Die Regel gibt es, aber die Frage ist, wer die Verantwortung dafür hat, diese Regel zu nutzen, und die liegt nun einmal vor Ort. Punkt.
(Vereinzelt Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS)
Man braucht doch einfach nur die Möglichkeiten zu nutzen, die es jetzt schon gibt, also bedarf es doch dieses Antrages überhaupt nicht
Auch wenn das öffentliche Jammern über Arbeitsplätze vergessen lässt: Wir haben viele Familien mit berufstätigen Eltern. Das bedeutet in vielen Fällen, dass die Kinder früh aufstehen müssen, früh in die Schule, in den Frühhort gehen. Dort fangen sie dann an zu spielen oder sich zu beschäftigen, sind also wach und beginnen sich für etwas zu interessieren und müssen dann in den Unterricht, der dann auch später zu Ende ist. Für diese Kinder erreichen Sie nur, dass sie bedeutend länger als heute in der Schule sind. Auf deren Biorhythmus nehmen Sie in Wirklichkeit keine Rücksicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Haben Sie sich schon einmal gefragt, dass es vielleicht gar nicht um den Schulbeginn geht, sondern vielmehr um die Art und Weise, wie wir Schule betreiben? Fällt Ihnen nicht auf, dass Sie mit Ihrem Weg der Rücksichtnahme auf den Biorhythmus in die gleiche Falle der verordneten Schule laufen wie schon beim Umgang mit Heterogenität.
Oder anders: Ist Ihnen nicht klar, dass auch der Biorhythmus etwas sehr Individuelles und außerdem Flexibles ist?
dann scheinen Sie zu übersehen, dass er noch etwas anderes herausfand und bestätigte. Auch Sie haben sich auf die Wissenschaft bezogen.
Ich möchte dies konsequent weiterdenken und zu Ende führen, was Prof. Roenneberg gesagt hat: Es gibt genetisch bedingt so genannte Lerchen und Eulen, das heißt Frühaufsteher und Nachtmenschen; vielleicht können Sie mit Bildern besser arbeiten. Unser Biorhythmus verändert
sich mit der Jahreszeit bzw. der Dauer und Intensität der Sonneneinstrahlung. Ich zitiere wieder Prof. Roenneberg: Jüngere Kinder können durchaus um acht in der Schule sein. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Krasser wird der frühe Schulanfang bei Jugendlichen, weil sich bei ihnen im Laufe des Älterwerdens die innere Uhr drastisch nach hinten verschiebt, das heißt, dass am frühen Nachmittag ein Leistungstief vorhanden ist.
Wenn wir das alles einigermaßen berücksichtigen wollten, dann müssten wir an jeder Schule „Lerchenklassen“ und „Eulenklassen“ einrichten. Im Winter müssten wir einen späteren, im Sommer könnten wir einen früheren Schulbeginn verordnen. Natürlich müssten wir unterschiedliche Anfangszeiten für die verschiedenen Schulstufen vorgeben. Ferner müssten wir auch noch Zeit und Gelegenheit für ein Mittagsschläfchen lassen.
Aber vielleicht zeigt das alles nur, dass es sich um einen Weg handelt, der in die Irre führt; denn Sie werden auf keinen Fall das Optimum für alle mit der gleichen Lösung erreichen.
Herr Kollege Dulig, können Sie sich vorstellen – weil es selbstverständlich ist, dass jeder Mensch seinen eigenen Rhythmus hat –, dass die Lerchen und die Eulen gegen 08:00 Uhr vernünftig zusammenzuführen sind?
Wenn es um Regeln für die Organisation von Schule geht, dann kann am besten vor Ort entschieden werden, gemeinsam mit denjenigen, die die Kinder und Jugendlichen am besten kennen und die einschätzen können, wie Schule organisiert werden muss.
Gefragt sind keine per Dekret verordneten Pauschallösungen, sondern vielmehr eine Schul- und Lernkultur, die es dem Einzelnen erlaubt, Rücksicht auf seinen eigenen Biorhythmus zu nehmen, gar keine Frage. Die verdienstvollen Untersuchungen zur Abhängigkeit der Leistungsfähigkeit von der inneren Uhr verweisen einmal mehr darauf, dass wir nicht alle über einen Kamm scheren dürfen und Lernen individualisieren müssen. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Erkenntnisse könnte man allenfalls verlangen, anzuordnen oder darauf zu orientieren, keine zeugnisrelevanten Leistungskontrollen und Prüfungen vor 09:00 Uhr durchzuführen.
Wenn Sie das ernsthaft wollten, müssten Sie sofort die auf getaktetem Unterricht basierende Lernkultur an den Schulen überwinden helfen. Anders können Sie keinen
Stundenplan bauen, bei dem nicht der eine oder andere Fachlehrer aufschreit und keine Leistung mehr überprüfen kann.
Die Lösung liegt also nicht in weiterer Reglementierung und dadurch Gleichmacherei, sondern in der Individualisierung. Eine auf selbst gesteuertem Lernen basierende Lernkultur, wie wir sie wollen, ermöglicht es dem Lernenden nicht nur, weitgehend seiner inneren Uhr zu folgen, sie überhaupt wahrzunehmen und anzunehmen; sie ermöglicht es ihm auch, mit einer Umwelt zurechtzukommen, die auf seine innere Uhr keine Rücksicht nehmen kann. Das beginnt mit der Wahl des Berufsfeldes und endet bei kompensierenden mentalen Techniken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP – lieber Kollege; es ist nur noch einer da –, wollen Sie auch noch eine Bundesratsinitiative zur Festlegung von betrieblichen Arbeitszeiten starten, vielleicht als neuen Weg zum wirtschaftlichen Aufschwung? Ich fürchte allerdings, dass Ihnen Ihre Klientel kräftig den Marsch blasen würde.
In einer Schule, welche auf eigenverantwortliches Lernen setzt, ist es kein Problem, die Gestaltung der Morgenstunden dem einzelnen Lernenden zu überlassen und ihm zu gestatten, entsprechend seinem eigenen Biorhythmus früh oder nachmittags mehr zu arbeiten.
Diese Schule wird das organisierte Lernen in einen Zeitraum legen, in welchem die unterschiedlichen Typen in hohem Maße leistungsfähig sind. Diese Schule wird die Lernenden aber auch befähigen, mit ihrem Biorhythmus bewusst umzugehen.
Mit aller Deutlichkeit: Unterrichtsbeginn und Schulbeginn sind nicht dasselbe. Unterricht und Lernen sind nicht identisch.
Ich könnte mich an dieser Stelle mit meinen Ausführungen zum PDS-Schulwegeantrag wiederholen: Wenn wir nicht dafür sorgen, dass sich die Schulen selbst in ihrer Planung und Organisation auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden einstellen, dann werden wir auch das Problem der unterschiedlichen Biorhythmen nicht lösen. Die herkömmliche Schulkultur wird dies nicht leisten, sondern immer den einen oder den anderen Typen benachteiligen.
Unsere Schulen brauchen Anregung und Unterstützung, um entsprechende Impulse aufnehmen und sich Gedanken darüber machen zu können, wie ein flexibler Schulalltag organisiert werden kann. Sie sehen – wie so oft –, dass einfache Lösungen politisch-medial zwar gut zu transportieren sind, aber weder das Problem lösen noch der politischen Kultur dienen.
Lange Schulwege, frühes Aufstehen, schulische Überlastung – all das sind zweifellos Probleme, die viele Bürgerinnen und Bürger bewegen. Die Antworten, die Sie – oder letztens die PDS – geben, scheinen sehr plausibel zu sein, sind aber, genauer betrachtet, grober Unfug. Wir sind gehalten, die Probleme zu lösen, und nicht auf dem Rücken der Betroffenen parteipolitische Profilierung zu betreiben. Wir sind sehr wohl gehalten, auf gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zurückzugreifen, aber in einer der wissenschaftlichen Arbeit vergleichbaren Seriosität. Einfach ein paar Brocken aufzuschnappen, die gerade ins Bild passen, und anderes einfach wegzulassen, kann fatale Folgen haben.
Die Fragen des Biorhythmus sind bei weitem komplexer und individueller, als dass man sie mit einem verordneten späteren Schulbeginn auch nur annähernd lösen könnte. Die Antwort lautet: Individualisierung auf der Grundlage selbstregulierten Lernens in eigener Verantwortung.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben der Antragsbegründung der FDPFraktion nichts hinzuzufügen. Einen späteren Schulbeginn halten wir in medizinischer, biologischer und sozialer Hinsicht für sinnvoll.
Den Rest der Rede gebe ich zu Protokoll; sonst würde ich die Hälfte von dem wiederholen, was schon gesagt worden ist.