Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Glaubte man den Presseerklärungen und den Redebeiträgen aus den Reihen der Koalitionsfraktionen, dann könnte man denken, die heute zur Diskussion stehende Novellierung des Sächsischen Kindertagesstättengesetzes sei eine Sternstunde für die Kinder in Sachsen und für deren Eltern. Natürlich pflegt sich eine Regierungsmehrheit bei einer solchen Gelegenheit zu loben. Anlass dafür besteht allerdings nicht.
Sie sagen, Sie haben im letzten Haushalt mehr Geld für die Kitas in die Hand genommen, für die Pauschale, die erhöht wurde. Aber erinnern Sie sich: Die Dynamisierung hat jahrelang ausgesetzt. – Für den Investitionsbedarf. Aber erinnern Sie sich: Im Haushalt davor wurde sie auf null gesetzt. Und für das Schulvorbereitungsjahr, zu dem jetzt im Gesetz nur ein Wort verankert ist.
Ich meine, wir haben Sie damals in den Haushaltsverhandlungen gelobt. Darauf möchte ich auch einmal hinweisen. Aber es war leider das einzige Lob, das wir im Sozialhaushalt darbieten konnten. Doch heute und hier sprechen wir über die Kita-Gesetzesnovelle, welche Veränderungen sie in Sachsen bringt und welche Vor- und Nachteile sie hat. Dann ist das eine andere Debatte, als diese Diskussion aus den alten Haushaltsverhandlungen wieder hervorzukramen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, Sie haben mit Ihren Wahlprogrammen und mit Ihrer
Koalitionsvereinbarung darüber hinausgehende Hoffnungen geweckt. Gerade in diesem Bereich glaubten nicht wenige, es würde von dem etwas umgesetzt, was insbesondere die SPD bis dato vertreten hatte. Viele haben gehofft, es würde sich in diesem Bereich deutlich zum Besseren wenden. Das ist eben leider nicht der Fall, auch wenn Sie uns das heute vormachen wollen. Denn Sie – und das sage ich gerade in Richtung SPD – machen sich damit nur selbst etwas vor.
Meine Damen und Herren von der Koalition! Mit der heutigen Kita-Gesetzesnovelle versuchen Sie einen Spagat, aber keineswegs einen zwischen dem aus pädagogischer und bildungspolitischer Sicht Nötigen und dem finanziell Machbaren. Einen solchen Spagat würde man Ihnen ja nicht verdenken. Nein, es ist ein anderer Spagat, ein Spagat einerseits zwischen Ihrem Versuch, den Anschein zu erwecken, Sachsen würde sich in punkto frühkindlicher Bildung, wenn schon nicht an der Spitze, so doch wenigstens auf der Höhe der Zeit befinden, und andererseits Ihrem Versuch, klammheimlich die Hintertürchen zu öffnen, durch die mittel- und langfristig eine umfassende Kosten- und damit auch Leistungsreduzierung in diesem Bereich möglich wird.
Wie gesagt, Sie haben es klammheimlich getan, damit es niemandem auffällt, durch ein paar scheinbar nebensächliche Veränderungen, die dem Nichteingeweihten eher harmlos erscheinen. Dennoch hat die Hintertür laut und vernehmlich geknarrt –
im Landesjugendhilfeausschuss ebenso wie bei der Anhörung im Sozialausschuss, von den vielen Reaktionen der Träger ganz zu schweigen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich mache es gern konkret. Für die verheerende deutsche Bildungsbilanz bei „Pisa“ gab es folgende Befunde:
Erstens. Es wird zu spät und zu wenig in frühkindliche Bildung investiert. Nur im Osten Deutschlands gab es überhaupt ein vorschulisches Bildungssystem, welches mit dem unserer nördlichen und westlichen Nachbarn in Europa vergleichbar war. Doch diese vorhandenen Infrastrukturen sind in den letzten 15 Jahren immer wieder infrage gestellt und häufig stiefmütterlich behandelt worden.
Der zweite Pisa-Befund: Nirgends sonst in Europa selektiert ein Bildungssystem so stark nach der sozialen Herkunft wie gerade in Deutschland.
Worin besteht nun hier Ihr Spagat? – Ja, das Gesetz setzt nunmehr die Bildung an die erste Stelle in Krippe, Kindergarten und Hort vor Erziehung und bloßer Betreuung. Sie machen im Gesetz den Bildungsplan zum Maßstab der pädagogischen Arbeit, was wir sehr begrüßen, zumal die CDU hier auch ihre Meinung geändert hat. Aber auf der anderen Seite tun Sie praktisch nichts, um die Ausgren
Aber das Gesetz lässt den kommunalen Kämmerern genau diesen Weg zu Einsparungen offen. Angesichts klammer Kassen ist dort nahezu kein Weg zum Einsparen mehr verboten.
Frau Schwarz, ich verstehe Sie hier vorne nicht. Aber vielleicht können Sie dann unserem Änderungsantrag zur Ausweitung des Rechtsanspruchs zustimmen.
Die Kämmerer haben diesen Weg natürlich entdeckt und genutzt. In den vergangenen drei Jahren wurden nahezu flächendeckend die Zugangskriterien in Kitas eingeführt, mancherorts zu den Krippen, anderenorts zu den Horten, in zahlreichen Kreisen wurde sozusagen die Ermäßigung für die Eltern abgesenkt und vielerorts ist selbst der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durch eine halbtägige Betreuung unterlaufen.
Weder die alte Regierung noch die neue haben diesem Treiben wirksam einen Riegel vorgeschoben. Sie sparen nicht selbst, meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie lassen sparen. Freilich haben Sie verbal meistens gegen so genannte Zugangskriterien diskutiert und sich von ihnen distanziert, so auch im Koalitionsvertrag. Ich möchte darauf noch einmal hinweisen. Aber was hilft das den Eltern? Was hilft es den frühzeitig von Bildung ausgeschlossenen Kindern, wenn an ihrer Misere dann eben nicht das Land, sondern die kommunale Selbstverwaltung schuld sein soll?
Sie haben bei der Vorberatung des Gesetzes wiederum abgelehnt, einen Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Kita-Platz zu schaffen. Sie haben die Meinung der Bildungsexperten ignoriert. Sie haben unseren entsprechenden Änderungsantrag im Ausschuss abgelehnt. Aber Sie haben auch einen FDP-Änderungsantrag abgelehnt, der wenigstens die Ganztägigkeit im Kindergarten sicherstellen sollte. Wer soll Ihnen denn noch glauben, dass Sie niemanden ausschließen wollen?
einen Rechtsanspruch von null Jahren bis zum Ende der Grundschulzeit hat und dieses ganztägig, gesetzlich festgeschrieben?
Sehr geehrte Damen und Herren! Wer soll Ihnen noch glauben, nachdem Sie im Ausschuss die verquaste Formulierung, die Sie jetzt in das Gesetz hineingeschrieben haben, dem vorgezogen haben, was auch der Juristische Dienst empfohlen hat? Das war kein Antrag der Opposition, sondern ein Vorschlag des Juristischen Dienstes, damit Klarheit in diesem Bereich besteht und das sozusagen missbrauchsfest gefasst wird. Der Juristische Dienst hat auf die Gefahren hingewiesen. Aber sowohl das interessiert Sie nicht als auch die Aussage des Landesrechnungshofes.
Ich möchte darauf hinweisen, dass der aktuelle Landesrechnungshofbericht deutlich gemacht hat, dass es nicht hinnehmbar ist, dass in Sachsen in unterschiedlichen Kreisen in unterschiedlichem Maße Kinder aus Kitas ausgeschlossen werden.
Nein, Sie wollen die Gefahr nicht wirklich abwenden. Sie wollen sich die Hintertür für Zugangskriterien eben offen lassen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich bringe einen zweiten Hauptpunkt der Kritik an diesem Gesetz: die Kindertagespflege. Die Fachwelt ist sich einig, dass Tagespflege eigentlich nur ein ergänzendes Angebot für Kinder sein kann, die – aus welchen Gründen auch immer – für eine Einrichtung nicht geeignet sind oder von einer solchen nicht erreicht werden, und natürlich auch für Kinder, bei denen sich die Eltern Tagespflege wünschen. Ginge es nur darum, wäre alles in Ordnung.
Aber in den letzten Jahren hat man in den Großstädten begonnen, die wohlgemerkt erst im Vorfeld geschaffenen Versorgungsengpässe bei Krippenplätzen in größerem Stil mit Tagespflegeplätzen zu überbrücken. Arbeitslose Frauen mit und ohne pädagogische Ausbildung gab es ja genug. Da die Tagespflegeplätze in Kommunen natürlich wesentlich preiswerter sind als Krippenplätze, begannen die unter Sparvorhaben ächzenden JugendamtsmitarbeiterInnen eine weitere Einsparmöglichkeit zu wittern. Um diese freilich richtig zu erschließen, ist eine winzige Gesetzesänderung nötig. Tagespflege soll künftig nicht mehr nur im privaten Haushalt angeboten werden können, sondern auch in anderen kindgerechten Räumen.
Es klingt so harmlos, es klingt so kinderfreundlich. Aber wir stehen mit einer solchen Regelung vor einem Abgrenzungsproblem zwischen Kindertageseinrichtung und Tagespflege. Denn schon wenn zwei Tagespflegepersonen benachbarte Räumlichkeiten für Tagespflege anmieten und miteinander kooperieren, verschwimmt die bisher klare Abgrenzung zur Einrichtung. Denn es werden damit
Wie wollen Sie denn künftig verhindern, dass es in einer Gemeinde statt der Kinderkrippe plötzlich ein Kindertagespflegezentrum gibt, in dem mehrere juristisch selbstständige Tagesmütter ihre Betreuungsleistung anbieten?
Wir sind in Sachsen bisher sehr gut damit gefahren, keine Großtagespflege zuzulassen. Wir halten es als Linksfraktion.PDS für falsch, diesen Weg zu verlassen.
Aus diesem Grund lehnen wir übrigens auch den Gesetzentwurf der FDP-Fraktion ab, der sich allein auf diese Frage beschränkt.
Sie untergraben damit nicht nur den Bestand von Kindergärten und Kinderkrippen, sondern Sie untergraben auch die klassische familien- und haushaltsgebundene Kindertagespflege – weshalb sich übrigens, Herr Hähle, der Interessenverband der Tagesmütter und Tagesväter vehement gegen diese Neuregelung gewandt hat.