Panschwitz-Kuckau zu Hause. Der dortigen Mittelschule soll die Mitwirkung entzogen werden, das heißt, sie soll geschlossen werden. Ministerpräsident Milbradt hat seinen Wahlkreis eben auch in jener Gegend, die allgemein als das Kerngebiet des sorbischen Volkes bezeichnet wird. Wahrnehmungsschwäche der schul- und minderheitenpolitischen Bedeutung der sorbischen Mittelschule dürfte es also nicht sein. So bleibt denn nur der Schluss übrig, dass es sich, wenn nicht um minderheitenpolitische Böswilligkeit, dann eben um eine schulpolitische Fehlkonzeption handelt wie in Sachsen allgemein, so im Besonderen und mit besonderen Auswirkungen in der sorbischen Schullandschaft, die nie und nimmer wieder gutzumachen sind.
Bedenken schlägt die Staatsregierung leichtfertig in den Wind. Bereits bezüglich der Schließung der sorbischen Mittelschule „Jurij Chezka“ hat der Sachverständigenausschuss über die Anwendung der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen gegenüber der Sächsischen Staatsregierung größte Bedenken geäußert. Es erhob sich zudem internationaler Protest. Um nur einige Beispiele herauszugreifen:
In der Russischen Staatsduma wurde 2001 die Schließung der Crostwitzer Schule scharf kritisiert. Im Polnischen Sejm gibt es seit 2003 einen Unterausschuss, der der Situation der Sorben gewidmet ist. Die tschechische Regierung sah sich veranlasst, eine finanzielle Unterstützung für den Erhalt des sorbischen Schulnetzes bereitzustellen, falls in Sachsen das Geld dazu fehle.
Wegen der Crostwitzer Schulschließung hat Sachsen – und dadurch vermittelt auch die Bundesrepublik – in entscheidendem Maße an minderheitenpolitischer Reputation verloren. Das alles aber hat die Regierung nicht dazu veranlasst, ihre Entscheidung aufzugeben. Schlimmer noch, sie setzt diese Politik fort – und das ungeachtet der Möglichkeiten, die sich mit dem neuen § 4a Abs. 4 Punkt 4 des Sächsischen Schulgesetzes für eine konstruktive Lösung des Problems bieten. Nichts dergleichen! Es wird immer schlimmer. Hat denn die Staatsregierung immer noch nicht mitbekommen, worum es sich hier dreht?
Dreh- und Angelpunkt der Schulpolitik hinsichtlich der Sorben ist doch, dass die sorbischsprachige und damit auch die zweisprachige Erziehung der Heranwachsenden in einem anderen Zusammenhang gesehen werden muss, als es gemeinhin geschieht, weil es auch da für mich leichtfertig ist, wie „Pisa“ und andere Studien zeigen.
Der größere Zusammenhang ist folgender: Der Erhalt der sorbischen Sprache muss gewährleistet und die Revitalisierung der Sprache muss ermöglicht werden.
So gesehen sind Eingriffe des Kultusministeriums in das sorbische Schulnetz keine außerhalb der Minderheitenpolitik stehenden Maßnahmen. Umgekehrt gehört die Schulpolitik zu den Kernfeldern der Minderheitenpolitik.
Ich spare mir die Mühe, mit Blick auf die Vergangenheit darzulegen, dass Schulpolitik immer auch hartes Kernstück der Assimilierungs- und Germanisierungspolitik war. Aktuelle sächsische Schulpolitik sollte hier besonders sensibel sein, konkrete Schlussfolgerungen aus der Geschichte ziehen und sich auch nicht ansatzweise in die Nähe gar der finstersten schul- und minderheitenpolitischen Verfehlungen der Vergangenheit begeben.
Was ist nur los mit der Sächsischen Staatsregierung, dass sie im Allgemeinen viel Richtiges zur Minderheitenpolitik äußert, aber dann, wenn es konkret wird – und konkreter als im Schulwesen geht es nicht – ihren eigenen Worten nicht mehr folgt? Allgemein findet das Wirken und Bestreben der Domowina und der in ihr versammelten sorbischen Vereine zum Spracherhalt und zur Sprachentwicklung seitens der Staatsregierung Zustimmung und Anerkennung.
Im Konkreten wie im Schulwesen wirkt die Staatsregierung aber dagegen. Das betrifft das sorbische Schulnetz, aber auch ein zweites, sich in jüngster Zeit entwickelndes Feld, das Witaj-Projekt zur frühen zweisprachigen sorbisch-deutschen Erziehung nach der Inversionsmethode in Kindertagesstätten. Das Zweite hängt natürlich mit dem Ersten zusammen. Das Witaj-Konzept hat doch nur dann einen Sinn, wenn es nachfolgend an der Schule weitergeführt wird und nicht mangels dafür kompetenter Mittelschulen abgebrochen werden muss. Wenn wir über die sorbische Schullandschaft sprechen, gehört beides zu den nötigen Überlegungen und Vorhaben. Das Netz sorbischer Schulen und von Schulen mit bilingualem Angebot ist deshalb für den Erhalt der sorbischen Sprache, für die Entwicklung sorbischer Sprachfertigkeiten der sorbischen Kinder und für die Revitalisierung der Sprache von herausragender Bedeutung.
Was hier zum Teil bisher geschah, ist alles andere als der Sache dienlich. Man mag es allein der demografischen Entwicklung zuschreiben, dass in keiner der sechs sorbischen Grundschulen seit 2002 separate Klassen für sorbischsprachige Schüler gebildet wurden. Doch wie allein das Hin und Her um die Grundschule Baruth zeigte, ist das nicht allein eine demografische, sondern eine handfeste politische Frage. Nach dem Konzept „2plus“, das von 2002 bis 2006 flächendeckend für das
gesamte sorbische Schulnetz erprobt werden soll, lernen Schüler mit sorbischer Muttersprache und Schüler mit deutscher Muttersprache gemeinsam in einer Klasse.
Ob das etwas bringt, wird sich zeigen. Auf jeden Fall bringen Schließungen und Mitwirkungsentzug in der sorbischen Schullandschaft für dieses Vorhaben nur Unruhe, Unsicherheit und vielleicht gar Erfolglosigkeit. Zudem sieht das in der Grundschule praktizierte Konzept „2plus“ vor, dass die sorbischen Sprachkenntnisse in der Mittelschule bzw. auf dem Gymnasium weiterentwickelt werden. Wie soll das ordentlich geschehen, wenn heimische Mittelschulen geschlossen werden und nach Maßgabe der Staatsregierung durch Umstrukturierung Großschulen entstehen, in denen die sorbische Sprache an den Rand gedrückt wird?
Was die Staatsregierung anstrebt, stößt zunehmend auf Unverständnis und Widerstand. So haben die beiden Europaabgeordneten Sylwester Cruszcz und Jaromir Kohlicˇek, der eine ein polnischer Konservativer, der andere ein tschechischer Kommunist, gemeinsam eine Anfrage im Europaparlament zur Schließung sorbischer Mittelschulen eingereicht. So hat die Jugendorganisation europäischer Minderheiten JEV erklärt, dass „der Erhalt und die Förderung des sorbischen Volkes, dessen Sprache, Kultur und Identität sowie der kulturellen Vielfalt in der Lausitz eines intakten Schulnetzes bedürfen“, und fügt aus ihrer Sicht hinzu:
„Schulen sind öffentliche Sprachräume und in Verbindung mit der außerschulischen Jugendarbeit einer der wichtigsten Faktoren für die Identitätsbildung der Jugendlichen. Ihr Erhalt und die Einbindung in gewachsene, zumeist dörfliche Strukturen ist unverzichtbar.“
Die Domowina gar spricht mit Blick auf die neuerlichen Schulschließungen von einer verheerenden Bildungspolitik des sächsischen Kultusministeriums, die nunmehr ihren tragischen Höhepunkt erreicht habe. Das Kultusministerium sei offensichtlich nicht gewillt, die existenzielle Bedeutung des sorbischen Schulwesens für den Erhalt des sorbischen Volkes anzuerkennen.
Wenn mit dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Staatsregierung zur Berichterstattung aufgefordert wird, darf man angesichts der Zusammenhänge, zu denen ich sprach, nur gespannt sein. Allerdings erwarte ich nicht allzu viel Positives, wobei ich mich auch gern überraschen lasse.
Es wird wohl wieder von Zahlen die Rede sein, von Schülerzahlen und von Mindestzahlen, die als Kriterien für das Einrichten von Klassen und das Überleben von Schulen schon für die Mehrheitsbevölkerung pädagogisch höchst zweifelhaft sind, die aber für die Schulen einer ethnischen Minderheit absolut verwerflich und nicht hinnehmbar sind.
Nicht berichten wird die Staatsregierung wohl über das Chaos und Durcheinander bei der Information über die Anhörung bzw. den Mitwirkungsentzug der Betroffenen an sorbischen Schulen. Teilweise hat dies das Hohe Haus ja in mündlichen Fragestunden selbst miterlebt. Darüber, dass Unterlagen bezüglich der Mittelschule Wittichenau, die an das Kultusministerium geschickt wurden, dort, wie man hört, zwischenzeitlich verloren gingen, wird wohl ebenfalls nichts zu hören sein.
Vielleicht aber wird berichtet werden, dass die Mittelschule Schleife bis auf weiteres in ihrem Bestand gesichert ist. Das ist gut und allen, die daran mitgewirkt haben, sei herzlich gedankt – ausdrücklich allen –, denn gerade die Mittelschule Schleife ist aufgrund ihrer geografischen Lage für den Erhalt und die Revitalisierung der sorbischen Sprache von strategischer Bedeutung. Problematisch sind allerdings aufkommende Gerüchte, Staatsminister Jurk habe die in seinem Wahlkreis gelegene Schule gerettet.