Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als mein Kind noch kleiner war, haben mein Sohn und ich gern die Häschenschule gelesen. Martin Dulig, der Lehrer hätte dir für das, was du soeben gesagt hast, bestimmt die Ohren lang gezogen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Aber eine solche Schule wollen wir ja nicht!)

Stellen Sie sich vor, wir hätten eine wohnortnahe Schule, in der die Kinder morgens ausgeschlafen erscheinen, die schon geöffnet ist, in der der Lehrer wartet, quasi als Gastgeber seine Schülerinnen und Schüler empfängt und in der man sich gemeinsam auf den Unterricht freut.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: In Sachsen?)

Diese Schule könnte zum Beispiel eine Ganztagsschule mit rhythmisiertem Unterricht sein, also nicht im Aneinanderheften von 45-Minuten-Takten bestehen, sondern im Abpassen von Leistungskurven.

(Marko Schiemann, CDU: Bis abends 20:00 Uhr!)

Die Halbtagsschule, die wir haben – schon in der Nacht aufstehen, zur Schule fahren, mittags oder am frühen Nachmittag wieder zu Hause sein und sich vor die Glotze oder die Playstation setzen –, ist eine Verschwendung von Leistungspotenzial.

Wir müssen, wenn wir dem Antrag der FDP-Fraktion zustimmen, hinzufügen: Es geht hier darum, Schulpolitik zu betreiben, Schulstrukturen zu verändern. Der spätere Unterrichtsbeginn ist nur ein Teilaspekt, den wir natürlich begrüßen, weil er der Weg in die richtige Richtung ist. Der zweite Schritt ist aber erst dann getan, wenn wir eine neue, moderne Schule haben,

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

eine Schule, die nach dem Prinzip arbeitet: Hier unterrichten wir keine Fächer, hier unterrichten wir Schüler. Die Schülerinnen und Schüler stehen dann nämlich im Mittelpunkt.

Was haben wir im wirklichen Leben in Sachsen? Unausgeschlafene Schülerinnen und Schüler, die morgens gestresst aus einem überfüllten Bus steigen und zur Schule gehen müssen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Das ist ganz lieb, Frau Kollegin. Da Herr Dulig ja nicht antworten wollte, möchte ich Ihnen gern die Frage stellen. Wenn es um Liberalisierung geht und darum, ob das die Schulen selbst entscheiden sollen, dann frage ich, ob es richtig ist, dass, egal, was die Schule zum Unterrichtsbeginn entscheidet, die Schule aber keinen Einfluss darauf hat, wie der Schülerverkehr geregelt wird und wann Schüler starten müssen, da das nicht im Entscheidungsbereich der Schule liegt, und ich frage weiter, ob Sie es für vertretbar halten, dass Kinder in der Sächsischen Schweiz um 05:50 Uhr ihren Schulbus besteigen müssen, um rechtzeitig zum Schulbeginn zu kommen?

In Ostsachsen gibt es ja ähnliche Probleme. Ich halte es für absolut fatal, wenn Schülerinnen und Schüler so früh am Morgen aus dem Haus gehen müssen. Der Schülerverkehr wird gern als Argument dafür herangezogen, dass wir so zeitig beginnen müssen, weil die Busse zu dieser Zeit fahren.

Ich persönlich bin der Meinung, dass die Busse nur gefüllt sind, weil die Schüler mitfahren. Deshalb möchte man sich etwas nachfrageorientiert verhalten und natürlich den Busfahrplan so ausrichten, dass er an den Öffnungszeiten der Schulen orientiert ist und die Schulen möglicherweise auch nacheinander angefahren werden können, nicht alle um 07:30 Uhr, 08:00 Uhr oder 08:30 Uhr. Dann hätten wir nämlich dieses Problem gelöst.

Wie sieht es in den Schulen in Sachsen nun tatsächlich aus? Nachdem die Schüler den Bus gestresst verlassen haben, gehen sie in das Schulhaus. Sie werden dort einen halben Tag lang geschult und setzen sich wieder in den Bus und fahren nach Hause. Das hat überhaupt nichts mit modernem Unterricht zu tun. Das ist schlicht und ergreifend eine Frage von altertümlicher Schule. Wir haben vorhin die Stichworte – das war ja insofern richtig von Martin Dulig – von individualisierten Anforderungen, von Unabhängigkeit und selbstständigen Schulen gehört. Aber wenn diese Selbstständigkeit nur darin besteht, alles klaglos zu ertragen, was uns das Sächsische Schulgesetz und die Rahmenbedingungen vorgeben und was uns der Busfahrplan diktiert, dann kommen wir hier keinen Millimeter weiter.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Wer moderne und leistungsorientierte Schulen haben möchte – darum geht es im Wesentlichen, um die Abschlüsse und die Kompetenzen, die vermittelt werden –, der sollte sich hier durchringen und dem FDP-Antrag zustimmen und dann auch den zweiten Schritt gehen: Ganztagsschulen in Sachsen befördern.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion.PDS und der FDP)

Möchte aus den Fraktionen noch jemand dazu Stellung nehmen? – Frau Abg. Henke.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich mache es ganz kurz. Ich möchte nur noch einmal klarstellen. Ich habe das an der Stelle schon so oft gemacht: Wenn wir das als Außenwirkung im Rundfunk übertragen und die Leute unsere Debatte verfolgen, dann gibt es ein Gejammere und Geklage über unser Schulsystem. Man kann es ganz einfach nicht mehr ertragen.

(Beifall bei der CDU)

Ich weiß nicht, in welcher Welt Sie leben, Herr Dr. Hahn. Ich weiß, dass Sie genauso wie ich im Kreistag sitzen. Sie wissen sehr wohl, dass die Schülerbeförderung dort beschlossen und mit den Trägern abgesprochen wird. In den Kreistagen sind die meisten Bürgermeister vertreten. Sie sind Schulträger. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, bleiben Sie doch einmal in der Realität!

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: 05:50 Uhr abfahren!)

Für die Linksfraktion.PDS Prof. Porsch.

Ich möchte nur einen Beitrag als Feststellung bringen. Das kann ich gleich von hier aus machen.

Ich bin Frau Henke für diesen Beitrag sehr dankbar, denn er ist ein sehr gutes und starkes Argument dafür, zum Beispiel wenigstens kommunal das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Uwe Leichsenring, NPD: Da sind wir dafür!)

Herr Abg. Herbst für die Fraktion der FDP.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte natürlich nicht geahnt, dass man mit einem so praktischen Antrag hier eine Systemdiskussion auslöst. Es geht darum, ein Problem zu lösen. Wir halten es nach wie vor für unzumutbar, dass Schüler viertel oder halb sechs auf den Beinen sein müssen, um rechtzeitig in der Schule zu sein.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Man kann zu wissenschaftlichen Erkenntnissen unterschiedliche Meinungen haben, Frau Henke. Wir können der Meinung sein, dass Ihr gesunder Menschenverstand anders aussieht. Ich meine, früher haben auch einmal Leute behauptet, die Erde sei eine Scheibe, und haben fest und tief daran geglaubt. Andere waren der Meinung, dass die CDU eine absolute Mehrheit als ein Naturgesetz für die nächsten 50 Jahre hat. Beide haben sich geirrt.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und der NPD)

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal klarstellen, dass es mir nicht darum geht, Lehrerschelte zu betreiben. Warum Schulen so zeitig beginnen, das hat ganz unterschiedliche Ursachen, vielleicht ist es ein Stück weit auch Tradition, vielleicht noch aus der DDR-Zeit. Ich glaube, da war es überall so, dass zeitiger angefangen wurde, da auch Arbeitsverhältnisse damals eher angefangen haben. Das war damals so. Die Zeiten haben sich geändert und eine moderne Schule muss in der Lage sein, auf ein verändertes Umfeld einzugehen. Das ist der Unterschied zwischen dem, wie Sie Schule verstehen, und dem, wie wir Schule verstehen. Wir wollen optimale Lernbedingungen schaffen und Härten vermeiden. Darum geht es uns, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Ich gebe jetzt dem Herrn Staatsminister das Wort. Herr Flath, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es versuchen, kurz zu machen, und die Redezeit der Staatsregierung etwas schonen.

Herr Herbst, zunächst: Die FDP wurde von Herrn Prof. Porsch als Nachfolgepartei neuen Typs bezeichnet. Dort will ich versuchen, Sie ein bisschen herauszuholen. Es könnte ja auch anders zusammenhängen.

Ich glaube, wenige Tage, bevor Sie Ihren Antrag gestellt haben, war ein Artikel in der „Freien Presse“, auch Heimatzeitung genannt, in dem genau das thematisiert wurde. Vielleicht haben Sie gesagt: Gut, das könnte ein Thema sein, das die Leute im Land bewegt, setzen wir es hier einmal mit auf die Tagesordnung. Dann hört es aber gleich auf mit der Hilfe für die FDP. Mit Schwarz-Gelb wird es wohl so schnell nichts, solange sie nicht ihre Regelungswut aufgeben.

(Beifall bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Es gibt doch eine Verordnung!)

Ich hätte ja von der FDP erwartet, dass sie fragt: Warum müssen Sie das alles in Verordnungen regeln? Wir haben festgelegt, in den Mittelschulen und Gymnasien in der Zeit von 07:00 Uhr bis 09:00 Uhr mit dem Unterricht zu beginnen. Wir haben für die Grundschulen und Förderschulen 07:30 Uhr bis 09:00 Uhr festgelegt.

Sie haben die „Freie Presse“-Ausführung richtig zitiert – ich habe mich als Morgenmuffel bekannt. Hätte mich jemand damals als Schüler gefragt, ich hätte sicherlich ganz klar eher für 09:00 Uhr plädiert.

Ich hätte erwartet, dass die FDP fragt: Muss man das wirklich in einer Verordnung regeln oder kann man nicht so viel Vertrauen haben, dass das vernünftig in den Schulen, in der Schulkonferenz geregelt wird? Wenn es demnächst einen Grund gibt, das zu ändern, dann können wir das sogar weglassen. Ich habe das Vertrauen, dass das in der Schule geregelt wird. Es wird immer ein Kompromiss bleiben. Es gibt Lehrerinteressen, aber es gibt im Übrigen auch Elterninteressen. Ich erinnere mich, als ich im Frühjahr an einer Schule war, die vor der Schließung stand, dass mir die Schüler genau diese Frage gestellt haben: Warum lassen Sie, Herr Minister, diese Schule so früh beginnen? Dann habe ich begonnen, den Schülern zu erklären, dass sie das selbst mitbestimmen dürfen, nämlich über die Schulkonferenz.

Wir haben mit der letzten Novelle des Schulgesetzes dafür gesorgt, dass es eine paritätische Besetzung der Schulkonferenz gibt. Nur, es ist im Land nicht bekannt. Damit kann die Debatte dazu dienen zu sagen: Ja, die Schüler können zu einem Drittel mitbestimmen, wann die Schule beginnt.

Ganz interessant war, dass die Elternvertreterin mit dabei war und sofort die Falle erkannte und sagte, über solche Nebensächlichkeiten reden wir mit dem Minister nicht. Das heißt, es gibt auch Elterninteressen, die durchaus so ausgerichtet sind, weil das eben etwas mit Arbeitsbeginn