Protokoll der Sitzung vom 05.04.2006

Wir müssen die Wirtschaft – vom großen bis zum kleinen mittelständischen Unternehmen – ins Boot holen. Auch deren Innovationskraft und deren Zukunft sind gefährdet, wenn Kinder und Familien sie nicht stärken. Dafür gibt es in Sachsen schon einige positive Beispiele. Aber solange junge Frauen befürchten müssen, dass der Kündigungsschutz nach der Geburt eines Kindes nur auf dem Papier steht, dass sie den Wiedereinstieg in den Beruf nicht schaffen, dass ihnen Unverständnis statt Hilfsangebote entgegenschlägt, dass sie Probleme mit der Kinderbetreuung bekommen und dass das Geld vorn und hinten nicht reicht, werden sie den Kinderwunsch verschieben oder ganz aufgeben. Haben sich Paare gefunden, so steht der Realisierung des Kinderwunsches häufig ein weiterer Grund entgegen, dem mit herkömmlicher Familienpolitik nur eingeschränkt abgeholfen werden kann: Es sind die wenigen Jahre zwischen 27 und 33, in denen alles geschafft sein muss: Partner, Job, Familie. Und wann bekommt man einen festen Job? Lange Ausbildungszeiten, Praktika, befristete Arbeitsverträge – das kennzeichnet den Berufsstart unserer jungen Generation.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Das ist alles vom Himmel gefallen!)

Dass die Entscheidung für Kinder gegenwärtig spät und – leider viel zu oft – vor allem bei Akademikerinnen zu spät getroffen wird, kann unter diesen Bedingungen nicht verwundern.

Aber bei Familie geht es nicht nur um junge Familien, sondern auch um das Zusammenleben älterer Generationen, wo zum Beispiel Kinder ihre Eltern pflegen. Familie ist dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Wenn wir diskutieren, welche Angebote wir Familien machen müssen, dann stellt sich auch die Frage: Welches Leitbild haben wir von Familie? Zu lange wurde die Frage Kinder und Familie privatisiert. Jetzt werden seelische, soziologische und wirtschaftliche Folgen diskutiert. Das so genannte klassische konservative Leitbild ist sicher ein frommer Wunsch. Dieses zu bedienen wird nicht mehr Kinder bringen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Die traditionelle Aufgabenverteilung der Geschlechter führt nicht zu einer höheren Geburtenrate. Griechenland, Spanien und Italien sind Länder mit einer sehr niedrigen Geburtenrate. Wo Frauen und Männer eher gleichberechtigt sind, gibt es mehr Kinder. Das Leitbild der skandinavischen Länder ist ein Leitbild, welches sich an der Erwerbstätigkeit beider Eltern ausrichtet. In Frankreich ist es ähnlich. Allerdings berücksichtigt das Familiensplitting eine gewisse Wahlfreiheit. Grundsätzlich bin ich für Wahlfreiheit.

Die gesellschaftliche Realität sollte nach Wegen suchen, wie wir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hinbekommen – und ich betone: bei Müttern und Vätern.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und Beifall bei der Linksfraktion.PDS und der Staatsregierung)

Leitbilder unserer Gesellschaft sind Flexibilität, Mobilität, Präsenz am Arbeitsplatz über die Arbeitszeit hinaus, Schönheitsidole, Freizeitkapitäne – alles Killer für Liebe und Familie.

Bei einer Diskussion um das Leitbild der Familie müssen wir die Grenzen familienpolitischer Möglichkeiten verlassen. Die Realisierung des Kinderwunsches hängt von kulturellen Selbstverständlichkeiten ab. Im Umkehrschluss stellt sich die Frage, ob der Kindermangel nicht Ergebnis einer falschen gesellschaftlichen Kultur ist. Die abnehmende Geburtenrate und Einzelkinder verändern das Zusammenleben. Potenzielle Großeltern warten vergebens auf Enkelkinder. Es gibt keine Geschwister, keine Cousins, keine Cousinen, keine Tanten, keine Onkel. Und über Liebe – das ist, wie Fontane sagte, „ein weites Feld“ – will ich im Rahmen einer Regierungserklärung nicht philosophieren.

(Alexander Krauß, CDU: Schade!)

Familienpolitik darf nicht auf Sozialpolitik reduziert werden.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Es ist heute schon mehrfach gesagt worden und hoffentlich inzwischen Allgemeingut, sie ist eine Querschnittsaufgabe. Wenn man den Medien glauben darf, so hat auch die Wirtschaft begriffen, dass Konjunktur und Kinder irgendwie zusammenhängen. Eines möchte ich allerdings nicht: dass wir permanent Krisen heraufbeschwören, auf die wir reagieren, sondern wir sehen auch eine Chance in der Krise. Deswegen ist Familienpolitik für ein kinder- und familienfreundliches Sachsen ein politischer Schwerpunkt in der SPD-Fraktion, und das nicht erst seit heute. Das wissen diejenigen, die mich länger kennen. Die gegenwärtige Debatte scheint uns Recht zu geben. Diese Schwerpunktsetzung wird auch im Koalitionsvertrag deutlich. Die Staatsministerin und auch meine Kollegin Nicolaus haben hier entsprechende Anmerkungen gemacht. Wir dürfen aber nicht glauben, dass eine Allzuständigkeit des Staates die Lösung bringt.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsministerin Helma Orosz)

Wir müssen die Eigenverantwortung der Eltern stärken. Kitas sind familienergänzende Maßnahmen. Wir müssen Hilfen und Beratungen anbieten und dafür sorgen, dass sie auch angenommen werden können.

Zurück zu den Rahmenbedingungen. Was erwarten wir vom Bund? Einiges ist in den letzten Jahren geschehen, zum Beispiel die Erhöhung des Kindergeldes, die Anhebung des Existenzminimums, höhere Freibeträge, steuerliche Absetzbarkeit. Wenn man alles zusammenrechnet, steht Deutschland im internationalen Vergleich im oberen Drittel der staatlichen Ausgaben für Kinder. Mehr Kindergeld macht aber noch nicht mehr Kinder. Das von der Koalition in Berlin vorgeschlagene Elterngeld wird parteienübergreifend begrüßt und auch von Wissenschaftlern und Familienverbänden unterstützt. Es wird mehr kosten als das Bundeserziehungsgeld und soll gerade jungen Familien den Kinderwunsch erleichtern, in denen beide Eltern erwerbstätig sind.

Die Staatsministerin und auch Frau Nicolaus deuteten schon an, dass wir vor diesem Hintergrund über Veränderungen beim Landeserziehungsgeld reden müssen. Wir haben diese Förderung für sächsische Familien im Koalitionsvertrag festgeschrieben und werden die entsprechenden Anpassungen miteinander diskutieren.

Ein anderes Thema, was jetzt auch auf Bundesebene diskutiert wird, sind die gebührenfreien Kitas. Länder und Kommunen werden aufgerufen, mehr zu tun. Ich weiß nicht, ob Frau von der Leyen auch nur den Halbtagskindergarten meint. „Gratis-Kitaplätze statt mehr Kindergeld“. Bund und Länder sollten darüber nachdenken, wie sich auch der Bund an den Kosten beteiligen könnte.

(Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Das Kindertagesbetreuungsausbaugesetz war ein erster Schritt, und die Ankündigung, den Rechtsanspruch auszuweiten, kann ich unterstützen. Vor dem Hintergrund der jetzigen Föderalismusreform allerdings bin ich eher

skeptisch. Für die sächsische SPD ist klar, dass wir den Einstieg in eine gebührenfreie Kinderbetreuung wollen.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Ich nenne noch zwei bundespolitische Baustellen: Ehegattensplitting und Unterhaltsrecht. Das Ehegattensplitting ist schon lange nicht mehr zeitgemäß und das französische Familiensplitting-Modell könnte bei der Umwandlung Pate stehen, auch die Bündelung von Leistungen in einer Familienkasse. Allerdings, und das kann ich auch sagen, hat selbst die rot-grüne Bundesregierung sich nicht an das Ehegattensplitting herangetraut. Ich finde es gut, dass die Ministerin das angesprochen hat. Wir müssen auch in den eigenen Reihen für Mehrheiten sorgen. Auch Veränderungen im Unterhaltsrecht sind notwendig. Meines Erachtens werden die Wirkungen des Gesetzes zum Unterhalt unterschätzt. Was 1977 richtig war, insbesondere zur Besserstellung von Müttern, die zugunsten von Vätern und der Kinder ihre Berufstätigkeit aufgaben, ist heute reformbedürftig. Viele Paare leben ohne Trauschein, weil die Unterhaltsverpflichtungen ihnen, insbesondere den Männern, scheinbar unüberwindliche finanzielle Risiken bedeuten. Deswegen muss der Entwurf von Ministerin Zypries weiter vorangetrieben werden.

Die Einführung eines Familienwahlrechtes halte ich persönlich für illusorisch, und mir hat auch noch niemand erklären können, dass das zur Steigerung der Geburtenrate führen könnte.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Vielmehr sollten wir an die jungen Männer appellieren, sich den Wunsch nach verlässlicher Partnerschaft und Kindern zu erfüllen, denn gerade sie – das wissen wir aus Umfragen – scheuen sich, Verantwortung zu übernehmen.

Nun zu Rahmenbedingungen auch in Sachsen. Wir stehen so schlecht nicht da – das ging auch aus der Regierungserklärung hervor –, zumal wir neben den Geldleistungen das anbieten, was jetzt in aller Munde ist: Kinderkrippen, Ganztagskindergärten und Horte. Wir haben uns auf den Weg gemacht, nicht nur Betreuung für Mütter und Väter anzubieten, sondern frühkindliche Bildungsangebote mit hoher Qualität. Wie gesagt, wenn wir schon weniger Kinder haben, müssen wir uns besonders um ihre Zukunft kümmern. Das neue Kita-Gesetz kann sich bundesweit sehen lassen. Aber wir dürfen uns dabei nicht ausruhen. Wir wollen noch mehr Qualität bei der Kinderbetreuung und im Rahmen der frühkindlichen Bildung. Wir haben viele positive Signale zum Bildungsplan erhalten, aber wir brauchen noch bessere Bedingungen, um ihn umsetzen zu können. Wir müssen uns gemeinsam zur Wehr setzen, wenn Kinder von dieser Förderung und Bildung ausgeschlossen werden. Wir haben das auf Landesebene immer betont, und dann gibt es aber auf Kreis- und Stadtebene Beschlüsse, die auch von PDS-Mitgliedern in Kreistagen getragen werden, die einschränkenden Kriterien zustimmen.

(Widerspruch bei der Linksfraktion.PDS)

Das ist wahr.

Auch die Betreuungsquoten können sich sehen lassen. Dazu ist auch schon einiges gesagt worden. Wir sind noch lange nicht am Ziel. Erst dann, wenn alle Eltern, die es wünschen, auch einen Platz in einer Einrichtung oder bei einer gut qualifizierten Tagesmutter bekommen, können wir zumindest sagen, dass wir unsere Hausaufgaben gemacht haben.

Erstaunlich gut wird die Initiative „Lokale Bündnisse für Familien“ angenommen. Sie wurde durch die Ministerin Schmidt initiiert und von der Ministerin von der Leyen weitergeführt. Sie ist auch in Sachsen angekommen. Hier können wir die Ideen der Mehrgenerationenhäuser weiterführen. Ältere und jüngere Menschen können mit ihren ganz individuellen Wünschen zusammengebracht werden.

Das Frühwarnsystem für gefährdete Kinder, das auch meine Kollegin Nicolaus ansprach, werden wir am Freitag ausführlich diskutieren. Wir sind für eine höhere Verbindlichkeit der gegenwärtigen U1- bis U9-Untersuchungen.

(Beifall des Abg. Mario Pecher, SPD)

Zusammenfassend möchte ich einige landespolitisch ausgerichtete Vorschläge nennen, so die Initiativen für ein familienfreundliches Arbeiten, eine familienfreundliche Arbeitswelt und ein familienfreundliches Lebensumfeld, Qualität weiterentwickeln im Bereich der vorschulischen Bildung, schrittweise Gebührenfreiheit für die Kitas einführen, gleiche Bildungschancen für alle, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Generationen stärken, harte Themen, also Finanzen, und weiche Themen, wie lokale Bündnisse für Familien, zusammenbringen und einen Aktionsplan ähnlich wie auf Bundesebene für ein kind- und familiengerechtes Sachsen. Schwerpunkte, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen wir setzen, denn nicht alle Wünsche können erfüllt werden.

Einige Punkte im familienpolitischen Papier der CDU-Fraktion und Äußerungen des Ministerpräsidenten –

Bitte zum Schluss kommen.

– lassen mich hoffen, dass wir im Zusammenhang mit dem nächsten Doppelhaushalt solche gemeinsamen Beschlüsse hinbekommen.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Ich erteile das Wort der Fraktion der NPD. Herr Leichsenring, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte vorwegschicken, dass ich es für falsch halte, dass wir heute hier sitzen. Anstatt uns in den letzten Tagen auf die Sitzungen vorzubereiten, wäre es günstiger für dieses Land gewesen, wir hätten Sand geschaufelt und uns an der Abwehr des Hochwassers beteiligt.

(Widerspruch bei der CDU, der Linksfraktion.PDS und der SPD)

Die von der Staatsregierung abgegebene Erklärung ist erwartungsgemäß eine Schaufenstererklärung. Das hat auch der schwache Beifall bei Ihren eigenen Rednern gezeigt.

Natürlich kann niemand der Kernaussage „Familien bilden Sachsens Zukunft“ widersprechen. Aber diese Erklärung wird wie so viele vorher auch folgenlos bleiben.

Vieles von dem, was Frau Orosz sagte, ist zweifellos richtig. Aber Sie sind in der falschen Partei und haben einen noch falscheren Koalitionspartner, um das umzusetzen, was Sie vorgeben erreichen zu wollen.

Dennoch, die Staatsregierung versucht mit wohlfeilen Worten den Eindruck zu erwecken, sie hätte ein Problem erkannt und verfüge darüber hinaus über die notwendigen Lösungsansätze für dieses Problem. Aber es wird, wie gesagt, bei heißer Luft bleiben.

Ich habe übrigens ganz genau die Worte von Ministerpräsident Milbradt im Ohr. Das war im Jahr 2005, Staatskanzlei, Neujahrsempfang: „Wir müssen mehr für kinderreiche Familien tun.“ Recht hat er, aber gemacht hat er bis heute nichts. So wird es auch mit dieser Erklärung sein.

Die Staatsregierung verschweigt die wirklichen Ursachen für die randständige Lage vieler Familien in Sachsen: Selbstgefälligkeit, Ignoranz und politisches Versagen der herrschenden politischen Klasse über mehr als anderthalb Jahrzehnte haben ihre Spuren in Sachsen hinterlassen. In Deutschland wie auch in Sachsen wurde und wird seit Jahrzehnten eine Politik gegen die Familien betrieben, und das trotz vieler gegenteiliger Erklärungen.

Die Familie ist in den letzten Jahrzehnten zu einem Auslaufmodell geworden. Nur noch in 25 % aller Haushalte lebt heute ein Kind. Das Problem ist nicht neu. Neu ist nur, dass sich die etablierte Politik und die Medien der Familie und den demografischen Problemen in einem nennenswerten Umfang thematisch zuwenden. Der Geburtenrückgang, der in Sachsen unmittelbar 1990 eingesetzt hat und bis heute andauert, hätte schon damals die Staatsregierung zum Handeln bewegen müssen. Stattdessen ist in den zurückliegenden 15 Jahren in der Bevölkerungspolitik nichts unternommen worden, um diese bedrohliche Entwicklung abzuwenden. Warum wurde nicht gehandelt? In der Republik der Spaßlaune und des Jugendlichkeitswahns lässt man sich nicht so einfach die Stimmung vermiesen, schon gar nicht die politische Klasse, die sich selbst wichtigtuerisch und immerzu quasselnd durch die Fernsehschwatzrunden der Republik herumreicht. In dieser Republik der Geschwätzigkeit spricht man über alles, nur nicht über Fragen von existenzieller Tragweite.

Allein im Begrifflichen lässt sich bereits nachweisen, dass zum Beispiel im Bereich der demografischen Entwicklung die Folgen des sich abzeichnenden Bevölkerungszusammenbruchs noch immer verharmlost werden. So haben es sich Politik und Medien zur Gewohnheit gemacht, verharmlosend vom demografischen Wandel zu

sprechen. Dabei wäre der Begriff der demografischen Katastrophe hinsichtlich der Auswirkungen des Schrumpfungsprozesses viel angemessener.