Protokoll der Sitzung vom 17.03.2006

Nun ist völlig klar: Dieses Institut hat Herrn Milbradt eine Woche vor der Landtagswahl zum „Ministerpräsidenten des Jahres“ gekürt, um sozusagen eine kleine Wahlkampfhilfe und -unterstützung zu geben, damit die CDU in Sachsen wiedergewählt wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte.

Bitte, Herr Morlok.

Frau Runge, nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich diesen Sachverhalt, den Sie hier vorgetragen haben, im letzten Jahr nach der Landtagswahl unter heftigem Protest der Staatsregierung genauso dargelegt habe?

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wir haben das schon vor zwei Jahren gesagt!)

Außerdem ist völlig klar: Mit dem Wegfall dieser staatlichen Hilfen für eine Sonderkonjunktur wird auch das Wirtschaftswachstum in Sachsen wieder auf das normale Maß schrumpfen, und dies ist mit minus 0,1 % im vergangenen Jahr so geschehen.

Nun hellen sich die Wachstumsprognosen bundesweit auf und davon wird eventuell auch Sachsen profitieren. Allerdings, wenn ich höre, dass die Mehrwertsteuer im nächsten Jahr um 3 % erhöht werden soll, bin ich fest

davon überzeugt, dass dieser neue Wachstumskurs, der jetzt in Gang gekommen ist, abgebremst wird, und zwar enorm, und dass damit zusätzlich Arbeitsplätze gefährdet werden.

Ich weiß auch – ich gebe meiner Kollegin Ingrid Mattern völlig Recht –, dass die Wachstumsphilosophie allein die ostdeutschen Probleme nicht lösen wird. Wir haben seit 1997 in allen ostdeutschen Ländern ein Wachstums- und Beschäftigungsproblem. Die Schere zwischen Ost und West geht immer weiter auf, sie schließt sich nicht. Man muss endlich von dieser Wachstumsphilosophie Abschied nehmen. Davon bin ich fest überzeugt.

Ostdeutschland hat ein strukturelles Problem. Das hat etwas mit der Art und Weise des Wiedervereinigungsprozesses zu tun; denn im Verlauf dieses Vereinigungsprozesses wurde das ostdeutsche Vermögen zu 95 % in den Westen umverteilt. In einer Region, in der Menschen zu DDR-Zeiten weder Vermögen noch Geldkapital akkumulieren konnten, kann diese strukturelle Schwäche, die sich vor allem in der schwachen Eigenkapitalquote bei sächsischen und ostdeutschen Unternehmen zeigt, nicht behoben werden.

Deshalb vertreten Experten die Auffassung, dass man eine Sonderregelung zur Vermögensbildung in Ostdeutschland braucht, um diese strukturelle Schwäche entscheidend zu bekämpfen. Eine noch so klug ausgetüftelte Wirtschaftsförderungspolitik hilft über diese strukturelle Schwäche einfach nicht hinweg.

In diesem Sinne denke ich: Ohne Wachstum wird es nicht gehen, aber allein Wachstum wird dieses strukturelle Problem zwischen Ost und West nicht beheben können.

Bitte zum Schluss kommen!

Erst wenn sich die Politik in Bezug auf dieses strukturelle Problem verständigt und sich von diesem Wachstumstraum verabschiedet, werden wir in der Lage sein, richtige Konzepte und Handlungsempfehlungen durchzusetzen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Wird von der SPD-Fraktion das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall. NPD-Fraktion? – Ebenfalls nicht. GRÜNE? – Ebenfalls nicht. Dann frage ich die FDP, ob sie noch einmal das Wort ergreifen möchte. – CDU? – Nicht mehr.

Meine Damen und Herren, dann erteile ich der Staatsregierung das Wort; Herr Staatsminister Jurk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Mein sehr verehrten Damen und Herren! Hier am Pult blinkt schon das Redezeitende. Das ist sicherlich ein technischer Defekt. Ich habe aber vor, doch noch etwas zu sagen, auch wenn ich mich gefragt habe, warum die FDP diese Debatte auf die Tagesordnung gebracht hat. Zu dieser Thematik ist schon sehr viel Wahres gesagt worden.

Die Anzeige zeigt immer noch minus 17, minus 18!

Das Minus können Sie jetzt auf der positiven Seite verbuchen.

Gut, Herr Präsident.

(Heiterkeit bei der FDP)

Wissen Sie, Sie von der FDP finden immer alles so spaßig. Ich will Sie mit den harten und nackten Zahlen konfrontieren. Das ist auch wichtig. Das haben Sie verlangt und insofern erwarte ich bei diesem Thema, das wirklich einen Einfluss auf den Arbeitsmarkt hat, doch wenigstens die gebührende Ernsthaftigkeit.

(Beifall bei der CDU und den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe mir die Zahlen sehr genau angeschaut. Die sächsische Wirtschaft ist im ersten Halbjahr 2005 um 0,7 % geschrumpft. Im zweiten Halbjahr hat sich ihre Dynamik deutlich verstärkt, sodass sie im gesamten Jahr 2005 bereits wieder ein nahezu ausgeglichenes Ergebnis gegenüber dem Vorjahr erreicht hat. Dies ist umso beachtlicher, als es bei den neuen Ländern insgesamt gegenüber dem ersten Halbjahr kaum eine Verbesserung gab. Die Landesarbeitsgemeinschaft der sächsischen Industrie- und Handelskammern kommt in ihrer Konjunkturumfrage zum Jahreswechsel zu dem Schluss: Die Wirtschaft Sachsens ist wieder auf Wachstumskurs.

Ausschlaggebend für die Entwicklung im vergangenen Jahr war der starke Rückgang im Baugewerbe. Dafür war vor allem das Auslaufen der Flut-Sonderkonjunktur verantwortlich. Darauf ist von mehreren Debattenrednern zu Recht hingewiesen worden.

Die amtliche Statistik hat noch keine Zahlen zur Bruttowertschöpfung des Baugewerbes im letzten Jahr veröffentlicht. Mein Haus hat sich an das Statistische Landesamt gewandt und erfahren, dass sich der Rückgang der Bruttowertschöpfung definitiv im zweistelligen Bereich bewegt. Im Vergleich dazu ist die Bauwirtschaft in den beiden anderen Jahren noch um 1,6 % gewachsen. Das waren die beiden Jahre, in denen die sächsische Bauwirtschaft eben Impulse durch die Beseitigung der Flutschäden erhielt.

In den anderen neuen Ländern verlief die Entwicklung im gleichen Zeitraum deutlich ungünstiger. Dort schrumpfte die Bauwirtschaft 2003 zwischen 10 und 4 % und 2004 um weitere 3 bis 4 %. Das zeigt, dass sich in den anderen neuen Ländern diese Schrumpfung der Bauwirtschaft in den letzten Jahren kontinuierlich vollzog. In Sachsen war sie aufgrund der Beseitigung der Flutschäden unterbrochen und hat sich dann im vergangenen Jahr umso stärker fortgesetzt.

Seit dem zweiten Halbjahr 2005 zeigen sich aber Besserungstendenzen. So verringerte sich das Minus im Bauhauptgewerbe von fast 23 % im ersten Halbjahr auf 12 % im zweiten Halbjahr. Die Auftragseingänge stiegen um

10 %. Vom verarbeitenden Gewerbe kamen erneut Wachstumsimpulse. Sie reichten nicht aus, um den Einbruch im Baugewerbe auszugleichen. Umsatzrückgänge zu Beginn des letzten Jahres im baugewerbenahen Bereich, mitverursacht im Fahrzeugbau aufgrund des starken Euro, führten dazu, dass die Industrie „mit angezogener Handbremse“ ins Jahr 2005 fuhr. Im weiteren Verlauf des Jahres konnte sie aber deutlich an Fahrt zunehmen.

Wurde in den ersten sechs Monaten nur ein Umsatzplus von 4 % erzielt, so waren es im zweiten Halbjahr 15 %. Diesen positiven Trend bestätigen auch die Auftragseingänge. Sie haben im November/Dezember im Vergleich zum Vorjahr um 34 % zugenommen.

Diese Dynamik spiegelt sich im Ifo-Geschäftsklimaindex für die gewerbliche Wirtschaft Sachsens wider. Er ist zuletzt kräftig gestiegen. Zu Beginn des neuen Jahres haben die sächsischen Unternehmen sowohl ihre aktuelle Lage als auch die Perspektiven für die nächsten sechs Monate deutlich optimistischer beurteilt als in den Vormonaten. Im Februar erreichte der sächsische Klimaindikator das höchste Niveau seit Frühjahr 1995. Die seit Sommer letzten Jahres feststellbare konjunkturelle Belebung hat sich offenbar gefestigt.

Auch die sächsischen Industrie- und Handelskammern kommen in ihrer bereits zitierten Konjunkturumfrage zu dem Ergebnis, dass die Lage optimistischer eingeschätzt wird und dass die Zuversicht und die Investitionsbereitschaft der sächsischen Unternehmen zugenommen haben. Schon heute spricht alles dafür, dass Sachsen im Jahre 2006 wieder erkennbar wächst. Das Ifo-Institut prognostiziert für das laufende Jahr bereits wieder ein Wachstum für den Freistaat von 2,1 %. Das ist deutlich höher als das mit 1,7 % für Ostdeutschland oder Gesamtdeutschland vorhergesehene Wachstum.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Lage auf dem Arbeitsmarkt kann niemanden zufrieden stellen, mich am allerwenigsten. Sie wird aber mit Sicherheit nicht besser, wenn wir den Standort schlechtreden. Wir brauchen keine Schwarzmalerei und keine billige Polemik. Was wir brauchen, ist eine ehrliche und nüchterne Diskussion.

(Beifall der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Dazu gehört die Feststellung: Wir hatten Anfang 2005 eine Wachstumsdelle. Von einer schwindenden Dynamik kann jedoch keine Rede sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, langfristige Trends sagen sehr viel mehr über die Dynamik einer Wirtschaft aus als kurzfristige Abweichungen vom Trend. Deshalb weise ich an dieser Stelle ausdrücklich auf drei weitere Entwicklungen hin, die belegen, wie dynamisch die sächsische Wirtschaft tatsächlich ist.

Seit 2000 hat Sachsen mit Bayern das höchste Wirtschaftswachstum in Deutschland. In keinem anderen deutschen Land ist die gesamtwirtschaftliche Produktivität, gemessen am Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen, seit 2000 so stark gestiegen wie in Sachsen. Die Industrie

als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung kommt in Sachsen immer besser voran. Seit 1996 hat ihr Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung ständig zugenommen – und das, obwohl andere Länder über eine Deindustrialisierung klagen. In Sachsen wird die Industrie immer stärker. Ihre Exportquote hat sich deutlich nach oben entwickelt: von 13 % Mitte der neunziger Jahre auf zuletzt 31 %. Das ist Ausdruck der gestiegenen Wettbewerbsfähigkeit unserer sächsischen Wirtschaft.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Es wäre schön, wenn die FDP auch solche Entwicklungen wahrnehmen würde. Dann würden Sie, meine Damen und Herren von der FDP, auch registrieren, dass erste positive Meldungen vom Arbeitsmarkt kommen. Der Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung hat sich im Jahresverlauf 2005 im Vergleich zum Vorjahr fast halbiert. Im verarbeitenden Gewerbe gab es eine Stabilisierung der Beschäftigung. Diese Entwicklung korrespondiert mit einer leichten Erhöhung der den Arbeitsagenturen gemeldeten Stellen.

Die sächsische Wirtschaftspolitik setzt alles daran, die wirtschaftliche Dynamik des Freistaates weiter zu stärken. Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft über hohe Qualität, steigende Produktivität und vor allem mit Innovationen ausbauen.

Dazu werden wir – erstens – die Entwicklung in allen Regionen vorantreiben, um alle Wachstumspotenziale zu nutzen – in den Ballungsräumen, aber auch in den strukturschwachen Regionen. Nicht zuletzt das Förderprogramm Regionales Wachstum dient der Unterstützung guter Ideen und Projekte in diesen Regionen und ist absolut keine Gießkannenförderung.

Zweitens. Wir werden die Forschungs- und Verkehrsinfrastruktur weiter ausbauen.

Drittens. Wir verfügen in Sachsen über hoch qualifizierte Fachkräfte. Diesen Standortvorteil wollen wir ausbauen, indem wir die berufliche Qualifizierung und Weiterbildung stärken. Damit künftig alle jungen Menschen in Sachsen eine berufliche Perspektive haben, werden wir die Ausbildungsförderung angemessen fortsetzen. Die Abwanderung gut ausgebildeter und leistungsbereiter Menschen wird nicht zu Unrecht als eine Bedrohung zukünftiger Chancen betrachtet. Hier wirken sich die deutlich niedrigeren Löhne aus. Auch das macht deutlich: Niedriglöhne für anspruchsvolle Höchstleistungen – das geht nicht lange gut.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und der CDU)

Viertens. Die vielfältige Unternehmenslandschaft aus Großbetrieben, einem starken Mittelstand und einem gesunden Branchenmix müssen wir weiter entwickeln. Dazu werden wir sowohl unsere erfolgreiche Ansiedlungspolitik fortsetzen als auch die Bestandspflege ausbauen.

Fünftens. Unser besonderes Augenmerk gilt dem einheimischen Mittelstand, der das Rückgrat unserer Wirtschaft

darstellt. Die Stärkung seiner Innovationsfähigkeit hängt wesentlich von der besseren Vernetzung zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen ab. Deshalb werden wir die Technologie- und Netzwerkförderung auf hohem Niveau fortführen und die Arbeit der Verbundinitiativen stärken. Ich will es Ihnen sehr deutlich sagen. Deshalb liegt mir auch daran, dass wir das, was wir in der Vergangenheit gut konnten – den Umgang mit modernen Textilien beispielsweise oder auch mit der Bahntechnik –, jetzt unter dem Stichwort „Neue Verbundinitiativen“, wie „Technische Textilien“ oder „Bahntechnik“, neu aufstellen. Denn ich glaube, dass diese Potenziale in Sachsen vorhanden sind und dass wir sie noch besser zur Wirkung bringen sollten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sachsen hat in den vergangenen Jahren bereits viel erreicht. Wir verfügen über starke wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenziale und damit über gute Voraussetzungen für eine weitere erfolgreiche Entwicklung. Lassen Sie uns diese gemeinsam nutzen – zum Wohle der Menschen bei uns in Sachsen.