Ich habe gehört und gelesen, dass andere Bundesländer in diesem Punkt bereits wesentlich weiter sind als wir. In Schleswig-Holstein wird begonnen, längeres gemeinsames Lernen umzusetzen, in Mecklenburg-Vorpommern im übernächsten Schuljahr auch. Ich habe sogar gehört, dass selbst die Bayern sich inzwischen Wissenschaftler ins Ministerium geholt haben, um über das längere gemeinsame Lernen zu beraten. Ich würde mir wünschen, dass unser Ministerium dies auch durchführt; denn von namhaften Wissenschaftlern im Freistaat habe ich darüber noch nichts gehört.
Was müsste man denn nun aber tun, solange wir die Entscheidung für die 4. Klasse haben? Zum Änderungsantrag werde ich mich später noch äußern. Unserer Auffassung nach brauchen wir ein umfassendes Analyseverfahren, um den Stand der Kinder klar und deutlich für die Eltern sichtbar zu machen. Wir brauchen Gespräche und Beratungen mit den Eltern, und zwar ab der 3. Klasse. Wir brauchen keinen Klassenlehrerwechsel nach der 3. Klasse. Schauen Sie sich bitte unsere Grundschulen an, wie viele Lehrer nach der 3. Klasse wieder in eine 1. Klasse einsteigen, wie viele Klassenlehrerwechsel wir hier haben. Das darf im Freistaat Sachsen nicht mehr passieren.
Und – das halte ich für einen wesentlichen Punkt – wir brauchen mehr Zeit. Das heißt, die Lehrerinnen und Leh
rer sowie die Eltern brauchen mehr Zeit, um hier eine günstige Variante unter den Bedingungen für die Entscheidung zu finden: Geht mein Kind zukünftig in eine Mittelschule oder auf ein Gymnasium? Wir brauchen Zeit dazu. Das können teilzeitbeschäftigte Grundschullehrer – bei allem Engagement, das sie derzeit aufwenden – nicht leisten.
Ihr Anliegen, liebe Kollegen von der FDP, mit diesem Antrag eine realistische Bildungsempfehlung zu erreichen, halten wir für nicht möglich. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.
Zum Abschluss: Einen Antrag zu formulieren, in dem es um die Entwicklungsphasen von Kindern und Jugendlichen geht, und mit den Begriffen Treffsicherheit und Zielgenauigkeit zu arbeiten halten wir für unangemessen und ich bitte Sie, solche Formulierungen nicht wieder zu verwenden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Vergangenheit dachten wir, dass die FDP bereit sei, längst überfällige Bildungsreformen mitzutragen, und damit einen Partner zu haben, der vor allem bereit ist, die Schul- und Lernkultur Sachsens zu verbessern. Der vorliegende Antrag enttäuscht unsere Erwartungen sehr. Er ist getragen vom vorgestrigen Geist deutscher Schule, von Leistungsfetischismus und Schülerselektion.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Dieser Geist ist überholt. Die Wirklichkeit hat Ihnen doch gezeigt, dass mit diesen „frühmodernen“ Prinzipien keine gute Schule gemacht werden kann.
Wie kommt es, dass Sie aus den Studien der letzten Jahre, aus „Pisa“ und „Iglu“, offenbar nichts gelernt haben?
Wenigstens die Tatsache, dass es eben keine geborenen Hauptschüler und keine geborenen Gymnasiasten gibt oder dass ein Problem des deutschen Bildungssystems in der frühen Selektion liegt, dass eine Bildungsempfehlung noch keine Bildung macht – das sind doch die Lehren, die wir aus diesen Studien und dem Vergleich mit den erfolgreichen Bildungsländern ziehen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Mit Ihrem Antrag sind Sie voll in die ideologische Falle des Leistungsfetischismus getappt und haben dabei Ihr politisches Grundprinzip – individuelle Freiheit und Verantwortung – über Bord geworfen.
Dabei ist es doch gar nicht so, dass die frühe Selektion mehr Leistung brächte. Das ganze breite Pisa-Spitzenfeld blamiert hier die deutsche Schulideologie, und zwar doppelt, zum einen, was die Breite der Leistungsspitze
betrifft, und zum anderen, was die Rate an Hochschulzugangsberechtigungen angeht. Es scheint regelrecht paradox, dass Liberale der staatlichen Entscheidung über den künftigen Bildungsweg und die Bildungschancen der Einzelnen das Wort reden. Oder ist Ihnen am Ende immer nur die Freiheit der Elite wichtig?
Ist es liberal, in der Bildung ein staatliches Zugangsberechtigungswesen aufrechtzuerhalten? Möglicherweise werden Sie jetzt entgegnen, dass Kinder noch nicht reif zur Freiheit sind. Aber wie steht es dann um das Freiheitsrecht der Eltern? „Die Entscheidung der Eltern zu respektieren“ – so steht es im Koalitionsvertrag. Das heißt nichts anderes, als dass die Eltern am Ende über den Bildungsweg entscheiden. Da gibt es keinen Interpretationsspielraum.
Aber die Koalitionsvereinbarung wiederholt nur das, was unsere Verfassung bereits festschreibt. Die Verfassung des Freistaates Sachsen sagt in Artikel 101: „Das natürliche Recht der Eltern, Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, bildet die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens. Es ist insbesondere bei dem Zugang zu den verschiedenen Schularten zu achten.“ Ich sehe keinerlei Rechtfertigung dafür, die Sächsische Verfassung in diesem Punkt zu missachten.
Von einigen hört man immer wieder die Befürchtung, Eltern würden nun ihre Kinder aufs Gymnasium pressen und damit unglücklich machen.
Ich habe bei Ihrem Beitrag mit Freude vernommen, wie stark die Regierungskoalition offensichtlich staatliche Eingriffe ablehnt. Wäre es nicht eine denkbare Variante, auf Bildungsempfehlungen ganz zu verzichten, um den Staat weiter zurückzudrängen?
Diese Bildungsempfehlung ist ein Instrument des gegliederten Schulsystems. Wenn wir Formen längeren gemeinsamen Lernens haben, brauchen wir ein solches Instrument nicht.
Sie müssen sich langsam einmal entscheiden, ob Sie den Gemischtwarenladen, den Sie in der Bildungspolitik an
streben, tatsächlich wollen oder ob Sie endlich einmal ein einheitliches Konzept haben. Das ist Ihr Problem.
Ich hatte gesagt, dass man von einigen immer wieder die Befürchtung hört, dass Eltern ihre Kinder aufs Gymnasium pressen und damit unglücklich machen würden. Eltern seien also nicht in der Lage – so kommt in dieser Befürchtung zum Ausdruck –, eine kompetente Entscheidung zu treffen. Ich traue den Müttern und Vätern in unserem Land mehr zu. Der Umgang mit der neuen Regelung zeigt dies ja. Ich finde es bedauerlich, dass offensichtlich nicht alle diesen Respekt vor Eltern teilen.
Aber selbst wenn manche dieses Vertrauen nicht aufbringen wollen, so frage ich: Darf der Staat den Eltern dann einfach diese Entscheidung entziehen? Ist es nicht vielmehr die Verantwortung des Staates, ihm genau diese Kompetenz zu vermitteln? Aus diesem Grund haben wir im Koalitionsvertrag parallel die Bildungsberatung gestärkt. Die Verantwortung des Staates vermittels seiner Lehrer liegt gerade darin, den Eltern bei einer eigenverantwortlichen Entscheidung zu helfen. Genau das ist die Aufgabe der Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer. Sie sollen die Eltern bei der Wahrnehmung ihres Verfassungsrechts beraten und unterstützen.
Frei sein heißt auch Fehler machen. Das muss man eingestehen. Bundesweit haben wir bis zur 9. Klasse zirka 16 % Rückläufer vom Gymnasium. Sachsen ist dabei im Durchschnitt. Aber können denn die Rückläufer wirklich ein Zeichen dafür sein, dass Eltern falsch entschieden haben? Nein, denn in Sachsen entscheiden ja gar nicht die Eltern. Dass es Rückläufer in allen Ländern gibt, beweist doch nur, dass Kinder mit zehn Jahren noch keine fertigen Menschen sind. Man kann nach der 4. Klasse einfach nicht sagen, wie viel Potenzial in einem Kind steckt und wie viel davon in der folgenden Schulzeit geweckt werden kann. Das hängt auch von der konkreten Schule ab, in die ein Kind kommt. Ein Notendurchschnitt allein kann Zehnjährigen nicht gerecht werden, so viel steht fest.
Wer will denn wirklich daran glauben, dass der Schritt von 2,5 auf 2,33 das sächsische Bildungssystem verbessert? Glauben Sie als Antragsteller selber daran?
Bildungspolitik ist mehr, meine Damen und Herren! Wir sollten die fruchtlosen Zahlendiskussionen beenden und das machen, was die Eltern in Sachsen von uns erwarten – eine inhaltlich kluge Schulpolitik.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Änderung der Bildungsempfehlung hat nach Angaben der Staatsregierung in der Drucksache 4/0975 dazu geführt, dass zum Halbjahr des Schuljahres 2004/2005 1 578 Grundschüler eine Bildungsempfehlung für das Gymnasium erhalten haben, die vor der Änderung der Schulordnung noch eine Empfehlung für die Mittelschule erhalten hätten. Damit lie
gen die Anmeldungen für das Gymnasium rund 7 % über dem Vorjahreswert. Damit ist eine Entwicklung zu „unterfüllten“ Mittelschulen und „überfüllten“ Gymnasien möglicherweise vorgezeichnet, da schon jetzt 300 der 456 Mittelschulen im Freistaat nicht die vorgeschriebene Mindestschülerzahl aufweisen. Durch die geänderte Bildungsempfehlung werden die Mittelschulen einen weiteren personellen Aderlass erleiden, wodurch vorläufig gewährter Bestandsschutz für die eine oder andere Schule mittelfristig durch das Kultusministerium wieder aufgekündigt werden könnte. Zu berücksichtigen sind überdies die zu erwartenden Schülerrückflüsse und die dadurch fehlende Planungssicherheit für Gymnasien wie Mittelschulen.
Der vorliegende FDP-Antrag geht in die richtige Richtung und benennt zumindest einen Teil der Probleme, die mit der geänderten Bildungsempfehlung einhergehen.
Wie der Drucksache 4/1455 zu entnehmen ist, geht die neue Bildungsempfehlung auf eine Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD zurück. Die Änderung der Schulordnung der Grundschulen und Gymnasien hat danach das Ziel, die individuelle Bildungsberatung zu verbessern. Die bestehende Regelung trägt diesem richtigen Anliegen aber nur unzureichend Rechnung, da der Notendurchschnitt allein nicht immer den zutreffenden Rückschluss auf das Leistungsvermögen eines Schülers gibt.
Die Kriterienvorschläge des in Rede stehenden FDP-Antrages, Notendurchschnitt, allgemeiner Fähigkeitstest und gemeinsames Beratungsgespräch zwischen Klassenlehrer, Eltern und Schüler, können – müssen es aber nicht – eine realistische Beurteilung des Leistungsprofils potenzieller Gymnasiasten ermöglichen. Letztlich kann dies Gymnasien und Mittelschulen zugute kommen.
Da wir zwar das Grundanliegen des FDP-Antrages teilen, aber auch einige Ungereimtheiten sehen, werden wir uns bei diesem Antrag der Stimme enthalten.