Protokoll der Sitzung vom 22.09.2005

Frau Bonk, selbstverständlich kann ich suchen und werde vielleicht auch in meinem Wahlkreis eine große Entfernung finden. Dann bin ich angehalten, vor Ort nachzufragen und gemeinsame Lösungen zu finden. Ich kann doch von hier aus nicht vorgeben, dass die Landkreise an Dinge gebunden werden, die für sie an der Basis Unsinn sind. Dafür kann keine vernünftige Politik stehen.

(Astrid Günther-Schmidt, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Frau Henke, es gibt noch einen Wunsch zur Zwischenfrage.

Nein, danke.

Zum zweiten Anliegen, der finanziellen Unterstützung der Landkreise, muss ich sagen, dass das auch sehr scheinheilig ist. Sie wissen aus den Finanzberatungen, die wir über viele Jahre durchgeführt haben, sehr wohl, dass bis 1994 eine Regelung bestand, dass die Schülerbeförderungskosten separat für die Landkreise ausgewiesen wurden, ab 1994 ist das in die allgemeine Schlüsselzuweisung überführt worden, und zwar – das wissen Sie, meine Damen und Herren von der Linksfraktion.PDS, sehr genau, und wenn Sie es noch nicht wissen, Frau Bonk, dann müssen Sie sich aufklären lassen – auf Bitte des Landkreistages. Auch in den letzten Haushaltsverhandlungen ist das so gemacht worden.

Meine Damen und Herren, ich finde es sehr richtig, wenn die kommunale Ebene selbstbewusst sagt: Wir werden das selber in die Hand nehmen und kommen mit dieser Regelung besser hin. Dann sollte das auch dort bleiben. Die CDU-Fraktion steht dafür, mehr Freiheit zuzulassen anstelle von mehr Bürokratie. Jeder spricht von Bürokratieabbau, und was machen wir hier? Bei jeder Geschichte, die Sie politisch ausschlachten wollen, hauen Sie noch eins oben drauf in Form von mehr Bürokratie. Das ist mit uns nicht zu machen.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Die SPD-Fraktion erhält das Wort. Herr Dulig, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Länge der Schulwege ist zweifellos ein Problem, welches wir als Parlament im Blick haben müssen, denn es ist für die betroffenen Kinder nicht unerheblich, wie viel potenzielle Freizeit sie im Bus verbringen. Gerade für leistungsschwächere Schülerinnen und Schüler können die sich daraus ergebenden Belastungen zur echten Benachteiligung werden. Dass sich Schulwege verlängern, hat seine Ursache nicht nur in den leider notwendigen Schulschließungen, sondern auch im Schülerrückgang generell. Selbst wenn wir keine Schulen hätten schließen müssen, wäre wegen des dramatischen Rückgangs der Schülerzahlen der Schülerverkehr so teuer geworden, dass die Beförderungsunternehmen die Kosten nur in weiteren Fahrtwegen und rationelleren Fahrteinsätzen kompensieren könnten.

Das heißt, die Beförderungsunternehmen unterliegen so oder so einem großen Druck, die Schülerbeförderung zu optimieren, um drastische Tarifanhebungen zu vermeiden. Die Träger der Schülerbeförderung sind gleichfalls bemüht, die Kosten niedrig zu halten. Zum einen haben sie selbst kein Geld und zum anderen wollen sie die Beteiligung der Eltern niedrig halten. Das ist eine ernste Situation, die – und das will ich betonen – hauptsächlich durch das niedrige Beförderungsaufkommen verursacht ist, also direkt durch den Schülerrückgang. Aus diesem Grund hält die Begründung des Antrages einer ernsten Analyse nicht stand.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotzdem haben wir das Problem, welches sich in den nächsten Jahren nicht von selbst lösen wird. Es wird zwar ein wenig Entspannung dort geben, wo tatsächlich Schulen auslaufen und zunächst nur die ersten Jahrgänge eine andere, weiter entfernte Schule besuchen. Wenn später alle Jahrgänge diese andere Schule besuchen, wird die Schülerbeförderung natürlich effektiver. Damit lösen sich aber die Probleme nicht. Wir wissen, dass die täglich gefahrene Strecke von der direkten Entfernung Wohnort – Schule zum Teil beträchtlich abweicht, weil der Schulbus praktisch die Dörfer rund um die Schule abklappert und sich in konzentrischen Kreisen auf den Schulstandort zubewegt. Wenn dann auch noch Wartezeiten vor und nach der Schule hinzukommen, gibt es tatsächlich Fälle, in denen Kinder in der Woche praktisch keine echte Freizeit mehr haben. Das ist nicht zumutbar.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie können wir aber die tatsächlich bestehenden Probleme lösen? Doch nicht über den Weg, den der vorliegende Antrag vorsieht. Abgesehen davon, dass wir uns innerhalb der Koalition auf Schulwegzeiten festgelegt haben, die für Grundschüler als Obergrenze 30 Minuten nennen, können wir doch nicht die Wartezeiten vor und nach der Schule in die Schulwegzeiten einrechnen und nicht ernsthaft den Beförderungsträgern einen Blankoscheck ausreichen. Wenn wir dem Antrag der Linksfraktion.PDS folgen, produzieren wir eine teure und ökologisch unverantwortliche Fehlsteuerung. Überlegen Sie sich einmal, was Ihre Forderung in der Praxis bedeutet!

Nehmen Sie sich den Stundenplan einer Mittelschule mit zwei versetzten Anfangszeiten, also erste und zweite Stunde, und drei versetzten Endzeiten, also fünfte, sechste und siebente Stunde. Diese Schule müsste früh zweimal und nachmittags dreimal angefahren werden, denn sonst würde schon die Wartezeit die Schulwegzeit verzehren. In der Regel sind die Einzugsgebiete einer Mittelschule aber so groß, dass sie nicht mit einer Buslinie innerhalb von 45 Minuten abgedeckt werden. Dazu kommt, dass der Stundenplan an jedem Tag anders ist. Einmal haben sieben Klassen zur fünften Stunde aus, die alle nur mit einer Linie fahren müssten, dann bräuchten Sie zwei Busse und die andere Linie eigentlich nicht. Ich könnte das noch ausweiten, um zu zeigen, was Ihr Antrag, so wie er gestellt ist, bedeutet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer wirklich Verantwortung trägt, muss nach Lösungen suchen, die auch praktikabel sind.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Herr Kollege Dulig, Sie haben eben auf das unterschiedliche Ende des Unterrichts hingewiesen. Geben Sie mir Recht, dass die Problematik der gesamten Organisation des Schülerverkehrs wesentlich einfacher zu bewältigen wäre, wenn wir kleinere Schulen mit weniger Klassen hätten, als in Riesenschulen mit vielen, vielen unterschiedlichen Klassen?

(Rita Henke, CDU: Wo sind Riesenschulen?)

Also, das ist jetzt eine Frage, die natürlich spekulativ ist. Ich meine, wir diskutieren gerade über die konkrete Situation hier in Sachsen.

(Zuruf des Abg. Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS)

Sicherlich, die SPD-Landtagsfraktion hat Ideen in die Koalitionsverhandlungen und in die Gespräche danach eingebracht, wie man vielleicht auch mit kleineren Schulen mehr Standorte hätte erhalten können. Aber wir haben dann über die Vereinbarung von mehr Ausnahmen einen anderen Weg gefunden. Deshalb ist zum Beispiel die Frage von Qualität einer Schule nicht eine Frage der Größe der Schule.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Wer aber nun wirklich Verantwortung trägt, muss auch nach Lösungen suchen, die praktikabel sind. Das will ich zum Schluss kurz skizzieren.

Erstens. Um die Auslastung der Busse zu optimieren und die Häufigkeit des Anfahrens der Schule zu minimieren, müssen wir zuallererst dafür sorgen, dass möglichst alle Schüler aus einer Region zu einer Zeit in der Schule sein müssen und zu einer anderen wieder nach Hause wollen.

Zweitens. Wenn eine Schule praktisch feste Öffnungszeiten haben soll, dann muss sie sich in ihrer Schulorganisation verändern. Dazu kann sie zunächst Möglichkeiten von Ganztagsangeboten nutzen oder sich als Ganztagsschule organisieren. Dazu kann sie vielleicht zusätzlich das ganze Instrumentarium einer neuen, auf selbst reguliertem Lernen basierenden Schul- und Lernkultur nutzen.

Um es noch einmal deutlich zu machen: Wenn wir nicht dafür sorgen, dass sich die Schulen selbst in ihrer Planung und Organisation auf diese für viele nicht neue Situation einstellen, werden wir das Problem nicht lösen. Die herkömmliche Schulkultur wird dies nicht leisten.

Unsere Schulen brauchen Anregungen und Unterstützungen, um entsprechende Impulse aufzunehmen. Dann werden zum Beispiel die Schulträger auch Vereinbarungen mit den Trägern der Schulbeförderung treffen können, welche zum einen die Schulwege kurz halten und zum anderen Wartezeiten vermeiden.

Damit ich jetzt aber auch nicht falsch verstanden werde: Feste Öffnungszeiten sind nicht gleich feste Stundentafeln. Das geht überhaupt nicht und ist auch nicht unser Ziel. Schulorganisation bedeutet eben auch, sich Gedanken zu machen, wie man einen gleitenden Schulanfang und ein Angebot für das Schulende organisieren kann.

Ich möchte einmal beispielhaft skizzieren, wie so etwas funktionieren könnte: Der Schultag beginnt mit selbstständiger Arbeit einschließlich einer Pause, deren Länge sich nach der Ankunft richtet. So wie die jungen Leute mit den Bussen ankommen, können sie sofort beginnen, an ihren Projekten zu arbeiten. Sie können aber auch mit einem Schwatz anfangen; das gehört auch dazu. Die Schule ist selbstverständlich geöffnet.

Am Nachmittag ist die Schule jeden Tag bis 15:30 Uhr geöffnet und hält neben einem vielfältigen Angebot einschließlich der Betreuung von Hausaufgaben – sofern es welche gibt – auch Möglichkeiten der eigenständigen Freizeitgestaltung vor. Ab 14:50 Uhr bis 15:30 Uhr fahren die Busse in verschiedene Richtungen. Das Konzept ist mit den Verkehrsbetrieben abgestimmt. Wer früh zuerst da war, fährt auch nachmittags als Erster wieder.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist ein Traum!)

So könnte es aussehen. Im Interesse unserer Kinder müssen wir nach Lösungen suchen und dabei alle Beteiligten einbeziehen. Der vorliegende Antrag wird diesem Anspruch nicht gerecht.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Für die NPDFraktion Frau Abg. Schüßler.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wieder einmal haben wir uns heute mit Schul- und Bildungspolitik zu befassen. In keinem anderen Bereich der Landespolitik sind die Probleme größer,

ist die Unzufriedenheit massiver und ist gleichzeitig Ihre Unfähigkeit, die Probleme zu lösen, offenkundiger als in der Bildungspolitik.

Es liegt auf der Hand, dass soziale Chancengleichheit auf dem Spiel steht, wenn Schulkinder tagtäglich stundenlang zwischen Wohnort und Schule hin und her pendeln müssen. Hier steht die Staatsregierung in der Verpflichtung, Benachteiligungen zu verhindern und eine flächendeckende Unterrichtsversorgung zu gewährleisten. Auch in dünner besiedelten Regionen müssen Kinder den gleichen Zugang zu guter Bildung mit ausreichenden Wahlmöglichkeiten haben wie die Kinder in den Städten Sachsens.

Meine Damen und Herren der Staatsregierung, insbesondere Herr Minister Flath, Ihre Kahlschlagspolitik in der sächsischen Schullandschaft macht es heute notwendig, über diesen Antrag der Linksfraktion.PDS zu debattieren.

(Zuruf des Staatsministers Steffen Flath)

Nein, das ist neu.

Es war schon von Anfang an klar, was Ihre Politik bedeuten würde. Sie bedeutet, dass die Kinder in vielen ländlichen Gegenden längere Schulwege zurücklegen müssen. Sie bedeutet, dass die Klassen noch größer werden. Sie bedeutet, dass für individuelle Betreuung und Förderung der Kinder noch weniger zeitliche Unterstützung vorhanden ist. Und für die Kommunen bedeutet dies nicht nur den Verlust der Schule als sozialen Ort, sondern es bedeutet, dass Schulen, die in den letzten Jahren mit viel Geld und Aufwand renoviert und erweitert worden sind, leer stehen, während andernorts Kinder in überfüllten Klassenzimmern oder in Containern zusammengepfercht werden.

(Zuruf der Abg. Rita Henke, CDU)

Zu Recht formiert sich überall der Protest von Eltern, von Lehrern und auch von Teilen Ihrer eigenen Leute. Ihre Politik trägt überhaupt nicht dazu bei, den Kindern und Jugendlichen in unserem Freistaat die besten Bildungschancen zu eröffnen und individuelle Förderung zu ermöglichen. Individuelle Förderung ist am besten in kleinen Klassen und überschaubaren Einheiten möglich. Moderne Pädagogik, wie sie gerade in den Pisa-SiegerLändern praktiziert wird, zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie die Verschiedenheit der Kinder nicht als Störung auffasst, sondern als Chance begreift. Sie müssen in die Lage versetzt werden, klassen- und jahrgangsübergreifend unterrichtet zu werden. Wir müssen endlich dazu kommen, Schule an die Bedürfnisse der Kinder anzupassen und nicht die Kinder an die Strukturen der Schule. Das wird auch zu einer Steigerung der Leistung führen. Die bisherigen und die durch die CDU-/SPD-Koalition geplanten weiteren Schulschließungen zeigen, wie wenig Gedanken man sich offenkundig um die Zukunft Sachsens macht.

Wagen Sie doch die Umkehr aus Ihrer Kahlschlagspolitik! Erhalten Sie die kleinen Einheiten vor Ort! Sorgen Sie

dafür, dass moderne Unterrichtsformen eingesetzt werden! Lassen Sie die Schule in den Dörfern und öffnen Sie Ihren Horizont für eine zukunftsorientierte Bildungspolitik!

Wenn Sie Ihre Politik an diesen Maßstäben messen würden, wäre der hier vorliegende Antrag überflüssig. Fährt die Staatsregierung fort mit der Ausdünnung des Bildungsstandortes Sachsen, wird eine weitere Abwanderung die Folge sein, was wiederum jedes Wirtschaftswachstum verhindert oder beeinträchtigt. Sachsen wird ebenso wie weite Teile Deutschlands veröden. Die Menschen ziehen in die Ballungszentren, insbesondere in deren Speckgürtel, wenn man ihnen gleiche Chancen in Beruf und Bildung verwehrt.

Ganz unabhängig von Schülerbeförderungszeiten und Mindestschülerzahlen und den anderen eher kurzfristigen Überlegungen ist dafür zu sorgen, dass die Schule nicht nur sprichwörtlich im Dorf bleibt. Gerade in ländlichen Regionen bietet es sich doch angesichts des Geburtenrückgangs an, jahrgangsübergreifende Klassen einzurichten. Neben der Sicherung der schulischen Grundversorgung bietet dieses Modell sogar pädagogische Vorteile. Denkbar wäre zum Beispiel die Zusammenlegung der Klassen 1 bis 3 und 4 bis 6. Nach der 6. Jahrgangsstufe müsste die Qualität des fachlichen Lernens im Vordergrund stehen und der Unterricht durch Fachlehrer beginnen.

Da wir allerdings die Notwendigkeit einer Umkehr in der Bildungspolitik bei der Staatsregierung und der sie tragenden Koalition nicht feststellen können, werden wir uns hier erneut um Schadensbegrenzung bemühen müssen. Wir werden also eine Symptombekämpfung vornehmen, ohne die Ursachen angegangen zu sein.