Protokoll der Sitzung vom 17.03.2006

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sachsen hat in den vergangenen Jahren bereits viel erreicht. Wir verfügen über starke wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenziale und damit über gute Voraussetzungen für eine weitere erfolgreiche Entwicklung. Lassen Sie uns diese gemeinsam nutzen – zum Wohle der Menschen bei uns in Sachsen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Wird noch das Wort gewünscht? – Herr Morlok, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Staatsminister Jurk, wir sind in vielen Punkten gar nicht so weit auseinander. Aber wenn man hergeht – und das ist eigentlich eine Frage der politischen Ehrlichkeit – und das Absinken des Wachstums auf minus 0,1 % mit dem Fluteffekt erklärt – es ist sicherlich zu einem großen Teil mit dem Fluteffekt zu erklären, da gebe ich Ihnen vollkommen Recht –, dann kann man nicht so tun, als ob die Wachstumsraten der Vorjahre Ergebnis der eigenen Arbeit, der eigenen Wirtschaftspolitik gewesen sind. Denn wenn das mit dem Fluteffekt so ist, dann stecken in den Wachstumsraten der Vorjahre, die sehr positiv waren, ganz erhebliche flutindizierte Impulse. Dann muss man sich auch gefallen lassen, dass man diese Effekte aus den Wachstumsraten herausrechnet. Dann war Sachsen auch schon im Jahr 2004 nicht mehr mit Bayern an der Spitze.

Ich denke, dass das eine wichtige Frage in der politischen Diskussion ist, auch in der Ehrlichkeit der politischen Diskussion. Wenn wir uns gemeinsam darauf verständigen könnten, dass das so ist und dass die hohen Wachstumsraten der letzten beiden Jahre mit durch die Flut gekommen sind, wenn wir in dieser Bewertung einig wären, Herr Staatsminister Jurk, dann wäre es einfacher, auf dieser gemeinsamen Basis zu überlegen, wie es weitergehen kann. Ich denke, wenn wir uns anschauen, wie es weitergehen kann und was gemacht werden muss, dann sind wir wirklich nicht so weit auseinander.

Wir haben ausdrücklich anerkannt, dass wir im verarbeitenden Gewerbe 6,4 % Steigerung in der Bruttowertschöpfung haben. Das haben wir anerkannt und darauf

können wir aufbauen. Aber die Staatsregierung sollte doch bitte nicht hergehen und sich mit fremden Federn schmücken, um die eigene Wirtschaftspolitik schönzureden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Wird weiter das Wort gewünscht? – Herr Minister, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Morlok, wissen Sie, politische Ehrlichkeit ist so eine Sache, auch bei der FDP. Aber ich habe mich nie an das Pult hier gestellt, ohne darauf hinzuweisen, dass ich natürlich auch auf dem aufbaue, was meine Vorgänger geschaffen haben. Das will ich ganz ehrlich zugeben. Da gab es einen Wirtschaftsminister Schommer, einen Herrn Gillo, die versucht haben – sicherlich politisch anders motiviert als ich –, die Probleme im Land anzupacken. Das verniedliche ich nicht, das verheimliche ich auch nicht und dabei ist vieles richtig gelaufen.

Es gibt Dinge, die ich jetzt anders mache, die ich anpacke. Aber deshalb akzeptiere ich doch, was vorher anders gelaufen ist. Deshalb habe ich übrigens, als ich Fraktionsvorsitzender der SPD war und in der Opposition saß, genau dasselbe gesagt wie heute: Jawohl, es gab konjunkturelle Sondereffekte aufgrund der Flut.

(Zuruf des Abg. Sven Morlok, FDP)

Das habe ich nie anders dargestellt. Mich wundert einfach, dass Sie durch mehrfaches Wiederholen versuchen, ständig so zu tun, als sei das nicht gesagt worden. Das ist hier bekannt.

Deshalb, sehr geehrter Herr Morlok, haben Sie mich an Ihrer Seite, wenn wir uns Gedanken darüber machen, wie wir das Wirtschaftswachstum weiterhin so positiv entwickeln können. Das muss unsere gemeinsame Aufgabe sein. Deshalb habe ich Ihnen auch gesagt, was ich an dieser Stelle ausdrücklich tun will. Ich will nämlich alle Potenziale nutzen, die in diesem Land liegen.

Deshalb ist es mir auch so wichtig, dass wir, wenn wir am Wochenende innerhalb der Regierung über die Frage der Neuausrichtung der Strukturfondsförderung sprechen, in dem Bereich Innovation, Forschungs- und Technologiepolitik einen wesentlichen Schwerpunkt setzen. Denn ich denke, dass das der entscheidende Vorteil ist, den wir in einer globalen Welt brauchen: die guten Ideen, die wir in Sachsen haben, die gute Forschungslandschaft noch besser mit der Wirtschaft zusammenzubringen.

(Sven Morlok, FDP, nickt zustimmend.)

Das sind Wachstumspotenziale, die ich sehe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe, es gelingt am Wochenende. Ich bin optimistisch.

Wir sollten aus dieser Debatte eines mitnehmen, auch wenn ich nicht derjenige bin, der sagt, Wachstum würde unsere Arbeitsmarktprobleme lösen, weiß Gott nicht: Aber wir sollten sehen, dass wir in Sachsen wirklich etwas erreicht haben. Ich habe bei vielen Messen Unternehmer getroffen, die berichtet haben, dass sie im letzten Jahr Wachstumsraten, Wachstumssteigerungen von 30 % zu verzeichnen hatten.

Das ist das, was man herausheben muss. Man muss über das sprechen, was diese Unternehmen geleistet haben, sich das als Beispiel nehmen und positiv argumentieren. Man muss nicht das tun, was Sie gemacht haben – sicherlich aus politischem Kalkül –: alles schlechtreden. Das hilft uns an dieser Stelle nicht weiter.

Ich denke, wir haben einen Grund, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Wir müssen es nur richtig anpacken.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Wird weiter das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Damit ist die 1. Aktuelle Debatte, beantragt von der Fraktion der FDP zum Thema „Schwindende Wirtschaftsdynamik in Sachsen als Gefahr für den Arbeitsmarkt im Freistaat“, abgeschlossen.

Wir kommen jetzt zu

2. Aktuelle Debatte

Stand und Perspektiven der Gemeinschaftsschule in Sachsen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wie immer hat zuerst eine Vertreterin der Antragstellerin, der Fraktion der GRÜNEN, das Wort, danach CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, NPD, FDP und Staatsregierung, wenn gewünscht.

Die Debatte ist eröffnet. – Frau Günther-Schmidt, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sprechen heute über den Stand und die Perspektiven der Gemeinschaftsschulen in Sachsen. Hier könnte man es sich sehr einfach machen und sagen: „Stand: eine, Perspektive: schlecht.“

Die Koalition hat es tatsächlich geschafft, zum Ende ihres zweiten Amtsjahres nur eine einzige Gemeinschaftsschule in Gang zu setzen, in Geithain. Das macht nicht den Eindruck, als ob die Verantwortlichen ernsthaft bemüht wären, dieses Projekt voranzubringen. Wenigstens hätte man, um den Schein zu wahren, dafür Sorge tragen müssen, dass eine zweite Gemeinschaftsschule zur gleichen Zeit startet, um Vergleiche zu ermöglichen.

(Zuruf des Abg. Martin Dulig, SPD)

Herr Dulig, Sie können gern eine Zwischenfrage stellen. – Da Gemeinschaftsschulen in ihrer Entwicklung wissenschaftlich begleitet werden, wäre dies durchaus sinnvoll.

Aber wo liegt das Problem? – Es geht darum, in Sachsen längeres gemeinsames Lernen über die vierte Grundschulklasse hinaus zu ermöglichen. Allen wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Trotz und ungeachtet der positiven Ergebnisse in anderen Ländern tobt hier der Streit der Ideologen. Denn längeres gemeinsames Lernen würde bedeuten, sich vom mehrgliedrigen Schulsystem in Sachsen zu verabschieden, und das will die CDU nicht.

(Zuruf von der CDU: Richtig!)

Eine Schulstrukturdebatte soll nicht geführt werden. Viel lieber versteckt man sich hinter den Pisa-Ergebnissen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dennoch müssen Sie sich folgende Fragen gefallen lassen: Welchen Sinn macht es, schon mit zehn Jahren die berufliche Laufbahn von Kindern zu bestimmen? Welches Menschenbild versteckt sich hinter dem dreigliedrigen Schulsystem?

Die Gemeinschaftsschule in Sachsen wäre ohnehin lediglich ein Hilfskonstrukt, da es sich in Wahrheit nicht um eine Schule handelt, sondern um die Kooperation mehrerer Schulen, die ihre Schülerinnen und Schüler nach acht gemeinsamen Jahren dann an das alte Schulsystem übergeben müssen. Dennoch eröffnet sich die Möglichkeit, mit der Gemeinschaftsschule in Sachsen die Vorteile des längeren gemeinsamen Lernens zum Wohle der Kinder zu nutzen. Gemeinschaftsschulen lassen niemanden zurück.

Ob frühes Talent oder Spätstarter – alle werden unabhängig von ihrer sozialen Herkunft individuell gefördert und gefordert. Gemeinschaftsschulen sollen Ganztagsschulen sein. Eine neue Lehr- und Lernkultur kann sich etablieren. Schule wird zum Lebensraum, in dem Starke Schwachen helfen und in dem auch die Starken von den Schwachen lernen können. Gemeinschaftsschule sichert Mindestkompetenzen auf hohem Niveau. In der Gemeinschaftsschule wird nicht immer auf niedrige Schularten abgeschoben. Die Förderung Leistungsschwacher soll garantieren, dass alle die Schule mit Mindestkompetenzen – deutlich über dem jetzigen Hauptschulabschluss – verlassen. Die Gemeinschaftsschule sichert eine wohnortnahe Unterrichtsversorgung. Mit der Gemeinschaftsschule werden lange Schulwege aufgrund unterschiedlicher Schularten vermieden. Schulnetzplanung wäre nicht mehr gleichbedeutend mit Schulschließung.

Auch konservative Bildungspolitiker müssen angesichts der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklung im Lande das mehrgliedrige Schulsystem auf den Prüfstand stellen. Eine Gesellschaft, deren Bevölkerung deutlich und anscheinend unaufhörlich schrumpft, muss neue Lösungswege suchen. Wir können es uns nicht länger erlauben, Kinder aus sozial benachteiligten Familien zurückzulassen und diese mit einem schlechten Hauptschulabschluss oder gar ohne Schulabschluss als Verlierer beim Kampf um Ausbildungsplätze ins soziale Abseits zu stellen.

Hans-Werner Sinn vom Ifo-Institut – eher unverdächtig, alternative oder sogar grüne Ideen gut zu finden – fordert, man müsse die Diskussion um die Gesamtschule noch einmal führen.

Er schreibt: „Das dreigliedrige Schulsystem, mit dem wir weltweit nahezu allein stehen, passt nicht mehr in die heutige Zeit. Es reflektiert die Dreiklassengesellschaft des 19. Jahrhunderts. Früher sprach man ehrlicherweise von der Volksschule, der Mittelschule und der Oberschule. Damit gab man implizit zu, dass man für das Volk, die Mittelschicht und die Oberschicht drei verschiedene Schulen vorgesehen hatte. Heute spricht man verschämt von der Hauptschule, der Realschule und dem Gymnasium. Die Verwendung der neuen Namen ändert aber kaum etwas daran, dass mit dem deutschen Schulsystem die bestehende Ungleichheit der Gesellschaft zementiert wird.“

Die Gemeinschaftsschule wäre ein Weg, auf soziale, bildungspolitische und wirtschaftspolitische Aspekte und Erfordernisse des gesellschaftlichen Umbruchs einzugehen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Colditz, bitte.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Er nimmt seine Rede, die er immer hält!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss mit Blick auf den Einwurf meines Fraktionsvorsitzenden tatsächlich feststellen, dass wir gebetsmühlenartig immer die gleichen Diskussionen führen.

(Beifall bei der CDU)