Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

(Staatsministerin Helma Orosz: Da haben Sie nicht zugehört!)

Da geht die Diskussion in eine ganz andere Richtung. Sie erwähnen nicht die Förderung der Familienverbände und nicht den sächsischen Familienpass, der vor sich hindümpelt. Sie erwähnen auch den immer noch fehlenden Altenhilfeplan nicht – eine Sache, die übrigens angesichts unserer alternden Gesellschaft bitter nötig wäre. Lassen Sie sich das heute – übrigens am Tag der älteren Generation – gesagt sein.

Sie haben wohl erwähnt, dass der Freistaat ehrenamtliches Engagement mit 6,5 Millionen Euro jährlich fördert. Sie haben nur leider vergessen zu sagen, dass diese Unterstützung schon einmal viel größer war. Wenn Sie auf ein stabiles Netz an Ehe-, Familien-, Lebens- und Schuldnerberatungsstellen verweisen, dann kann ich nur sagen: Ich habe die Diskussionen der letzten Jahre ganz anders in Erinnerung.

Sie sagen übrigens auch nichts dazu, wie ein konstruktives Vorgehen für mehr Arbeitsplätze konkret aussehen soll. Wo sind denn Ihre Bundesratsinitiativen zur Besserstellung von Familien innerhalb Hartz IV? Allein das Kinderparlament in den Sommerferien wird es wohl nicht herausreißen.

Zu einer Stelle möchte ich unbedingt nachfragen: Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sachsen der Mehrwertsteuererhöhung im Bundesrat nicht zustimmen wird, wenn für Kinderartikel nicht der ermäßigte Mehrwertsteuersatz kommt?

(Staatsministerin Helma Orosz: Da haben Sie nicht zugehört, das ist Ihr Problem!)

Darauf würden wir noch einmal zurückkommen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin! Sie haben ein anderes Leitbild Familie gefordert, nur leider nicht gesagt, was für eines. Es ist nämlich nicht überall, wo das schöne Wort Familie draufsteht, auch wirklich Familie drin. So geistern in der Familiendiskussion eine Reihe bizarrer Vorschläge durch den Raum. Der Ministerpräsident überraschte uns mit der Diskussion zu einem so genannten Familienwahlrecht und Frau Orosz hat sich dem heute angeschlossen.

(Staatsministerin Helma Orosz: Schon vor zwei Jahren!)

Eltern sollen für ihre minderjährigen Kinder zusätzliche Stimmen bekommen. Das Familienwahlrecht sei zwar verfassungsrechtlich umstritten, doch könnten damit die Interessen der künftigen Generation stärker geschützt und die Politik gezwungen werden, einen echten Ausgleich zwischen den Generationen zu suchen. So wird der Ministerpräsident zitiert. Doch wenn selbst schon der Ministerpräsident über die notwendige familienpolitische Einsicht verfügt, wozu bedarf es dann eigentlich noch eines so genannten Zwanges gegenüber der Politik, mit dem ganz nebenbei solch elementare Wahlrechtsgrundsätze wie die Gleichheit der Wahl bzw. die Unmittelbarkeit der Wahl beseitigt werden?

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wer von Ihnen, meine Damen und Herren – ich muss einmal in die Runde fragen –, hat denn die Staatsregierung an einer besseren Familienpolitik gehindert? Das ist wirklich billige Symbolpolitik. Anstelle wirklich familienpolitisch zu handeln, soll den Leuten suggeriert werden, ein Rückfall in die Wahlrechtsvorstellung des 19. Jahrhunderts hätte irgendetwas mit moderner Familienpolitik zu tun.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Solche abstrusen Gedankenspiele sind nett und sie kosten eben kein Geld. Kurzum: Auch dieser Vorschlag wird noch eine Weile herumgeistern, sich aber für moderne Familienpolitik als untauglich erweisen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Auch jenseits solcher abstrusen Vorschläge ist heutzutage viel von einem Mehr in der Familienpolitik die Rede. Dabei gibt es sehr unterschiedliche Vorschläge. Es gibt zum einen das Konzept, das Geld nicht weiter in individuelle Transferleistungen – also Kindergeld, Erziehungsgeld und Ähnliches – zu stecken, sondern in den Auf- und Ausbau familienfreundlicher Infrastruktur, zum Beispiel von Kindertagesstätten, Grundschulen, Familiencentern etc. Dieser Ansatz ist prinzipiell richtig, gerade auch im Hinblick auf die bildungspolitischen Aspekte – zumindest dann, wenn die so geförderten Einrichtungen allen Familien und Kindern ohne jede Einschränkung offen stehen. Hierbei haben wir leider zum Teil andere Erfahrungen gemacht.

Ein weiterer Vorschlag ist das Elterngeld, welches nicht nur die Vereinbarkeit von Kind und beruflicher Karriere ermöglicht, sondern auch die Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Kindererziehung und in der Gesellschaft befördern soll. Diesen Ansatz unterstützen wir ausdrücklich. Deshalb haben wir dies schon seit Jahren gefordert, beispielsweise im Bundestag in der vorletzten Legislaturperiode. Bei der Ausgestaltung scheint nun freilich die Berliner Koalition nicht recht voranzukommen.

Daneben haben erneut Konzepte Konjunktur, die wiederum darauf setzen, gut und besser Verdienenden verstärkt

steuerliche Vorteile einzuräumen. So wird zum Beispiel von Ihnen eine Veränderung des Steuerrechts gefordert, bei der an die Stelle des überkommenen Ehegattensplittings ein so genanntes Familiensplitting treten soll. Bei der Abschaffung des Ehegattensplittings sehen Sie uns an Ihrer Seite. Aber man muss es nicht noch verschlimmern.

Wir bleiben dabei: Staatliche Unterstützungsleistungen für Kinder und Familien haben nichts im Steuersystem verloren.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Dort wirken sie immer sozial ungerecht; denn je höher das Einkommen der Familie, desto höher die Steuerersparnis. Die am meisten haben, können so am meisten sparen. Ganz egal, welchen familienpolitischen Mix CDU und SPD in Berlin uns am Ende anbieten werden – im Moment wird eher heftig symbolisch gerungen, alle Konzepte haben einen Pferdefuß: Solange es nicht gelingt, zum Beispiel durch Vermögensteuer oder Streichung des Ehegattensplittings, zusätzliches Geld in den Familienetat zu lenken – solange also nur die bestehenden Haushaltsmittel umverteilt werden – so lange gehen auch die besten Vorschläge letztendlich immer zulasten derjenigen, die die Unterstützung der Gesellschaft am meisten brauchen. Einschränkungen müssen diejenigen hinnehmen, die ohnehin am wenigsten haben: Familien, die in Armut leben oder unmittelbar davon bedroht sind. Deren Zahl hat sich mit Hartz IV erheblich erhöht.

Wissen Sie eigentlich, welche Ängste es auslöst, wenn ein Finanzminister locker davon spricht, zur Gegenfinanzierung des kostenfreien Vorschuljahres schnell etwas vom Kindergeld zu streichen? Das sind Ängste bei all jenen am unteren Ende der Einkommensleiter, deren Kinder vielleicht schon im Schulalter sind, bei denen aber jeder einzelne Euro im Rahmen des ohnehin knappen Familienbudgets längst verplant ist; es sei denn, sie gehören zu jenen, die sowieso seit Monaten auf die Auszahlung ihres Kindergeldes durch die Familienkasse Bautzen warten müssen.

Nicht minder zynisch ist es, mit penetranter Permanenz die Elternbeiträge in Kitas dem kostenfreien Erststudium gegenüberzustellen, wie das die CDU in Sachsen immer wieder tut. So werden systematisch verschiedene Generationen gegeneinander ausgespielt. Mit Familienpolitik hat das nichts zu tun.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das Ergebnis dessen könnte sein, dass diejenigen, die nach dem Jahre 1990 erstmals für Krippe und Kindergarten etwas bezahlen mussten, nach Jahrzehnten nun auch die Ersten sein werden, die ihr Studium selbst oder mit Unterstützung der Eltern bezahlen müssen. Der Gipfel an Zynismus ist es, wenn man, wie der CDUGeneralsekretär, Eltern, die nicht optimal für ihr Kind sorgen, mit der Streichung des Kindergeldes droht. Damit werden die betroffenen Kinder – die Kinder wohlgemerkt – doppelt bestraft. Überforderte Eltern brauchen Hilfe und Unterstützung – keine Strafe.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Aber spätestens seit Hartz IV wissen wir: Die Drohung, Geld zu kürzen, scheint für manchen Stammtischpolitiker eine Allzweckwaffe zu sein.

Was wir brauchen, ist nicht immer wieder ein zu kurz gedachtes Reizreaktionsschema, welches die Leute zum Kinderkriegen und Kindererziehen animieren soll, sondern wir brauchen eine langfristige Verlässlichkeit von Politik und die Sicherheit für Menschen, dass sie in schwierigen Lebenssituationen nicht von der Gesellschaft und vom Staat im Stich gelassen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich ist es uns bewusst, dass viele familienpolitische Instrumente auf Bundesebene beschlossen werden. Aber auch dort kann und muss das Land Sachsen seine Stimme erheben. Was wir in Sachsen aber auf jeden Fall angehen müssen, ist das Ausschöpfen unserer landespolitischen Möglichkeiten. Dabei gibt es genug zu tun. Wir als Linksfraktion haben in den letzten Jahren eine Menge Vorschläge in die Diskussion gebracht. Öffnen Sie sich endlich für eine konsequente Einführung von Ganztagsschulen! Dazu gehört ein wenig mehr als ein paar zusätzliche Stunden am Nachmittag. Entwickeln Sie mit uns gemeinsam einen Stufenplan zur Einführung einer kostenfreien KitaBetreuung bis zum Jahre 2010. Diskutieren Sie mit uns über den Weg dorthin. Wir als Linksfraktion werden, wie schon in den letzten Jahren, Schritte zur Umsetzung in unseren alternativen Haushalt integrieren. Stimmen Sie unseren Anträgen zur Zertifizierung familienfreundlicher Unternehmen in Sachsen zu.

(Zuruf der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Nutzen Sie Ihren Einfluss als Regierung, Unternehmen in dieser Frage zu sensibilisieren, und machen Sie Ihnen deutlich, wie auch sie davon profitieren können.

Sehr geehrte Damen und Herren! Familien brauchen einen aktiven, einen modernen Sozialstaat. Hier sind wir auch in Sachsen in der Pflicht. Hier können wir Familienpolitik gestalten. Leider hat gerade hier, Frau Orosz, Ihre Regierungserklärung zu kurz gegriffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Frau Nicolaus, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Neubert, ich habe voller Erstaunen Ihren Darlegungen entnommen, dass die sozialen Sicherungssysteme nicht mehr Kinder benötigen, sondern dass die vorhandenen Kinder mehr einzahlen sollten oder können, womit das Problem eigentlich gelöst sei.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Die es können, ja!)

Ich denke, das kann wohl kaum die Wahrheit sein.

(Beifall bei der CDU)

Sie hatten dann später ausgeführt, dass wir durchaus mehr Kinder benötigen. Diesbezüglich waren Ihre Darlegungen nicht ganz rund. Sie sprachen von der Aufstallung: Ich glaube, viele Eltern würden das weit von sich weisen, denn sie nehmen sehr gern die jungen Erwachsenen in ihrer Runde auf. Sie möchten sie gern zu Hause halten.

(Lachen bei der Linksfraktion.PDS – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Haben Sie mal die jungen Erwachsenen gefragt? Die freuen sich, wenn die Mama kocht!)

Ja, sicherlich, ich habe einen, Herr Prof. Porsch.

(Zurufe von der Linksfraktion.PDS)

Herr Neubert, Ihr modernes Familienbild hat sich mir auch noch nicht völlig erschlossen. Ich weiß nicht, was Sie darunter verstehen. Wir können uns gern darüber unterhalten. Meiner Ansicht nach ist Elternsein – dazu komme ich gleich noch einmal – eine tolle Aufgabe, eine schöne Aufgabe, nämlich dass Eltern für ihre Kinder sorgen und dass später, wenn die Kinder erwachsen sind, diese auch ihre Eltern im Älterwerden begleiten und betreuen können.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Wann sind die Kinder erwachsen? – Weitere Zurufe von der Linksfraktion.PDS)

Das ist eigentlich Familie, und das sollten wir uns auch nicht wegdiskutieren lassen. Wir haben viele Ausführungen gehört, warum so wenig oder zu wenig Kinder geboren werden. Es nutzt unser aber wenig zu jammern, sondern wir müssen die Realität leider zur Kenntnis nehmen.

Ich habe mich darüber gefreut, den Medien ein positives familienpolitisches Beispiel entnehmen zu können. Eine bekannte Staubsaugerfirma hatte in einem Werbespot eine so genannte Partylöwin eine andere Frau nach ihrer Tätigkeit fragen lassen. Nach kurzem Innehalten antwortete diese Frau: „Ich manage ein kleines, erfolgreiches Familienunternehmen.“ Die Partylöwin war nach dieser Antwort erst einmal platt. Im Hintergrund lief der Spot mit den Aufgaben dieser Frau, also der Tagesablauf einer Mutter.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Und da ist der Staubsauger wichtig!)

Dazu gehören zum Beispiel – aber es könnte genauso gut der Tagesablauf eines Vaters gewesen sein, damit mir das nicht vorgeworfen wird – die Erziehung der Kinder, die Vermittlung von Bildung, gleichermaßen aber auch das Verhalten bei Auseinandersetzungen in der Familie, wo der Mutter das „Richteramt“ zukommt. Ferner gehört dazu die Verwaltung des Familienbudgets, das oftmals zu klein ist. Es müssen Kompromisse bei der Zeiteinteilung gefunden werden. Es ist klar, wenn jemand keine Kinder hat – die Ministerin hat es ausgesprochen, diese DINKis,

die mit „double income – no kids“ –, dann muss dieser weniger Kompromisse zu Zeitabläufen eingehen, dann gibt es weniger Überraschungen, beispielsweise wenn Kinder abgeholt werden müssen und viele andere Dinge mehr. Wir dürfen uns dafür bedanken, dass man sich dieser Aufgabe in Gesamtdeutschland oder speziell in Sachsen stellt.

Ich würde mir wünschen, wenn die Medien das Rollenverständnis oder speziell das Familienbild in der Gesellschaft positiver nach vorn bringen, denn Single-Haushalte sind nicht das A und O für die Weiterentwicklung unseres Landes. Wir müssen eine Gesellschaft schaffen, die kinderfreundlich ist. Dabei haben wir noch einen langen Weg vor uns.