Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt wohl seit langem kaum ein EU-Vorhaben, das so kontrovers diskutiert wird wie die geplante EU-Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt. Dieses Vorhaben hat zu einer großen Verunsicherung und Kritik der Unternehmen, vor allem des Handwerks und der freien Berufe, der berufsständischen Organisationen, der Gewerkschaften, der Verbraucher- und Wohlfahrtsverbände sowie zahlreicher anderer gesellschaftlicher und politischer Kräfte geführt.
Der Sächsische Landtag hat in seiner 16. Sitzung am 22. April dieses Jahres mit großer Mehrheit einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU und SPD angenommen. Dieser Antrag fordert vor allem, dass die Richtlinie nicht zu Verwerfungen im Bereich der Sozialversicherung und des Lohngefüges führt. Mit anderen Worten: Die EU-Dienstleistungsrichtlinie darf nicht zu Sozialdumping und unfairem Wettbewerb führen. Dies gilt heute unverändert.
Seit unserer letzten Debatte im Landtag hat sich auf der europäischen Ebene Folgendes ereignet: Zum Entwurf der Richtlinie wurden insgesamt 1 154 Änderungsanträge im federführenden Binnenmarktausschuss des Europäischen Parlaments eingereicht. Diese Flut von Änderungsanträgen zeigt, wie umstritten das Gesamtprojekt EUDienstleistungsrichtlinie ist. Ferner liegt jetzt der Bericht des im Europäischen Parlament federführenden Binnen
marktausschusses vor. Dieser Bericht, verfasst von der deutschen Abgeordneten Evelyne Gebhardt, SPEFraktion, macht deutlich, dass die Richtlinie grundlegend überdacht und überarbeitet werden muss. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass gestern bei den Beratungen im Binnenmarktausschuss keine Verständigung erzielt wurde. Vielmehr gab es eine Vielzahl von neuen Anträgen der EVP und der liberalen Fraktion.
Bis zum 10. Oktober ist die Einreichungsfrist für weitere Anträge verlängert worden, und wir gehen davon aus, dass eine Befassung im Ausschuss am 20. und 21. Oktober dieses Jahres stattfinden wird. Mit der Befassung des Plenums des Europäischen Parlaments ist jedoch nicht vor Januar 2006 zu rechnen. Danach wird die Kommission ihren Entwurf völlig überarbeiten müssen. Dass sie jedoch die Richtlinie völlig zurückziehen wird, damit ist nicht zu rechnen. Auf Ratsebene wird auch in diesem Jahr nicht mehr mit wesentlichen Beschlüssen zur Richtlinie gerechnet. In Deutschland wird sich die Wirtschaftsministerkonferenz im Dezember dieses Jahres wieder mit den Richtlinien befassen. Derzeit liegt im Bundesrat ein Entschließungsantrag des Landes Hessen vor, in dem die wesentlichen Bedenken der Länder erneut und sehr deutlich artikuliert werden. Ich empfehle die Lektüre dieses Antrags. Wir als Sachsen unterstützen diesen Antrag.
Sie sehen, das Thema „EU-Dienstleistungsrichtlinie“ wird auf allen Ebenen in ganz Europa sehr aufmerksam verfolgt. Eben wegen dieser Sensibilität für das Thema bin ich davon überzeugt, dass es am Ende zu Regelungen kommen muss, die für alle EU-Mitgliedsstaaten, also auch für Deutschland, akzeptabel sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beim jetzigen Verhandlungsstand über die Richtlinie lässt sich nicht voraussagen, wie die Endfassung der Richtlinie einmal aussehen wird, geschweige denn, wann sie in Kraft treten wird. Für die Bewertung einer Regelung, für die weder der Anwendungsbereich noch die Adressaten klar sind, dürften sich die Auswirkungen kaum hinreichend belastbar vorhersagen lassen. Lassen Sie mich zur Verdeutlichung des notwendigen Abstimmungsbedarfs auf die wesentlichen Kritikpunkte zur Richtlinie eingehen. Folgende Aspekte müssen in der überarbeiteten Fassung Berücksichtigung finden:
Die Richtlinie muss in ihrem Anwendungsbereich klarer definiert werden. Gewisse Bereiche von Dienstleistungen, wie zum Beispiel die Bereiche Audiovisuelle Dienstleistungen, Rundfunk, Filmförderung, der Steuerbereich oder die Tätigkeit von Rechtsanwälten oder Notaren, müssen vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden, da es für diese Bereiche bereits spezielle Regelungen gibt.
Das bedeutet: Überall da, wo bereits so genannte sektorale Richtlinien vorhanden sind, gelten diese und dürfen nicht von der neuen Richtlinie erfasst werden.
Auch die sozialen Dienste, die Gesundheitsdienste und die Pflege müssen ausgeklammert bleiben. Diese Dienste
unterliegen aus Gründen des Gemeinwohls in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich ausgestalteten Regelungen. Es ist mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar, dass diese europaweit einheitlich geregelt werden müssen.
Frau Gebhardt schlägt vor, zwischen kommerziellen und öffentlichen Dienstleistungen zu unterscheiden. Ich halte das für sinnvoll, weil damit klar wäre, dass im Bereich der Daseinsvorsorge, wie im Gesundheitsbereich, aber auch im Bildungsbereich oder etwa der Abfallwirtschaft, die Mitgliedsstaaten nach wie vor ihre eigenen Regelungen treffen dürfen. Der am meisten kritisierte Punkt des Richtlinienvorschlags – wir hörten es in der Debatte –, sozusagen das Herzstück der Kommissionsvorstellungen, das so genannte Herkunftslandprinzip, muss grundlegend modifiziert werden.
Nach der derzeitigen Ausgestaltung der Vorschriften würde dieses Prinzip bedeuten, dass der Dienstleistungserbringer nur den Rechtsvorschriften seines Herkunftsstaates unterliegt, und zwar sowohl bei der Aufnahme und Ausübung der Dienstleistung als auch hinsichtlich der Qualität und der Verantwortlichkeit für seine Dienstleistung. Völlig unverständlich bleibt, dass dies nicht von dem Land, in dem die Dienstleistung tatsächlich erbracht wird, kontrolliert werden soll, sondern vom Herkunftsland. Das würde bedeuten, dass künftig französische Behörden in Deutschland tätige Dienstleister aus Frankreich auf die Einhaltung ihres eigenen französischen Rechts hin überprüfen müssten.
In seiner derzeitigen Ausgestaltung führt das Herkunftslandprinzip daher zu einer weitgehenden Verdrängung der Vorschriften des Staates, in dem die Dienstleistung erbracht wird. Es führt ferner zu viel mehr Transparenz, möglicherweise zu einer Einschränkung von Verbraucherrechten bis hin zu einer Diskriminierung der inländischen Dienstleister, die strengere Bedingungen einhalten müssen. 25 nationale Rechtssysteme der Union treten im Ergebnis untereinander in eine Konkurrenz – das kann doch nicht gewollt sein!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die EUDienstleistungsrichtlinie wird vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit seit der Vorlage durch die EU-Kommission sehr intensiv begleitet. Wir arbeiten engagiert mit dem Bund-Länder-Ausschuss „Dienstleistungen“. Mein Staatssekretär Habermann ist einer von zwei Ländervertretern der Task force der Bundesregierung zur Bekämpfung des Missbrauchs der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, und wir haben einen engen Kontakt, Herr Dr. Friedrich, auch zu unserer Brüsseler Landesvertretung. Eines möchte ich hier durchaus festhalten: Es ist natürlich allen Europaabgeordneten – auch jenen aus Sachsen – unbenommen, sich engagiert in den derzeitigen Prozess einzubringen. Dieser Hinweis sollte ergehen, damit wir nicht die Rolle einer europäischen Gesetzgebung einnehmen, die wir uns als Sächsischer Landtag eigentlich nicht anmaßen sollten.
Wir haben inzwischen einen Bericht zur Gesamtproblematik EU-Dienstleistungsrichtlinien sowie den bereits jetzt gegebenen Zugangsmöglichkeiten zum deutschen Arbeitsmarkt erstellt. Dieser Bericht meines Hauses wurde am 27. September im Kabinett behandelt. Das Kabinett hat auf meinen Vorschlag hin beschlossen, dass unter Federführung des Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe gebildet wird, die sich vor allen Dingen mit folgenden Themen und Aufgaben befasst:
Begleitung der Arbeiten zur EU-Dienstleistungsrichtlinie, Maßnahmen gegen den Missbrauch der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, Erarbeitung einer Position zu der am 30. April 2006 endenden Übergangsregelung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit, der so genannten 3+2+2Regelung – ich denke, eine sehr wichtige Sache, die heute noch nicht zur Sprache kam –, Koordinierung der Bekämpfung von Schwarzarbeit – das heißt Verzahnung von Zoll, Steuerverwaltung, Gewerbeämtern, mögliche Einrichtung von Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften –, Umsetzung der Sozialversicherungspflicht ausländischer Arbeitskräfte in der Landwirtschaft – Stichwort: Saisonarbeiter – und Prüfung von Mindestlohnregelungen sowie Darstellung von Modellen zur Schaffung zusätzlicher Beschäftigungschancen in Bereichen mit niedriger Produktivität, zum Beispiel Kombilohnmodelle und Freibetrag in der Sozialversicherung.
Ich erwähne dies, weil es so wichtig ist, dass wir aktiv bei der Ausgestaltung des Vorhabens EU-Dienstleistungsrichtlinie mitarbeiten. Gleichzeitig ist es notwendig, den bestehenden Missbrauchsfällen entgegenzuwirken. Sie erinnern sich an die in den Medien ausführlich geschilderten Fälle in der Fleischwirtschaft. Ein Unternehmen in Sachsen war bekanntermaßen davon betroffen. Diesem Fall sind wir nachgegangen. Darüber hinaus greifen wir jetzt die Vorarbeiten der Bundesregierung auf, die im Frühjahr dieses Jahres eben jene Task force zur Bekämpfung des Dienstleistungsmissbrauchs gegründet hat.
Vielen Dank. – Herr Staatsminister Jurk, Sie haben mit Ihren Ausführungen die Aktualität der Debatte bestätigt, und dass vieles noch im Fluss ist. Ich möchte Sie klipp und klar fragen:
Plant der Freistaat eine erneute Bundesratsinitiative, zum Beispiel gemeinsam mit Hessen – Sie nannten vorhin den hessischen Antrag –, die Dinge, die zweifelsohne im Fluss sind, in Richtung des Gebhardt-Vorschlags nach dem
Prinzip der gegenseitigen Anerkennung und der anderen Dinge, die Sie nannten, voranzubringen? Ist so etwas in Planung?
Fakt ist: Der Vorschlag von Hessen liegt auf dem Tisch. Er ist in den Bundesrat eingebracht und in die Ausschussberatungen überwiesen worden. Es wird darüber gesprochen, und dann wird diese Initiative in den Bundesrat zurückkommen. Parallel dazu wird sich die Wirtschaftsministerkonferenz damit auseinander setzen. Es gibt eine Reihe von Gremien, die diesen Vorschlag noch qualifizieren werden. Sie kennen den Vorschlag. Ich finde, er ist sicherlich an mancher Stelle sehr allgemein gehalten, bringt aber die wichtigen Probleme auf den Punkt. Insofern wird uns diese Initiative im Bundesrat wieder ereilen. Das heißt, sie wird unterhalb des Bundesrates in den Gremien diskutiert und danach Beschlussgegenstand im Bundesrat werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit unserer Initiative – ich sprach es an – wollen wir, vor allen Dingen durch Zusammenarbeit unserer sächsischen Behörden mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, diese Fragen eindeutig klären. Die EU-Kommission verfolgt mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie das richtige Ziel. Die europäische Wirtschaft benötigt ohne Zweifel mehr Impulse für Wachstum und Beschäftigung. Die Dienstleistungsbranche ist für Produktion, Wertschöpfung und Beschäftigung in den nationalen Volkswirtschaften und in der EU von enormer Bedeutung. In der EU entfallen bereits heute mehr als 50 % des Inlandsprodukts auf nicht vom Staat erbrachte Dienstleistungen. Rund zwei Drittel der Beschäftigten in der EU arbeiten in Unternehmen dieser Branche. Vier von fünf Unternehmen in der gesamten EU gehören zu den Dienstleistungsbranchen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit Sorge muss betrachtet werden, dass die Kommission mit ihren bisherigen Vorstellungen zur EU-Dienstleistungsrichtlinie Gefahr läuft, die soziale Dimension der Europäischen Gemeinschaft aus dem Auge zu verlieren. Wenn Menschen die EU immer stärker als reine Freihandelszone erleben, die die sozialen Errungenschaften der Nationalstaaten Schritt für Schritt aushebelt, können wir die
dringend nötige stärkere Zustimmung zu Europa nicht erreichen. Daher muss in Zukunft bei europäischen Gesetzgebungsverfahren dem Grundsatz „Harmonisierung vor Liberalisierung“ wieder Priorität eingeräumt werden. Wenn dieser Grundsatz auch bei den weiteren Arbeiten zur EU-Dienstleistungsrichtlinie beachtet wird, kann dieses Vorhaben zu einem echten Gewinn für die Unternehmen, aber auch für die Bürger in Europa werden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hoffe, Herr Jurk, Sie nehmen es mir nicht übel, dass ich Ihnen das Schlusswort jetzt gestohlen habe, aber Ihre Ausführungen fand ich sehr interessant.
Es gab einen kleinen Zungenschlag bei Ihnen, zu dem ich Widerspruch anmelden möchte. Ich denke nicht, dass wir diese Problematik des Streites um die Gestaltung Europas einfach so an die Europaabgeordneten abgeben können.
Wir haben hier eine Aufgabe, und ich denke, Europa lebt vor allem von der Auseinandersetzung um seine Gestaltung. Die Linkspartei wird sich auch in Sachsen um eine solidarische, friedliche Zukunft Europas streiten, in der die öffentliche Daseinsvorsorge nicht auf dem Altar des Wettbewerbs geopfert wird.
Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Damit ist die Aktuelle Debatte, beantragt von der Linksfraktion.PDS zum Thema „Auswirkungen der geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Sachsen“, beendet und damit auch der Tagesordnungspunkt 1.
Drucksache 4/2944, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend
ist allerdings keine Aussprache vorgesehen. Ich frage trotzdem, ob ein Abgeordneter das Wort wünscht. – Das ist nicht der Fall.
Über die Drucksache 4/2944, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend, werden wir dann abstimmen. Es
Meine Damen und Herren! Ich schlage Ihnen deshalb gemäß § 44 Abs. 5 Satz 3 der Geschäftsordnung vor, nach Aufzählung aller Paragrafen über alle Paragrafen gemeinsam in einer Abstimmung abzustimmen. Dies wird das Verfahren etwas verkürzen, da es keine Änderungsanträge zu den einzelnen Paragrafen gibt. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung.
Aufgerufen ist: Sächsisches Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz, Drucksache 4/2507, Gesetzentwurf der Staatsregierung. Wir stimmen ab auf der Grundlage der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Familie, Frauen und Jugend, Drucksache 4/2944.
Wir stimmen ab über die Überschrift, dann § 1 Zuständige Stellen zur Ausführung des Transplantationsgesetzes, § 2 Transplantationsbeauftragte, § 3 Auskunftserteilung durch die Krankenhäuser, § 4 Errichtung der Kommission zur Prüfung von Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Lebensspende, § 5 Verfahren der Kommission, § 6 Kos
ten, Finanzierung der Kommission und § 7 In-KraftTreten und Außer-Kraft-Treten. Wer den von mir genannten Paragrafen und der Überschrift die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Gibt es Stimmen dagegen? – Stimmenthaltungen? – Bei einer Stimmenthaltung und 5 Stimmen dagegen ist den Paragrafen zugestimmt. Damit ist die 2. Beratung abgeschlossen.
Ich rufe jetzt auf zur 3. Beratung. Da es keine Änderung gegeben hat, eröffne ich die 3. Beratung. Es liegt kein Wunsch zu einer allgemeinen Aussprache vor. Ich stelle deshalb den Entwurf Sächsisches Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz in der in der 2. Lesung beschlossenen Fassung als Ganzes zur Abstimmung. Wer dem Entwurf des Gesetzes zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei einer Stimmenthaltung und 5 Stimmen dagegen ist dem Entwurf zugestimmt und er damit als Gesetz beschlossen.