Protokoll der Sitzung vom 06.04.2006

Deshalb, meine Damen und Herren, wende ich mich abschließend an die Öffentlichkeit: Lassen Sie sich nicht irritieren. Zu keinem Zeitpunkt hat eine Genehmigungsbehörde oder die dafür verantwortliche Fachaufsicht eines Umweltministeriums der Aussage, dass es zu keinem Zeitpunkt gesundheitliche Gefährdungen gegeben hat, widersprochen und auch nicht widersprechen müssen.

(Proteste bei den GRÜNEN)

Wer mit den Ängsten der Bevölkerung spielt, ist ohnehin kein seriöser Partner zur Erörterung gesundheitsrelevanter oder umweltpolitischer Fragen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

So stimmen wir möglicherweise am Ende mit dem Antragsteller darin überein, dass eine parlamentarische Begleitung eines solchen Vorganges auch im Sinne einer gewissen Beschleunigung von Entscheidungen durchaus

nützlich sein kann. Aber aus den Verlautbarungen des Betreibers wie auch der Genehmigungsbehörde ergibt sich die Gewissheit, dass in wenigen Wochen diese für uns durchaus nicht günstigen Verhältnisse überwunden sind und deswegen die Notwendigkeit, dem Antrag in Drucksache 4/4767 zuzustimmen, nicht gesehen werden kann.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Die schon zitierte Frau Lay spricht jetzt für die Linksfraktion.PDS.

(Karl Nolle, SPD: Die Frage ist: Wie kommt die Milch in das Gift? – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Es ist nicht mehr viel Milch!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Tillich, mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie im Umweltausschuss meine Presseerklärung gerügt haben. Sie haben das vorhin im persönlichen Gespräch auch noch einmal bestätigt. Prof. Mannsfeld hat sich dem jetzt angeschlossen, dabei allerdings verschwiegen, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen in dieser Sache aufgenommen hat, und zwar ohne mein Zutun.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Ich werfe in meiner Presseerklärung Ihnen und den nachgeordneten Behörden Schlamperei vor. Ich gebe zu, das sind keine besonders freundlichen Worte, die ich da gewählt habe. Allerdings kann ich auf der Grundlage der Antworten auf meine Kleinen Anfragen zu keinem anderen Ergebnis kommen.

Sie geben in diesen Antworten offen zu, dass die DioxinGrenzwerte überschritten werden, und das seit Inbetriebnahme des Werkes, also seit nun über 15 Jahren. Herr Lichdi hat die entsprechende Passage aus meiner Kleinen Anfrage vorgelesen. Sie haben dort Aussagen unterschrieben, in denen steht, dass zahlreiche Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern auch in Bezug auf die Dioxine eingegangen sind. Wenn man die Antworten aufmerksam liest, wird man auch feststellen, dass wenig passiert ist. Ja, es gibt die Stilllegungsanordnungen, die bereits im Jahr 1998 hätten greifen sollen. Das ist jetzt acht Jahre her und die Grenzwerte werden immer noch überschritten.

Ich sage ganz ausdrücklich: Ich will nicht, dass das Riesaer Stahlwerk stillgelegt wird. Aber ich will, dass die Bevölkerung nicht durch Dioxine gefährdet wird. Grenzwerte müssen eingehalten werden. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, den GRÜNEN und des Abg. Karl Nolle, SPD)

Herr Tillich, ich habe es wirklich nicht verdient, in dieser Sache von Ihnen kritisiert zu werden. Ich habe nämlich nicht auf die Pauke gehauen, sondern ich habe das doch recht zahme Instrument der Kleinen Anfrage gewählt, das zwar natürlich einer Teilöffentlichkeit zugänglich ist, aber doch in erster Linie darauf abzielt, den Behörden zu signalisieren, dass man ein wachsames Auge auf sie geworfen hat. Mit dieser Strategie waren wir übrigens als Linksfraktion.PDS auch bei Kronospan schon erfolgreich.

Kleine Anfragen bewirken manchmal Wunder. Ich denke, das ist auch in der heutigen Debatte der Fall.

Wir haben dazu keine Plenardebatte beantragt. Ich weiß auch nicht, ob das Plenum der richtige Ort für diese sehr sensible Sache ist. Das will ich eingestehen.

Ich habe Ihnen, Herr Tillich, mit meinen Kleinen Anfragen geradezu die Gelegenheit gegeben, in dieser Sache tätig zu werden. Oder lesen Sie sich nicht durch, was Sie dort unterschrieben haben?

(Staatsminister Stanislaw Tillich: Doch!)

Insofern ist die heutige Debatte auch das Ergebnis Ihrer Verschleppungstaktik.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: So ist es!)

Meine Damen und Herren! Nicht nur dass die Überschreitung der Dioxingrenzwerte seit den frühen neunziger Jahren geduldet wurde, es müsste auch den wichtigen zentralen Akteuren bekannt sein. Ihre Vorgänger im Amt des Umweltministeriums sind darüber informiert worden, die Wahlkreisabgeordneten der Region, Herr Sandig und Herr Rasch. Sogar der ehemalige Ministerpräsident Biedenkopf wusste Bescheid. Alle Fraktionen des Sächsischen Landtages sind vor einem Jahr angeschrieben worden. Ich weiß, dass daraufhin Frau Deicke aktiv geworden ist. Ich habe mich auch mit den Bürgerinnen und Bürgern auseinander gesetzt und die zitierten Kleinen Anfragen eingereicht. Was die anderen Fraktionen gemacht haben, weiß ich nicht. Aber ich denke, dass wir auch als Landtag eine gewisse Verantwortung haben, darüber nicht hinwegzusehen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ich gebe gern zu, dass ich schon leichtere Themen bearbeitet habe, nicht nur, weil es eine komplizierte Materie ist, sondern auch, weil es politisch schwierig ist. Wir befinden uns damit in einem Abwägungsprozess zwischen Umwelt- und Gesundheitsbelangen einerseits und der Sicherung von Arbeitsplätzen andererseits. Man packt das Thema vor Ort deshalb auch mit Samthandschuhen an. Zum Teil kann ich das nachvollziehen. Ich kenne selbst Menschen, die bei Feralpi arbeiten, um ihre Arbeitsplätze fürchten oder in Zukunft auf Arbeitsplätze hoffen.

Dennoch muss – und das sage ich auch als Arbeitspolitikerin – im Zweifel der Gesundheitsschutz Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen haben. Man

muss auch kein Experte sein, um zu kapieren, dass mit Dioxinen nicht zu spaßen ist.

Dieses Stahlwerk steht mitten in der Stadt. Dort wohnen kleine Kinder. Dort wohnen Schwangere. Dort wohnen Familien im Umfeld. Ich denke, wir dürfen hier kein Risiko eingehen. Oder wollen Sie, Prof. Mannsfeld, nach dem, was wir heute von den Grenzwertüberschreitungen gehört haben, Ihre Zelte vielleicht in unmittelbarer Nachbarschaft des Stahlwerkes aufschlagen?

Gesundheitsschutz und Arbeitsplätze dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Es ist durchaus möglich, Grenzwerte einzuhalten und nachzurüsten, ohne dass Arbeitsplätze dabei verloren gehen. Das ist auch bei Kronospan schon bewiesen worden. Genau darauf sollte auch im neuen Genehmigungsverfahren hingearbeitet werden. Es sieht auch Maßnahmen zur Einhaltung der Dioxingrenzwerte vor. Interessant wäre es natürlich zu wissen, ob diese Frage im Erörterungsverfahren überhaupt eine Rolle gespielt hat. Vielleicht, Herr Minister, können Sie darauf noch eingehen.

Wir müssen nach vorn blicken, das ist richtig. Aber ich sehe auch einige Dinge, die der Aufklärung bedürfen.

Sie stützen Ihre Argumentation, dass keine Gesundheitsgefährdung vorgelegen hat, im Wesentlichen auf das Argument, dass zwar die Grenzwerte der Emissionen, nicht aber die für Immissionen überschritten werden. Nun geht aber aus meinen Anfragen hervor, dass die Messungen der Immissionen nur alle zwei Jahre erfolgten. Damit wollen Sie doch nicht im Ernst belegen, dass keine Gesundheitsgefährdung vorlag? Das ist mir wirklich zu wenig. Das deutet auf eine sehr laxe Handhabung hin. Ich denke, hier muss nachgehakt werden.

Es ist Ihnen vielleicht schon zu Ohren gekommen, dass vor Ort Kritik an der Art und Weise der Messung der Immissionen geübt wird. Es wird nur am Schornstein gemessen und nicht am Dach des Schmelzhauses. Das wird man doch wohl auch einmal überprüfen können.

Meine Damen und Herren! Man muss nicht auf jedes Gerücht eingehen, das in Riesa die Runde macht, etwa dass nachts die Luken auch einmal so aufgemacht werden und einmal schnell einfach Dinge abgelassen werden. Aber irgendetwas ist schon faul an der Sache; denn aus welchen Gründen sonst hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen, nachdem sie zwei Monate vorher gerade eingestellt wurden? Auch vom Unternehmen selbst wird Verschleierung betrieben. Erst vor einem Monat betitelte die „Sächsische Zeitung“ ein Interview mit dem Unternehmensdirektor „Grenzwerte werden nicht überschritten“. Da lagen übrigens die Antworten auf meine Kleinen Anfragen schon vor.

Einem engagierten Bürger vor Ort wird vom Anwalt des Stahlwerkes eine Unterlassungserklärung zugestellt. Dort werden vorab einmal 50 000 DM wegen Verleumdung eingefordert und auch noch behauptet, dass die Dioxingrenzwerte nicht überschritten werden. Das war 2000,

und das war nicht nur eine kühne Behauptung, sondern es ist einfach eine glatte Lüge.

Meine Damen und Herren! Ich will dem Riesaer Stahlwerk nichts Böses. Ganz im Gegenteil. Aber nur Transparenz und eine problemorientierte Herangehensweise bringen uns hier weiter.

Zu guter Letzt würde mich doch interessieren, ob Riesa ein Einzelfall ist. Scheinbar nicht. Ich zitiere aus dem Änderungsbescheid des RP Dresdens vom Februar 2002. Dort heißt es: „Die ermittelten Emissionswerte entsprechen Werten, die an anderen vergleichbaren Anlagen ermittelt wurden.“ Wenn der Antrag der GRÜNEN heute abgelehnt werden sollte, wird die Nachfrage von Frau Kagelmann, Frau Lauterbach und mir auch noch einmal Licht in dieses Dunkel bringen. Es ist übrigens geradezu abenteuerlich, dass mit dem Argument, dass auch an anderer Stelle die Grenzwerte überschritten werden, die Auflagen, die man 1999 zur Emissionsmessung erteilt hat, 2002 wieder rückgängig gemacht werden. Wenn das keine Schlamperei ist, dann weiß ich es nicht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Die Linkspartei will mehr Arbeitsplätze in Sachsen. Wir wollen auch mehr Arbeitsplätze im Riesaer Stahlwerk. Wir wollen, dass in Sachsen gewirtschaftet wird. Aber wir wollen, dass nachhaltig gewirtschaftet wird. Ökologischer Nachhaltigkeit, ökologischem Wirtschaften gehört die Zukunft. Das gilt auch in Riesa, und es gilt auch bei Recyclinganlagen. Meine Kollegin, Frau Kagelmann, wird später noch auf die Einzelheiten des Antrages eingehen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Für die SPDFraktion spricht jetzt Frau Dr. Deicke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dioxine und Furane sind unbestritten sehr gefährliche Umweltchemikalien und daher keinesfalls zu unterschätzen. In der Bundesrepublik sind in der Vergangenheit große Anstrengungen unternommen worden, um den Ausstoß dieser Substanzen zu reduzieren. Die Hauptemissionsquellen für Dioxine sind bekannt. An erster Stelle stehen hierbei die Metallgewinnung und -verarbeitung. Gerade in diesem Bereich ist der Stand der Technik zur Verringerung von Emissionen mittlerweile sehr weit fortgeschritten und hat dazu geführt, dass die Dioxinbelastung seit 1990 drastisch zurückgegangen ist.

Vom Umweltbundesamt werden hierzu, auf ganz Deutschland bezogen, folgende Werte genannt: Im Jahr 1990 wurden noch 740 Gramm Dioxin emitiert, während es im Jahr 2000 nur noch 40 Gramm waren. Es sind sehr kleine Mengen, die aber unter Vorsorgegesichtspunkten

auch zukünftig immer noch weiter reduziert werden müssen.

Meine Damen und Herren! Auch das Stahlwerk Riesa muss seinen Dioxinausstoß weiter verringern. Darüber herrscht in diesem Hause sicher Einigkeit. Es geht aber vor allem um die Einhaltung des Grenzwertes, der aufgrund der technischen Leistungsfähigkeit in der Genehmigung für das Stahlwerk festgelegt wurde und den man mit 0,1 Nanogramm pro Kubikmeter als sehr anspruchsvoll bezeichnen kann. Trotz neuester Technik hatte das Werk etliche Probleme, diesen Wert einzuhalten.

Dass Grenzwerte eingehalten werden müssen, ist selbstredend, auch das unterstütze ich. Hier stehen verschiedene widersprüchliche Aussagen im Raum, die womöglich die Staatsanwaltschaft zu untersuchen hat. Ich möchte natürlich auch nicht, dass der Standort in Riesa gefährdet wird. Die zuständige Behörde hatte davon selbstverständlich Kenntnis und hat gemeinsam mit dem Werk intensiv immer wieder nach Lösungen gesucht, natürlich auch mit demselben Ziel, das Stahlwerk nicht zu gefährden.

Beim Verwaltungsvollzug muss allerdings auch der Aspekt der Verhältnismäßigkeit eine Rolle spielen. Darauf ist mein Kollege Prof. Mannsfeld ausführlich eingegangen. Ob eine Gesundheitsgefährdung gegeben ist, ist nicht klar nachgewiesen. Hier steht Aussage gegen Aussage mit verschiedenen Gutachten.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Wozu gibt es denn Grenzwerte? Entweder es gibt welche oder es gibt keine!)

Ich möchte einmal etwas zu den Grenzwerten sagen. Grenzwerte sind eigentlich Unsicherheitsfaktoren, die den Grad des Unwissens widerspiegeln. Für krebserregende, gen- und fruchtschädigende Stoffe kann keine Dosis angegeben werden, unter der eine schädliche Wirkung ausgeschlossen werden kann. Hier muss ein gesellschaftlicher Konsens über Vor- und Nachteile der Nutzung bzw. des Verzichts gefunden werden. Letztlich wird über Grenzwerte politisch entschieden, und es fließen unterschiedliche Interessenlagen in ihre Festsetzung ein.