Protokoll der Sitzung vom 16.03.2006

(Beifall bei der NPD)

Für die Koalition spricht der Herr Abg. Schowtka von der CDU-Fraktion.

(Jürgen Gansel, NPD: Ach, der edle Patriot!)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dieser von chauvinistischer Arroganz und Menschenverachtung geprägten Rede fällt es mir schwer, sachlich zu bleiben.

(Proteste bei der NPD)

Herr Apfel, wir hätten gern auf den Zuzug von Ihnen nach Sachsen verzichten können.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS – Holger Apfel, NPD: Das entscheiden Sie nicht!)

Meine Damen und Herren! Eigentlich gefällt der kleiner gewordenen Fraktion der NPD der gesamte Prozess der europäischen Einigung nicht, der uns immerhin die längste Friedensperiode in der Geschichte Europas gesichert hat. Das wird schon aus dem Titel ihres Antrages deutlich, indem sie den international anerkannten Begriff „Europäische Union“ – ein Subjekt des Völkerrechts übrigens, mit fast einer halben Milliarde Einwohner – in Anführungszeichen setzt. Ich finde das einfach lächerlich. Um diese ungeliebte Europäische Union machen Sie sich plötzlich Sorgen und wollen sie vor dem Beitritt der Balkanländer Rumänien und Bulgarien bewahren. Das ist unheimlich rührend, aber unglaubwürdig.

Wir wissen selbst nur zu gut, dass beide Länder als ehemalige Mitgliedsstaaten des so genannten sozialistischen Lagers ein schweres Erbe mit sich schleppen, von dem sie sich nicht allein und über Nacht befreien können. Das Pro-Kopf-Einkommen beider Länder, beide Länder zusammen mit knapp 30 Millionen Einwohnern, erreicht nicht einmal ein Drittel des EU-Durchschnitts. Verdienen sie nicht deshalb die Solidarität der Europäer, wie sie uns und den anderen früheren Ostblockstaaten zuteil geworden ist? Ich fürchte, hätten 1990 bei der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes allein finanzielle Gründe den Ausschlag gegeben, hätten wir die deutsche Einheit nie erlebt.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Zugegeben, nach dem Beitritt von zehn neuen EUMitgliedern im Mai 2004 und der Ablehnung des europäischen Verfassungsvertrages durch die Wähler in Frankreich und den Niederlanden machen sich viele Menschen in Europa Sorgen, eine zu rasche Fortsetzung des Erweiterungsprozesses ginge zulasten der Akzeptanz der europäischen Idee unter den Bürgern, eine geografische Überdehnung der EU gefährde ihre notwendige innere Konsolidierung und würde sie zur bloßen Freihandelszone mutieren lassen oder zu einer Spaltung in eine Kernunion und eine Randunion führen. Die Sorge ist, die Vision der europäischen Wertegemeinschaft könnte auf der Strecke bleiben. Diese Bedenken sollten ernst genommen und nicht leichtfertig beiseite geschoben werden. Darauf

haben die Mitglieder des zuständigen Arbeitskreises meiner Fraktion auch in einem Gespräch mit dem Beauftragten des Erweiterungskommissars, Olli Rehn, im vergangenen Sommer in Brüssel in Bezug auf beide Beitrittskandidaten hingewiesen.

Ihrerseits wurden im Schreiben der Generaldirektion Erweiterung vom Juni 2005 der Stand der Vorbereitungen beider Länder auf den Beitritt kritisiert und die Bereiche, in denen Defizite bestehen, benannt. Im Hinblick auf Bulgarien bestehen demnach ernsthafte Sorgen über den Stand der Vorbereitungen in den Bereichen Dienstleistungsfreiheit, Gesellschaftsrecht, Landwirtschaft, Umwelt sowie Justiz und Inneres, in denen dringend Abhilfemaßnahmen geboten seien.

(Uwe Leichsenring, NPD: Das haben wir ja alles gesagt!)

Im Hinblick auf Rumänien bestehen – das steht im Bericht der Generaldirektion Erweiterung und kommt nicht aus dem Mund von Herrn Apfel! – ernsthafte Sorgen über den Stand der Vorbereitungen in den Bereichen Warenverkehrsfreiheit, Gesellschaftsrecht, Wettbewerb, Landwirtschaft, Steuern, Umwelt, Justiz und Inneres. Beide Länder haben also noch fleißig Schularbeiten zu machen.

Der gestern wegen Korruptionsvorwürfen erzwungene Rücktritt des rumänischen Parlamentspräsidenten und früheren Ministerpräsidenten Adrian Nastase ist für mich ein Zeichen, dass man die EU-Kritik ernst nimmt.

Meine Damen und Herren! Es geht aber auch um die Glaubwürdigkeit der EU, um die Einhaltung des Vertrages von Nizza und des Verfassungsvertrages. Wie heißt es so schön: „Pacta sunt servanda“. Mit Rumänien und Bulgarien wurde am 25. April 2005 ein Beitrittsvertrag unterzeichnet. Beide Staaten sollen grundsätzlich im Januar 2007 beitreten. Nach dem Beitrittsvertrag kann der Beitritt von Rumänien und/oder Bulgarien um ein Jahr verschoben werden, falls Probleme bei der Vorbereitung eintreten.

Ein solcher Beschluss kann von den Mitgliedsstaaten einstimmig auf der Basis einer Empfehlung der Kommission gefasst werden.

Meine Damen und Herren! Die Kommission wird Berichte und Empfehlungen im Mai dieses Jahres vorlegen. Die Entscheidung des Europäischen Rates ist im Juni 2006 zu erwarten. Es kann und darf keinen Automatismus beim EU-Beitritt von Rumänien und Bulgarien geben.

Auf sächsische Initiative hat am 26. Oktober vergangenen Jahres die deutsche Europaministerkonferenz den Beschluss gefasst, dass ein Beitritt Rumäniens und Bulgariens nur dann infrage kommt, wenn diese Länder die Bedingungen für eine Mitgliedschaft erfüllen. Davon wird auch das Votum im Bundesrat zum kommenden Ratifizierungsvertrag beeinflusst sein.

Ich darf noch einmal nachdrücklich darauf hinweisen: Der Beitritt Rumäniens und Bulgariens zum 1. Januar 2007 ist an die Erfüllung klar definierter Voraussetzungen gebun

den. Eine Entscheidung über die Ratifizierung des Beitrittsvertrages mit beiden Ländern wird im Lichte der Fortschrittsberichte und Empfehlungen der Europäischen Kommission zu treffen sein.

Namens der Koalitionsfraktionen bitte ich das Hohe Haus, den Antrag der NPD-Fraktion abzulehnen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Für die Linksfraktion.PDS Herr Abg. Kosel, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die jetzige Einbringung des vorliegenden Antrags durch die NPDFraktion ist, gelinde gesagt, in sich widersprüchlich sowie niveau- und sinnlos. Der Antrag selbst ist verlogen und wäre somit nicht der Gegenrede wert, wenn er nicht auch klar kulturfeindlich wäre und eine tief sitzende Menschenfeindlichkeit der Einbringer offenbaren würde. Europäisch dem Geiste nach ist er sowieso nicht, obgleich er ein europäisches Thema aufgreift. Der Geist – besser: der Ungeist –, der diesem Antrag innewohnt, steht unseren Vorstellungen von Europa diametral entgegen.

(Uwe Leichsenring, NPD: Dann müssen Sie einen anderen Antrag vorliegen haben! Es steht nichts davon drin!)

Meine Damen und Herren! Sinnlos sind der Antrag und auch die heutige Befassung damit schon aufgrund des geplanten weiteren Verlaufs der Aufnahmeprozedur für Bulgarien und Rumänien. Dem Ansinnen des Antragstellers nach soll Sachsen im Bundesrat gegen die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien zum 1. Januar 2007 auftreten. Fadenscheinig wird der Antrag mit den Defiziten begründet, die beiden Ländern noch im letzten Fortschrittsbericht vom 25. Oktober 2005 aufgezeigt wurden. Dabei beruft sich der Antragsteller hier im Hause, wie gesagt, auf den vergangenen Fortschrittsbericht, will aber den nächsten nicht abwarten, der am 16. Mai dieses Jahres, also in zwei Monaten, vorliegen wird.

(Zuruf von der NPD: Weil die Entscheidung vorher fällt!)

Die Entscheidung fällt nicht vorher. Hören Sie zu!

Eine erstaunliche, eine verräterische Eile, fürwahr, ist doch allgemein bekannt, dass die Entscheidung darüber – jetzt hören Sie zu! –, ob Bulgarien und Rumänien am 1. Januar 2007 oder erst später, am 1. Januar 2008, der EU beitreten können, auf der Grundlage der neuen Fortschrittsberichte getroffen wird. Dort wird sich zeigen, wie weit Bulgarien und Rumänien mit der Erfüllung der Aufnahmekriterien vorangekommen sind. Dann wird auf der Basis des aktuellsten Datenmaterials über den angemessenen Beitrittszeitpunkt für Bulgarien und Rumänien entschieden. Falls erforderlich, kann er auch nach dem 1. Januar 2007 angesetzt werden.

Wieso also diese nervöse Hast bei der NPD? Augenscheinlich fürchtet man bei Apfel und Co., Bulgarien und Rumänien könnten die EU-Aufnahmefähigkeit im Endspurt erreichen. Vorbei dann die Möglichkeit für das schändliche Spiel der Abschottung und Ausgrenzung!

Meine Damen und Herren! Erst im Juni dieses Jahres entscheidet der Europäische Rat über die neue EUErweiterung. Dann erst kommt dies auf die Parlamente der Mitgliedstaaten und damit auch auf Bundestag und Bundesrat zu, realistischerweise wohl erst nach der parlamentarischen Sommerpause. Über den Beitrittszeitpunkt wird aber im Bundesrat nicht entschieden. Also ist der Antrag auch vom zeitlichen Ablauf her sinnlos.

Nochmals gesagt: Die Eile macht den Antragsteller verdächtig, jetzt noch in den alten Fortschrittsberichten enthaltene Kritikpunkte zu missbrauchen, um den Beitrittskandidaten zu unterstellen, sie seien den Aufnahmebedingungen nicht gewachsen. Das ist schädlich und verlogen. Vorsätzlich werden dadurch von der NPDFraktion die bekannten Potenziale der Beitrittsverhandlungen ignoriert, hat doch die Politologin Annel Ute Gabanyi in der Studie „Rumänien vor dem EU-Beitritt“ klar herausgearbeitet:

„Die Erfahrung der bisherigen Beitrittsverhandlungen hat gezeigt, dass es gerade die Verbindung von Konditionalität und Anreizen war, die die Regierungen der Beitrittsländer dazu motiviert hat, ihren zur Erreichung der Beitrittsfähigkeit eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen.“

Aber darauf kommt es der NPD-Fraktion nicht an.

Verlogen ist der Antrag auch deshalb, weil er nicht auf die Verbesserung der Lage in den Beitrittsländern baut und so tut, als ginge es der NPD – ausgerechnet der NPD! – um die Entwicklung der Korruptionsbekämpfung oder des Umweltschutzes in Bulgarien und Rumänien oder gar um die Erfüllung der Beitrittskriterien, zum Beispiel beim Minderheitenschutz für die Roma. An all dem hat die NPD keinerlei Interesse.

(Uwe Leichsenring, NPD: Das ist ein Märchenonkel!)

Meine Damen und Herren! Menschenfeindlich ist der Antrag deshalb, weil er darauf gerichtet ist, zwei traditionsreiche Staaten und Kulturnationen aus einer der prägenden Regionen Europas von der zivilisatorischen, wirtschaftlichen und, worauf die Linkspartei besonders zielt, der sozialen Entwicklung in Europa abzukoppeln. So wie die NPD mit ihrer Anhängerschaft im Inland „Ausländer raus!“ ruft, so möchte sie die Völker von Bulgarien und Rumänien nicht in die EU lassen,

(Uwe Leichsenring, NPD: Lügner!)

aus rein nationalistischer, aus rassistischer Erwägung.

Kulturfeindlich ist der Antrag der NPD auch deshalb, weil er verrät, dass der Antragsteller mit der Vielfalt und dem damit gegebenen Reichtum der Kulturen nichts im Sinn hat. Wer ein wenig in der rumänischen oder bulgarischen

Kultur, Kunst, Literatur und Volkskunst bewandert und für kulturelle Erlebnisse offen ist, wird mit der Aufnahme der beiden Länder in die EU Hoffnung auch für diese Gebiete verbinden. Die NPD jedoch will nicht den kulturellen Austausch, sondern die Abschottung.

Meine Damen und Herren! Wir lehnen diese Abschottung ab! Wir wollen Europa. Wir wollen die europäische Integration. Wir bejahen die Europäische Union, sehen aber einige Entwicklungstendenzen durchaus kritisch. Unsere Position zu Europa ist klar und eindeutig: Die EU darf nicht zum Bollwerk des Sozialabbaus, zur militanten Großmacht, zum Forum hegemonialer Bestrebungen gegen andere Länder oder zur rein bürokratischen Struktur werden.

Wir möchten ein Europa seiner Bürgerinnen und Bürger, ein Europa, das von unten zusammenwächst, weil es zusammengehört. Wir wollen Europa in guter Verfassung, in einer besseren als der bisher vorgelegten.

Deshalb sehen wir die Erweiterung der EU, die wir dem Grundsatz nach bejahen, in ihrer konkreten Umsetzung teilweise kritisch. Noch allzu oft wird über die Köpfe des Normalbürgers hinweg vieles in eine Passform gebracht. Gleichzeitig fehlt es mitunter am nötigen Maß an Solidarität in der EU. Wir lehnen es deshalb klar und eindeutig ab, Beitrittsstaaten, die den Beitrittsanforderungen entsprechen, durch politische Tricks am EU-Beitritt zu hindern.

Doch das alles geht an der NPD vorbei, wie auch der Antrag zeigt: Destruktiv bis zum Letzten, konstruktiv nicht im Geringsten – also ablehnungswürdig aus jeder vernünftigen Sicht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Es sind keine weiteren Redner angekündigt. Bleibt das so von denen, die jetzt dran wären? – Dann zur allgemeinen Aussprache Herr Dr. Müller, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute hier geführte Debatte hat wieder einmal gezeigt, wie naiv und fahrlässig in Deutschland über Schicksalsfragen diskutiert wird, die schon aus Gründen der politischen Korrektheit kaum noch als solche angesprochen werden dürfen. Bei Ihnen muss nur das Zauberwort „Europa“ fallen, und schon spielen Rationalität und die berechtigte Wahrung eigener Interessen keine Rolle mehr. Anscheinend erwarten Sie von den Bürgern allen Ernstes, dass sie ohne breite öffentliche Diskussion einem EU-Beitritt zweier Staaten zustimmen, deren Geldbedarf – das ist nun einmal unstrittig – einem Fass ohne Boden gleichkommt.