Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute hier geführte Debatte hat wieder einmal gezeigt, wie naiv und fahrlässig in Deutschland über Schicksalsfragen diskutiert wird, die schon aus Gründen der politischen Korrektheit kaum noch als solche angesprochen werden dürfen. Bei Ihnen muss nur das Zauberwort „Europa“ fallen, und schon spielen Rationalität und die berechtigte Wahrung eigener Interessen keine Rolle mehr. Anscheinend erwarten Sie von den Bürgern allen Ernstes, dass sie ohne breite öffentliche Diskussion einem EU-Beitritt zweier Staaten zustimmen, deren Geldbedarf – das ist nun einmal unstrittig – einem Fass ohne Boden gleichkommt.
Die Vehemenz, mit der Sie uns hier stets als „Europafeinde“ verketzern, ist erstaunlich; denn Sie messen offensichtlich mit zweierlei Maß. Schließlich hat sich kein Geringerer als der immer noch nicht anwesende Ministerpräsident Prof. Milbradt selbst am 4. Mai vergangenen
Jahres in der Tageszeitung „Die Welt“ gegen die Erweiterung der EU um Rumänien und Bulgarien ausgesprochen. Der Ministerpräsident bejahte damals die gestellte Frage, ob die Unterstützung der Beitrittsakte verfrüht war, und begründete seine Ansicht wie folgt – ich zitiere –: „Wir sehen doch die Konsequenzen der vorigen EUOsterweiterung, insbesondere das Problem der Dienstleistungsfreiheit. Die Bevölkerung erwartet zu Recht, dass die Politik zunächst die daraus resultierenden Missstände revidiert, bevor jetzt schon wieder die nächste Erweiterung vollzogen wird.“
Genau darum, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollte es uns in dieser Debatte gehen, um eine kühle analytische Abwägung aller mit dem eventuellen Beitritt von Rumänien und Bulgarien verbundenen Probleme. Es darf hier keine Automatismen und Denkverbote geben; denn für Sachsen geht es bei dieser Frage einfach um zu viel. Schon jetzt zählen die mitteldeutschen EU-Regionen Leipzig und Halle durch den Beitritt von zehn neuen Ländern zur EU im Jahre 2001 zu den „reicheren“ Gebieten, die jedoch allein der statistische Effekt über die 75-%-Marke des Bruttosozialprodukts in Europa befördert hat.
Das droht mit einem Beitritt von Bulgarien und Rumänien nun auch den Regierungsbezirken Chemnitz und Dresden, denn wenn das Europa der 27 Realität werden sollte, werden sechs der zehn ärmsten Regionen in den Landesgrenzen Rumäniens liegen. Es geht bei der Frage des Beitritts Rumäniens und Bulgariens zur EU also auch für den Freistaat Sachsen ganz konkret um handfeste Zukunftschancen, die immer einen materiellen und finanziellen Aspekt haben.
Es geht in Zukunft auch nicht länger an, dass den Deutschen von der Politik vorgegaukelt wird, sie würden von der EU profitieren. Das ist nachweislich falsch, denn Deutschland gehörte seit den Anfängen der Montanunion und der EU nicht nur immer zu den europäischen Nettozahlern, sondern ist mit einem Nettoüberschuss von mehr als sieben Milliarden Euro pro Jahr auch der Zahlmeister Nummer eins innerhalb der EU. Nur der kleinste Teil dieser deutschen Steuergelder fließt über EU-Programme wieder nach Mitteldeutschland, was allein schon ein politischer Skandal ist, denn Deutschland wäre schon aufgrund der grundgesetzlichen Vorgabe zur Schaffung gleicher Lebensverhältnisse in Deutschland dazu verpflichtet, zuerst die Jahrhundertaufgabe Wiedervereinigung abzuschließen, bevor es jedes Jahr Milliardensummen an andere europäische Länder verschenkt.
Wenn bei einem EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens nicht einmal mehr dieser kleine Teil der deutschen Gelder nach Mitteldeutschland zurückfließt, wäre der Gipfelpunkt der Ausbeutung des deutschen Steuerzahlers erreicht. Er würde dann seine eigene wirtschaftliche Selbstabschaffung bezahlen, denn mit den Milliardensubventionen könnten Bulgarien und Rumänien ihre Investitionen
Ich muss diese Verteilungsfragen hier in aller Deutlichkeit ansprechen. Vergessen wir bitte nicht, dass neben der wegen der EU-Osterweiterung infrage stehenden Ziel-1Förderung auch die Mittel aus dem Solidarpakt innerhalb der Bundesrepublik bis zum Jahr 2019 deutlich zurückgehen werden und die Haushalte der mitteldeutschen Bundesländer damit auf eine doppelte Zerreißprobe zusteuern. Den schon jetzt leicht abzusehenden Schaden werden auch diesmal wieder die sozial Schwächsten unseres Landes zu zahlen haben. Selbst Mindestlöhne werden unseren Arbeitsmarkt vor dem zu erwartenden millionenfachen Ansturm aus Rumänien und Bulgarien nicht schützen können, zum einen, weil Bußgelder bei Unterschreiten des Mindestlohnes im Ausland kaum eingetrieben werden können, und zum anderen, weil sich immer mehr Ausländer als Selbstständige anmelden und damit jede Mindestlohnregelung umgehen können. Da ist es kein Wunder, wenn Harald Schrörs, Geschäftsführer beim Zentralverband des deutschen Baugewerbes, nur noch feststellen kann, dass wir in Deutschland einen Vollstreckungsnotstand haben. Von diesem Umstand wird die Landespolitik auch dann nicht ablenken können, wenn sie, wie im vergangenen Jahr, eine Debatte über mehr Kontrollen an den sächsischen Landesgrenzen vom Zaun bricht, denn der gesamte Erweiterungsprozess und nicht nur seine Umsetzung oder bestimmte Einzelaspekte dieses Prozesses ist verfehlt.
Wer für die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in die EU ist, der soll sich nicht nur in einer Selbstbeweihräucherung als vermeintlich guter Europäer ergehen, der soll sich auch vor die Menschen des Freistaates, das Volk, also den Souverän, stellen und ganz offen bekennen, dass er mit dieser Entscheidung Europa wieder einen großen Schritt an die soziale und politische Katastrophe bringt. Nur unter dieser Voraussetzung würde die heutige Debatte wieder etwas an Ehrlichkeit gewinnen.
Zu Ihnen, Herr Kollege Schowtka: Ich weiß nicht, wann Sie zuletzt in Bulgarien waren oder ob Sie überhaupt schon einmal dort waren. Ich wage zu bezweifeln, dass die Defizite, die im vorigen Jahr bestanden haben, bis zu diesem Termin je aufzuholen sind – selbst mit bestem Willen nicht.
Kollege Kosel, Ihr Multikulti-Wahn macht die Kultur der Völker kaputt. Nicht die Erhaltung der Völker, sondern dieses multikulturelle Zusammenwerfen macht den Schaden.
Meine Damen und Herren! Ich frage die Staatsregierung, ob sie dazu sprechen möchte. – Herr Staatsminister Tillich, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Abg. Dr. Müller, das war wieder eine Ihrer üblichen ärmlichen Schaufensterreden. Sie brauchen uns nicht den Reflex vorzuwerfen, wenn Sie selbst einen Reflex haben, wenn das Thema „Europa“ zum Gegenstand der Debatte wird, denn dann beschreiben Sie Untergangsszenarien oder Katastrophenszenarien, und ich habe schlichtweg eine Bitte: Unterlassen Sie es, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Ihren Reden zu zitieren und die Zitate als Begründung herbeizuziehen.
Das habe ich nicht getan. Es geht nicht um politische Feigheit, sondern um Missbrauch von Zitaten bzw. um deren Interpretation.
Lassen Sie mich für die Staatsregierung in drei Punkten auf den vorliegenden Antrag eingehen. Ich bitte die Damen und Herren von der NPD schon, dass sie zuhören.
Einer Bundesratsinitiative bedarf es nicht, weil sich der Bundesrat beim Beitritt von Bulgarien und Rumänien ohnehin mit der Frage der Ratifizierung befassen muss. Diese Beteiligung der Länder ist bereits jetzt sichergestellt und der Freistaat Sachsen würde sich schlichtweg einfach lächerlich machen, würde er dem vorliegenden Antrag zustimmen. Er würde zum Ausdruck bringen, nicht einmal die Verfahrensabläufe im Bund und in den Ländern zu kennen. Herr Dr. Müller, das allein ist naiv und fahrlässig.
Der Antrag ist auch aus einem zweiten Grund unseriös. Die Europäische Kommission wird im Mai dieses Jahres einen Abschlussbericht vorlegen. Diesen wird die Staatsregierung sorgfältig auswerten und dann entscheiden, wie im Interesse des Freistaates Sachsen und der Bundesrepublik Deutschland abgestimmt werden soll. Das ist, glaube ich, seriöse Politik auch im Interesse der Menschen im Freistaat Sachsen.
Auf Initiative Sachsens hat die Konferenz der Europaminister der Länder bestätigt, dass eine Entscheidung über die Ratifizierung im Licht der Fortschrittsberichte und Empfehlung der Kommission getroffen wird. An diesem Vorgehen wird die Sächsische Staatsregierung festhalten. Das bedeutet aber auch, diese Berichte erst einmal zur Kenntnis zu nehmen, will man sich nicht dem Vorwurf der Schaumschlägerei aussetzen.
Ich bleibe dabei, dass der Weg nach dem Beitritt durch einen neuen Mitgliedsstaat sicherlich sehr lang ist. Wir sehen das bereits bei den Ländern der Erweiterungsrunde des Jahres 2004. Ich greife das Beispiel der Arbeitnehmerfreizügigkeit heraus. Noch auf Jahre bleibt der Zugang zu unserem Arbeitsmarkt verwehrt, um unsere Arbeitsplätze weitestgehend vor unfairem Wettbewerb zu schützen. Genauso gibt es für die alten Mitgliedsstaaten noch eine Reihe von Möglichkeiten, Schutzmaßnahmen
gegen Bulgarien und Rumänien zu beantragen. Sollten die neuen Mitgliedsstaaten das Funktionieren des Marktes beeinträchtigen, – –
Meine Damen und Herren! Sie sehen also, es ist bereits Vorsorge getroffen. Panikmache ist ein schlechter politischer Stil und er ist heute auch sachlich und fachlich nicht gerechtfertigt.
Auch im Bereich der inneren Sicherheit sind im Übrigen Vorkehrungen getroffen. Mit Europol wächst ein Instrument, um den Herausforderungen offener Grenzen in Europa, für die wir uns gemeinsam vor 1989 und auch heute eingesetzt haben, gerecht zu werden.
Damit komme ich zum dritten Punkt. Ob für oder gegen den Beitritt Rumäniens, eines zeigt der Wunsch vieler Nationen, Mitglied in der Europäischen Union zu werden, doch eindrucksvoll: Sie alle wollen in eine Gemeinschaft demokratischer Länder aufgenommen werden, einer Demokratie, wie sie von der NPD abgelehnt und sogar bekämpft wird.
Die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft unternehmen den Versuch, eine Verständigung bei vielen Herausforderungen zu suchen und den Menschen auf Dauer Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu gewährleisten. Ich weiß auch, dass dies nicht immer gelingt. Ich weiß aber auch, dass Sie, meine Damen und Herren von der NPD, bereits die demokratische Grundhaltung Deutschlands
und der europäischen Mitgliedsländer ablehnen. Dies gefährdet den Frieden, die Sicherheit und den Wohlstand hier in Sachsen und darüber hinaus.
Unsere Aufgabe ist es, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen und ihre Probleme zu lösen. Anstifter haben noch nie ein Feuer gelöscht. Deshalb bitte ich das Parlament um ein starkes Signal gegen den populistischen Antrag der NPD.
trag gehört habe, muss ich mich wundern, dass das in Sachsen ministrabel ist. Das erschüttert mich zutiefst.
Schauen Sie sich den Antrag an. Auch Herr Kosel kann noch einmal zuhören. Er scheint viel bei den Gebrüdern Grimm nachgelesen zu haben. In unserem Antrag steht nichts, was sich gegen die Menschen in Rumänien und Bulgarien richtet. Ich war oft dort und kenne die beiden Länder. Ich kann den Wunsch der Länder durchaus nachvollziehen, in die EU zu kommen. Aber dass Länder, in denen es mehr Pferdefuhrwerke als Autos gibt, in die EU einzugliedern sind, halte ich für ein Gerücht. Die EU liegt uns nur insofern am Herzen – –
Da haben Sie Recht, es ist nicht unser Kind. Insofern polemisieren wir gegen die EU, um endlich mit dieser Geldverschwendung Schluss zu machen. Was die Einheit Deutschlands mit der EU-Erweiterung zu tun haben soll, Herr Schowtka, das erklären Sie mir mal zu späterer Stunde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie brauchen sich wahrlich nicht zu wundern, dass das Vertrauen der Menschen in die Politik zunehmend schwindet und EUkritische Töne Hochkonjunktur erhalten. Die Sozialsysteme geraten durch die demografische Entwicklung aus den Fugen, Hunderttausende Arbeitsplätze sind durch die Konkurrenz aus Billiglohnländern bedroht. Das monatelange Feilschen um den Finanzrahmen der EU zeigt den Bürgern, wie teuer eine Vergrößerung wirklich ist, weil viele auf Fördermittel zugunsten der ärmeren Regionen verzichten müssen. Von der demografischen Zeitbombe bis zum Geburtenschwund, der Überalterung und der mit ihr verbundenen Masseneinwanderung aus der Dritten Welt ist bei den EU-Gipfeln kein Wort zu hören.