Protokoll der Sitzung vom 21.09.2005

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 27. Sitzung des 4. Sächsischen Landtages.

Folgende Abgeordnete, von denen Entschuldigungen zu unserer heutigen Sitzung vorliegen, sind beurlaubt: Herr Prof. Dr. Milbradt, Frau Nicolaus, Frau Orosz, Herr Albrecht, Herr Nolle und Herr Baier.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung unserer heutigen Sitzung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 5 bis 10 folgende Redezeiten

festgelegt: CDU-Fraktion 101 Minuten, Linksfraktion.PDS 77 Minuten, SPD-Fraktion 47 Minuten, NPDFraktion 47 Minuten, FDP-Fraktion 35 Minuten, desgleichen die GRÜNE-Fraktion, Staatsregierung 77 Minuten. Die Redezeiten können wie immer entsprechend den Bedürfnissen der Fraktionen auf die Tagesordnungspunkte verteilt werden.

Meine Damen und Herren! Gibt es weitere Anträge zur Tagesordnung? – Das ist nicht der Fall. Dann gilt die Ihnen vorliegende Tagesordnung für unsere heutige Beratung als beschlossen.

Wir kommen damit zur Tagesordnung selbst. Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: Forschungslandschaft Sachsen

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

2. Aktuelle Debatte: Zum Beginn des Schul- und Ausbildungsjahres 2005/2006

Antrag der Linksfraktion.PDS

Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen und der Staatsregierung hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU-Fraktion 39 Minuten, Linksfraktion.PDS 31 Minuten, SPD-Fraktion 14 Minuten, NPD-Fraktion

12 Minuten, FDP-Fraktion 12 Minuten, GRÜNE-Fraktion 12 Minuten, Staatsregierung 20 Minuten.

Wir kommen damit zu

1. Aktuelle Debatte

Forschungslandschaft Sachsen

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD

Zunächst sprechen die Vertreter der Fraktionen von CDU und SPD als Antragstellerinnen. Die weitere Reihenfolge lautet: Linksfraktion.PDS, NPD, FDP, GRÜNE; Staatsregierung, wenn gewünscht.

Die Debatte ist eröffnet. Ich bitte, dass ein Vertreter der CDU-Fraktion das Wort nimmt. – Herr Dr. Wöller, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem in den vergangenen Wochen viel von Verteilung die Rede gewesen ist und heftige Debatten darüber geführt worden sind, ist es, so denke ich, an der Zeit, über die Faktoren zu reden, die für die Entstehung unseres Wohlstandes maßgeblich sind. Es lohnt sich, einen Blick zurück in die Wirtschaftsgeschichte zu

werfen und zu fragen, welches die Quellen unseres Wohlstandes und unseres Wachstums sind.

Erstens. Sichere Eigentumsrechte einschließlich Bürgerrechte, so genannten geistigen Kapitals. Meine Damen und Herren! Ohne Eigentum gibt es keine freie Gesellschaft.

Zweitens. Wissen und Können, basierend auf wissenschaftlichem Rationalismus.

Drittens. Ein moderner Kapitalmarkt.

Viertens. Leistungsfähige und kostengünstige Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten.

Die Institutionen eines Landes entscheiden auf lange Sicht über seine Prosperität und seine Zukunft. Der Weg zu Wohlstand führt über die vier vorgenannten Institutionen. Sachsens Geschichte ist ein eindrucksvoller Beleg hierfür. Anfang des 20. Jahrhunderts war

Sachsen eine der führenden Wissenschafts- und Wirtschaftsregionen in Europa.

Im Mittelpunkt dieser Aktuellen Debatte steht die Forschungslandschaft in Sachsen. Wichtigster Wachstumsmotor ist das menschliche Gehirn. Wissen und Können sind der Treibstoff für diesen Wachstumsmotor. Der technologische Fortschritt bestimmt zunehmend das Wirtschaftswachstum. Er ist der wichtigste Faktor auf der Bühne der Welt geworden. Ökonomischer Fortschritt hängt von der Entwicklung und der kommerziellen Nutzung von Ideen ab. Der Prozess des Erfindens erfordert allerdings unterstützende intellektuelle Rahmenbedingungen. Wir benötigen quasi eine Infrastruktur rationalen Denkens.

Technologischer Fortschritt sowie Wissens- und Erfahrungskapital sind entscheidende Bestimmungsfaktoren für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit. Sie sind entscheidende Triebkräfte für das Wirtschaftswachstum.

Meine Damen und Herren! Auch wenn das Wort „Humankapital“ zum Unwort des Jahres 2004 gekürt worden ist – zu Unrecht, wie ich meine –, handelt es sich genau um den Kern unserer Diskussion. Mobiles Kapital sucht sich Wissen für Investitionen und wirtschaftliche Entwicklung. Wissen ist zu einem der wichtigsten Produktionsfaktoren geworden. Der Anteil des Dienstleistungs- und Wissenssektors am Bruttoinlandsprodukt beträgt mittlerweile 70 %. Das bedeutet eine eindrucksvolle Unterstreichung auf dem Weg zur Wissensgesellschaft.

Wissenskapital trägt dazu bei, neue Produkte, neue Produktionsprozesse, höhere Produktivität, höhere Wettbewerbsfähigkeit und damit mehr Beschäftigung zu schaffen. Wissenskapital beeinflusst die Attraktivität eines Landes für Investoren.

Meine Damen und Herren! Was heißt das für die Politik? Die Organisation der Bildung und die Verbesserung von Wissenskapital haben allergrößte Bedeutung. Der Staat hat Einfluss auf die institutionellen Rahmenbedingungen zu nehmen und Forschungsförderung zu betreiben. Aber auch wirtschaftliche und private Initiative muss hinzukommen. Die Arbeitsteilung zwischen Staat und Privatsektor macht sich an der Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Gütern fest. Dies gilt auch für die Forschungspolitik. Ergebnis der Grundlagenforschung ist ein öffentliches Gut; es kann von allen genutzt werden. Grundlagenforschung legt den Grundstein für private Erfindungen und wirtschaftliche Neuerungen. Angewandte Forschung ist ein überwiegend privates Gut. Die Erträge fließen Privaten zu. Deshalb ist auch die Anreizwirkung höher als bei der Grundlagenforschung. Trotz allem heißt es: Vorsicht bei der staatlichen Steuerung! Neues Wissen ist definitionsgemäß im Vorhinein nicht bekannt; es bedarf der Entdeckung. Deshalb muss sich der Staat auf die Rahmensetzung beschränken.

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Technologiepolitik Erfolg haben kann?

Erstens. Wir brauchen die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Hochschulsystems. Es ist der beste Anreiz für Grundlagen- und angewandte Forschung.

Zweitens. Qualifizierte Forscher, die HightechUnternehmen brauchen, müssen auch angeboten werden.

Drittens. Wirtschaftliche Bedingungen wie das Steuersystem, die Sozialabgaben und unternehmerische Bedingungen gehören gleichermaßen dazu. Nicht nur Kapital, sondern auch Wissen ist mobil und sucht sich seinen besten Standort.

Über Forschungspolitik zu reden heißt, über die Zukunft unseres Landes zu reden. Wie hat sich die sächsische Forschungslandschaft in den vergangenen Jahren entwickelt? Rückgrat der sächsischen Forschungslandschaft bilden die Hochschulen, allen voran die vier Universitäten. Hinzu kommt das bundesweit einzigartige Internationale Hochschulinstitut in Zittau. In der angewandten Forschung nehmen die fünf Fachhochschulen für Technik und Wirtschaft eine herausragende Stellung ein. Sie haben eigene Forschungszentren und An-Institute. Besondere Bedeutung kommt ihnen beim Wissens- und Technologietransfer in die regionale Wirtschaft zu.

Bitte zum Schluss kommen!

– Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren! Die zweite Säule sind die Max-Planck-Institute, die Fraunhofer-Institute und die Leibniz-Institute, die ein dichtes Netz von mittlerweile 50 außeruniversitären Forschungsinstituten bilden. Der jüngste Erfolg ist das sechste Institut der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem Forschungszentrum „Regenerative Therapien“, das nach Dresden kommt. Ich darf mich bei allen Forscherinnen und Forschern für diesen eindrucksvollen Erfolg ganz herzlich bedanken.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Ich erteile der SPD-Fraktion das Wort. Frau Dr. Raatz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wöller hat jetzt einen breiten Bogen von allgemeinen Grundsätzen der Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik gezogen und ist zum Ende seines Beitrages auf die sächsische Forschungslandschaft zu sprechen gekommen. An dieser Stelle möchte ich fortsetzen, denn wir sind hier im Sächsischen Landtag und haben auch auf dem Gebiet der Wissenschaft und Forschung sicherlich einiges zu berichten und uns hierüber auszutauschen – über die

Dinge, die gut gelaufen sind, aber auch die Dinge, die wir noch vorhaben.

Die sächsische Forschungslandschaft – Herr Dr. Wöller hat das schon gesagt – kann sich auf jeden Fall sehen lassen. Wir haben unsere Universitäten, vier an der Zahl, und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die die Forschung an den Hochschulen zum großen Teil zielgerichtet ergänzen. Doch mit einer breiten Forschungslandschaft können wir uns natürlich nicht zufrieden geben, denn das allein bringt uns nicht zu dem Niveau, das wir uns wünschen.

Wir, die Koalitionspartner SPD und CDU, wollen mit dem sächsischen Forschungsniveau einen Spitzenplatz in Deutschland, aber auch international erreichen. Damit begeben wir uns in den weltweiten Wettbewerb um Investoren und kluge Köpfe. Das macht die Konzentration unserer Kräfte auf bereits ausgeprägte Stärken Sachsens erforderlich. Darunter verstehe ich, dass besonders die Forschungseinrichtungen unterstützt werden müssen, die im Wesentlichen den wirtschaftlichen Schwerpunkten unseres Landes entsprechen und international ein besonderes Renommee besitzen.

Das heißt also auch auf diesem Gebiet: weg vom Gießkannenprinzip. In Sachsen, denke ich, haben wir hier einige Schwerpunkte gesetzt und versuchen ja mittlerweile, diese umzusetzen. In den Natur- und Ingenieurwissenschaften sind Schwerpunkte zum Beispiel die Mikroelektronik und die NanoTechnologie, der Maschinen- und Fahrzeugbau und die Material- und Werkstoffwissenschaften. In diesen Kompetenzfeldern muss die personelle und infrastrukturelle Vernetzung zwischen den Hochschulen, den außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft weiter ausgebaut werden; denn nur so können, wie Herr Wöller sagte, die guten Ideen, die aus der Wissenschaft kommen, dann auch entsprechend nutzbar gemacht werden. Hier bin ich der Meinung, dass wir noch nicht dort angekommen sind, wo wir sein möchten.

Daher möchte ich auf einen aktuellen Aspekt der Forschungsförderung in Deutschland und auf die Auswirkungen in Sachsen eingehen.

Sie wissen, dass auf Betreiben des Bundes eine gemeinsame Innovationsinitiative für die staatlich geförderte Wissenschaft lange diskutiert und nun endlich im Juni 2005 auf den Weg gebracht wurde. Ende Juni dieses Jahres haben die Regierungschefs von Bund und Ländern die Vereinbarung zur Exzellenzinitiative und den Pakt für Forschung und Innovation geschlossen. Glücklicherweise haben sich am Ende auch einige zunächst blockierende CDU-regierte Länder davon überzeugen lassen, dass die Zusammenarbeit bei der Spitzenforschung kein geeigneter Platz für machtpolitische Spielereien ist. In Sachsen war uns das ohnehin klar, denn gerade wir profitieren nicht unerheblich von den Forschungsmitteln des Bundes.

Die Übereinkunft zur Exzellenzinitiative besagt, dass dem deutschen Hochschulsystem in den kommenden sechs Jahren zusätzlich 1,9 Milliarden Euro von Bund und Ländern zur Verfügung gestellt werden. Das ist eine Chance für das deutsche Hochschulsystem und natürlich auch für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Aber es ist uns allen klar, dass nicht allein diese 1,9 Milliarden Euro von Bund und Ländern das Wissenschaftssystem in unserem Land nach vorn bringen können.