Protokoll der Sitzung vom 15.07.2005

(Beifall bei der PDS)

Zwei Schulleiter aus Lohmen, die das versucht hatten, wurden durch das Regionalschulamt kurzerhand abgesetzt. Das Kultusministerium unter Staatsminister Flath verteidigt auch dieses Vorgehen. Was ist eigentlich los in diesem Freistaat? Schulen werden seit Jahren geschlossen, in diesem Jahr besonders viele, auch mit Mitwirkungsentzügen. Natürlich gibt es da Proteste – wie soll es auch anders sein? –, denn wir haben ja jetzt die Freiheit.

Auch in Lohmen wurde protestiert, weil die Mittelschule geschlossen worden ist. Bei der Demonstration am 7. Juni – meine Kollegin hat das schon ausführlich dargestellt, ich will das nicht wiederholen – haben Schüler, Eltern und Lehrer demonstriert, selbstverständlich auch die Schulleiterin der Grundschule und der Schulleiter der Mittelschule dieses Ortes. Beide sind ihre Funktion jetzt los.

Das Kultusministerium argumentiert, sie hätten damit Unterrichtsausfall herbeigeführt. Verlogen – ich muss es hier deutlich sagen –, das ist verlogen. In einem Land, in dem wegen fortdauernden Stellenkürzungen sogar planmäßiger Unterrichtsausfall in Kauf genommen wird, in so einem Land kann man nicht von Unterrichtsausfall sprechen, wenn erlebte Demokratie in diesem Ort an diesen Schulen praktiziert worden ist.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Einen besseren Unterricht, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es nicht, als wenn Schüler erlebte Demokratie erfahren dürfen.

Außerdem behauptet das Ministerium – ich habe es jetzt leider auch von Herrn Colditz gehört; ich hatte gehofft, dass ich mir das nicht noch einmal anhören muss –, dass der Schulleiter der Mittelschule die Minderjährigen für seine politischen Meinungsäußerungen instrumentalisiert. Auch das, Herr Colditz, ist eindeutig und klar gelogen, denn es handelt sich um verständlichen und berechtigten Protest der Schüler und Eltern in ihrem ureigensten Sinne und nicht zur Instrumentalisierung.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei den GRÜNEN)

So fordern Elternvertreter die entschiedene Zurücknahme dieser ausgesprochenen Änderungskündigungen. Wir als PDS-Fraktion fordern das auch, aber dazu nachher bei unserem Änderungsantrag. Doch das Regionalschulamt ließ verlauten – es kommt ja noch besser: Wer als Schulleiter so unloyal gegenüber seinem Dienstherren handelt, muss mit aller Härte abgestraft werden. Ist das die Freiheit? Nein, das ist sie nicht! Wenn engagierte Pädagogen

wegen ihrer Teilnahme an einer Demonstration gegen die Schließung ihrer Schule gefeuert werden können, dann ist die Demokratie in diesem Lande gefährdet.

(Beifall bei der PDS)

Herr Colditz, es erinnert schon an die finsteren Zeiten des Berufsverbotes, die wir in Deutschland mehrfach erlebt haben.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Das war nicht allein in der DDR, sondern auch anderswo!)

Jetzt kommen wir doch einmal auf den Punkt. Worum geht es denn hier eigentlich? Es geht doch nicht wirklich um diese beiden Schulleiter. Es geht darum, dass Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiterinnen und Schulleiter, wenn sie eine andere Auffassung als das derzeit herrschende System haben und nicht die Bildungspolitik der CDU vertreten, abgestraft werden müssen. Das kann nicht sein!

(Beifall bei der PDS und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Jetzt noch einen Tipp. Ich bin mir sicher, dass auch die Schulleiter für ihre Klageverfahren diesen Tipp schon längst fixiert haben. Aber den Tipp für das Regionalschulamt und für Sie, Herr Staatsminister Flath: Die Sächsische Verfassung fordert im Artikel 101 „Die Jugend ist zu politischem Verantwortungsbewusstsein, zur Achtung vor der Überzeugung des anderen und zu freiheitlicher demokratischer Handlung zu erziehen.“ Das haben diese Schulleiter eindeutig getan.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Deshalb, weil heute der letzte Schultag ist: Im Namen meiner Fraktion möchte ich den Lehrerinnen und Lehrern, den Schulleiterinnen und Schulleitern und besonders denen, die demonstriert und gestreikt haben, meinen herzlichen Dank aussprechen.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Wir wünschen ihnen einen erholsamen Urlaub, damit sie im nächsten Schuljahr auch unter sehr viel schlechteren Bedingungen ihre Aufgaben erfüllen können.

(Beifall bei der PDS und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Herr Dulig spricht für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag greift auf einen Sachverhalt zurück, der aus verschiedener Sicht dargestellt wurde. So wie sich die Fakten darstellen, kann man sicher nicht von einer politisch motivierten Kündigung sprechen.

(Dr. André Hahn, PDS: Von was dann?)

Ob die disziplinarischen Maßnahmen angemessen waren, werden demnächst die Gerichte klären. Ob sie notwendig und zweckdienlich waren, lässt sich hinterfragen. Worum es uns gehen muss, ist die Frage, ob damit der demokratischen Bildung unserer jungen Menschen und der politischen Mündigkeit gerade der Lehrerschaft Schaden zugefügt wird.

Diese Sorge kommt im Antrag ganz deutlich zum Ausdruck und rechtfertigt es auch, den eigentlich internen Sachverhalt hier zu diskutieren. Der Sachverhalt, dass die Schulleiter in ihrer Funktion, also mit ihrer dienstlichen Autorität, der persönlichen Überzeugung praktischen Ausdruck verschafften, ist in einer freiheitlich demokratischen Ordnung nicht hinnehmbar. Der Zweck heiligt hier nicht die Mittel, sondern dieses Mittel ist einem öffentlich bediensteten Funktionsträger nicht gestattet. Natürlich ist es in diesem Fall besonders pikant, dass die Position der Schulleiter und damit die Aktion, die sie im Dienst organisiert und durchgeführt haben, auch noch den Zielen ihres Dienstherren direkt entgegenstand.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die politische Mündigkeit eines Lehrers oder Schulleiters darf nicht zur Vermengung von privaten Auffassungen und öffentlichem Amt führen. Hätten die Schulleiter nach der Schule demonstriert und diese Aktion auch nach der Schule mit vorbereitet, wäre alles in Ordnung gewesen.

In dem konkreten Fall Lohmen stellt sich dies aber anders dar. Wir können uns sicher über die Angemessenheit der Maßnahmen streiten, aber wir können nicht von einer politisch motivierten Kündigung sprechen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Gerade wenn wir eine freiheitlich-demokratische Gesinnung bei unseren jungen Menschen ausbilden wollen, müssen wir an den Schulen auch auf eine ganz saubere Trennung von persönlicher Gesinnung und öffentlicher Funktion drängen. Statt nun also in der Öffentlichkeit von Maulkörben und Berufsverbot zu tönen, sollten wir das wünschenswerte politische Engagement von Lehrern und Schulleitern einerseits und dessen missbräuchliches Ausleben im Rahmen des regulären Schulbetriebes andererseits differenziert bewerten.

Herr Dulig, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

– Nein, ich bin gleich am Schluss. Wir müssen erwarten, dass Schuldirektoren in der Lage sind, diese Balance mit Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein einzuhalten. Dieses Augenmaß erwarten wir auch von Regionalschulämtern und dem SMK gegenüber den Direktoren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Abg. Cornelia Falken, PDS: Genau das haben sie gemacht, das erwarten wir auch!)

Für die NPD spricht der Abg. Gansel. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Deutschland und Sachsen befinden sich – für jedermann sichtbar – in einer schweren Krise: Arbeitsplatzabbau, Sozialabbau und Schulschließungen bei ungebremstem Geldabfluss ins Ausland sind der Grundzug der etablierten Politik. Die selbstverschuldeten Probleme wachsen der politischen Klasse sichtbar über den Kopf, die mit Schaukämpfen, Scheinalternativen und der Diffamierung der nationalen Opposition die Deutschen noch irgendwie bei der Stange halten will.

Das gelingt ihr aber immer weniger. Lassen Sie mich ausnahmsweise einmal Lenin zitieren, der im Frühjahr 1917 – ein halbes Jahr vor der bolschewistischen Oktoberrevolution – orakelte, ich zitiere: „Der vorrevolutionäre Zustand ist erreicht, wenn die da oben nicht mehr können und die da unten nicht mehr wollen.“ Nun wird es in Deutschland zwar glücklicherweise keine rote Revolution geben und auch die Linkspartei, die sich ehrlicherweise einfach wieder den Namen Sozialistische Einheitspartei geben sollte, wird in dieser Hinsicht keinen Stich setzen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, PDS: Sie wiederholen sich!)

Aber auch im Deutschland des Jahres 2005 gilt es festzustellen: Die da oben können nicht mehr und die da unten wollen nicht mehr.

In einer solchen Situation verschärft sich natürlicherweise das politische Klima – genauso wie sich die bislang erfolgreich mit Konsenssoße übergossenen Interessengegensätze verschärfen. Allerorten wächst die Kritikbereitschaft am Versagen der politischen Klasse, überall rumort und gärt es, und das auch an den Schulen. In einem solchen Klima des Unmutes und des Politiker- und zunehmend auch Systemverdrusses scheint die Verhängung von Berufsverboten durch Vertreter des Altparteienkartells ein probates Mittel zu sein, um lästige Kritiker gerade auch an den Schulen verstummen zu lassen.

Die nach Presseberichten erfolgte Kündigung von zwei Schulleitern in Lohmen aufgrund ihrer Teilnahme an Protesten gegen Schulschließungen wirft nämlich die Frage auf, ob eine Wiederbelebung der Berufsverbotspraxis der siebziger Jahre bevorsteht. Der dem Berufsverbot zugrunde liegende Radikalenerlass wurde 1972 bekanntermaßen eingeführt,

(Zuruf der Abg. Rita Henke, CDU)

um politisch aktive Menschen aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten und Andersdenkende einzuschüchtern. Zwischen 1972 und 1990 wurden in der BRD 3,5 Millionen Anfragen in Sachen Radikalenerlass gestellt; insgesamt gab es 11 000 offizielle Berufsverbotsverfahren mit 1 250 endgültigen Bewerberablehnungen, wobei sich einige der Verfahren über 20 Jahre erstreckten.

Von 1979 an wurde dieses Repressionsinstrument jedoch nicht mehr oder nur noch teilweise angewendet. Aber die Zeiten haben sich verschärft und deshalb kann man bestimmten politischen Kreisen sehr wohl zutrauen, dass diese Berufsverbotspraxis revitalisiert werden soll.

Diese Form politischer Einschüchterung wird von vielen internationalen Bürgerrechtsorganisationen als klarer Verstoß gegen die Menschenrechte gewertet. So entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 1995 im Fall einer vom Berufsverbot betroffenen Gymnasiallehrerin. In diesem exemplarischen Urteil erklärte er die Berufsverbotspraxis der BRD für menschenrechtswidrig, weil sie gegen die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit verstoße, die als Grundrechte in Artikel 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert sind.

Ich kann hier aber auch andere Fälle benennen, die leider nicht den Protest der sich ständig als Bürgerrechtsvertreter aufspielenden GRÜNEN hervorgerufen haben. Zu nennen ist der frühere NPD-Parteivorsitzende Günter Deckert, der allein deswegen als Gymnasiallehrer kaltgestellt wurde, weil er das falsche Parteibuch hatte.

Ich kann auch von dem Fall Andreas Molau reden, der im Herbst letzten Jahres groß durch die niedersächsische Landespresse gegangen ist. Acht Jahre lehrte Andreas Molau ohne Beanstandung als Deutsch- und Gymnasiallehrer an der Freien Waldorfschule Braunschweig. Der 36-Jährige galt unter Schülern als einer der besten und beliebtesten Lehrer, wie die Landespresse damals schrieb. Weil er künftig als wissenschaftlicher Berater der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag tätig sein wollte, kündigte Molau, der damals noch nicht einmal Mitglied der NPD war, im Herbst letzten Jahres von sich aus das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß zum Jahresende. Was dann passierte, gab die Schule in ihrer Pressemitteilung vom 9. November 2004 bekannt – ich zitiere: „Nachdem die Freie Waldorfschule Braunschweig einem zukünftig für die NPD tätigen Lehrer den Lehrauftrag entzogen hat, trennt sich die Schulgemeinschaft nun von den Kindern des Lehrers. Vorstand und Kollegium haben beschlossen, das Schulverhältnis zu lösen.“

Die Kinder von Herrn Molau mussten daraufhin die Schule bis Ende November – mitten im Schuljahr – verlassen. Molau und seine Frau erhielten sofortiges Hausverbot. Das ist Diskriminierung, das ist Ausgrenzung aus parteipolitischen Gründen, über die die GRÜNEN selbstverständlich kein Wort verlieren. So sieht politisch motivierte Ausgrenzung und sogar Sippenhaft für Kinder an bundesdeutschen Schulen im Jahre 2004 aus. Aber hier hatte es ja wieder einmal nur einen nationalen Oppositionellen getroffen.

(Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Frau Günther-Schmidt, Sie können sich die Frage sparen. Ich kann erahnen, dass Sie auf den Unterschied zwischen einer Freien Waldorfschule und einer staatlichen Schule hinweisen wollen. Aber es geht um die Darstellung politischer Diskriminierung. – Danke!